4. Leseabschnitt: Kapitel 7 und 8 (Seite 340 bis 455)

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Roland dreht sich beziehungstechnisch im Kreis, er schafft es nicht aus seinem Schema auszubrechen. Alissa, und er werden nicht einmal des Kindes zuliebe Kontakt pflegen, was ich sehr schade finde! Denn Roland würde es definitiv unterstützen, doch Alissa hat Angst, dass es mit dem Schreiben nicht mehr läuft, wenn sie erstmal in der Mühle des Mutterseins gefangen ist. Ich kann ja ansatzweise nachvollziehen, wenn man nicht so werden möchte wie die Mutter, das eigene Kind aufgeben um diese Ziele zu erreichen, halte ich für fragwürdig. Irgendwann holt sie ihr handeln ein, und dann hat sie die Zeit mit ihrem Kind bereits verschenkt.
Das Daphne sich von Roland trennt, passt ins Raster, dass sie es wieder mit Peter versucht, habe ich nicht verstanden
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Ich bin ja gespannt, ob wir hierüber Aufklärung bekommen, warum Miriam so geworden ist? Wo sind ihre Defizite? Warum will sie keine Beziehung auf Augenhöhe?
Das hoffe ich wirklich sehr, es würde mich enttäuschen, wenn ich im weiteren Verlauf keinen Erklärungsversuch zu ihrem Verhalten bekomme
Und Jane unterstützt sie darin! Nur um sich bei ihrer Tochter einzuschmeicheln, lässt sie die Kontaktwünsche ihres Enkels ins Leere laufen.
Ich habe bei Jane ein wenig das Gefühl, dass sie sich freut, dass ihre Tochter das geschafft hat, was sie nicht hinbekommen hat. Sie hält sich an die Anweisungen der Tochter, um das Buchprojekt nicht zu gefährden. Moralisch gesehen nicht ganz nachzuvollziehen. Habe zwar noch keine Enkel, aber man sollte auch an das Kind denken
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Schmunzeln muss ich immer bei den optimistischen Zukunftsaussichten, die 1989 aufgestellt wurden!
Mich frustriert das eher. Wenn ich sehe, wo wir alle gerade hindriften, wird mir angst und bange.
Ich denke, gerade als Mutter kann man Alissa ein Stück weit verstehen, dass ihr alles zu viel wurde: ein Baby, gerade im 1. Jahr, kostet halt mal viel Kraft und nicht umsonst, gehen viele Ehen gerade im 1. Lebensjahr des Kindes kaputt. Dazu ein Mann, der nichts auf die Reihe bekommt :(! Aber meiner Meinung nach, hätte sie das auch anders lösen können! Diese, ihre Lösung, fand ich absoluten Mist!!!!!! Gut, Roland hat dadurch an Reife gewonnen, aber der große Verlierer dabei war Lawrence! Der tat mir von ganzem Herzen leid!
Ja, Muttersein löst nicht nur Glücksgefühle aus. Gerade wenn die Kinder klein sind, kommt man selbst zu kurz. Aber es hätte andere Lösungen gegeben.
Interessant ist auch hier, dass McEwan nicht die üblichen Muster aufgreift. Väter, die die Flucht ergreifen, kennt man zu Genüge. Ebenso männlichen Kindesmissbrauch. Durch diese Umdrehung bekommt beides ein anderes Gewicht.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
aber warum sie keinen Kontakt zu ihrem Sohn haben kann, verstehe ich nicht ganz.
Endlich etwas, was ich verstehe, Ruth ;-). Wenn sie Lawence trifft, wird sie ihr Leben änden. Sie könnte sich den Muttergefühlen nicht entziehen. Deshalb darf er erst gar nicht in ihr Leben treten.

Zum Rest: Der Roman dümpelt vor sich hin. Erstaunlicherweise gibt es nach der Begegnung mit Alissa in Berlin alsbald einen heftigen Zeitsprung. Die Beziehung mit Daphne. Die Roland natürlich in den Sand setzt.
Ich sehe es nicht so, dass er keine Entscheidungen trifft. Er trifft die Entscheidung, sich nicht festzulegen. Nie will er sich festlegen. Er ist ein zutiefst bindungsunfähiger Mensch. Daran mag die toxische Beziehung zu Miriam schuld sein, aber heutzutage gibt es Mittel, Kindheit und Jugend aufzuarbeiten. Ich hab nach wir vor nicht viel Sympathie für Roland und finde, dass er viel rumheult. Denn trotz seiner verkorksten Schul-Uni-Ausbildung, seinem versäumten akademischen Grad - aber wer weiß, ob er diesen Weg wirklich gegangen wäre, denn dabei muss man sich ebenfalls binden, festlegen, auf ein Ziel hinarbeiten- ist er ein Lebenskünstler. Er hat immer genug zum Leben, Freunde, Frauen, Familie. Arbeit. Er könnte glücklich sein. Wenn er wollte. Er will nur nicht. Notorisch unzufrieden.
Und plötzlich sind wir fünfzig. Themen werden angerissen, nicht aufgearbeitet, Ian McEwans Themen des Romans liegen diesmal am Wegesrand, Gänseblümchen, die zu pflücken man sich bückt - und die man dann doch gleich wieder wegwirft, Eltern werden alt, eigenes Alter, etc. etc. Lebenssinn. Sich vergleichen. Jammern. Alles auf die Vergangenheit und die Prägung schieben.
Es ist kein Roman, der mich irgendwo abholt. Politik wie Huflattich. Wächst am Wegesrand. Eigentlich wie Löwenzahn Tiefwurzler, aber hier mehr Unkraut.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Interessant ist auch hier, dass McEwan nicht die üblichen Muster aufgreift. Väter, die die Flucht ergreifen, kennt man zu Genüge
Wo du recht hast: endlich ein Pluspunkt. Mich wundert, wie interessant hier das Leben Rolands gesehen wird; ich finde seinen Lebenslauf, so wie ihn McEwan schildert, äußerst langweilig. Nach wie vor. Nix interessiert mich daran. Kanns nicht ändern.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Sie spürt, dass er ihr entgleiten wird. Erstmals war es so, als er den Jazz gespielt hat, nun verstärkt sich diese Angst bei ihr, deshalb die Panikreaktion mit der Heirat. Auf Seite 373 ist es erstmals ER, der SIE die Treppe hochführt.
Sehr schön beobachtet! Am besten am Roman hat mir bisher die Szene gefallen als Roland sich sagt, ich muss schnell sagen, was ich nicht will, bevor mich mein Triebleben wieder daran hindert. Köstlich.
Andererseits glaube ich nicht, dass Roland keine Wahl hatte.Er hätte Widerwort geben können, eine Szene machen ... wenn ich nur daran denke, wie sich Kleinkinder im Supermarkt auf den Boden schmeissen und nur nervenstarke Eltern ihnen Paroli bieten können ... Kinder haben Möglichkeiten. Überhaupt sehe ich hier nur einen Teilmissbrauch. Roland kam zu Miriam, nicht umgekehrt.
Ein Manko des Romans ist die einseitige Rolandperspektive (vllt gibt es noch einen Schwenk, aber ich glaube nicht daran). Daran ändern auch die überfrachteten Einschübe von Janes Leben nix. Ich habe mich weder für Jane noch für Rosalind interessiert. Höchstens insoweit, wie der Autor passive Frauen zeigt - das sind wir gewohnt - und uns dann einen passiven Mann vorstellt - und schon schmelzen alle in der LR dahin;-).
 

Wandablue

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Ich bin ja gespannt, ob wir mitbekommen, wie sich der Neuversuch zwischen Daphne und Peter entwickelt! Haben sie aus ihrem alten Scheitern was gelernt? (Ich wünschte es ihnen! Ich kenne im engsten Bekanntenkreis ein Paar, das sich getrennt hatte, neue Partnerschaften führte und dann wieder zusammenfanden. Danach waren sie glücklicher als sie vorher jemals gewesen waren!)
Tatsächlich ist das häufig so. Erstens kann lange gemeinsam verbrachte Zeit nicht ersetzt werden, zweitens, weiß man, was man hatte. Aber bei einem Schläger wäre ich mehr als misstrauisch. Ich glaube nicht, dass sie es packen, die zwei. Wegen der Kinder macht man natürlich vieles.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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und uns dann einen passiven Mann vorstellt - und schon schmelzen alle in der LR dahin;-).
Bestimmt nicht deshalb
Wenn sie Lawence trifft, wird sie ihr Leben änden. Sie könnte sich den Muttergefühlen nicht entziehen. Deshalb darf er erst gar nicht in ihr Leben treten
Doch, hier geht es nicht mehr um einen Weg zurück. Der ist verbaut. Einzig darum ein wenig Interesse zu zeigen. Ich glaube eher, dass sie sich ihm gegenüber schuldig fühlt und diesem Gefühl will sie sich nicht stellen.
Notorisch unzufrieden.
Woran machst Du das fest?
ich finde seinen Lebenslauf, so wie ihn McEwan schildert, äußerst langweilig
Sein Lebensweg ist relativ unspektakulär, so wie bei vielen. Ist das dann gleich uninteressant?
 

Barbara62

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19. März 2020
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Baden-Württemberg
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Er ist ein zutiefst bindungsunfähiger Mensch. Daran mag die toxische Beziehung zu Miriam schuld sein, aber heutzutage gibt es Mittel, Kindheit und Jugend aufzuarbeiten. Ich hab nach wir vor nicht viel Sympathie für Roland und finde, dass er viel rumheult.
Ich würde es früher festmachen, und zwar bei der fehlenden elterlichen Bindung. Dass er nichts aufarbeitet, ist Teil seiner Strategie des Sich-Treiben-Lassens.
 

Wandablue

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Sein Lebensweg ist relativ unspektakulär, so wie bei vielen. Ist das dann gleich uninteressant?
Normalerweise nicht. In diesem Falle schon. Bedenke: ich hoffte auf einen Mörder, der nicht nur seine Frau, sondern auch seine einstige Verführerin um die Ecke bringt, lächelt und lebt, als wäre nix.
 

Lesehorizont

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29. März 2022
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Mainz
Ja, die große philosophische Frage: Gibt es einen freien Willen oder ist unser Handeln fremdbestimmt? Vielleicht von beidem etwas. ( So wie bei der Frage, ob wir genetisch festgelegt sind oder von unserer Umwelt geprägt.)
Ich mag ja große philosophische Fragen und die Auseinandersetzung damit. Mc Ewan ist da möglicherweise recht pessimistisch, hält den Menschen primär für Produkte ihrer u>mwelt bzw. der Umstände. Ich denke schon auch, dass die Umstände grob vorgegeben sind, auch die Entwicklungen, die wir durchlaufen, dass wir aber im Detail Einfluss nehmen können.
Ich lese und kann mich kaum von dem Buch lösen.
Voller Spannung verfolge ich den Lebensweg dieser Figuren, jede davon ist interessant, vielschichtig und authentisch. Und dazu die ganzen Themen, die Mc Ewan aufgreift, die gesellschaftliche Entwicklung, aber auch ganz allgemein gültige Fragen.
Mir ist das eher alles too much. Es hindert mich daran, mich richtig in die Geschichte hineinfallen zu lassen und mitzufiebern. Vielleicht will Mc Ewan hier einfach zu viel. Die etwas fokussierteren Romane, wie Abbitte, Der Zementgarten oder auch Am Strand haben mir weit besser gefallen.
Für mich persönlich ist das ein Schritt, den ich nicht nachvollziehen kann. Leicht ist es ihr auch nicht gefallen, aber warum sie keinen Kontakt zu ihrem Sohn haben kann, verstehe ich nicht ganz. Gerade als Laurence älter und verständiger ist, wäre es doch möglich gewesen. Wenigstens ab und zu ihm schreiben. Wie soll ein Kind verstehen, dass sich seine Mutter überhaupt nicht für ihn interessiert?
Ich stimme mit Daphne überein: „ Und wenn sie der neue Shakespeare ist: Sie sollte ihrem Sohn schreiben.
Ich bin hier ganz bei Dir. Ich kann nicht nachvollziehen, warum die Mutter sich gegen ihr Kind entscheidet und ihre Karriere darüber stellt...
Da zeigt Roland wahre Größe und das macht ihn wieder sympathisch.
Das stimmt. Wie oft läuft das im realen Leben anders und es kommt zu einer regelrechten Schlammschlacht, in der das Kind hin- und gezerrt wird. Roland erscheint mir in diesen Hinsichten recht reif und vernüntig, am Kindesweohl orientiert.
 

Lesehorizont

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29. März 2022
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Mainz
Okay, in diesem Abschnitt hat der Roman wieder etwas Fahrt aufgenommen. Wir erfahren viel über Roland und seine (geschweiterten) Beziehungen. Alissa - ich mag sie nicht sonderlich.
Alles dreht sich irgendwie um Beziehungen. Es passiert viel, aber irgendwie fehlt mir ein Fokus beim Erzählten.
Zudem wirkt Roland auf mich wie eine Art Stehaufmännchen. Er lässt irgendwie alles laufen und schaut dann weiter.
Alles in allem lese ich mäßig interessiert.
 

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
wordpress.mikkaliest.de
Die Wiederbegegnung zwischen Roland und Alissa kam mir fast surreal vor, weil beide so ruhig bleiben. Ganz ehrlich, ich hätte es Roland nicht verübeln können, wenn er laut geworden wäre, immerhin hat sie ihn ohne Vorwarnung mit einem sehr kleinen Kind allein gelassen. Und wie wir in diesem Abschnitt lernen, hat sie auch das Kindergeld eingestrichen und für ihren Lebensunterhalt genutzt! Sie sagt, sie liebt Lawrence, aber sie hat ihm Geld vorenthalten, das für Lebensmittel, Kleidung, Schulmaterialien, Ausflüge, Hobbies etc hätte verwendet werden können. So sehr ich Alissa auch dafür verstehen kann, dass sie nicht das Leben ihrer Mutter wiederholen und ihren Lebenstraum verwirklichen wollte, das kommt mir doch extrem selbstsüchtig vor. Und hätte sie Lawrence nicht wenigstens schreiben können? Oder Geburtstagsgeschenke schicken? Ich habe den Eindruck, Lawrence existiert für sie nur noch als abstraktes Konzept aus ihrer Vergangenheit, nicht als lebendiges Kind.

Zu Miriam kann ich nur noch sagen: Die Frau ist offensichtlich psychisch krank und hätte schon lange Therapie gebraucht. Ihr Verhalten in diesem Abschnitt kann nicht normal genannt werden, egal, aus welcher Perspektive ich es betrachte. Vieles davon zeugt von einem manischen Kontrollzwang, und anderes davon, dass sie versucht, Roland zu infantilisieren. Zum Zeitpunkt der Schlafanzugsära ist er 15, und wenn sie pädophil veranlagt ist (wovon ich ausgehe), dann muss sie langsam realisieren, dass die körperliche Anziehung ihrerseits nachlässt. Aber da sie von ihm ja geradezu besessen ist, versucht sie wohl, dagegen anzukämpfen, indem sie ihn wieder zum kleinen Kind macht.

Ehrlich gesagt habe ich eher damit gerechnet, dass diese "Beziehung" endet, weil Miriam sich ein jüngeres Opfer sucht. Ich habe ja geschäumt, wie aus ihrem Worten deutlich hervorgeht, dass sie die Schuld an allem auf Roland abwälzt. Der ein KIND WAR. Argh. Ja, ER kam mit 14 zu ihr, aber SIE hat das initiiert, SIE hat ihn vorher schon begrabscht und geküsst. Roland konnte in dem Alter noch gar nicht wissen, auf was er sich da einlässt.

...

In diesem Abschnitt geht es wieder viel um nicht ergriffene Chancen und gescheiterte Träume, aber zunehmend auch um das Altern und den Verlust geistiger und körperlicher Kompetenzen. Hat nicht jeder Angst davor, im Alter Verletzungen der eigenen Würde und Selbstbestimmung zu erfahren?

...

Zum Thema "Rückkehr zur Schule":

Ich glaube, die einzige Möglichkeit, sein Leben wirklich wieder in richtige Bahnen zu lenken, wäre gewesen, Miriam bei der Schule anzuzeigen. Solange sie immer noch dort unterrichtete, hätte Roland sich niemals von ihr befreien und dennoch weiter zur Schule gehen können. Aber das wäre ein enormer Schritt gewesen, für ihn wahrscheinlich mit viel Scham verbunden. Außerdem hätte die Gefahr bestanden, dass ihn niemand ernst nimmt. Heute sieht man das differenzierter, dass ein Junge eben auch von einer Frau sexuell genötigt werden kann, aber damals haben sicher viele Menschen noch gedacht: Was hat er denn, das war für einen gesunden jungen Burschen doch das Paradies?

...

Zum Thema "freier Wille / Entscheidungsfreiheit":

Ich glaube, wir werden deutlich von unserer Vergangenheit und vor allem dem familiären Konstrukt, in dem wie aufgewachsen sind, geprägt. Dennoch steht es uns mehr oder weniger frei, wie wir uns innerhalb dieses Rahmens bewegen. Spiegele ich die Ansichten meiner Eltern, oder bewege ich mich im Gegenteil als Auflehnung in die entgegengesetzte Richtung?

Unser Leben führt uns zwar einen bestimmten Weg entlang, aber wir kommen immer wieder an Wegscheiden, wo wir wenigstens ein Stück weit die Richtung beeinflussen könnten, wenn wir wollten. Und je nachdem, wie wir uns entscheiden, vergrößert oder verringert sich unser Entscheidungsradius, aber die meisten Menschen sind niemals wirklich hundertprozentig ohne Handlungsmacht.

...

Voller Spannung verfolge ich den Lebensweg dieser Figuren, jede davon ist interessant, vielschichtig und authentisch. Und dazu die ganzen Themen, die Mc Ewan aufgreift, die gesellschaftliche Entwicklung, aber auch ganz allgemein gültige Fragen.
Das unterschreibe ich sofort!

Es wäre ein Leichtes gewesen für Roland, Alisa vor seinem Sohn in einem schlechten Licht dastehen zu lassen. Aber das tut er nicht, im Gegenteil!
Das habe ich ihm auch hoch angerechnet. Ich finde ganz furchtbar, wenn geschiedene Eltern ihre Kinder gegen den jeweils anderen aufhetzen.
Ich mag ihn auch. Ich wollte zwar nicht mit ihm zusammenleben, aber er hat trotz seiner Defizite etwas zutiefst Menschliches und er versucht, sein Bestes zu geben.
Er ist kein selbstbewusster Macho, sondern einer, der grübelt, sich selbst reflektiert.
Auch da kann ich nur sagen: sehe ich genauso.
Ich bin ja gespannt, ob wir mitbekommen, wie sich der Neuversuch zwischen Daphne und Peter entwickelt! Haben sie aus ihrem alten Scheitern was gelernt?
Oje, da sehe ich ziemlich schwarz. Wenn Peter Daphne wirklich geschlagen hat, dann kann es meines Erachtens niemals eine Beziehung geben, in der er sie als gleichwertige Partnerin schätzt und entsprechend behandelt.
Herrlich auch die Szene mit dem Dudelsackspieler auf der Beerdigung!
Ja, da habe ich auch laut lachen müssen. Ich kann mir das so gut vorstellen, wie die Dudelsackklänge immer mehr im Nebel verklingen, während sich die Beerdigungsgäste erst betreten anschauen und dann losprusten.
Inzwischen bald fünfzig Jahre alt und ich beginne mich zu fragen, ob es ihm noch gelingen wird zu erkennen, war er für sich selbst noch erwartet und an der Umsetzung zu arbeiten. Oder wird am Ende der Tage seine Rolle als Vater das Beste sein, das er erreicht hat - wobei das nicht nichts ist!
Ich glaube, solange Roland Miriam nicht damit konfrontiert, was sie getan hat und wie das die Weichen für sein Leben gestellt hat, wird er nie ausbrechen können aus seinen Bahnen.
 

otegami

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17. Dezember 2021
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Ich glaube, wir werden deutlich von unserer Vergangenheit und vor allem dem familiären Konstrukt, in dem wie aufgewachsen sind, geprägt. Dennoch steht es uns mehr oder weniger frei, wie wir uns innerhalb dieses Rahmens bewegen. Spiegele ich die Ansichten meiner Eltern, oder bewege ich mich im Gegenteil als Auflehnung in die entgegengesetzte Richtung?
Das hast Du sehr gut ausgedrückt!!!!! Wir kommen einfach nicht vorbei an unserer Ursprungsfamilie und es ist auch immer wieder interessant, zu reflektieren, w a r u m man sich jetzt so oder so entschieden hat. (Ja, manche sagen 'aus dem Bauch heraus, aber auch 'aus dem Bauch heraus' hat ja eine Ursache! ;) )
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Miriam bei der Schule anzuzeigen. Solange sie immer noch dort unterrichtete, hätte Roland sich niemals von ihr befreien und dennoch weiter zur Schule gehen können. Aber das wäre ein enormer Schritt gewesen, für ihn wahrscheinlich mit viel Scham verbunden. Außerdem hätte die Gefahr bestanden, dass ihn niemand ernst nimmt.
In jenen Zeiten wäre das undenkbar gewesen. Scham und Mitschuld hätten ihn daran gehindert. Wer hätte ihm auch geglaubt? Heute herrscht eine größere Sensibilität in diesem Bereich .
Zum Thema "freier Wille / Entscheidungsfreiheit
Das bringst Du sehr gut auf den Punkt.
Für mich heißt Erwachsen- Sein auch, die Verantwortung für sein Verhalten zu übernehmen und nicht elterlicher Prägung die Schuld für sein Leben zu geben. Ja, wir wurden geprägt und bei manchen Dingen kann man nur schwer aus seiner Haut heraus. Trotzdem können wir an uns arbeiten.
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Was treibt sie um, ein Verhältnis mit einem 16-Jährigen einzugehen, in den sie sich bereits verliebt hat, als er 11 Jahre alt war. Auch das ist echt "shocking"!

Mir fällt es echt schwer, diese Teile zu lesen. Ich finde es nicht nur schockierend, sondern auch recht abstoßend. Die Frau hat ein echtes Problem.
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
1.803
5.061
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So richtig reißt mich der Roman leider bis jetzt nicht mit. Wobei ich noch nicht mal sagen kann, woran es liegt. Er langweilt mich nicht, aber fesselnd empfinde ich die Geschichte auch nicht.
Die Charaktere sind in der Tat authentisch und weitgehend klischeefrei. Aber ich werde mit ihnen nicht warm. Ich finde auch kaum Anknüpfungspunkte.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.241
49.148
49
Ganz oder gar nicht. Mir tut Lawrence leid, denn auch er wird diese Bürde tragen müssen.
Ihr habt im Grunde meine Gedanken schon zusammen getragen. Mir geht es tatsächlich so, wie der Mehrheit hier. Ich kann Alissas Flucht aus der Enge der Familie noch nachvollziehen. Dass sie jedoch vehement jeglichen Kontakt zu ihrem Sohn unterbindet, ist höchst seltsam. Spätestens, als Lawrence ihr persönlich schreibt, hätte jede normale Mutter es nicht mehr ausgehalten. Ich kann Brüche im Leben nachvollziehen, habe aber kein Verständnis, wenn man einmal getroffene Entscheidungen (hier die Geburt des Sohnes) einfach wegradieren will aus reinem Eigennutz. Der Junge wird sein Leben lang unter den daraus resultierenden Schuldgefühlen zu leiden haben.
Und die baut Mc Ewan so elegant in seine Geschichte ein, großartig.
Das finde ich auch sehr gekonnt gemacht. Ich empfinde die Handlung ganz und gar nicht langweilig. Man könnte McEwan vorwerfen, dass er die ein oder andere Figur (Miriam, Alissa) etwas krass ausgestaltet hat, aber das ist andererseits gut für den Spannungsfaktor. Er verbindet Handlung mit Zeitkolorit und mit den großen Fragen des Lebens. Ich glaube, dieser Roman spricht mich noch stärker an als "Abbitte".
Wenigstens ab und zu ihm schreiben. Wie soll ein Kind verstehen, dass sich seine Mutter überhaupt nicht für ihn interessiert?
Das ist genau das, was ich als krass (und unrealistisch) empfinde.
Mit ihrer Mutter hat sich Alissa auch ausgesöhnt und das Verhältnis zwischen Jane und Roland kühlt sich ab.
Ich nehme das hin. Aber es passt nicht recht zu der Jane, die wir bis jetzt kennengelernt haben, die Schwiegersohn und Enkel sehr zugetan war. Eine Oma müsste sich doch um einen Konpromiss bemühen, ihren Einfluss geltend machen? Aber der Autor braucht die Kontaktlosigkeit für seine Geschichte. Er polarisiert bewusst.
Und Jane unterstützt sie darin! Nur um sich bei ihrer Tochter einzuschmeicheln, lässt sie die Kontaktwünsche ihres Enkels ins Leere laufen.
Verstehe ich auch nicht.
Ich habe bei Jane ein wenig das Gefühl, dass sie sich freut, dass ihre Tochter das geschafft hat, was sie nicht hinbekommen hat. Sie hält sich an die Anweisungen der Tochter, um das Buchprojekt nicht zu gefährden. Moralisch gesehen nicht ganz
Das wird tatsächlich die Erklärung sein. Die Tochter überwindet stellvertretend Trauma der Mutter (und schafft beim Sohn damit ein neues.... :rolleyes: )
Solange sie immer noch dort unterrichtete, hätte Roland sich niemals von ihr befreien und dennoch weiter zur Schule gehen können.
Daran habe ich auch gedacht. Zumal er auch mit den kostenlosen Klavierstunden wieder zurückgelockt werden sollte. Der Überbringer dieser Nachricht war ja völlig ahnungslos! Er hatte wirklich das Wohl des begabten Schülers vor Augen. By the Way ist es auch reichlich krass, dass Roland in (fast?) allen Fächern durchgefallen sein soll. Zumindest in Musik hat er so viel Vorwissen, dass ein Durchfallen kaum geht.... Man nimmt es eben hin. Für meine Wertung sind diese Übertreibungen aber ein kleiner Fisch.

Für mich erfüllt sich hier die Weissagung von Rolands Schulkameraden, nämlich, dass Miriam verrückt ist! Eine andere Erklärung gibt es nicht. Die Besitzansprüche, das Wegschließen des Koffers, der Schlafanzug (der ans Haus fesselt) - das sind Ideen eines komplett kranken Hirns. Dass sie den Jungen damit seine Zukunftsaussichten zerstört, ist ihr völlig egal! Die Hochzeitsfantasien sind ebenso schizophren. Ein kranker Geist, der nicht liebt, sondern beherrschen will. Genau das, was wir manchmal anders rum in der Zeitung lesen, also dass junge Mädchen dominiert werden.