4. Leseabschnitt: Kapitel 30 bis 36 (S. 232-297)

Barbara62

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19. März 2020
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Ich denke eher das sich Frank nicht mehr wohlgefühlt hat zu Hause, weil er in den Augen der Eltern in Sünde gefallen ist. Und so wie Dad nie wieder nach Hause gekommen ist, weil er dachte es ändert sich eh nichts, so wird es auch Frank gegangen sein.
Genau. Und somit haben sowohl Dads Eltern als auch Dad und Mary (bzgl. Frank) in meinen Augen als Eltern versagt. Dad ist durch das Verhalten seiner Eltern hart geworden, Frank scheint im Leben überhaupt nicht zurechtzukommen. Was den Kindern an Nestwärme und unbedingtem Rückhalt in der Familie fehlt, kann nie mehr kompensiert werden.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Dad ist durch das Verhalten seiner Eltern hart geworden, Frank scheint im Leben überhaupt nicht zurechtzukommen
Ist es nicht auch so, dass sich die verqueren "Lösungsmuster" in manchen Familien gleichen? Wenn mit dem Vater gebrochen wurde, wird auch leichter der Kontakt mit dem Sohn aufgekündigt. Das hat man schon mal erlebt. Da ist der zweite Bruch leichter.

In gesunden Familien ist diese Variante gar keine Alternative. Da geht man mit Konflikten anders um.

Zudem hat Dad das Glück gehabt, mit Mary einen neuen Hafen zu finden. Offensichtlich ist das seinem Sohn nicht gelungen, der führungslos mit Gelegenheitsjobs durch die Welt trudelt und sich offenbar auch an der Kasse des Cafes bedient hat, in dem er arbeitete. Da ist mir noch die Parallele zu Dads unehrlichem Mitarbeiter aufgefallen. Das ist kein Zufall.
 

Barbara62

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19. März 2020
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Ist es nicht auch so, dass sich die verqueren "Lösungsmuster" in manchen Familien gleichen? Wenn mit dem Vater gebrochen wurde, wird auch leichter der Kontakt mit dem Sohn aufgekündigt. Das hat man schon mal erlebt. Da ist der zweite Bruch leichter.

In gesunden Familien ist diese Variante gar keine Alternative. Da geht man mit Konflikten anders um.

Zudem hat Dad das Glück gehabt, mit Mary einen neuen Hafen zu finden. Offensichtlich ist das seinem Sohn nicht gelungen, der führungslos mit Gelegenheitsjobs durch die Welt trudelt und sich offenbar auch an der Kasse des Cafes bedient hat, in dem er arbeitete. Da ist mir noch die Parallele zu Dads unehrlichem Mitarbeiter aufgefallen. Das ist kein Zufall.
Wenn die Akzeptanz durch die Eltern fehlt, hat ein Kind es später im Leben schwer, denn das Selbstbewusstsein ist dann zu schwach ausgebildet. Ich stimme dir zu, dass Dad dank Mary Halt gefunden hat, aber man sieht, dass das Verhältnis zu seinen Eltern ihn bis zum Tod verfolgt. Schade, dass er es bei Frank nicht besser gemacht hat, gerade er müsste es wissen. Aber auch hier hast du recht. Es fehlt ihm das Vorbild zum Umgang mit Konflikten.
 

Sassenach123

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Das ist schon unglaublich. Die Geschichte spielt ja nicht in den 1950er Jahren. Beide , Alene und der Schulleiter, werden wie Teenager abgekanzelt, müssen versprechen, „ es nie wieder zu tun“.
Dass es dadurch nicht mal mehr zu einem Gespräch zwischen den Zweien kommt, spricht nicht für die Beziehung.
Ja, unvorstellbar, zumal die beiden,wenn ich es richtig mitbekommen habe, ja nicht mal an derselben Schule arbeiten.
 
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Sassenach123

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Es wirkt wie die Tarnbemalung von Soldaten, die sich vor einem Einsatz das Gesicht schwärzen. Könnte es sein, dass John damit ein Statement gegen die Haltung seines Vaters zeigt oder ist das zu weit hergeholt?
Ich konnte mir da bisher auch keinen Reim drauf machen, finde deine These aber durchaus schlüssig
 

Sassenach123

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Ich glaube, jetzt habe ich’s. Es ist dieses Nebeneinander von absolut realistischen, lebensnahen und alltäglichen Situationen sowie bezaubernden, idealistischen und herzwärmenden Szenen.
Das ist mir jetzt gerade eingefallen, nachdem ich die Szene in der Tankstelle gelesen habe. An sich kaum vorstellbar, dass das so in der Realität passiert. Dann aber gleichzeitig doch wieder vorstellbar. Nicht völlig abwegig. Nur ein bisschen unwahrscheinlich. Aber eben eine wunderschöne Vorstellung. So freundlich miteinander umzugehen. So offen miteinander zu reden. So hilfsbereit zu sein.
Das hast du schön formuliert und gut beschrieben. Das ist in all seinen Romanen so, hätte nur diese Worte dafür nicht gefunden
 
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Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Alice hat mich überrascht, obwohl sie Angst vor dem sterbenden Dad hat, lässt sie sich dann doch von ihm berühren und bricht das Eis.
Ich habe immer gehofft, dass Frank und Dad sich noch sehen vor dessen Tod. Mittlerweile weiß ich nicht, ob das wirklich noch geschieht und wenn, ob ich das noch für die Geschichte brauche. Ich kann es gar nicht erklären, aber irgendwie würde dies fast schon zu sehr nach einem Happyend auf ganzer Linie aussehen, und so ist das Leben nun mal nicht. Mal sehen was Haruf für sein Ende vorgesehen hat und wie ich es dann finde.
John tut mir sehr leid, ich hätte ich hätte nicht erwartet das seine Mutter ihn einfach bei Lyle lässt. Die Verbindung ihrerseits bestand wohl nur darin jemanden zu haben, bei dem sie sich über Lyle auslassen kann. Wäre ihr Sohn ihr wichtig, hätte sie einen Weg gefunden.
 

SuPro

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Dad wird in seinen Träumen von seinem schlechten Gewissen heimgesucht. Kent Haruf verpackt das in eine starke Szene. Die Figuren, bei denen er sich „ schuldig“ gemacht hat in seinem Leben, treten auf vor seinem Bett und sprechen die Vorwürfe aus, die er sich selbst macht. Wie bei einem Tribunal, bei dem sich Dad aber verteidigen darf. „ Das jüngste Gericht“ - schon vor dem Tod.
Ich denke, Vorwürfe macht er sich nur wegen seinem Sohn. Was die anderen Angelegengenheiten/Personen betrifft, meine ich, dass er zu seinen Entscheidungen steht, wenngleich er die Auswirkungen bedauert. Ich habe nicht den Eindruck, dass er Gutes tut, um Schuld zu tilgen, sondern weil er vom Grundsatz her ein aufrechter und menschenfreundlicher, „guter“ Mann ist. (was er, bis kurz vor seinem Tod, eher durch Taten, als durch Worte gezeigt hat)
 

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Kent Haruf spricht für mich auch wieder durch Lyle. Als Willa überlegt, was schlimmer ist , ein Leben mit jemandem, den man liebt und mit dessen Verlust man danach fertig werden muss oder ein Leben ohne Liebe. Da antwortet Lyle „ Ich würde sagen, es ist besser, jemanden geliebt zu haben,..“
...das war eine starke Passage! Lebensklug, hilfreich für Menschen, die einen Verlust betrauern und weise.
 

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Wobei Mary auf dieser Fahrt freundliche Menschen trifft. Zum Schmunzeln war die Begegnung mit dem Mann an der Tankstelle. „ Danke, sagte sie, Sie sind ein guter Mensch. Nein, sagte er. ....Ich glaube nicht, dass meine Frau Ihnen zustimmen wird.“ und Mary schreibt danach einen kurze Nachricht an dessen Ehegrau.
Berührend die Umarmung der fremden Frau, die nun in Franks Wohnung lebt.
Allein für solche Szenen muss man Kent Haruf lieben.
... das sind Szenen, die ein großes Risiko in sich bergen, kitschig und schnulzig zu werden. Aber Haruf kriegt immer wieder die Kurve. Das finde ich bewundernswert. Er hat da echt ein Fingerspitzengefühl für feinste Nuancen. Es sind Szenen, die mich zunächst aufgrund ihrer Unwahrscheinlichkeit stocken lassen, die mich dann aber aufgrund ihrer Möglichkeit und Herzenswärme doch überzeugen. Szenen, die ein lebensbejahendes und optimistisches Gegengewicht zu der Schwere vieler anderer Episoden darstellen.
 

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Lieben muss man Kent Haruf auch für die Szene, als Alice sich von Dad verabschiedet. Ich kann verstehen, dass Dad noch einmal das Gesicht eines kleinen Mädchens berühren möchte. Ich genieße es auch, die Haut meiner Enkelkinder zu berühren. So zart, so vollkommen, einfach schön.
Parallel zum Sterben des alten Mannes zeigt Haruf, wie ein kleines Mädchen ohne Eltern eine Heimat findet. Geliebt und angenommen nicht nur von der Oma, sondern von einigen älteren Frauen. Alice steht hier für die Zukunft, ist zwischen all der Trauer, den Verlusten ein positives Element. Sie erobert sich mit ihrem Fahrrad die Welt.
...dass ihre Großmutter sie dermaßen überredet, fast gezwungen hat, zu Dad zu gehen, fand ich höchst befremdlich. Sie hat Alice überhaupt nicht ernst genommen, was ihr Grauen und ihre Ängste betrifft. Sie hätte auf sie eingehen und ihr zuhören müssen. Danach wäre Alice vllt aus freien Stücken und beruhigter mitgegangen... oder eben auch nicht. Man darf nicht vergessen, dass das Sterben des krebskranken Dad sie an den Verlust ihrer Mutter an Brustkrebs erinnert.
Aber es scheint ja gut gegangen zu sein. Nicht zuletzt, weil Lorraine als Mutterersatz an ihrer Seite war...
 

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Bei dem letzten Kapitel in diesem Abschnitt musste ich wirklich die Luft anhalten. Ich bekam solche Angst um John. Ich dachte, Kent Haruf wird ihn doch nicht sterben lassen. Aber was für eine Horrorvorstellung, mit dem Seil um den Hals auf Hilfe zu hoffen. Dieser arme, verzweifelte Junge!
... ich habe auch mitgefiebert und hatte fast das Gefühl, mit in der Garage zu stehen. Kino pur!
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Das ist wirklich unglaublich und wirkt total aus der Zeit gefallen. 40 Jahre früher ich hätte ich die Reaktion normal gefunden.

Stand nicht an irgendeiner Stelle, dass die Affäre schon 30 Jahre her ist? Das wäre dann in den 1970ern gewesen. Es war auch mal die Rede davon, dass eines der Fotos, die den Schulleiter und Alene zeigen, eine Schwarz-Weiß-Aufnahme ist.
 

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An der Stelle hat die Mutter völlig an Ansehen bei mir verloren! Für mich liegt der Gedanke nah, dass sie zu ihrem Geliebten zurück will. Dabei wäre ihr Sohn nur im Weg. Der Junge ist 16! Wo wäre das Problem, sich gemeinsam eine Bleibe für einen Neuanfang zu suchen. Er könnte auch allein bleiben für ein paar Stunden.Alles nur ein Vorwand!
Zu Recht fühlt sich John abgeschoben. Zu seinem Vater hat er sowieso kein gutes Verhältnis, die Freundin hat er verloren....
Er sieht keinen Ausweg mehr. Zum Glück verlässt ihn der Mut zum letzten Schritt und der Pfarrer kommt rechtzeitig nach Hause. Vielleicht gibt es für die beiden eine neue Chance?
Warum wollte John sich schminken? Ersatzhalber hat er sich mit Asche eingerieben. Muss man das verstehen?
Ich finde es grundsätzlich gar nicht so abwegig, erstmal in Ruhe einen Job und eine Wohnung zu suchen und dann den Sohn nachzuholen, aber das Drumherum, dieses Desinteresse für John und das Lieblose machen diese Entscheidung so gravierend. Diese Eltern waren mir schon länger „ein Dorn im Auge“...


... mir kamen zu dem geschwärzten Gesicht zweierlei Gedanken in den Sinn.
Anklage: er klagt seinen Vater an, weil er verbrannte Erde hinterlassen hat. In Denver und in Holt... in seiner Familie.
Maske: er will seine Gefühle und Beweggründe verbergen. Niemand soll erkennen, wie es wirklich in ihm aussah. Nach dem (glücklicherweise) abgebrochenen Suizidversuch war es ihm ja außerordentlich wichtig, dass niemand davon erfuhr...
 
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SuPro

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28. Oktober 2019
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Es wirkt wie die Tarnbemalung von Soldaten, die sich vor einem Einsatz das Gesicht schwärzen. Könnte es sein, dass John damit ein Statement gegen die Haltung seines Vaters zeigt oder ist das zu weit hergeholt?
... interessante Idee!!! Wow... gefällt mir. Nicht die andere Wange hinhalten, sondern in den Kampf ziehen und sich verteidigen!
 

SuPro

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28. Oktober 2019
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Ich würde da jetzt nicht nur Mary die Schuld geben, mir scheint das ja auch Frank den Kontakt zu seiner Mutter ebenfalls nicht halten wollte. Er hätte sich ja durchaus bei seiner Mutter melden können, zumindest wenn Dad im geschäft war. Doch auch Frank scheint kein großes Interesse mehr an der Familie gehabt zuhaben. Ich bin mir auch nicht sicher ob wirklich nur Frank das Opfer in der ganzen Sache ist. Den eine Mutter leidet da doch sehr.
Häufig ist das nicht so eindeutig. Es wäre oft zu einfach, wenn es nur ein Opfer und einen Täter geben würde. Nicht selten ist ein Opfer gleichzeitig auch Täter und umgekehrt.
Aber ich will betonen: häufig, oft, nicht selten.
 
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milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Erschrocken hat mich das John sich umbringen wollte, nur gut das er es sich dann doch anders überlegt hat. Und vor allem war es gut, das sein Vater rechtzeitig nach Hause kam um ihn von der Schlinge zu befreien. Aber warum wollte er sich umbringen? Weil es mit seiner Liebe zu Ende war oder weil sie nun schon wieder wegmussten. Was geht in dem Jungen vor, das er sein Leben so wegwerfen will?

Ich glaube, dass es eine Kurzschluss-Reaktion war. Nicht seit Langem geplant, sondern übereilt beschlossen. Er ist wütend und kann nicht klar denken. Auf der Kiste realisiert er dann schnell, dass er das gar nicht will.

Ich finde die ganze Pfarrersfamilie recht dysfunktional. Die Mutter, die schon mal untreu war, nutzt die erste Gelegenheit, sich alleine aus dem Staub zu machen und Mann und Sohn im Stich zu lassen. Der Sohn muss weitestgehend alleine klarkommen und wirkt wie ein lästiges Anhängsel. Und der Vater beharrt starr auf Prinzipien, ganz egal welche negativen Folgen das für seine Familie bedeutet. Christliche Überzeugungen und dazu stehen, das ist bewundernswert. Aber Lyle ist dabei auch recht verbohrt und nicht bereit, irgendeinen Kompromiss einzugehen, selbst wenn das seine gesamte Existenz und damit auch die der ganzen Familie massiv gefährdet.
 
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