4. Leseabschnitt: Kapitel 24 bis 30 (Seite 224 bis Ende)

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Welch starkes Finale! Ich finde es großartig, wie Sorj Chalandon die letzte Schlüsselszene konstruiert - bewegend und vieldeutig. Man ist wie vor den Kopf gestoßen, blättert auf S. 298 um und spürt plötzlich, dass man sich doch in einem Roman befand. Zumindest habe ich es so interpretiert. Andere Interpretationen sind sicherlich auch denkbar.

Auch zuvor eindringliche Szenen, wie beispielsweise vor Gericht, als die Namen der ermordeten Kinder vorgelesen werden. Oder auf S. 250, als Jean sagt: "Die Geschichte wäre doch auch als Roman ganz lustig. "

Etwas negativ aufgestoßen ist mir, wie oft auch im letzten Abschnitt betont wird, dass die Eltern des Erzählers (ich sag jetzt nicht mehr Sorj) so einfach gestrickt seien. Vielleicht hätte man das liebevoller oder eleganter machen können. Auf S. 243 zB wieder: "ohne viel Talent". Bei allem Respekt, aber man kann Jean ein gewisses Talent doch wohl nicht absprechen. Wie er immer wieder den Kopf aus der Schlinge zog. Das gelingt doch eindeutig nicht Jedem.

Auf S.295 habe ich zum allerersten Mal vielleicht eine gewisse Zärtlichkeit zwischen Jean und dem Erzähler herausgelesen. Spät, aber immerhin. Sei's drum.
 

GAIA

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27. Dezember 2021
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blättert auf S. 298 um und spürt plötzlich, dass man sich doch in einem Roman befand. Zumindest habe ich es so interpretiert. Andere Interpretationen sind sicherlich auch denkbar.
Eltern des Erzählers (ich sag jetzt nicht mehr Sorj)
Ich habe es so gelesen, dass es eindeutig ein Roman deswegen ist, weil Sorj Chalandon zwei zeitlich weit auseinanderliegende Ereignisse "verdichtet" und damit einen Roman "erdichtet", statt ein Sachbuch zu schreiben, welches eben den Anspruch auf authentische/faktentreue Darstellung hätte. Den Gerichtsprozess gab es, die Auseinandersetzungen mit dem Vater wird es gegeben haben, nur das tatsächliche Protokoll zum Tatbestand bezogen auf den Vater wurde dem Autor erst 2020 zugänglich. Er schiebt diese Ereignisse in den Sommer 1987 und schafft damit ein absolutes Kunststück.

Für mich zeigt dieser letzte Abschnitt inklusive - und besonders aufgrund - der Nachbemerkungen was für ein brillianter Schriftsteller Chalandon ist. Ich bin begeistert von dieser Vedichtung, die auch erklärt, warum dieser Roman erst in 2021 und nicht früher erscheinen konnte. Und gerade weil ich bisher inklusive diesem zwei großatige Romane von ihm gelesen habe, werde ich jetzt tatsächlich im Anschluss "Wilde Freude" lesen. Einfach weil es mich so stark interessiert, ob ich diesen auch so schrecklich wie einige andere finden werde. ;)

Auf S. 243 zB wieder: "ohne viel Talent".
Wobei es hier ja noch um den 14jährigen Vater geht. Aber doch, schon zu dieser Zeit nutzt er die Postkarte aus den USA, um eine Geschichte zu erfinden. Also Talent zum Lügen erfinden scheint er schon immer gehabt zu haben.
Diese Geringschätzung ist mir besonders im Zusammenhang mit der Mutter aufgefallen. Bloßstellend wurde schon in einem vorherigen Abschnitt erzählt, wie sie Besuchern gegenüber betonte, bei der Mona Lisa im Flur handle es sich um eine Replik. Auch wirkt sie in diesem letzten Telefonat, als sie sagt "ich versteht nicht viel davon, von Politik und dem ganzen Kram". Zum einen verdeutlicht das sehr stark, dass der Vater auch nur mit einer scheinbar sehr wenig gebildeten Frau seinen Weg gehen konnte, weil sonst niemand ihm seine Lügenmärchen all die Jahre abgenommen hätte (und ich meine jetzt nicht nur bzgl. des Krieges sondern generell hat er ja genug davon erzählt). Zum anderen wirkt die Mutter tatsächlich wirklich sehr sehr dümmlich dafür, dass sie immerhin im Staatsdienst gewesen ist. (Und es wäre sehr platt, wenn man jetzt einen Witz zu Beamtentum und Intelligenz machen würde.) So ein bisschen musste ich durch die Darstellung der Eltern und dem, was letztlich aus dem Autor Sorj geworden ist, an diese ganzen französischen autobiografischen Romane der letzten Jahre denken, in denen es darum geht, wie ein Sohn/eine Tochter einen Weg aus ihrer Klasse findet und die Eltern an gesellschaftlicher Stellung und Intelligenz abhängt.

Auf S.295 habe ich zum allerersten Mal vielleicht eine gewisse Zärtlichkeit zwischen Jean und dem Erzähler herausgelesen. Spät, aber immerhin. Sei's drum.
Diese Zärtlichkeit hat mich überrascht, aber es war auch gut zu lesen, dass der Junge nicht nur mit einem cholerischen, lügenden Egozentriker aufgewachsen ist. Irgendwoher musste ja auch das Bedürfnis des Sohnes kommen, den Kontakt zum Vater zu halten, ihn zu verstehen und nicht einfach nur über ihn zu richten.

Was mir insgesamt auch zur Konstruktion aufgefallen ist, ist die Wandlung des Begriffs Verräter. Erst geht es um den Vater, der ein Verräter gewesen sein soll (oder war), dann um den Sohn, der sich als Verräter fühlt, weil er dem Vater hinterherspioniert. Und auf Seite 264 unten: "Aber es war mein Vater. Diemal ohne geballt Fäuste,..., ohne Krieg zum Erzählen. Ohne Sohn zum Verblüffen. Ohne ein Kind zum Verraten. Nie mehr."
Wie sich das durch den Roman zieht, klasse!
 

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29. März 2022
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Was mir insgesamt auch zur Konstruktion aufgefallen ist, ist die Wandlung des Begriffs Verräter. Erst geht es um den Vater, der ein Verräter gewesen sein soll (oder war), dann um den Sohn, der sich als Verräter fühlt, weil er dem Vater hinterherspioniert. Und auf Seite 264 unten: "Aber es war mein Vater. Diemal ohne geballt Fäuste,..., ohne Krieg zum Erzählen. Ohne Sohn zum Verblüffen. Ohne ein Kind zum Verraten. Nie mehr."
Wie sich das durch den Roman zieht, klasse!
Das hat mir auch sehr gut gefallen. Sozusagen zwei verschiedene Aspekte eigentlich ein und derselben Sache.
Mir hat die Erzaählonstruktion von Sorj Chalandon insgesamt sehr gut gefallen. Ich habe das Buch gestern nicht mehr ganz beenden können, aber die letzten Seiten gerade gelesen. Nach einem über 12stündigen Arbeitstag fühle ich mich gerade nicht in der Lage, genauer zu kommentieren, aber sicher ist, dass der Autor meine Neugierde auf weitere Werke geweckt hat. :)
 

Barbara62

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19. März 2020
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Ich bin erleichtert, dass Sorj Chalandon am Ende klar macht, dass es sich um einen Roman handelt. Die Parallelität hat es so nicht gegeben und damit auch nicht die illegale Aneignung der Archivunterlagen des Vaters, ein Umstand, der mir immer mehr Bauchschmerzen bereitet hat.

Eine Frage wurde bei mir im Laufe der Lektüre immer dringender: Schulden die Eltern uns wirklich Rechenschaft über ihr Leben? Sind persönliche Unterlagen in Archiven nicht zu recht für eine gewisse Zeit gesperrt? Der Ich-Erzähler ist Journalist und daran gewöhnt, zu recherchieren. Umso schwerer fällt es ihm, zu akzeptieren, dass er sich nicht im Lügendschungel des Vaters zurechtfindet und dessen Lebenslauf nicht lückenlos rekonstruieren kann. Es scheint ihm bei seiner Enttäuschung aber gar nicht in erster Linie um die Geschichte des Vaters als solche zu gehen, die interessiert ihn mehr als Journalist denn als Sohn, sondern um das mangelnde Vertrauen des Vaters, der sie ihm nicht erzählt. Seite 234: "Ich hätte alles akzeptiert, verstehst du? Und niemand hätte dich ein zweites Mal verurteilen dürfen. Das hätte ich schon verhindert. Ich hätte dich verteidigt..." Aber eben nur, wenn der Vater ihm die Wahrheit erzählt hätte.

Ist es daher legitim, dass der Sohn ihm seine Legende, die er anscheinend zum Weiterleben braucht, zumindest zeitweise nimmt?

Insgesamt hatte ich immer mehr den Eindruck, dass der Vater die Recherche gar nicht wirklich verdient. Er war ein notorischer Lügner und Hochstapler. Selbst ein sicherlich außergewöhnlich guter Journalist wie Sorj Chalandon (und es ist doch wohl trotz der Einschränkung hinten seine Geschichte?) wird weder die Beweggründe des Vaters noch den lückenlosen Hergang je recherchieren können. Außerdem hat der Vater nichts dazugelernt: Während des Barbie-Prozesses macht er seiner Frau weis, er stünde in regem Austausch mit dem Ankläger. Ob sie es geglaubt hat? (S. 256)

Großartig sind die Teile um den Barbie-Prozess, das hätte man nicht eindrucksvoller schreiben können. Dass dessen Anwalt 1989(!!) noch einen Freispruch "im Namen der Menschlichkeit" für diesen Massenmörder zu fordern wagt, ist unvorstellbar.
 

pengulina

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22. November 2022
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Ich finde es bedrückend, wie Vater Chalandon nicht nur das Leben seines Sohns, sondern auch dessen Wirken dominiert hat. Dieser Roman war ein Befreiungsschlag, ein Abschließen mit dem Verfahren, den Lügen - auch dem Zorn, der sich auf Sorj übertragen hat. Nur so kann man das Ende interpretieren.
 

GAIA

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27. Dezember 2021
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auch dem Zorn, der sich auf Sorj übertragen hat
Und trotz des Zorns hat der Sohn immer wieder versucht quasi dem Vater die Hand zu reichen, ihm Chancen zu geben, endlich seine Wahrheit zu erzählen. Denn selbst zum Schluss scheint eine Art kindliche Bewunderung für seinen Vater durch, dem der Sohn geglaubt hat, dass er einen See durchschwimmen kann und deshalb auch das Eintauchen in den Fluss überleben würde. Zusammen mit der sehr zärtlichen, liebevollen Erinnerung an die Ausflüge und Spielen im Wasser in seiner Kindheit zeigt dies, dass der Zorn nur existieren kann, weil der Sohn immer noch genügend Liebe für den Vater aufbringt - trotz dessen Lügen.
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Es scheint ihm bei seiner Enttäuschung aber gar nicht in erster Linie um die Geschichte des Vaters als solche zu gehen, die interessiert ihn mehr als Journalist denn als Sohn, sondern um das mangelnde Vertrauen des Vaters, der sie ihm nicht erzählt.
Ich glaube auch, dass dies die zentralen Elemente des Romans sind: das mangelnde Vertrauen und die Wahrheit. Letztlich sind auch sie es, die aus dem Erzähler ein "Verräterkind" machen.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Ich finde es bedrückend, wie Vater Chalandon nicht nur das Leben seines Sohns, sondern auch dessen Wirken dominiert hat. Dieser Roman war ein Befreiungsschlag, ein Abschließen mit dem Verfahren, den Lügen - auch dem Zorn, der sich auf Sorj übertragen hat. Nur so kann man das Ende interpretieren.
Ich hatte lange befürchtet, dass es zu dieser Szene nie kommen wird, und der Vater seine Taten mit ins Grab nimmt. Für den Sohn wäre dies schrecklich gewesen
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Ein starkes Buch, wirklich. Der Prozess wühlt auf, und das was zwischen Vater und Sohn spielt, fast genauso. Die Emotionen die Sorj beschreibt sind so glaubhaft, dass ich lange dachte, er hat dies alles tatsächlich durchgemacht. Bewundernswert fand ich die Passage, als er erläutert, dass er seinem Vater sogar alles hätte verzeihen können, hinter ihm gestanden hätte, hätte dieser nur die Wahrheit gesagt.
Die Mutter bleibt sehr unscheinbar, dass hat mich ein wenig gestört. Ob sie wirklich so ahnungslos war, wie sie es ihrem Sohn gegenüber immer behauptet hat? Da ihr Mann eher despotisch veranlagt war, könnte es auch eine Art Selbstschutz gewesen sein. Auch damals war eine Scheidung sicher nicht leicht, so dass sie sich wahrscheinlich nur mit allem arrangiert hat.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Eine Frage wurde bei mir im Laufe der Lektüre immer dringender: Schulden die Eltern uns wirklich Rechenschaft über ihr Leben? Sind persönliche Unterlagen in Archiven nicht zu recht für eine gewisse Zeit gesperrt? Der Ich-Erzähler ist Journalist und daran gewöhnt, zu recherchieren. Umso schwerer fällt es ihm, zu akzeptieren, dass er sich nicht im Lügendschungel des Vaters zurechtfindet und dessen Lebenslauf nicht lückenlos rekonstruieren kann.
Das er an diese Unterlagen kommen konnte, ist wirklich etwas, dass zum nachdenken anregt. Wie du schon schreibst, gibt es Gründe warum sie viele Jahre verwahrt werden, ohne das sie eingesehen werden können. Doch für die Geschichte brauchte der Sohn halt Beweise. Das kann ich wiederum gut nachvollziehen. Ich persönlich konfrontiere andere auch nur, wenn ich mir sicher bin, dass meine Vorwürfe wirklich Hand und Fuß haben.
Gut, dass es über uns, oder unsere Eltern, solche Dossiers nicht gibt.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Auch der letzte Abschnitt hat mich noch einmal an meine Grenzen gebracht. Als die Namen der Kinder von Izieu verlesen wurden (alle mit dem Zusatz "kehrte nie zurück") hatte ich einen Megakloß im Hals und wäre fast nicht in der Lage gewesen, das Buch zu Ende zu lesen. Aber dann wäre mir das "Grande Finale" entgangen...Ich bin zu aufgewühlt, um für den Moment hier mehr zu schreiben.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Für mich hat sich hier ein bisschen viel Theatralik eingeschlichen. Der Sohn hat sich im Kreis gedreht, sich fest gebissen. Er konnte einfach nicht akzeptieren, dass sein Vater sich über sein wahres Leben ausschwieg, nichts zugab, schon gar keine Schuld oder Reue zeigte.

Für mich wirkte es fast so, als wolle der Sohn sich seinen Vater basteln, der schon immer ein Lügner, Hochstapler war und seine Familie drangsalierte. Der Schmerz des Sohnes kommt deutlich hervor, ebenso das Bedürfnis akzeptiert zu werden. Aber er muss ins Leere laufen. Ein Typ wie dieser Vater gibt nicht kleinbei, schon gar nicht vor so einem "Schreiberling".
Schulden die Eltern uns wirklich Rechenschaft über ihr Leben?
Nein, tun sie nicht. Jeder hat das Recht auf Geheimnisse. Allerdings hat dieser Vater ja nicht geschwiegen, sondern gelogen. Er hat seine Fehler zu Heldentaten werden lassen. Zum Schluss hat er selbst dran geglaubt, das ist das Tragische. Er starb im psychiatrischen Krankenhaus. Das darf man nicht vergessen.
sondern um das mangelnde Vertrauen des Vaters, der sie ihm nicht erzählt.
Genau. Der Sohn winselt um Vertrauen, um Liebe, Akzeptanz. Das in Endlosschleife war mir zuviel, das muss ich zugeben. Immer wieder die väterlichen Biografie, immer wieder die Konfrontation mit dem Haudegen, die blutigen Nasen...
Großartig sind die Teile um den Barbie-Prozess, das hätte man nicht eindrucksvoller schreiben können.
Da bin ich ganz bei dir!
dass er seinem Vater sogar alles hätte verzeihen können, hinter ihm gestanden hätte, hätte dieser nur die Wahrheit gesagt.
mir kommt das Ganze vor wie ein Stellvertreterkrieg. Eigentlich will der Sohn das Vertrauen seines Vaters, ein gutes Gespräch, Verständnis.
Da kann er aber lange warten.
entgangen...Ich bin zu aufgewühlt, um für den Moment hier mehr zu schreiben.
Der Moment ist schon seit Tagen vorbei. Eine Leserunde lebt vom gemeinsamen Austausch;)
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Im Nachhinein habe ich mich wieder von euren Hinweisen irritieren lassen, dass es sich hier um Autofiktion handele. Warum hat Chalandon das nicht offen gelassen? Der Roman funktioniert doch auch ohne den Hinweis. Zum Ende hin streut er ja selbst wieder Zweifel an der Autofiktion...
Mir sind autobiografische Bezüge meistens gleichgültig. Aber wenn ich WEIß, dass es autofiktional ist, sehe ich immer den Autor und nicht seine Figur.

Dadurch sind meine Eindrücke andere. Besser kann ich das nicht beschreiben. Ich hätte das Buch lieber als Roman gelesen.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Mich hat die Parallelität der beiden Prozesse - der gegen Barbie und der Prozess, den der Autor über seinen Vater hält - nicht ganz überzeugt.
Nicht in Bezug auf die jeweilige Schuld : Barbie und der Vater, das sind zwei ganz unterschiedliche Typen.
Außerdem frage ich mich, wie der Journalist Chalandon sich richtig auf den Prozess gegen Barbie konzentrieren konnte ( schließlich war er nicht nur unbeteiligter Zuhörer, sondern schrieb über den Prozess ), wenn er in Gedanken immer wieder bei seinem Vater war.
Die Schlussbemerkung zeigt ja, dass es diese Parallelität nie gab. Erst Jahrzehnte später hat der Autor Akteneinsicht erhalten.
Ich bin mir noch unschlüssig, wie ich die Konstruktion des Romans beurteilen soll.

Mich hat gerade das Kapitel, in dem Serge Klarsfeld von den Kindern erzählt, ganz stark berührt und das Geschwätz des Vaters hinterher war kaum auszuhalten.

Diese Geringschätzung ist mir besonders im Zusammenhang mit der Mutter aufgefallen
Der Sohn redet zwar immer sehr verständnisvoll oder beruhigend mit der Mutter, aber so wie sie dargestellt wird, entblößt er sie in ihrer Naivität oder Dummheit. Diese Bemerkung über das Bild der Mona Lisa hätte er nicht machen brauchen, es reichen ihre Ansichten über Politik, um zu zeigen, dass sie nie die Lügen des Vaters durchschauen konnte.

Ist es daher legitim, dass der Sohn ihm seine Legende, die er anscheinend zum Weiterleben braucht, zumindest zeitweise nimmt?
Das frage ich mich auch. Der Sohn will den Vater zwingen, endlich die Wahrheit zu sagen, doch dafür ist es längst zu spät.
Hätte der Vater überhaupt erklären können, warum er permanent jedem Lügen über sich auftischt?

Großartig sind die Teile um den Barbie-Prozess, das hätte man nicht eindrucksvoller schreiben können. Dass dessen Anwalt 1989(!!) noch einen Freispruch "im Namen der Menschlichkeit" für diesen Massenmörder zu fordern wagt, ist unvorstellbar.
Das sind für mich die wichtigsten Kapitel im Buch, zusammen mit den Recherchen am Anfang zu den Kindern von Izieu.
Mir erschienen im Vergleich zu diesen Verbrechen die Spielchen des Vaters zweitrangig.
 

Barbara62

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19. März 2020
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Mich hat gerade das Kapitel, in dem Serge Klarsfeld von den Kindern erzählt, ganz stark berührt und das Geschwätz des Vaters hinterher war kaum auszuhalten.
So ging es mir auch. Es war so belanglos nach dem, was man zuvor gelesen hatte, und interessierte mich immer weniger - oder höchstens noch aus Mitleid mit dem Sohn.

Ich hatte ganz zu Anfang vermutet, der Vater wäre der Verräter der Kinder von Izieu gewesen, also eine "große Nummer". Ging euch das auch so?
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Ich hatte ganz zu Anfang vermutet, der Vater wäre der Verräter der Kinder von Izieu gewesen, also eine "große Nummer". Ging euch das auch so?
Ja, das war auch mein erster Gedanke. Und seine Rolle später war ungleich banaler.
Ich bezweifle nicht und möchte das auch nicht schmälern, dass Chalandon unter den Lügen seines Vaters und dessen Rolle gelitten hat. Aber sein Verhalten kann ich nicht wirklich dem eines Barbie gegenüberstellen.
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Mir erschienen im Vergleich zu diesen Verbrechen die Spielchen des Vaters zweitrangig.
Das sind sie mit Sicherheit auch - aus unserer Sicht. Aber für den Ich-Erzähler sind sie ein persönliches Drama unheimlichen Gewichts. Diese Vermischung der zwei Dramen - dem persönlichen und dem historischen - machte für mich einen großen Reiz aus.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Ich hatte ganz zu Anfang vermutet, der Vater wäre der Verräter der Kinder von Izieu gewesen, also eine "große Nummer". Ging euch das auch so?
Nein, zu keiner Zeit habe ich daran gedacht, dass der Vater der Verräter von Izieu sein könnte...:cool: Aber gewundert hätte ich mich auch nicht - so viel, wie der auf'm Kerbholz hat...