Ja, es ist rührend, wie Kaspar sich um Sigrun bemüht, sich Gedanken macht, wie er ihren Blickwinkel weiten kann ohne sie (und ihre Eltern) zu verschrecken.
Allerdings geht mir sein Bildungsbürgerprogramm etwas auf die Nerven. Ist es realistisch, dass eine 14-jährige, die noch nie klassische Musik gèhört hat, dermaßen darauf abfährt? Dass sie beim ersten Hören schon derart tiefe Empfindungen hegt? Dass ihr Opern gefallen, Matthäuspassion, Gedichte, Literatur aus allen Abteilungen der Buchhandlung, Museen aller Arten? Uff, das wird mir etwas dick aufgetragen. Da wird eine Wunsch-Enkelin gezeichnet, die nur völkisch verderbt ist, ansonsten aber perfekt zu Kaspar passt. Und wenn es dann mal ein Kinofilm ist, ist es keine Vampir-Biss-Geschichte
, sondern die West-Side-Story.... immer hübsch im altherrlichen Bildungskanon.
Krass ihre politische Gesinnung, ihre schwer erträglichen Vorurteile. Krass ihre Meinung zu Fremden, Ausländern, Juden. Würde ein so junges Mädchen das auch so drastisch außerhalb der eigenen Blase formulieren? Den Holocaust leugnen ist ein starkes Stück. Die Auseinandersetzung Kaspars mit diesen ihren Aussagen sehe ich als Stärke des Buches. Der Besuch im KZ legt die unterschiedlichen Sichtweisen deutlich dar.
Dieser Abschnitt hat mich nicht mehr ganz so enttäuscht wie der vorherige, der mich quasi aus den Wolken geschossen hat.
Stilistisch komme ich nicht auf meine Kosten: wie oft habe ich den Namen Sigrun lesen müssen?! Schon ein bisschen wie Schulaufsatz, die Gedanken von Kaspar...
Völlig entgeistert war ich von der Idee, dass Sigrun ein Jahr in England verbringen soll. Das muss die Eltern doch gegen ihn aufbringen! Stattdessen ist ein Buch der Auslöser - ein Aussteigerbuch.
Kaspar hat eben mal 100.000 Kredit aufgenommen. Geld, das "der guten Sache" und keinesfalls seiner Enkelin zu Gute kommt. Diesen Strang empfinde ich hanebüchen. Kaspar ist 71, er sollte doch seine Altersvorsorge nicht so leichtsinnig verschenken. Das kommt mir wie ein fauler Kuhhandel vor.
Nun denn. Auf in den letzten Teil. Gibt es etwa doch kein Happy End? Das würde mich überraschen (Was man zweifellos dem Autor zu Gute halten muss
).