4. Leseabschnitt: Kapitel 22 bis 26 (Seite 224 bis 291)

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Ich empfinde mich in diesem Roman irgendwie als furchtbar launischen Leser und frage mich, ob es an mir bzw meiner Tagesform oder am Buch liegt? Es gibt Passagen, die ich richtig toll finde und im nächsten Moment langweile ich mich ziemlich. Und das hat nichts mehr mit den unterschiedlichen Erzählsträngen zu tun.

So fand ich die Szene mit dem Opa im Zug von Chicago nach New York diesmal am stärksten. Mir gefällt es, wie Andrew sich durch dessen Geschichten mit seiner Vergangenheit, doch auch mit Vergänglichkeit auseinandersetzt und war gerührt von seiner Reaktion.

Zu Herzen ging mir auch, wie Samuel hinterfragt, ob ihre Beziehung wohl eine bessere Perspektive gehabt hätte, wenn sie keine Personen des öffentlichen Interesses gewesen wären. Insgesamt berührt mich natürlich diese Tragik der versteckten Homosexualität, die Jonathan Lee sensibel schildert. Dazu passt auch das Missverständnis mit Oliver und dem ersten Samuel.

Aber dann wieder Mrs Bray und ihre Gerissenheit, der vermeintliche Geisterkram. Ich glaube, sie soll so eine Figur sein, die absolut jeder toll finden muss. Leider bewirkt so etwas bei mir in der Regel das Gegenteil...
 

Circlestones Books Blog

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28. Oktober 2018
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Wienerin auf Rügen
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Andrew trifft Samuel wieder, das erste Treffen ist Zufall, doch Andrew braucht Samuel für seine Studienpläne und es wird Berechnung daraus. Die Idee mit Mrs. Bray und auch seine neue Art, genau zuzuhören und dann so zu argumentieren, wie Samuel es gerne tut und hören will, „Winkelzüge“ (Seite 253) und auch auf Seite 252, wo er als Antwort auf die Frage, warum er Jura studieren wolle genau die Worte wählt, mit denen ihm damals Samuel erklärt hatte, warum er Jura studiert … dieser neue, berechnende Andrew gefällt mir nicht besonders und passt für mich nicht ins Bild des echten Andrew H. Green. „Eines Morgens wachst du auf und stellst fest, dass du ein anderer Mensch geworden bist. … Du entfernst dich von allen, besonders von dir selbst, auch wenn du dich, insgeheim in deinem Herzen, so gut wie unverändert fühlst.“ (Seite 257)



Nun, es ist ein Roman und es ist nicht einfach zu verstehen, wie ein einfacher Bauernsohn tatsächlich erfolgreich Jura studieren konnte, aber diese Erklärung ist mir zu einfach. Inspector McClusky erliegt (beinahe?) dem Charme von Hannah Elias? Das eigenartige innere Schweigen zwischen den Brüdern Andrew und Oliver – in diesem Buch geht es dem Autor in den einzelnen, irgendwie aneinander gereihten kurzen Episoden in meinen Augen vor allem um die Befindlichkeiten der einzelnen Personen, weniger um die Geschichte selbst. Mich persönlich interessiert an einem Buch vor allem die Geschichte, die mir ein Autor, eine Autorin erzählen will, natürlich schon in Verbindung mit den einzelnen Figuren. Die Welt besteht aus Flickversuchen, steht auf der Cover-Rückseite, das beschreibt für mich schon jetzt, nach diesem Leseabschnitt, diesen Roman, ein Versuch aus vielen Flicken.
 

wal.li

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1. Mai 2014
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Ich empfinde mich in diesem Roman irgendwie als furchtbar launischen Leser und frage mich, ob es an mir bzw meiner Tagesform oder am Buch liegt? Es gibt Passagen, die ich richtig toll finde und im nächsten Moment langweile ich mich ziemlich. Und das hat nichts mehr mit den unterschiedlichen Erzählsträngen zu tun.
Mir geht es ähnlich, Manches lese ich richtig gerne, Manches erweckt den Wunsch, die Seiten nur zu überfliegen.
In diesem Abschnitt hat mir das Kapitel, wo über das verlorene Leben mit Samuel referiert wird, sehr gut gefallen. Da geht es mir ähnlich wie dir. Allerdings gefiel mir auch Mrs. Bray, weil ich das als Auflockerung empfunden habe, gegenüber dem Verstecken, Trübsal blasen und nachtragend sein.
Da kann das Buch wieder nicht ganz so schlecht sein, weil es die Leute ganz unterschiedlich anspricht.
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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Jetzt, wo ich es aufgegeben habe, in allem und jeden einen Hinweis zu suchen, kann ich das Buch mit mehr Gelassenheit lesen.
Aber @Christian1977 s "launischer Leser" ist auch gut.

Meine - fast schon - Gleichgültigkeit lässt mich den Text nun mehr genießen. Die einzelnen Episoden haben ihre so ganz eigenständige Gültigkeit und da ist mir dann der Gedanke gekommen, ob Lee vielleicht einfach zuviel wollte.

Zum einen gibt es den großartigen, weil New York gestaltenden, Green, der gewürdigt werden soll aber dann kommen noch Homosexualität, Post-Kolonialismus, Standesunterschiede, Rassismus und vieles mehr dazu.

Ich könnte mich darüber ärgern, lohnt sich aber jetzt nicht mehr, denn ich habe nur noch einen Abschnitt vor mir. Also "erfreue" ich mich des bunten Potpourri und lasse Elefanten und Schweinen freien Lauf durch Manhattens Straßen.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Mir kommt stellenweise der Gedanke, ob sich der Autor nicht manchmal zu sehr aus dem Fenster lehnt und versucht uns einen Bären aufzubinden. Die Geschichte mit dem Zettel und der 16, der sich dann als Erinnerung entpuppt an diese aberwitzigen Spielschulden, wo ein Vater sogar seinen Säugling einsetzt, was dann mit Getrickse mit Mrs Bray für Andrew beruflich zum nutzen wird, ist ein Beispiel dafür. Naja, es ist schon wieder so skurril, dass es fast schon wieder wahr sein könnte.

Ich lese momentan eigentlich in erster Linie wegen meiner Verpflichtung, ansonsten wäre das ein Buch, welches ich unter Umständen abbrechen würde.
 

Barbara62

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19. März 2020
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Aber dann wieder Mrs Bray und ihre Gerissenheit, der vermeintliche Geisterkram. Ich glaube, sie soll so eine Figur sein, die absolut jeder toll finden muss. Leider bewirkt so etwas bei mir in der Regel das Gegenteil...
Tatsächlich konnte ich mit der Opa-Szene gar nichts anfangen, aber Mrs Bray mag ich. Ihre Beschreibung als Frau mit "verschwommenen Moralvorstellungen" ist doch herrlich! Sie ist eine treue Seele, aber schaut auch, wo sie bleibt. An Selbstbewusstsein mangelt es ihr nicht und sie würde ihre Arbeitgeber sicher jederzeit mit allen Mitteln verteidigen.

Nun, es ist ein Roman und es ist nicht einfach zu verstehen, wie ein einfacher Bauernsohn tatsächlich erfolgreich Jura studieren konnte, aber diese Erklärung ist mir zu einfach.
Was mich stört, ist weniger der Bauernsohn, denn er kann natürlich intelligent und durchsetzungsfähig sein. Aber zu Beginn hieß es, dass Andrew wegen seiner Verpflichtungen auf der Farm die Schule nur lückenhaft besuchen konnte. Gibt es also keinerlei Zugangsvoraussetzungen zum Jurastudium? Und dann verkürzt er es auch noch? Da fehlt mir jede Erläuterung.
 

Barbara62

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19. März 2020
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Baden-Württemberg
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Vier Fünftel des Buches sind um und ich habe weder erfahren, wie Green zum Vater von Greater New York wurde, noch etwas über seine Anwaltstätigkeit, noch wie Samuel Tildens politische Karriere ablief, wofür er stand. Das ist mir einfach zu wenig. Ja, manche Episoden sind amüsant, manche erklären die damalige Atmosphäre in New York, aber ich habe den Eindruck, dass für mich nichts dabei ist, das bleibt. Das ist schade. Wahrscheinlich hätte ich das Buch auch nicht beendet, wenn es keine LR wäre. Ich werde vermutlich als größten Gewinn das mitnehmen, was ich mir anschließend an Informationen über Green und Tilden aus dem Internet hole.
 

Literaturhexle

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Ich habe mich mit diesem Leseabschnitt leichter getan. Die einzelnen Episoden empfand ich interessanter. Andrew ist älter geworden, resümiert, zieht Bilanz. Diese Stellen sind in schöne Sätze gekleidet, die Tiefe haben.

Der Umgang mit Freundschaft und Homosexualität ist in der Tat sehr gefühlvoll und empathiebetont gelungen. Die Einsamkeit als Mann ohne Familie, das Sehnen nach Erfüllung, die teilweise ambivalenten Aspekte der Freundschaft zwischen Andrew und Samuel: all das konnte ich gut nachempfinden. Verstohlenes Händchenhalten unter der Bettdecke kommt mir z.B. näher als die Fantasien von nackten Männern, die Colm Toibin seinem Protagonisten in den Kopf geschrieben hat.

McClusky ist eine Witzfigur, ein übermotivierter Inspektor, der einen Erfolg dringend benötigt. Bessie ist zu Wohlstand gekommen, den er ihr nicht gönnen kann. Doppelmoral. Der Mord an Andrew scheint tatsächlich "ein großer Fehler" gewesen zu sein.

Die Episoden rund um Mrs Bray haben mich amüsiert. Ich sehe dahinter Andrews Herz für die einfachen Leute schlagen. Samuel ist teilweise ein eingebildeter Fatzke. Er hat es manchmal verdient, über den Tisch gezogen zu werden;). Gewundert habe ich mich über den freigiebigen Umgang Andrews mit seinen Ersparnissen. Auch das Studium sowie die Anwaltskarriere wurden im Schnelldurchlauf verarbeitet. Warum? War die Quellenlage zu dünn oder ist das kein Stoff, aus dem Lee Episödchen stricken kann?

Die oben von @Circlestones Books Blog zitierte Stelle habe ich mir auch angemerkt. Sie hat etwas Allgemeingültiges.

Das erneute Aufeinandertreffen mit Oliver ist sehr emotional und nachvollziehbar geschildert. Solch ein blödes Missverständnis!
Gleichsam die Szene mit dem alten Mann im Zug. Das ist toll geschrieben. Da bin ich ganz bei @Christian1977 !

Gerade bin ich etwas milder in Bezug auf den Roman gestimmt. Liegt es daran, dass ich diesen Abschnitt tiefenentspannt an einem Regentag in der Toskana gelesen habe? Wir wissen es nicht. Also weiter, die Stimmung ist gut :p.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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aber Mrs Bray mag ich. Ihre Beschreibung als Frau mit "verschwommenen Moralvorstellungen" ist doch herrlich! Sie ist eine treue Seele, aber schaut auch, wo sie bleibt. An Selbstbewusstsein mangelt es ihr nicht und sie würde ihre Arbeitgeber sicher jederzeit mit allen Mitteln verteidigen.
Da bin ich ganz bei dir! Eine sympathische Figur.

Gibt es also keinerlei Zugangsvoraussetzungen zum Jurastudium? Und dann verkürzt er es auch noch? Da fehlt mir jede Erläuterung.
Andere Zeiten, andere Sitten. Offenbar sind Protektion, Auftreten, Kleidung und Leumund wichtiger als andere "Zugangsvoraussetzungen". Man bleibt gerne unter sich. Den Makel des Bauernsohns hat Andrew irgendwie hinter sich lassen können - durch Geschick, Selbststudium und Anpassungsfähigkeit.
aber ich habe den Eindruck, dass für mich nichts dabei ist, das bleibt.
Genau. In mir weckt der Roman noch nicht mal das Interesse, im Internet weiter zu suchen. Fertiglesen/ Rezi und gut.
 

Amena25

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Es gibt Passagen, die ich richtig toll finde und im nächsten Moment langweile ich mich ziemlich.
Das trifft es genau! Manchmal packen mich Passagen, Beschreibungen, und manches kommt einem furchtbar öde und viel zu ausschweifend vor.
Ich fand die Szene mit Oliver anrührend, wie Green ihm über Jahre böse war und sich alles nur als ein Missverständnis herausstellt.
Sehr amüsant fand ich auch die Szene, in der McClusky Bessie Davis aufsucht.
 

luisa_loves-literature

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9. Januar 2022
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Es gibt Passagen, die ich richtig toll finde und im nächsten Moment langweile ich mich ziemlich.

Aber dann wieder Mrs Bray und ihre Gerissenheit, der vermeintliche Geisterkram.

Das geht mir ganz genauso. Es gibt mittlerweile richtig gute, sprachlich ausgereifte Passagen, die mich allein stilistisch schon ganz mitnehmen - wie die von dir angesprochene "Hymne an die Dankbarkeit" mit dem Opa im Zug. Und dann gibt es wieder Passagen, wo ich die Seiten zähle, weil ich hoffe, dass das Kapitel schnell vorüber ist, z.B. Mrs. Bray. Da habe ich mich allerdings auch gefragt, ob hier so etwas wie ein Transfer-Charakterisierung stattfinden soll. Dadurch, dass Andrew sich mit ihr "gemein" macht, erfährt man ja auch so einiges über seinen Charakter.
Meine - fast schon - Gleichgültigkeit lässt mich den Text nun mehr genießen. Die einzelnen Episoden haben ihre so ganz eigenständige Gültigkeit und da ist mir dann der Gedanke gekommen, ob Lee vielleicht einfach zuviel wollte.
Ich versuche es auch mit einem gewissen Maß an Fatalismus. Ich suche keinen tieferen Sinn mehr in dem Roman, wahrscheinlich wollte Lee den erreichen, aber ich glaube auch, dass er sich da etwas übernommen hat. Wenn ich dann auf die goldenen Passagen stoße, wie den Opa, freue ich mich, ansonsten hoffe ich, dass irgendwann mal wieder Gold kommt - wenn das Schicksal es will...

Zum einen gibt es den großartigen, weil New York gestaltenden, Green, der gewürdigt werden soll
ich habe weder erfahren, wie Green zum Vater von Greater New York wurde, noch etwas über seine Anwaltstätigkeit, noch wie Samuel Tildens politische Karriere ablief, wofür er stand. Das ist mir einfach zu wenig.

Mir auch. Ich kann bis jetzt fast nichts über Green und auch nicht über Tilden sagen. Ein Roman, der jetzt nicht gerade Napoleon, Gandhi oder Henry VIII. zum Thema hat, muss schon davon ausgehen, dass der Leser nicht unbedingt alle Kontexte kennt. Da könnte man schon mal ein bisschen mehr Info elegant in den Text einbauen.

Ich werde vermutlich als größten Gewinn das mitnehmen, was ich mir anschließend an Informationen über Green und Tilden aus dem Internet hole.
Und das ärgert mich so. Schließlich sollte ein gedruckter Roman auch ohne WLAN und Google funktionieren. Denn irgendwie habe ich wie @Barbara62 das Gefühl, dass der Mehrwert des Romans erst erreicht wird, wenn ich mir selbst die Hintergrundinformationen zusammensurfe. Ich fühle mich sonst sehr oft inspiriert, Fiktion mit Fakten abzugleichen bei Texten dieser Art - aber hier habe ich wie @Literaturhexle kein Interesse und werde mich verweigern. Das spricht nicht gerade für den Roman.
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Ui, ich habe komplett vergessen, mich zu diesem Abschnitt zu äußern. Ich wollte wohl schnell mit dem Roman fertig werden. Mir erging es jedenfalls auch so, dass ich manche Kapitel mochte und andere weniger. Für mich ist es kein Roman, bei dem ich durchquälen muss, aber auch keiner, der mich richtig fesselt. Das hat sich auch durch diesen Abschnitt gezogen.

Ich sehe es wie @luisa_loves-literature : Ein Roman muss selbsterklärend sein. Daran hapert es etwas. Ich googele ungern zwischendurch, weil ich mir nichts vorwegnehmen mochte. Das machte das Verständnis nicht einfacher.