Ups, Kapitel 19, welche Überraschung! Es geht um Ray, also: der stringente Wechsel pro Kapitel nach jeweils einem Kapitel ist hier einmal aufgebrochen.
Auf den Seiten 286 und 294 erleben wir nun zweimal endlich tatsächlich das Attentat. Aber nur aus einer sehr indirekten Rückschau auf Details (der erlebte Rückstoß in der Schulter, der Blick auf den Balkon des Entsetzens) eher denn auf das tatsächliche Hauptgeschehen. Diese sehr interessanten Verwischungen der Erzählperspektive machen den Roman wirklich aus, machen ihn schwer, aber auch ungemein interessant zu lesen.
Und doch weiß ich immer noch nicht, was Molina so besonders an Ray interessiert hat. Dieses Interesse wird einfach nur als bei ihm erwacht konstatiert:
S. 383f:"...an etwas erinnert habe, das ich in einem Buch über die Ermordung Martin Luther Kings gelesen hatte und das mich so beeindruckt hat, dass ich einen Anfang skizziert habe, einen Entwurf für eine Erzählung....: dass sein Mörder - James Earl Ray - auf seiner Flucht zehn Tage in Lissabon gewesen war."
Was daran ist so beeindruckend?
In Kapitel 23 erleben wir Ray dann selbst als Autoren, als Berichtender über das Attentat. werden wir deshalb schlauer und blicken durch, was passiert ist. Nein, eher im Gegenteil, die wohl unaufgelöste Frage Einzeltäter oder Verschwörung wird hier eher noch befeuert. Die Figur des ominösen Raoul oder Roual bleibt ein Phantom, ohne Mensch ohne Spuren und Fingerabdrücke. Ausgedacht? Real? ??? Denn:
S. 404: "Alles in seiner Erzählung ist vage, angedeutet, gesponnen mit Fäden, die nirgendwo enden, mit falschen Anfängen und Leerstellen."
Und so bleibt Raoul wie so vieles andere bzw. viele andere in dem Roman der "ungreifbare Schatten" (S. 395), eine Formulierung, die uns zum ersten Mal auch einen Bezug zum Titel des Romans schafft, oder habt Ihr da andere Assoziationen?