4. Leseabschnitt: Kapitel 15 bis Ende

Literaturhexle

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2. April 2017
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Es ist immer spannend, ein Buch ohne Kenntnis des Inhaltes zu lesen, das gilt auch für Klassiker. Wilde konnte mich überraschen.

Dorian beseitigt auch die Reste seines Besuches von Basil. Die Tatsache, dass er ihn ermordet hat, beschäftigt ihn von Zeit zu Zeit, aber niemals nachhaltig. Er lässt sich gern ablenken.

Die Gespräche im Salon von Lady Narborough entsprechen genau dem, was wir vom Mann roten Rock schon wissen: Oberflächliches Geplänkel über Schönheit, Seitensprünge und Dorians dauerhafte Jugend. Die Bonmots des Lords sind nach wie vor amüsant.

Im 16. Kapitel macht sich Dorian in schlichter Kleidung auf in die Unterwelt der Opiumhöhlen. Per Zufall trifft er (über seinen ehemaligen Spitznamen "Märchenprinz") auf den Bruder Sybils, der einst schwor, ihn umzubringen. Fast schafft er es. Jedoch greift Dorian zu einer List, indem er auf seine Jugend verweist, er also gar nicht der Geliebte der vor etlichen Jahren gestorbenen Schwester sein kann...

Trotzdem lebt Dorian ab diesem Zeitpunkt in Angst: Er fühlt sich von Sybils Bruder verfolgt und liegt wohl auch richtig damit. Leider wird James Vane bei einem Jagdunfall aus Versehen erschossen (dekadent, wie flapsig die feine Gesellschaft über diesen Zwischenfall redet...). Dorian fühlt sich erlöst.

Er macht einen letzten Versuch, sich zu bessern. Er hat ein junges Mädchen auf dem Lande betört, sie aber nicht verführt, was ihn sehr stolz macht.
Sehr zu seinem Verdruss sieht er keinerlei Spuren einer Verbesserung in seinem Bildnis. Gute Taten aus Berechnung scheinen nicht zu zählen.
Hinzu kommt, dass auch Alan Campbell Selbstmord begangen hat. Dorian fällt in eine Stimmung der Hoffnungslosigkeit. "Seine Schönheit war es, die ihn zugrunde gerichtet hatte, und die Jugend, um die er gefleht hatte." Dorian will ein neues Leben, er will den Handel aufkündigen, die Vergangenheit töten. In dieser Rage stricht er auf das Bild ein, will es vernichten. Allerdings ersticht er sich dabei selbst:
[zitat]Als sie eintraten, sahen sie an der Wand ein wunderbares Bildnis ihres Herrn hängen. so wie sie ihn zuletzt gesehen hatten, in all der Pracht seiner erlesenen Jugend und Schönheit. Auf dem Boden lag ein toter Mann im Frack, mit einem Messer im Herzen. Er war welk, runzlig und hässlich von Angesicht. Erst als sie die Ringe untersucht hatten, erkannten sie, wer es war."[/zitat]

Welch ein beeindruckendes, schlüssiges Ende!
 
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Querleserin

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30. Dezember 2015
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Wadern
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Mich hat das Ende überrascht, aber auch ich finde es stimmig. Dass Dorian am Ende Skrupel, Angst und zumindest den Ansatz dazu zeigt, sich bessern zu wollen, lässt hoffen. Doch letztlich ist dieser Wunsch zur Besserung der Eitelkeit geschuldet, oder? Er will, dass diese sichtbar wird - im Bildnis. Die Schönheit bringt ihn um. Mich wundert, dass seine Umgebung, bis auf jene Frau in der Spelunke, sein jugendliches Aussehen hinzunehmen scheint.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Ich habe eben auch ausgelesen - obwohl ich wusste, wie es ausgeht, hatte ich die Einzelheiten vergessen, insbesondere Dorians späten Wunsch, "sich zu bessern". Das ist eine geniale Wendung. Nun kommt zur Genusssucht und allen anderen Lastern auch noch die Scheinheiligkeit.

Am Ende des 15. Kapitels holt Dorian aus einem Geheimfach seines Schranks ein Etui mit einer "grünlichen Masse". Kann man annehmen, dass es Opium ist? Und wenn ja, warum stellt er es weg und lässt sich umständlich in eine abgelegene Opiumhöhle fahren?
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Mich wundert, dass seine Umgebung, bis auf jene Frau in der Spelunke, sein jugendliches Aussehen hinzunehmen scheint.
Es ist auch eine sichtbare Tatsache. Offenbar gab es aber die Gerüchte, dass er sich mit dem Teufel eingelassen hätte... Darüber wurde James Vane ja selbst auf der Straße aufgeklärt. Es war Beobachtern schon klar, dass das nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Iwer hat ihn doch auch mal um "sein Geheimnis" gebeten.
 
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Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Es ist auch eine sichtbare Tatsache. Offenbar gab es aber die Gerüchte, dass er sich mit dem Teufel eingelassen hätte... Darüber wurde James Vane ja selbst auf der Straße aufgeklärt. Es war Beobachtern schon klar, dass das nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Iwer hat ihn doch auch mal um "sein Geheimnis" gebeten.

Verzicht auf Zucker ...? :D
Im Ernst, neulich habe ich im TV eine Frau gesehen, die es fertigbringt, seit Jahren vollkommen zuckerfrei zu leben. Sie behauptete, 48 zu sein, und sah aus wie Anfang zwanzig. Na ja, Fernsehen halt ...
 

Literaturhexle

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Verzicht auf Zucker ...? :D
Im Ernst, neulich habe ich im TV eine Frau gesehen, die es fertigbringt, seit Jahren vollkommen zuckerfrei zu leben. Sie behauptete, 48 zu sein, und sah aus wie Anfang zwanzig. Na ja, Fernsehen halt ...
Das ist aber auch ein teurer Preis für die ewige Jugend....
Man kann durch gesunde Lebensweise viel machen, das steht fest. Einen großen Anteil haben aber auch die Gene. So gibt es Frauen über 60, die kaum Falten oder graue Haare haben - und dennoch nicht auf Zucker verzichten.
 
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Skadi Auriel

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12. März 2021
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Das fünfzehnte Kapitel schließt sich nahtlos an. Dorian geht zu einer Feier und dort ist auch Henry. Alle anderen langweilen ihn. Henry wird als ruchlos bezeichnet, während er mit seiner „genieße rücksichtlos dein Leben“ Art die Gastgeberin becirct und auch ins Unglück führen will. Der Mord scheint ihm hinterherzulaufen oder besser gesagt die Angst doch erwischt zu werden. Es gibt einen Seitenhieb auf eine Box mit einer mysteriösen Substanz im Schrank, von ich denke, dass es Opium ist. Bin gespannt, ob das noch aufgeklärt wird.

Das schlechte Gewissen beschäftigt ihn und er fährt zu einer Opiumkneipe. Er gesteht sich ein, dass seine Seele todkrank sei, wenigstens der erste Schritt zur Besserung, wenn es so etwas überhaupt für ihn noch geben kann. Er wiederholt ständig den Spruch mit Seele heilen die Sinne, was mich für klingt, als sei er nah an einem psychischen Zusammenbruch. Auch wenn ich wenig Mitleid mit ihm habe, nachdem was er getan hat. Dorian erreicht die Opium Kneipe, die vom Aussehen her, aber auch vom Interieur nicht sehr einladend auf mich wirkt. Eher so für Leute, die sich mit Drogen betäuben und denen schon alles egal ist. Dort trifft er auf einen alten Freund Adrian, den er verdorben hat, wie Basil es sagen würde. Mit Adrian will keinen mehr reden und er wirkt verzweifelt. In der Kneipe trifft Dorian auf eine Frau, die ihn mit „Prinz Märchenschön“ anredet und älter zu sein scheint. Ich frage mich, ob es die Mutter seiner Verlobten ist, die sich wegen seiner Äußerungen umgebracht hat. Es würde passen, dass sie es nicht verkraftet hat und abgestürzt ist. Er fängt an sich Gedanken über seine Schuld zu machen, findet es aber unfair, dass er immer wieder zahlen muss. Also wieder Schuldverschiebung.Durch eine Lüge rettet er sich vor Sybils Vane Bruder, als der die Lüge durchschaut ist Dorian schon weg.
Im 17. Kapitel gibt es einen kleinen Zeitsprung eine Woche später. Henry und Dorian treffen sich, aber auch die Gräfin vom Dinner, die Henry verderben will, wie ich befürchte. Die Gräfin und Henry liefern sich einen verbalen Schlagabtausch, der eher verspielt wirkt. Sie diskutieren über Schönheit und Liebe zu England, wobei Lord Henrry weniger patriotisch als die Gräfin zu sein scheint. Dann schwenkt das Gespräch zu dem Bedürfnis der Gräfin um, immer perfekt aufzutauchen, das Frauen nicht mittelmäßig sein wollen. Dorian wirkt unterwürfig, meint, dass Lord Henry nie Unrecht hätte. Sagt statt Glück hat er lieber Vergnügen. Während Henry und die Gräfin sich eine weitere philosophische Diskussion liefern, bricht Dorian zusammen und wird bewusstlos. Im Salon kommt er wieder zu sich. Er erinnert sich daran, dass er Sybils Bruder Gesicht gesehen hat und ich weiß nicht, ob dieser Dorian verfolgt oder es einen Halluzination gewesen ist.
Dann im 18. Kapitel erlebt Dorian panikähnliche Zustände bei sich. Auch wenn das Gesicht on Sybils Bruder nur Einbildung war, hat er Angst davor, was sein Gewissen ihm noch für „Hirngespinste“. Zudem leidet er unter Flashbacks, Wiedererinnerungen, vom Mord an Basil. Durch all das verwandelt er sich in ein Häuflein Elend. Mitgefühl kommt nicht wirklich auf. Er kämpft gegen seine Angst an und geht wieder raus. Das erinnert mich an Konfrontation mit Ängsten, so wie ich es aus der Psychotherapie kenne. Dabei trifft er auf eine jungen Baron und will dass ein anmutiger Hase verschont wird. Ich frage mich, aus ästhetischen gründen oder Mitgefühl? Ich Denke eher ersteres. Es gibt einen Jagdunfall, von dem Lord Henry Dorian wegführt. Die Schuld schiebt er dem Toten zu, auch hier findet Schuldverschiebung statt, genau wie bei Dorian. Dorian erfährt, dass der Tote der bewaffnete Bruder von Sybill ist und ist aufgewühlt. Aber er ist auch froh gerettet zu sein, da sein potentieller Mörder tot ist.
Das Buch ist ein Wechselbad zwischen „Es ist mir egal, was ich getan habe, man lebt nur einmal“ zu Reue. Diesmal schwankt Dorian wieder in Richtung Reue und trennt sich von einer Affäre, um diese nicht weiter zu verletzen. Ich hoffe, dass es diesmal aufrichtige Reue und Veränderungswille ist. Lord Henry macht sich, kaum verwunderlich, über diese Aktion lustig. Als Nebeninfo kriegt man mit, dass sich Campbell, der Chemiker, das Leben genommen hat. Ein weiteres Opfer von Dorians Machenschaften im Sinne von negativem Einfluss. Henry und Dorian reden über das Verschwinden von Basil und Dorian gesteht den Mord, aber Henry meint er gäbe nur an und glaubt ihm nicht. Henry stellt die gute Frage, was es einem Menschen bringt, die ganze Welt zu gewinnen, aber dabei seine Seele zu verlieren. Das triggert Dorian und er wirkt von einer Tarantel gestochen. Er glaubt an eine Seele und ich denke auch, dass sie „verdorben“ ist. Henry will wissen, was Dorians Geheimnis der ewigen Jugend ist. Ich wundere mich, dass er das nicht früher schon gefragt hat. Natürlich erzählt Dorian nicht den Grund und Henry will ihn zu einem Leben ohne Reue verführen, erneut. Der Typ nervt, Dorian lehnt erstaunlicherweise ab und vermutet von Henry abgewiesen zu werden, wenn er alles wüsste. Und bei dem Gedanken, bei Henrys Moralvorstellungen abgelehnt zu werden, muss Dorian viele Schuldgefühle haben. Die Latte liegt da nicht sehr hoch. Dorian scheint mit „gut werden im Klavierspielen“ ein neues Ziel im Leben zu haben. Langsam habe ich die Hoffnung, dass er den Absprung noch schafft.

Jetzt kommt das letzte Kapitel. Sein zweifelhafter Ruhm macht ihm offenbar zu schaffen und er ist nicht mehr stolz darüber. Zuhause grübelt er und sein Wunsch zu ändern bleibt, seine Schuldgefühle meine ich deutlich herauszulesen. Er zweifelt noch daran, sein Leben zu ändern und kippt in „Alan war es selbst schuld, eigene Entscheidung Selbstmord“ und „Basil hat mich provoziert. Trotz einer guten Tat sieht das Bild nicht besser aus, sondern schlechter. Da es ein Beweis für den Mord sein soll, will er es zerstören. Finde ich jetzt keine gute Idee, da es seinen Untergang bedeuten könnte. Und dann lese ich, dass ich richtig liege. Das Bild ist so jung wie er damals war und liegt tot und welk auf dem Boden. Deprimierendes Ende, aber passend für diesen Roman.
 

Xirxe

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19. Februar 2017
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Auch mir hat das Ende gut gefallen. Dorians scheinbare Besserung zum Guten war zwar so egozentrisch wie sonst noch was, andererseits aber auch derart überzeugend, dass ich vermute, dass er selbst an seine Erklärung geglaubt hat. Und damit tat er mir fast ein bisschen leid.
Lord Henrys Cousine gefiel mir sehr gut: eine intelligente junge Frau und nie um eine Antwort verlegen. Ob sie im zunehmenden Alter wohl so zynisch wird wie ihr Cousin?
Dass die geplanten Verkupplungsversuche von Lady Narborough so im Sande verliefen, fand ich schade. Hätte ihn eine Ehefrau zum Guten bekehren können? Vielleicht zeitweise? Und wäre irgendwann fade geworden, wovon Lord Henry überzeugt wäre?
Aber irgendwie ist Tod folgerichtig und ebenso mysteriös wie sein Leben für Außenstehende. Genug Stoff für Klatsch und Tratsch für Londons Gesellschaftsleben :cool:
 
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