4. Leseabschnitt: Kapitel 10 - 11 (Seite 255 bis Ende)

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Ein Ende, dass mich überrascht hat. Ich habe mich natürlich die ganze Zeit gefragt, was der Grund dafür ist, dass Edith vors Gericht soll. Ich habe immer vermutet, dass Sanders irgendwann Edith beistehen wird, so wie sein Vater es damals einmal schon fast getan hätte, weil sie beiden Männern wichtig war, und es einfach niemand ertragen soviel Leid mitzuerleben, besonders bei einem Menschen der sich hingebungsvoll aufopfert, so wie Edith es getan hat.
Doch je länger ich darüber nachdenke, komme ich zu der Erkenntnis, dass auch dieser Versuch zu Ediths Verhalten ihres gesamten Lebens passt. Sie regelt alles, wie sie es immer getan hat. Sie will ihren Bruder nicht in ein Heim geben, will ihm das ersparen, und auch sich selbst. Denn auch wenn jeder das verstanden hätte, konnte sie es für sich nicht ertragen, da liegt ihr Entschluss eigentlich nahe. Toll auch, wie sie sich kurz vorher noch darum kümmert die Tiere zu versorgen, damit sie genug zu essen haben, bis jemand mitbekommt was geschehen ist.Tragisch, Haruf eben.
Das Sanders nicht geholfen hat, verstehe ich, er sah in dem auch eine Erlösung, vorfallen für Edith. Gefreut hat mich, dass das Verhältnis zu Edith und Lyman nach dem schrecklichen Unfall nicht eingerissen ist. Andere hätten sich eventuell abgewandt, und die Schuld Lyman spüren lassen. Um so schöner dann die Geburt der kleinen, kecken Rena.
 

Sassenach123

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2015
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Dass sie in ihrer Verzweiflung sich zu einem solchen Schritt entschließt, ist nachvollziehbar. Sie kann und will nicht mehr und für Lyman ist es auch nicht mehr schön in seinem Wahn.
Lyman war am Ende ja wirklich nicht mehr er selbst. Er war sogar eine Gefahr, auch für sie. Er hätte sie in seiner Raserei auch mal unglücklich erwischen können und sie ernsthaft verletzen
Es hat mich doch interessiert, wie die High Plains von Colorado aussehen. Hier ein Foto.
Wirklich ein tristes und karges Land
Sie würde auch eine Verurteilung akzeptieren und annehmen, wie alles in ihrem Leben. Deshalb ist es eigentlich egal, wie der Prozess ausgeht.
Sehnlich auch so, es war ihr Entschluss, und sie steht dazu, ich persönlich hoffe aber dennoch, dass es nicht zu einer Verurteilung kommt
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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O mein Gott, was für ein ergreifendes Ende :sad. Ich hatte zwar etwas in der Richtung "Erlösung für Lyman" gedacht, aber so...Eigentlich kann und sollte man vor solchen selbstlosen Menschen wie Edith den Hut ziehen und sie nicht noch dafür verurteilen, weil sie für sich und ihren Bruder ein gemeinsames Ende gesucht hat (sie hätte ihn ja auch leicht anderweitig umbringen können, es als Unfall deklarieren können und hätte dann ihre Ruhe gehabt) - solche Menschen sind rar gesät.

„Die Vergangenheit war zu groß, um sich den Kopf über ein Doppelbett zu zerbrechen“. S.274
Ein wunderbarer Satz, den ich mir auch notiert habe :cool:.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Edith spielt herunter, dass er sie geschlagen hat und erduldet wieder mal alles.
Es geschieht aus meiner Sicht auch, um das 6-jährige Mädchen zu beschwichtigen und zu schonen. Wobei die Kleine einen kessen Eindruck macht und diese Abschwächung vermutlich gar nicht braucht.
Das steht aber nirgendwo, oder? Ich glaube das nicht.
Es ist die Meinung von Sanders: S. 307 relativ oben.
Auch auf Seite 9 steht, dass Bud Sealey zum Verräter wurde und Edith an den Zeitungsmann aus Denver auslieferte.
(Es lohnt sich, nochmal in den Anfang des Buches reinzulesen.)
Mir tut sie leid, die alte zerbrechliche Frau im Krankenhaus, die sich nun rechtfertigen muss für das, was sie getan hat.
Unendlich leid. Sie hatte nicht geplant, mit dieser Schuld leben zu müssen.
Es gibt Lebensgeschichten, die Menschen so deformieren, dass sie sich ihr Leben lang nicht davon erhole
Das hast du wunderbar treffend ausgedrückt!
Aus meiner Sicht eine ganz hohe Moral.
Auch das.
Sie würde auch eine Verurteilung akzeptieren und annehmen, wie alles in ihrem Leben. Deshalb ist es eigentlich egal, wie der Prozess ausgeht.
Ja, da hast du wohl Recht. Das Ende passt perfekt zum Autor, wie wir ihn kennen. Er lässt es ein Stückweit offen, wodurch man selber nachsinnt und abwägt.
wer liebt, muss loslassen können. Menschlich gesehen eine große Geste, wer wäre dazu in der Lage?
Auch das hast du sehr gut erkannt und in Worte gefasst.
 

luisa_loves-literature

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9. Januar 2022
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Eigentlich kann und sollte man vor solchen selbstlosen Menschen wie Edith den Hut ziehen und sie nicht noch dafür verurteilen, weil sie für sich und ihren Bruder ein gemeinsames Ende gesucht hat (sie hätte ihn ja auch leicht anderweitig umbringen können, es als Unfall deklarieren können und hätte dann ihre Ruhe gehabt) - solche Menschen sind rar gesät.
Für mich zeugt das von einer großen Liebe: sie möchte Lymans weiteren Niedergang nicht mitansehen müssen, sie will ihn nicht eines Tages in ein Heim bringen müssen, weil das Leben mit ihm zuhause aufgrund ihres Alters und seiner Entwicklung nicht mehr tragbar wäre. Ein Leben ohne ihn ist für sie aber auch nicht erträglich, so will sie für sie beide einen Schlussstrich ziehen. Sie bringt ihn sicherlich nicht um, weil es ihr zu viel wird - dann hätte sie sich ja retten können, sondern weil sie dieses Ende für gnädig hält.
Unendlich leid. Sie hatte nicht geplant, mit dieser Schuld leben zu müssen.
Mir auch. Zumal es ein Muster ihres Lebens ist: wenn sie eine Entscheidung "zugunsten" der Männer in ihrem Leben traf, also für ein Leben mit ihrem Vater und für ein Sterben mit ihrem Bruder, wird sie bestraft, geht es nicht so aus, wie sie es sich gewünscht hätte.

Ich finde, der Roman lässt sehr viel offen, wahrscheinlich müsste man ihn gar noch einmal lesen. Für mich gab es hier sehr viel, das offen gelassen wurde oder angedeutet wurde. Dazu gehört das Doppelbett, das hier bereits besprochen wurde. Meiner Meinung nach ist es definitiv nicht harmlos - sonst würde es nicht erwähnt und bei uns allen ist doch aufgrund dieses Satzes, den Sanders nicht weiter kommentieren möchte, so einiges an Fantasie angesprungen. Und genau das war die Funktion dieses Satzes.

Ich bin auch nicht der Ansicht, dass Sanders und Edith ein Mutter-Sohn-imitierendes Verhältnis hatten - da kommt mir einfach der Kuss an dem einen Abend in die Quere. Die Beziehung der beiden ist komplexer (wie auch Sanders Bemerkung zum Doppelbett zeigt). Edith sieht vermutlich eher Sanders Vater, wenn sie Sanders sieht und Sanders fühlt(e) sich ihr auch auf einer anderen als familiären Ebene verbunden. Da gibt es bestimmt bei nochmaliger Lektüre so manches zu entdecken. Denn auch Sanders Weigerung am Ende das Feuer zu löschen, lässt tief blicken und ist ein Zeichen von Liebe.
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Diese Geschichte hat mich sehr ergriffen.

Mich auch. Ich hatte beim Lesen einen Kloß im Hals. Irgendwas in der Richtung war durchaus zu erwarten. Dennoch hat mich Ediths Entscheidung betroffen gemacht.

Es hat mich doch interessiert, wie die High Plains von Colorado aussehen. Hier ein Foto.

Haruf ist schuld daran, dass mein Mann und ich vor mehreren Jahren im Urlaub einen Umweg eingeplant haben. Ich musste diese Landschaft einfach mal mit eigenen Augen sehen. :smileeye