4. Leseabschnitt: Kapitel 10 - 11 (Seite 255 bis Ende)

Eulenhaus

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13. Juni 2022
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Lyman wird wie der Vater zum Pflegefall. Wieder ist Edith verantwortlich und gibt ihre eigenen Wünsche auf. Die Roscoes, inzwischen mit Tochter Rena, unterstützen sie. Besonders Rena ist ein Lichtblick für die alten Leute.
Bei einem Möbeltransport stellt Sanders fest, dass die beiden vermutlich aus kindlichen Empfindungen heraus in einem Ehebett schliefen. „Die Vergangenheit war zu groß, um sich den Kopf über ein Doppelbett zu zerbrechen“. S.274
Mit Rena flüchtet Lyman in eine Fantasie-Reisewelt.
Die Pflege ihres immer kindlicher und später aggressiv werdenden Bruders überfordert Edith und lässt sie schnell altern. Nach monatelangem Nachdenken hat sie einen Plan. Nach einem festlichen Essen, chic gekleidet, zündet sie die Reiseprospekte ihres Bruders an. Sanders, vom Hund aufmerksam geworden, greift nicht ein, aber Mavis informiert die Rettung.
Wahrscheinlich wären die Ermittlungen im Sand verlaufen, wenn nicht der Zeitungsreporter nach Holt gekommen wäre.
Edith wird vermutlich wieder gesund und vor Gericht gestellt werden, obwohl sie ihr ganzes Leben nur für andere gesorgt und nicht gelernt hatte, Ja zu sich zu sagen. Loslassen und Aufhören kann sie nicht.
 

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29. März 2022
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Mainz
Das Buch hat mich so ergriffen, dass ich einfach zügig weiter lesen musste.
Die Geschichte scheint sich ein wenig zu wiederholen: Lyman wird zum Pflegefall, Edith pflegt ihn. Doch Lyman entwickelt sich zum Kind, ist auch sehr launenhaft, z.T unberechnenbar, wie das Spiel mit Rena zeigt.
Edith spürt, dass sie zunehmend an Grenzen stößt und fasst einen Plan. Und iher schließt sich dann der Bogen zum Anfang und es wird der Grund liefert, warum Edith wohl nach ihrer Gesundung der Prozess gemacht werden wird. Sie wirft sich mit ihrem Bruder in stilvolle Kleidung, genießt mit ihm ein letztes Abendessen. Dann bringt sie ihn zu Bett, versorgt vorausschauend Hund und Hühner. Sie selbst nimmt im Schaukelstuhl Platz - bereit Lymans Prospekte und Karten anzuzünden.
Wie es der Zufall will, sieht dies Saunders. Er selbst interveniert nicht, ahnt er doch, dass es für Edith eine Erlösung ist, was sie zu tun gedenkt. Doch als es dann brennt, ist die Feuerwehr schnell vor Ort. Zu spät für Lyman, der stirbt, zu früh aber für Edith, die gerettet werden kann, und sich nun nach der Gesundung für ihr Tun wird verantworten müssen.
Diese Geschichte hat mich sehr ergriffen. Edith hat wirklich viel durchgemacht: die Tyrannei ihres Vaters, der Verzicht auf ein eigenes Leben, das im Sicht-Gelassenwerden ihres Bruders. Nur 6 glückliche Jahre waren ihr gegönnt. Ihr Tun ist in ethischer Sicht natürlich dennoch nicht gut zu heißen, verstehen kann ich es aber irgendwie schon.
Ein toller Roman, der mich noch weiter beschäftigen wird.
 

Federfee

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13. Januar 2023
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Lyman wird nach dem Unfall nie mehr richtig gesund, vor allem geistig und es wird immer schlimmer statt besser. Es scheint eine Demenzerkrankung zu sein, worauf auch seine zunehmende Aggressivität hindeutet.

Auch jetzt hält sich Edith wieder an ihr Pflichtgefühl und kümmert sich um alles. Ein zeitweiliger Lichtblick ist die kleine Tochter von Mavis und Vince, die sich zuerst gut mit Lyman versteht und mit ihm das Reisen als Spiel betreibt. Aber als das kleine Mädchen Lymans Aggressivität mitbekommt, ist es auch damit zu Ende. Sie setzt Grenzen, was Edith leider nicht kann !! Edith spielt herunter, dass er sie geschlagen hat und erduldet wieder mal alles.

Als sie sich dann zu einer unguten 'Lösung' (Brand legen) durchgerungen hat, geht alles schief. Nach deutschem Recht würde sie sicher freigesprochen, aber ob sie sich selber verzeiht, das wissen wir nicht und werden es auch nicht erfahren. Was für ein vergeudetes Leben!

Was hätte sie anders machen müssen / sollen / können? Der letzte Satz: '… ohne dass sie je gelernt hätte, endgültig Ja zu sich sagen.' Das ist es !!! Meiner Meinung nach hat uns Kent Haruf damit seine Meinung präsentiert, die auch die meine ist. Allerdings erklärt das nicht so ganz, WARUM sie das nicht konnte??​
 

Federfee

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13. Januar 2023
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Bei einem Möbeltransport stellt Sanders fest, dass die beiden vermutlich aus kindlichen Empfindungen heraus in einem Ehebett schliefen. „Die Vergangenheit war zu groß, um sich den Kopf über ein Doppelbett zu zerbrechen“. S.274
Wieso 'aus kindlichen Empfindungen heraus'? Das kann natürlich sein, aber genau so gut könnte es anderes bedeuten, auch wenn ich es eher nicht glaube und genau wie Sanders lieber nicht darüber nachdenken will.
Wahrscheinlich wären die Ermittlungen im Sand verlaufen, wenn nicht der Zeitungsreporter nach Holt gekommen wäre.
Das steht aber nirgendwo, oder? Ich glaube das nicht. Er war nur der Auslöser, dass Sanders uns Lesern die wahre Geschichte erzählt.
Edith wird vermutlich wieder gesund und vor Gericht gestellt werden, obwohl sie ihr ganzes Leben nur für andere gesorgt und nicht gelernt hatte, Ja zu sich zu sagen. Loslassen und Aufhören kann sie nicht.
Das weiß man alles nicht. Es kann auch sein, dass sie aufgibt, vor lauter Hoffnungslosigkeit und weil sie nichts mehr hat.
 

Federfee

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13. Januar 2023
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Ihr Tun ist in ethischer Sicht natürlich dennoch nicht gut zu heißen, verstehen kann ich es aber irgendwie schon.
Das sehe ich auch so. Sie konnte wohl nicht anders. Das ist eine Erklärung, aber keine Entschuldigung. Es ist fatal, das Pflichtbewusstsein zu weit zu treiben und sich nicht zu wehren oder Grenzen zu setzen.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Was für eine traurige Geschichte!
Nach den wenigen unbeschwerten Jahren ist Edith wieder gefangen in einem Leben voller Pflichtgefühl und Fürsorge. Nur jetzt ist sie alt und nicht mehr so belastbar wie früher.
Dass sie in ihrer Verzweiflung sich zu einem solchen Schritt entschließt, ist nachvollziehbar. Sie kann und will nicht mehr und für Lyman ist es auch nicht mehr schön in seinem Wahn.
Wie wohl überlegt sie dabei vorgeht. Noch einmal ein schönes gemeinsames Essen , noch einmal Rena und Mavis sehen und dann ein Ende machen, mit sich, mit Lyman und dem verdammten Haus, in dem sie so viele Jahre voller Pflichtgefühl funktioniert hat. Nichts sollte übriggebliebene von den Goodnoughs.
Schade, dass ihr Plan nicht aufging. Mir tut sie leid, die alte zerbrechliche Frau im Krankenhaus, die sich nun rechtfertigen muss für das, was sie getan hat.
Was hätte sie anders machen müssen / sollen / können? Der letzte Satz: '… ohne dass sie je gelernt hätte, endgültig Ja zu sich sagen.' Das ist es !!! Meiner Meinung nach hat uns Kent Haruf damit seine Meinung präsentiert, die auch die meine ist.
Aber Haruf verurteilt sie deswegen nicht. Sie konnte nicht anders, schreibt er . „ Egal, wie sehr man es sich wünschte, dass sie mal für eine Weile losließ,…, sie tat es nicht. Ich glaube, sie hätte auch gar nicht gewusst, wie man das macht.“
 

alasca

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13. Juni 2022
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Aber als das kleine Mädchen Lymans Aggressivität mitbekommt, ist es auch damit zu Ende. Sie setzt Grenzen, was Edith leider nicht kann !! Edith spielt herunter, dass er sie geschlagen hat und erduldet wieder mal alles.​
Das kleine Mädchen wird sehr geliebt und man lässt ihr ihren Willen. Sie hat daher eine Selbstwahrnehmung als wertvolle Person mit Rechten. Lyman wurde durch Hass und Missachtung gebrochen und Edith irreparabel konditioniert. Es gibt Lebensgeschichten, die Menschen so deformieren, dass sie sich ihr Leben lang nicht davon erholen. Nicht erholen KÖNNEN. Wir müssen mit unserem Urteil vorsichtig sein in unserer Zeit der Selbstoptimierung und Selbstermächtigung.

Ich verurteile Edith nicht. Im Gegenteil, ich bewundere ihre Größe und Liebesfähigkeit. Ich glaube nicht, dass ich Lyman so selbstlos hätte lieben können.

Dass sie ihren Bruder nicht einfach umbringt - und dazu gibt es Möglichkeiten auf einer Farm - sondern sich selbst mit auslöschen will, spricht Bände. Aus meiner Sicht eine ganz hohe Moral.
Allerdings erklärt das nicht so ganz, WARUM sie das nicht konnte??​
Ich finde, der Roman als Ganzes, die Geschichte, die Sanders erzählt, erklärt es sehr gut.

Das offene Ende kommt mir doch sehr quälend vor - zu gerne würde ich erfahren, dass Edith freigesprochen wird. Aber das wäre zu platt und Haruf erliegt dieser Versuchung nicht.
 

alasca

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13. Juni 2022
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Es hat mich doch interessiert, wie die High Plains von Colorado aussehen. Hier ein Foto.
 

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RuLeka

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30. Januar 2018
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Wir müssen mit unserem Urteil vorsichtig sein in unserer Zeit der Selbstoptimierung und Selbstermächtigung.
Ja, unbedingt! Es ist so leicht, über andere zu urteilen. Etwas mehr Milde wäre generell angebracht.
Das mag ich auch so an Harufs Bücher. Er schaut mit einem verständnisvollen Blick auf seine Figuren.
Es gibt Lebensgeschichten, die Menschen so deformieren, dass sie sich ihr Leben lang nicht davon erholen. Nicht erholen KÖNNEN.
Das ist immer wieder erschreckend. Bei manchen Kindheitserlebnissen wundere ich manchmal, wie „ heil“ manche daraus hervorgehen,
Dass sie ihren Bruder nicht einfach umbringt - und dazu gibt es Möglichkeiten auf einer Farm - sondern sich selbst mit auslöschen will, spricht Bände. Aus meiner Sicht eine ganz hohe Moral.
Mit so einer Schuld wollte sie nicht weiterleben. Und sie sieht Lyman als Opfer, hat immer noch Mitleid mit ihm. Die Last wurde ihr nun einfach zu viel.
 

claudi-1963

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29. November 2015
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Abschnitt 3 und 4 habe ich echt jetzt in einem Rutsch gelesen, ich bin nur wegen dem Feiertag bei uns nicht zum Schreiben gekommen.

Edith trifft es hier wieder wirklich hart. Da hat sie sich so lange Zeit auf Lyman gefreut und sie hatten auch eine glückliche Zeit, doch leider mit 6 Jahren viel zu kurz. Ich bin mir nicht sicher, ob Lyman der Unfall so zugesetzt hat oder ob es wirklich nur Demenz war. Vielleicht hat der Unfall auch die Demenz beschleunigt.
Das er dadurch so fixiert ist auf seine Reisen und das er mitunter brutal wird, das ist völlig normal und kommt bei einigen Demenzpatienten vor.
Nur für Edith ist es schon hart, sie entwickelt mal wieder ihr Pflichtgefühl wie schon bei Roy. Nur gut, das Sanders, Marvis und die kleine Rena noch einen Ausgleich für Edith sind.
Ich hatte manchmal das Gefühl, das Edith in Sanders einen Sohn sieht und auch, das Sanders in Edith viel mehr eine Mutter gefunden hat wie in Leona, seiner eigenen Mutter. Sie ist ja auch viel herzlicher wie Leona, die im Grunde immer eifersüchtig auf Edith war.

Das Sanders allerdings übers Herz bringen würde Edith in den Flammen zurückzulassen, das hätte ich nicht gedacht. Trotzdem kann man sie doch nicht für den Tod von Lyman anklagen. Es hätte doch genauso gut sein können, das ihr vor Erschöpfung das Streichholz aus der Hand viel und sie den brand nicht mehr löschen konnte, wer will das so einfach nachweisen? Zudem die Frau ist 80 Jahre alt, hat nicht mehr viel von Leben, Lyman war hochgradig dement und dafür soll sie jetzt noch den Rest ihres Lebens in Haft? Im Endeffet, war es ja ein missglückter erweiterter Selbstmord.
Aber, ich denke Edith ist so ehrlich, das sie sogar dies zugeben würde und dafür das Gefängnis in Kauf nehmen würde. Zudem hat sie ja eh kein zu Hause mehr.
Trotzdem finde ich, das man hier wirklich gnädig mit ihr umgehen könnte, den sie hat ja weiß Gott genug mitgemacht in ihrem Leben und sehr viel entbehren müssen.
Nicht mal einen Mann und Familie war ihr vergönnt, weil sie sich ganz aufgegen hat, nur um ihren Vater zu pflegen.

Eigentlich ein trauriges Leben, das Edith hier führt und trotzdem hat man kaum mal den Eindruck als wenn dies Edith so sieht. Sie scheint bis auf wenige Ausnahmen ihr Leben so hinzunehmen. Schön wäre es gewesen, wenn wir noch erfahren hätten ob Edith nun schuldig gesprochen wurde. Doch so kann sich jeder selbst sein Ende ausdenken.
In meinem Ende wird Edith definitiv freigesprochen und Sanders nimmt sie zu sich so sie noch ein paar glückliche Jahre verbringen darf.

Für mich war es wieder ein tolles Buch, weil ich einfach den grandiosen Schreibstil dieses Autors liebe.
 

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Bei einem Möbeltransport stellt Sanders fest, dass die beiden vermutlich aus kindlichen Empfindungen heraus in einem Ehebett schliefen. „Die Vergangenheit war zu groß, um sich den Kopf über ein Doppelbett zu zerbrechen“. S.274
Wieso 'aus kindlichen Empfindungen heraus'? Das kann natürlich sein, aber genau so gut könnte es anderes bedeuten, auch wenn ich es eher nicht glaube und genau wie Sanders lieber nicht darüber nachdenken will.
Der Gedanke hat mich auch kurz gestreift, will ihn aber nicht zulassen.

Das war eine Szene, die mir aufstieß - denn ob das wirklich nur "kindliche Empfindungen" waren, die zu dem Arrangement führten, wissen nur die beiden. Auch Sanders reagiert zumindest kurz irritiert, verbietet sich aber, weiter darüber nachzudenken. Wieder eine Facette, die zeigt, wie vielschichtig Menschen sind und dass nicht alles an ihnen liebenswert sein muss. Aber auch hier beschreibt Haruf nur, verurteilt aber nicht und verbietet das auch dem Ich-Erzähler. Also schlucke ich meine Irritation auch hinunter...
 

parden

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13. April 2014
5.835
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Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Zum Inhalt ist hier schon viel geschrieben worden, da mag ich nicht alles wiederholen. Sanders hat sich immer sehr für Edith eingesetzt, und wie @claudi-1963 bin ich der Meinung, dass die beiden im Grunde zeitlebens ein Mutter-Sohn-Verhältnis geführt haben, Rena nun wie eine Enkelin für Edith ist. Mich hat berührt, wie Sanders auf Ediths kleine Geste reagiert hat, als er sie retten wollte - wer liebt, muss loslassen können. Menschlich gesehen eine große Geste, wer wäre dazu in der Lage? So wie er sich dann verhalten hat als die Rettungsmannschaft kam, kann Sanders froh sein, wenn nicht auch er wegen unterlassener Hilfeleistung und Behinderung der Rettungsmaßnahmen vor Gericht landet. Aber das haben die Zeitungsfritzen nicht herausgefunden, und selbst der so geschwätzige Sheriff hat dazu geschwiegen. Insofern glaube ich schon, dass Edith ohne diese Zeitungsmeldungen niemals vor Gericht gekommen wäre, weil alle bereit waren, den Brand als Unfall hinzunehmen. Gnade vor Recht sozusagen. Doch nun bleibt wohl keine andere Möglichkeit als dieses Gerichtsverfahren anzusetzen. Traurig, dass der Roman so endet, aber andererseits passt das Ende auch.