4. Leseabschnitt: „Auf der Suche nach einer Würde“ bis „Dona Frozinas Finessen“ (S. 210 bis S. 291)

Emswashed

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9. Mai 2020
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@Literaturhexle @GAIA , ich weiß, es ist schwer dranzubleiben und ich will nicht sagen, dass es sich lohnt. Vielmehr möchte ich euch versichern, im Nachhinein wirds verständlicher. Vielleicht sollten wir wirklich nicht alles analysieren wollen. Loslassen und weiterlesen ist die Devise. Lispector selbst, gibt euch gegen Ende die Erlaubnis dazu!
 

Literaturhexle

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Die Abfahrt des Zuges
Da war ich tatsächlich zunächst guter Dinge. Zwei Frauen aus zwei Generationen besteigen einen Zug, der sie in ein neues Leben bringen soll. Jede bringt für sich ihre Hoffnungen zum Ausdruck, blickt melancholisch-traurig-zornig auf den vergangenen Lebensabschnitt zurück. Das ist nachvollziegbar und gut geschrieben. Die eine fühlt sich alt und überflüssig, die andere ungeliebt und lebensmüde (warum immer diese Theatralik und Pathetik? Hieran spürt man, sorry, dass Frau Lispector depressiv gewesen sein muss...)

Ich habe es ein bisschen bedauert, dass die beiden kein Gespräch miteinander begonnen haben. Sie hätten sich vielleicht gut getan. Angela scheint sich dem Genie Eduardos, das sie mächtig vergöttert, völlig untergeordnet zu haben. Mangelnde Nahrung und Aufputschmittel haben sie abmagern lassen. Sie hat sich von E. getrennt, ist aber innerlich noch hin und her gerissen. Dieses Zerrissensein nimmt immer mehr zu. Zahlreiche Vergleiche (z.B. Gott und Luft) und wirre Gedanken haben mir das Ende der Geschichte jedoch wieder versalzen.
Grundsätzlich machen mich Lispectors Frauenbilder eher depressiv. Sie sind ein einziges passives sich Fügen, oder Reagieren mit leisen Schritten.
Wir haben es hier wirklich nur mit angepassten Frauenfiguren zu tun. Keine hat der eingeschlagene Weg glücklich oder zufrieden gemacht. Das nervt schon irgendwie dieses Gejammer und Aufblasen von Nichtigkeiten. Völlig egomanisch diese Frauen, kreisen sie um die Männer.

Ihr merkt, da ich den inhaltlichen Interpretationen von euch keine großartigen Erkenntnisse hinzufügen kann, mache ich mich an die Zitatsuche... :monocle
Lach!
 

Literaturhexle

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Wo wart ihr in der Nacht
Die voran gestellten Zitate ließen schon nichts Gutes ahnen.
Er-sie - wie modern Frau Lispector doch ist! Ihrer Zeit wahrlich voraus!
Spaß beiseite. Was mich hier irgendwie angesprochen hat, ist das "Versmaß". Man kann in diesem wirren Text eine Art Rhythmus erkennen. Lacht nur! Wenn man keinen Inhalt findet, sucht man Zitate (Gaia) oder einen Sprachrythmus (ich).

Auf mich wirkte das Ganze wie ein fantastischer, hanebüchener, surrealer Traum, der sich immer mehr steigert. Die einzelnen Passagen scheinen wenig miteinander zu tun zu haben. Das letzte Drittel las ich nur noch quer. Abschreckend! Das gibt Punktabzug!, um es mit den Worten von @Wandablue zu sagen :rofl

Es tut mir leid, aber an dieser Stelle hätte ich das Buch wirklich gern an die Wand gepfeffert!
Jep!
Mir ist völlig egal, welche psychische Störung die Dame hat, ihre Ergüsse sind teilweise eine Zumutung!

Was eure Kritik an den Anmerkungen betrifft, gehe ich davon aus, dass sie sich teilweise an das brasilianische Publikum richten. Dort haben Händel und Goethe sicher nicht den gleichen Bekanntheitsgrad wie hier.
 

Literaturhexle

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Dona Frozinas Finessen
Juchu, ich habe den LA bewältigt.
Die letzte Geschichte war einigermaßen verständlich, abgesehen vom Ende.
Im Mittelpunkt eine sich selbst überschätzende alte Witwe, die sich am Ende dann doch als fehlbar erweist.
Kein Highlight.

Es fällt auf, dass die Autorin immer wieder Motive aus der katholischen Glaubens, Bibel- und Heiligenverehrung einfließen lässt. Ist das nun Kritik am Glauben oder das Gegenteil oder einfach Beschreibung des Status Quo?
 

GAIA

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Was eure Kritik an den Anmerkungen betrifft, gehe ich davon aus, dass sie sich teilweise an das brasilianische Publikum richten. Dort haben Händel und Goethe sicher nicht den gleichen Bekanntheitsgrad wie hier.
Meines Erachtens sind die Anmerkungen nicht aus den Originaltexten sondern vom Manesse-Verlag für diese Geschichtensammlung erstellt. Ich glaube nicht, dass Lispector damals für ihre Leser:innen Anmerkungen hinterlassen hat in der Form, wie wir sie jetzt lesen.
Und wenn ich von Anmerkungen des Manesse Verlags ausgehe, dann sind sie für mich eindeutig zu merkwürdig gewählt. Denn wer eine Klassikerin in dieser Ausgabe lesen will und das Buch kauft, kennt Händel, Kissinger und Goethe. Bräuchte aber vielleicht Hilfe bei dem Widerstandslied und den vollen Zähnen. :think
 

otegami

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Ich habe es ein bisschen bedauert, dass die beiden kein Gespräch miteinander begonnen haben. Sie hätten sich vielleicht gut getan.

Das hätte ich mir - als Anhängerin von offener Kommunikation – auch gewünscht! Aber nein, da ‚kochte jede ihr eigenes Süppchen‘, ‚gor in ihrem eigenen Saft‘. Dabei hätten doch beide von einem Austausch profitieren können! Schade, Chance vertan!

Ich fand diese Situation auch so herrlich symptomatisch: jeder ‚wurschtelt‘ vor sich hin, leidet für sich allein, muss sogar 'das Rad neu erfinden'!. Aber um dies zu ändern, bedarf es natürlich Mut – Mut, das Gespräch anzufangen, sich zu öffnen. Und das schaffen nicht alle! Leider zeigen meine Beobachtungen, dass ausgerechnet diejenigen, die das (aus irgendwelchen Gründen) n i c h t können, denen der Mut fehlt (sprich: ein Defizit haben) diejenigen, die das fertigbringen, nicht für voll nehmen, sich sogar drüber lustig machen.

Schade! Im meinem letzten gelesenen Buch (‚Wo die Wölfe sind‘) begeisterte mich der Satz: ‚Niemand kann Vertrauen erwidern, wenn man ihm keines schenkt.‘ (Sehr aussagekräftig!!!!!)
 
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Das habe ich mittlerweile auch in der editorischen Notiz gelesen;)
Dann kann es schon wundern, stören tut es mich nicht. Ich bin eben ein robuster Geist.
Tatsächlich hätte es mich auch weniger gestört, wenn ich mich nicht sowieso schon durch die Texte hätte kämpfen müssen. Dann blättert man extra nach hinten, weil man denkt, dort stehe jetzt eine erhellende Anmerkung aber dann sind es nur die Lebensdaten vom lieben Händel. Das klaffte für mich so auffällig auseinander. Der (scheinbar) unglaublich hohe Anspruch der Texte an die Lesenden und gleichzeitig so wenig Vertrauen in die Allgemeinbildung ebendieser. Hätten mich die Texte vom Hocker gehauen, hätt ich an den Anmerkungen wohlwollend vorbeigelesen. :p
 

Renie

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Auch ich bin über diesen Satz (auf Seite 255) gestolpert und ja, ich habe es auch als ein kurzes Heraustreten aus der Geschichte empfunden. Beschwert sich da tatsächlich eine Protagonistin über ihre Schöpferin?!:monocle
An und für sich ist dies ein netter Schachzug und milderte meinen Lesefrust für einen kurzen Moment ab - obwohl mir die Geschichte gefallen hat, auch wenn ich nicht weiß warum. Das ist so frustrierend. Das kann ich doch in keiner Rezi schreiben: "Hat mir gefallen, aber ich weiß nicht warum." :rofl
 

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Ich habe versucht, Joyce zu lesen, aber ich habe aufgehört, weil er ein Langweiler war, tut mir leid Eduardo. Nur halt ein genialer Langweiler."
Tja, auch ich habe versucht Ulysses zu lesen und es ist eines der wenigen Bücher, bei denen es beim Versuch geblieben ist.
Auch eines der Werke, die bei mir ungelesen schlummern. Bei einem Literaturtreffen gestern meinte eine Freundin von mir, U. sei einer der größten Flops in ihrem Leseleben gewesen. Mmh, dann wird es wohl noch länger bei mir schlummern...
 

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Bei der Geschichte 'Wo wart ihr in der Nacht' war ich echt stolz! :helo Stolz auf mich, dass ich durchgehalten und die ganze Geschichte gelesen habe!
Sorry, aber ich konnte so gar nichts damit anfangen: S 270 oben z.B. :'Doch sie streuten gemahlene Pfefferschoten auf ihre Genitalien und krümmten sich vor brennenden Schmerz. Und plötzlich der Hass............' :rolleyes::think:monocle
Ich sehe weder einen Zusammenhang in der Geschichte, so überhaupt nix!
Das habe ich auch überhaupt nicht verstanden, und dieser Geschichte konnte ich auch nicht viel abgewinnen.
 
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So, nun denn habe ich meinen Mut wieder gesammelt und weiter gelesen. Werde wohl auch heute den letzten Abschnitt hinterherschieben.
Ich muss sagen, dass ich die ersten beiden Geschichten eigentlich noch recht ansprechend fand. Wenn man wollte, könnte man da sicher, über das ein oder andere philosophierten: Es geht ja um die großen Themen, wie Liebe, Glaube an Gott, Vergänglichkeit etc. - auch etwas Alltagsphilosophie ist dabei. Das hat mich durchaus angesprochen. Wobei die Erkenntnisse und Einsichten nicht unbedingt immer innovativ sind...
Mit den anderen zwei Geschichten konnte ich kaum was anfangen, und ich glaube, wir haben alle ähnliche Stellen gedanklich markiert.
Ich bin mal gespannt, wie es mir noch mit den letzten Geschichten ergehen wird...