4. Abschnitt. Kap. 11 Blindgänger - einschl. Kap. 13 Jesus

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Im Mittelpunkt des Kapitels Blindgänger steht Kenjis und Aikus Vater Saul, der - wir erinnern uns an Kapitel 3 Verbündete von seiner Frau nach längjähriger Ehe verlassen wird. Nomi glaubt, er habe ihre japanische Identität und sie selbst nie wirklich wahrgenommen. Jetzt erfahren wir Sauls Sicht der Dinge, d.h. die Fäden der ersten Geschichten werden teilweise wieder aufgenommen, desto weiter man in der Handlung voranschreiten. Gleiches Ereignis - unterschiedliche Wahrnehmungen als Kompositionsprinzip des Romans.
Saul fällt in ein Loch, nachdem Nomi ihn verlassen hat, er lässt das Haus verfallen, so dass Aiku ihn bittet, dieses zu verkaufen. Saul erzählt davon, wie er Nomi kennengelernt hat und das sie es gewesen ist, die unbedingt in die USA zurück wollte - er wäre gern in Japan geblieben. Interessant sind auch die Beobachtungen, die Saul über seine beiden Kinder Aiku und Kenji macht. Das wirft ein neues Bild auf die Beziehung zwischen Aiku und ihre Mutter. Auch andere Figuren tauchen wieder auf - Dan ist derjenige, der Sauls renoviert, während Susan seine Maklerin wird. Es kristallisiert sich heraus, dass sich beide gut verstehen und es scheint sich etwas anzubahnen...
Kenjis Erzählband wird erwähnt, das ist das weniger erfolgreiche Buch, nicht das über Basil und Lucy und Saul hat sich in einem der Figuren wiedererkannt - "Ein Blindgänger" (245), was den Titel des Kapitels erklärt.
 

Querleserin

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In Freund liefert uns die Autorin die 3.Sicht auf die Geschichte zwischen Basil, Lucy und Kenji und es ist tatsächlich das fehlende Puzzleteil, das die Handlungen erklärt. Basil ist homosexuell und hat sich in seiner Jugendzeit, während sie beide die besten Freunde waren, in Kenji verliebt. Als sich Basil am Ende des Kapitels das Haus anschaut, in dem Kenji gewohnt hat, denkt er:
"Denn wie sollte er das erklären? Dieses entsetzliche Glück, hier zu stehen und Kenji wieder nah zu sein." (274)
Die Vermutung, dass Kenji den Kern des Roman bildet, scheint sich zu bewahrheiten, um ihn kreisen viele Geschichten und Basils empfindet jenes Glück, jemandem nahe zu sein, ohne ihn erreichen zu können. Das ist entsetzlich, trotzdem empfindet er Glück, dieser Widerspruch wird regelrecht greifbar in der Geschichte, in der Basils Stiefvater einen Herzinfarkt erleidet und er deshalb nach Hollyhock zurückkehrt. Auch in dieser Geschichte wird über Kenjis Erzählband geredet und Basil ist unglücklich darüber, dass er in diesem Erzählband nicht vorkommt.
"Denn es konnte einfach nicht sein, dass er in Kenjis Leben keine einzige Spur hinterlassen hatte, während so viel ander Spuren darin zu finden waren: eine nur unzulänglich veränderte Variation von Hollyhock, zwei oder drei vollkommen unwichtige Mitschülerinnen, Kenjis Eltern natürlich - auch sie verändert, aber doch in manchem ähnlich-, eine Frau, die offen bar eine idealisierte Version von Lucy war" (271)
Die Autorin beschreibt ihr eigenes Werk, oder? Wir lesen Kenjis Erzählband ;)
 

Querleserin

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In Jesus kommt Basils Schwester zu Wort, die in der vorherigen Geschichte nicht gut weggekommen ist. Man merkt die Spannungen zwischen ihr und ihrer jüngeren Schwester Polly, diese werden jetzt aus Sarahs Sicht erzählt, die mit einem manisch-depressiven jungen Mann liiert gewesen ist. Sie hat sich jedoch, nachdem dieser sie geschlagen hat, von ihm getrennt, fühlt sich aber immer noch verantwortlich für ihn. Inzwischen lebt sie bei einer älteren Dame, die wiederum kaum Kontakt zu ihrer eigenen Tochter hat. Sarah reflektiert über die Beziehung zu ihrer Schwester und geht der Frage nach, warum sie immer so gereizt auf sie reagiert.
Noch eine Querverbindung zur ersten Geschichte tut sich auf. Sarah nimmt auf dem Weg nach Hollyhock nimmt sie eine junge Tramperin mit, der Vater Liam Porter ist, jener Mann, mit der Amy (1.Kapitel) eine Affäre gehabt hat und der sich immer mit verheirateten Frauen einlässt, um sie zu verlassen, wenn es ernst wird (Wo stand das nochmal?o_O)
Eine Versöhnung zwischen den beiden Schwestern am Ende der Geschichte wird angedeutet - glücklicherweise ;)
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Im Mittelpunkt des Kapitels Blindgänger steht Kenjis und Aikus Vater Saul, der - wir erinnern uns an Kapitel 3 Verbündete von seiner Frau nach längjähriger Ehe verlassen wird. Nomi glaubt, er habe ihre japanische Identität und sie selbst nie wirklich wahrgenommen. Jetzt erfahren wir Sauls Sicht der Dinge, d.h. die Fäden der ersten Geschichten werden teilweise wieder aufgenommen, desto weiter man in der Handlung voranschreiten. Gleiches Ereignis - unterschiedliche Wahrnehmungen als Kompositionsprinzip des Romans.
Saul fällt in ein Loch, nachdem Nomi ihn verlassen hat, er lässt das Haus verfallen, so dass Aiku ihn bittet, dieses zu verkaufen. Saul erzählt davon, wie er Nomi kennengelernt hat und das sie es gewesen ist, die unbedingt in die USA zurück wollte - er wäre gern in Japan geblieben. Interessant sind auch die Beobachtungen, die Saul über seine beiden Kinder Aiku und Kenji macht. Das wirft ein neues Bild auf die Beziehung zwischen Aiku und ihre Mutter. Auch andere Figuren tauchen wieder auf - Dan ist derjenige, der Sauls renoviert, während Susan seine Maklerin wird. Es kristallisiert sich heraus, dass sich beide gut verstehen und es scheint sich etwas anzubahnen...
Kenjis Erzählband wird erwähnt, das ist das weniger erfolgreiche Buch, nicht das über Basil und Lucy und Saul hat sich in einem der Figuren wiedererkannt - "Ein Blindgänger" (245), was den Titel des Kapitels erklärt.
In diesem Kapitel zeigt sich deutlich, dass eine Ehegeschichte immer zwei Lesarten hat. Sauls Erinnerung wirft einen ganz anderen Blick auf die Ehe. Er wirkte auf mich auch sympathischer als seine Frau.
 

Yolande

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13. Februar 2020
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ich habe inzwischen festgestellt, dass es sinnvoller ist, bei einem Erzählband wie diesem, seine Eindrücke immer direkt nach dem Lesen der Geschichte aufzuschreiben.
Blindgänger fand ich großartig, die in meinen Augen bisher beste Geschichte. Saul ist der Vater von Aiko und Kenji und wie auch schon bei anderen Protagonisten bekommt hier wieder ein völlig anderes Bild der Person gezeigt. Saul ist ein friedliebender Mensch, der gerne seine Ruhe hat und wahrscheinlich sich deshalb auch nicht unangenehmen Situationen auseinandersetzen will. Ich kann ihn besonders gut verstehen, ich glaube, ich bin ihm mit meiner Art sehr ähnlich. Auch im Verhältnis zu seiner Mutter. Sehr berührend fand ich den zärtlichen Moment, als er ihre Wange streichelt und sich ihm zuneigt.
In dieser Geschichte kommt Nomi, Sauls Ehefrau, nicht besonders gut weg und ich bin sehr gespannt, ob wir später auch noch einmal ihre Sicht der Dinge geschildert bekommen, ich hoffe sehr darauf :).
Dan und Susan, die Maklerin tauchen auch wieder auf.
Auch Liam, der wahrscheinlich der Liam ist, mit dem Amy ein Verhältnis hat (oder hatte).
Es macht richtig Spaß, die Zusammenhänge zu entdecken :D.
 

Yolande

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In Freund erfahren wir endlich auch etwas über Basil, Kenjis besten Freund der Kindheit. Wie schon jemand vermutet hatte, scheint Basil Kenji zu lieben und ist wahrscheinlich deswegen gegangen um die größtmöglichste Distanz zwischen ihn und sich zu bringen. Ich kann mir seine Enttäuschung und Traurigkeit gut vorstellen, dass er nicht in Kenjis Buch zu erkennen war. [zitat]Er war herausgeschnitten aus Kenjis Erinnerungen wie ein ungeliebter Verwandter aus Familienfotos[/zitat].
 

Yolande

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13. Februar 2020
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Und in Jesus erfahren wir mehr über Sarah, Basils Schwester, über die wir erst im letzten Kapitel etwas erfahren haben. Und wieder erscheint die Person wieder völlig anders als vorher geschildert. Das Leben mit einem manisch-depressiven Menschen muss wirklich hart sein und ich denke, Sarah kann froh sein, dass sie den Absprung einigermaßen geschafft hat. Obwohl sie sich ja immer noch verantwortlich fühlt.
Die beiden Anhalter fand ich übrigens ziemlich gruselig. Ich glaube, ich hätte sofort gestoppt und sie rausgeschmissen. Nein, ich hätte sie von vornherein gar nicht mitgenommen, weil ich vielmzu viel Panik genau vor solchen Situationen hätte.
Ach ja, auch hier gibt es einen Verbindung von der Anhalterin zu Liam. Die fand ich jetzt aber ein wenig zu gewollt und unglaubwürdig und es wäre eigentlich auch nicht nötig gewesen.
 
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ulrikerabe

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Blindgänger hat mich sehr angesprochen. Schon formal, weil hier ganz viele kleine Verknüpfungen erfolgen. Saul ist der Vater von Aiko und Kenji. Nomi, seine Frau ist ausgezogen. Er plant das Haus zu verkaufen. So treten Susan die Maklerin und Dan der Handwerker auf. Sein Cousin ist Liam, der Mann, mit dem Amy in der Geschichte "Retter" eine sexuelle Beziehung hat.

...eine "lauwarme Existenz". Haben das nicht die meisten von uns? Wir "essen, trinken, arbeiten und gehen nicht zu spät ins Bett..." Was ist es, was unserem Leben mehr Wärme gibt. Wofür können wir brennen?

Das Haus ist alt. Schon Aiko hat das in der Geschichte "Verbündete" gesehen. "Wie ein alter Mensch, der im Pyjama Besuch empfängt."
Mit Nomis Auszug leeren sich die Zimmer (ein ganz ähnliches Bild gibt es in dem Buch Das Leben ist ein wilder Garten von Roland Buti). Es sind nicht die fehlenden Gegenstände, die auffällig sind. Saul erkennt dass sein Leben immer lückenhafter wird. So wie die Beziehung schleichend auseinander ging, ist das Haus verfallen. "Zu nahe dran".

Der Blick auf das Elternsein so wie das Kindsein gefällt mir gut. Saul ist bald 60, doch bei seiner Mutter fällt er in kindliche Verhaltensmuster.
Kinder sehen die Eltern nicht so wie sie wirklich sind, sagt Saul. Und dass Eltern für Kinder immer weniger wichtig werden.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Mit Nomis Auszug leeren sich die Zimmer (ein ganz ähnliches Bild gibt es in dem Buch Das Leben ist ein wilder Garten von Roland Buti).
Da habe ich auch dran gedacht, das war eine der starken Passagen in Butis Buch! Offenbar sind diese Lücken bei einer Trennung kein Einzelfall. Ich habe nie drüber nachgedacht, weil ich es selbst noch nicht erleben musste.
Der Blick auf das Elternsein so wie das Kindsein gefällt mir gut.
Da habe ich einen Kropf in den Hals bekommen, weil es so wahr ist. Man hat es bei sich selbst gesehen und so wird es bei den Kindern auch sein... Ein normaler Vorgang.
Man muss sich wieder neu erfinden, wenn die Kinder aus dem Haus gehen. Wohl dem, der parallel mit ihnen nicht auch noch den Partner verliert. Insofern kann ich schon nachvollziehen, dass es für Saul eine schwere Zeit ist.
Die Perspektivwechsel finde ich toll. Man macht sich ein Bild von einer Figur, die bei nächster Gelegenheit über den Haufen geworfen werden. Das macht die Lektüre interessant.
 
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Im Mittelpunkt des Kapitels Blindgänger steht Kenjis und Aikus Vater Saul, der - wir erinnern uns an Kapitel 3 Verbündete von seiner Frau nach längjähriger Ehe verlassen wird. Nomi glaubt, er habe ihre japanische Identität und sie selbst nie wirklich wahrgenommen. Jetzt erfahren wir Sauls Sicht der Dinge, d.h. die Fäden der ersten Geschichten werden teilweise wieder aufgenommen, desto weiter man in der Handlung voranschreiten. Gleiches Ereignis - unterschiedliche Wahrnehmungen als Kompositionsprinzip des Romans.
Saul fällt in ein Loch, nachdem Nomi ihn verlassen hat, er lässt das Haus verfallen, so dass Aiku ihn bittet, dieses zu verkaufen. Saul erzählt davon, wie er Nomi kennengelernt hat und das sie es gewesen ist, die unbedingt in die USA zurück wollte - er wäre gern in Japan geblieben. Interessant sind auch die Beobachtungen, die Saul über seine beiden Kinder Aiku und Kenji macht. Das wirft ein neues Bild auf die Beziehung zwischen Aiku und ihre Mutter. Auch andere Figuren tauchen wieder auf - Dan ist derjenige, der Sauls renoviert, während Susan seine Maklerin wird. Es kristallisiert sich heraus, dass sich beide gut verstehen und es scheint sich etwas anzubahnen...
Kenjis Erzählband wird erwähnt, das ist das weniger erfolgreiche Buch, nicht das über Basil und Lucy und Saul hat sich in einem der Figuren wiedererkannt - "Ein Blindgänger" (245), was den Titel des Kapitels erklärt.
In diesem Kapitel zeigt sich deutlich, dass eine Ehegeschichte immer zwei Lesarten hat. Sauls Erinnerung wirft einen ganz anderen Blick auf die Ehe. Er wirkte auf mich auch sympathischer als seine Frau.
ich habe inzwischen festgestellt, dass es sinnvoller ist, bei einem Erzählband wie diesem, seine Eindrücke immer direkt nach dem Lesen der Geschichte aufzuschreiben.
Blindgänger fand ich großartig, die in meinen Augen bisher beste Geschichte. Saul ist der Vater von Aiko und Kenji und wie auch schon bei anderen Protagonisten bekommt hier wieder ein völlig anderes Bild der Person gezeigt. Saul ist ein friedliebender Mensch, der gerne seine Ruhe hat und wahrscheinlich sich deshalb auch nicht unangenehmen Situationen auseinandersetzen will. Ich kann ihn besonders gut verstehen, ich glaube, ich bin ihm mit meiner Art sehr ähnlich. Auch im Verhältnis zu seiner Mutter. Sehr berührend fand ich den zärtlichen Moment, als er ihre Wange streichelt und sich ihm zuneigt.
In dieser Geschichte kommt Nomi, Sauls Ehefrau, nicht besonders gut weg und ich bin sehr gespannt, ob wir später auch noch einmal ihre Sicht der Dinge geschildert bekommen, ich hoffe sehr darauf :).
Dan und Susan, die Maklerin tauchen auch wieder auf.
Auch Liam, der wahrscheinlich der Liam ist, mit dem Amy ein Verhältnis hat (oder hatte).
Es macht richtig Spaß, die Zusammenhänge zu entdecken :D.
Blindgänger hat mich sehr angesprochen. Schon formal, weil hier ganz viele kleine Verknüpfungen erfolgen. Saul ist der Vater von Aiko und Kenji. Nomi, seine Frau ist ausgezogen. Er plant das Haus zu verkaufen. So treten Susan die Maklerin und Dan der Handwerker auf. Sein Cousin ist Liam, der Mann, mit dem Amy in der Geschichte "Retter" eine sexuelle Beziehung hat.

...eine "lauwarme Existenz". Haben das nicht die meisten von uns? Wir "essen, trinken, arbeiten und gehen nicht zu spät ins Bett..." Was ist es, was unserem Leben mehr Wärme gibt. Wofür können wir brennen?

Das Haus ist alt. Schon Aiko hat das in der Geschichte "Verbündete" gesehen. "Wie ein alter Mensch, der im Pyjama Besuch empfängt."
Mit Nomis Auszug leeren sich die Zimmer (ein ganz ähnliches Bild gibt es in dem Buch Das Leben ist ein wilder Garten von Roland Buti). Es sind nicht die fehlenden Gegenstände, die auffällig sind. Saul erkennt dass sein Leben immer lückenhafter wird. So wie die Beziehung schleichend auseinander ging, ist das Haus verfallen. "Zu nahe dran".

Der Blick auf das Elternsein so wie das Kindsein gefällt mir gut. Saul ist bald 60, doch bei seiner Mutter fällt er in kindliche Verhaltensmuster.
Kinder sehen die Eltern nicht so wie sie wirklich sind, sagt Saul. Und dass Eltern für Kinder immer weniger wichtig werden.

Auch wieder eine richtig starke Geschichte! Sauls Geschichte geht nahe. Nomi kommt hier wirklich nicht gut weg, kühl und distanziert, sie ist Chirurgin, da passt das wieder, Chirurgen geben auch schlechte Psychiater ab, die meisten natürlich, nicht alle :). Schön zu sehen/zu lesen ist, wie Aiko sich um den Vater kümmert, ihn herausholt aus seinem Tal. Richtig interessant zu sehen diese verschiedenen Blicke in dieser Familie und damit auch sinnbildlich für jede Familie oder auch jede andere Gruppierung von Menschen. Jeder nimmt die anderen anders wahr, erst aus allen Blicken gemeinsam entsteht ein Ganzes. Sehr wahr das Ganze. Und auch berührend. Dieses Flämmchen zwischen Susan und Saul, ein Hoffnungsschimmer. Wunderbar auch wieder diese Querverbindungen, die immer gehäufter auftreten. Sauls Cousin Liam ist der Geliebte von Amy, der Schwester von Dan, welcher das Haus von Saul und Nomi auf Vordermann bringt, welches von Susan, der Maklerin aus der zweiten Geschichte verkauft werden soll, die gleichzeitig Gefallen an Saul findet, also haben sich Susan und John wahrscheinlich getrennt. Traurig und sehr bezeichnend fand ich das Empfinden Sauls dem ersten Buch seines Sohnes Kenji gegenüber, künstlerische Freiheit hin oder her, aber das geht ganz schön weit und beweist auch in meinen Augen einen gewissen unsozialen Touch von Kenji und somit scheint sich Nomis Einschätzung ihres Sohnes zu bewahrheiten. Eine wirklich starke Geschichte!
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

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In Freund liefert uns die Autorin die 3.Sicht auf die Geschichte zwischen Basil, Lucy und Kenji und es ist tatsächlich das fehlende Puzzleteil, das die Handlungen erklärt. Basil ist homosexuell und hat sich in seiner Jugendzeit, während sie beide die besten Freunde waren, in Kenji verliebt. Als sich Basil am Ende des Kapitels das Haus anschaut, in dem Kenji gewohnt hat, denkt er:
"Denn wie sollte er das erklären? Dieses entsetzliche Glück, hier zu stehen und Kenji wieder nah zu sein." (274)
Die Vermutung, dass Kenji den Kern des Roman bildet, scheint sich zu bewahrheiten, um ihn kreisen viele Geschichten und Basils empfindet jenes Glück, jemandem nahe zu sein, ohne ihn erreichen zu können. Das ist entsetzlich, trotzdem empfindet er Glück, dieser Widerspruch wird regelrecht greifbar in der Geschichte, in der Basils Stiefvater einen Herzinfarkt erleidet und er deshalb nach Hollyhock zurückkehrt. Auch in dieser Geschichte wird über Kenjis Erzählband geredet und Basil ist unglücklich darüber, dass er in diesem Erzählband nicht vorkommt.
"Denn es konnte einfach nicht sein, dass er in Kenjis Leben keine einzige Spur hinterlassen hatte, während so viel ander Spuren darin zu finden waren: eine nur unzulänglich veränderte Variation von Hollyhock, zwei oder drei vollkommen unwichtige Mitschülerinnen, Kenjis Eltern natürlich - auch sie verändert, aber doch in manchem ähnlich-, eine Frau, die offen bar eine idealisierte Version von Lucy war" (271)
Die Autorin beschreibt ihr eigenes Werk, oder? Wir lesen Kenjis Erzählband ;)
In Freund erfahren wir endlich auch etwas über Basil, Kenjis besten Freund der Kindheit. Wie schon jemand vermutet hatte, scheint Basil Kenji zu lieben und ist wahrscheinlich deswegen gegangen um die größtmöglichste Distanz zwischen ihn und sich zu bringen. Ich kann mir seine Enttäuschung und Traurigkeit gut vorstellen, dass er nicht in Kenjis Buch zu erkennen war. [zitat]Er war herausgeschnitten aus Kenjis Erinnerungen wie ein ungeliebter Verwandter aus Familienfotos[/zitat].

Ebenso eine starke Geschichte! Die dritte Wahrnehmung des Dreiecksverhältnisses Kenji/Lucy/Basil. Eine schlüssige Erklärung des Verschwindens von Basil, das einzig Richtige was er tun konnte. Keine Geschichte in Kenjis Erzählband zu bekommen zeigt seine Wichtigkeit für Kenji. Ein Schlag ins Gesicht. Dennoch kommt Basil nicht von Kenji los. Er sucht das Haus von Kenji auf, in dem er wahrscheinlich gerade Aiko beobachtet, die das Haus etwas für ihren Vater herrichtet. Basil hilft wahrscheinlich nur eine neue Liebe. Interessant ist auch der Blick auf diese Kleinstadt aus Basils Augen, es ist kein Ort für ihn. Interessant auch der Blick auf die Familie. Alice Okafor scheint eine starke Frau zu sein, ihr erster Mann war ein Schwarzamerikaner und das in Richmond, einer Stadt in Virginia, in den Südstaaten. Interessant auch dazu die Betrachtungen Basils über das Empfinden seiner Großeltern. Jedes Paar rechnet ihn zu den jeweils anderen. sehr bezeichnend. Wie lange mag das noch so gehen? bzw. Wann ist das endlich egal? Komisch auch das Sarah erst später kommt und anfänglich nicht kommen wollte. ...
 
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In Jesus kommt Basils Schwester zu Wort, die in der vorherigen Geschichte nicht gut weggekommen ist. Man merkt die Spannungen zwischen ihr und ihrer jüngeren Schwester Polly, diese werden jetzt aus Sarahs Sicht erzählt, die mit einem manisch-depressiven jungen Mann liiert gewesen ist. Sie hat sich jedoch, nachdem dieser sie geschlagen hat, von ihm getrennt, fühlt sich aber immer noch verantwortlich für ihn. Inzwischen lebt sie bei einer älteren Dame, die wiederum kaum Kontakt zu ihrer eigenen Tochter hat. Sarah reflektiert über die Beziehung zu ihrer Schwester und geht der Frage nach, warum sie immer so gereizt auf sie reagiert.
Noch eine Querverbindung zur ersten Geschichte tut sich auf. Sarah nimmt auf dem Weg nach Hollyhock nimmt sie eine junge Tramperin mit, der Vater Liam Porter ist, jener Mann, mit der Amy (1.Kapitel) eine Affäre gehabt hat und der sich immer mit verheirateten Frauen einlässt, um sie zu verlassen, wenn es ernst wird (Wo stand das nochmal?o_O)
Eine Versöhnung zwischen den beiden Schwestern am Ende der Geschichte wird angedeutet - glücklicherweise ;)
Und in Jesus erfahren wir mehr über Sarah, Basils Schwester, über die wir erst im letzten Kapitel etwas erfahren haben. Und wieder erscheint die Person wieder völlig anders als vorher geschildert. Das Leben mit einem manisch-depressiven Menschen muss wirklich hart sein und ich denke, Sarah kann froh sein, dass sie den Absprung einigermaßen geschafft hat. Obwohl sie sich ja immer noch verantwortlich fühlt.
Die beiden Anhalter fand ich übrigens ziemlich gruselig. Ich glaube, ich hätte sofort gestoppt und sie rausgeschmissen. Nein, ich hätte sie von vornherein gar nicht mitgenommen, weil ich vielmzu viel Panik genau vor solchen Situationen hätte.
Ach ja, auch hier gibt es einen Verbindung von der Anhalterin zu Liam. Die fand ich jetzt aber ein wenig zu gewollt und unglaubwürdig und es wäre eigentlich auch nicht nötig gewesen.

Diese Geschichte ist im Vergleich zu den anderen beiden die deutlich Schwächere in meinen Augen. Sarah schildert hier das Geschehen um den Herzinfarkt des Vaters anders. Sie äußert hier nicht, nicht kommen zu wollen. Alles eine Erfindung von Polly, ihrer Schwester? Heftig! Genauso hat Sarah hier aber auch eine schwere Liebe zu verwinden. Eine Beziehung zu einem manisch-depressiven Menschen ist schwer, bis nicht machbar. Es sei denn, derjenige ist so einsichtig die Medizin immer zu nehmen und so umsichtig jede Veränderung in seinem Leben/in sich sofort mit dem Psychiater zu kommunizieren. Dann wäre er gut eingestellt. Aber auch das ist nicht leicht, bzw. ist es nicht leicht dahin zu kommen, denn die manischen Phasen tun den Betroffenen anfänglich sehr gut und darauf zu verzichten bedeutet, dass der Betroffene sich gut reflektiert und sich und dieses Erkrankung gut verstehen muss.
Die Anhalter fand ich höchst eigenartig. Was ermächtigt Menschen solche Behauptungen in einem Auto auszustoßen, dessen Fahrerin sie gerade mitgenommen hat? Wozu soll das gut sein? Ist das real? Das finde ich nicht. Denn eigentlich hätte jeder diese Leute nach so etwas wieder rausgeschmissen.
Die Verbindung von Leila zu Liam ist wieder höchst eigenartig, ob hier noch etwas kommt. ...
 
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Gelöschtes Mitglied 2403

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In Jesus kommt Basils Schwester zu Wort, die in der vorherigen Geschichte nicht gut weggekommen ist. Inzwischen lebt sie bei einer älteren Dame, die wiederum kaum Kontakt zu ihrer eigenen Tochter hat.

Hier fand ich die Betrachtungen über die Alten und die Jungen interessant. Ist das wirklich so? Betrachten die Alten immer die Jungen und die Jungen nie die Alten? Ich würde hier gern noch eine Mittelstufe einfügen wollen, die Mittelalten. ;) Die ganz Jungen denken nicht an den Tod, leben ihr Leben, leben mehr im Jetzt und in der Zukunft, die Vergangenheit wird etwas verdrängt. Wenn man reifer wird und der Tod nicht mehr so ganz weit weg ist, schaut man auf die Alten und auf die Jungen. Und die Alten schauen natürlich mehr auf die Jungen, ja. ...
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Komisch auch das Sarah erst später kommt und anfänglich nicht kommen wollte. ..
Das z.B. klärt sich in einer späteren Geschichte.
Das Faszinierende an diesem Buch ist, dass der Leser seinen Eindruck von Figuren immer wieder revidieren muss. Annette Mingels erzählt zwar nicht die selbe Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln, sondern eröffnet immer wieder eine neue Welt. Es sind oftmals nur kleine Sequenzen, die Bezug nehmen auf frühere Szenen und so erfährt der Leser wieder, wie es z.B. weitergeht oder er erlebt eine Figur in einer bestimmten Situation und versteht dann rückwirkend deren Verhalten.
 

RuLeka

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Saul ist bald 60, doch bei seiner Mutter fällt er in kindliche Verhaltensmuster.
Das kenne ich auch. Obwohl ich selbst über 60 bin, werde ich manchmal im Umgang mit meinen Eltern wieder zum Kind. Weniger in dem, was ich tue, da vertauschen sich mittlerweile die Rollen, sondern auf meiner Gefühlsebene. Da kommen manchmal alte Kränkungen oder auch Schuldgefühle wieder hoch.
 

RuLeka

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Die Perspektivwechsel finde ich toll. Man macht sich ein Bild von einer Figur, die bei nächster Gelegenheit über den Haufen geworfen werden. Das macht die Lektüre interessant.
Das habe ich gerade eben auch geschrieben, bevor ich Deinen Post las. Das gefällt mir hier besonders gut und macht aus dem Erzählband doch einen Roman.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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. Traurig und sehr bezeichnend fand ich das Empfinden Sauls dem ersten Buch seines Sohnes Kenji gegenüber, künstlerische Freiheit hin oder her, aber das geht ganz schön weit u
Ich fürchte, es ist nicht unbedingt erfreulich, zum Verwandtschafts- oder Freundeskreis eines Schriftstellers zu gehören. Da findet man sich dann mehr oder weniger verfremdet in dessen Romanen wieder.
 

ulrikerabe

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14. August 2017
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Da habe ich auch dran gedacht, das war eine der starken Passagen in Butis Buch! Offenbar sind diese Lücken bei einer Trennung kein Einzelfall. Ich habe nie drüber nachgedacht, weil ich es selbst noch nicht erleben musste.
Ich habe mir meine Wohnung nach der Scheidung nicht nur juristisch und finanziell, sondern auch psychisch zurückerobern müssen. Es hat eine Weile gedauert, bis sie wieder ein "zuhause" wurde.