3. Leseabschnitt: von Seite 121 bis 187

Literaturhexle

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Hier diskutieren wir von Seite 121 - 187 (Ende des ersten Teils)
 
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Leseglück

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Fonny erfährt von Tish, dass die Hauptbelastungszeugin nach Puerto Rico zurück gegangen ist. Entsprechend verzweifelt ist er. Tish macht sich zunehmend Sorgen um ihren Freund und denkt sogar darüber nach sich zu prostituieren, um an Geld zu kommen. Das hat mich ziemlich schockiert. "Es geht ja nicht bevor das Baby da ist, aber wenn Fonny bis dahin noch nicht raus ist, muss ich es vielleicht versuchen."

Die Fahrt mit der Subway wird von Tish so treffend beschrieben. Ich war vor kurzem in London in der underground Bahn während der rushhour mit vielen fremden Menschen eingequetscht und konnte mich in den Empfindungen von Tish so gut wieder finden.
Überhaupt ist James Baldwin ganz toll darin, die Atmosphäre zwischen Menschen, zwischen einem Liebespaar,, zwischen den Rassen, zwischen den Familienmitgliedern usw. darzustellen. Er kann die subtilen und komplexen Schwingungen zwischen den Menschen gut einfangen. Das ist für mich das Besondere an James Baldwin.

Ernestine erklärt Tish welche Stategien sie sich überlegt hat, um Fonny frei zu bekommen. Sie wollen ihre Mutter überreden, nach Puerto Rico zu fahren. Sie will Officer Bells Ansehen in Frage stellen. Sie weiß, dass dieser Polizist nach Manhattan strafversetzt wurde weil er einen zwölfjährigen farbigen Jungen getötet hat.

Jeder tut das was er am besten kann, um Fonny zu helfen. Jeder passt auf den anderen auf. In Tishs Familie gibt es einen wunderbaren Zusammenhalt. Man spürt beim Lesen die Liebe zwischen den Familienmitgliedern. Das ist ein schöner Gegensatz zu der Härte und Lieblosigkeit der rassistischen Gesellschaft in der sie leben müssen (schade nur, dass die beiden Väter zu illegalen Mitteln greifen um Geld zu verdienen).

Auf S. 134 beschreibt Tish wie sie die ersten Kindsbewegung empfindet. Ich habe das noch nie so schön beschrieben gelesen...und das geschrieben von einem Mann. " etwas, das so schwer zu erhaschen war wie ein Flüstern in einem rappelvollen Raum, so leicht und so klar wie eine Spinnwebe..."

In dem Abschnitt erfahren wir mehr zu der Vorgeschichte von Bells Hass auf Fonny. Tish erzählt von einer sexuellen Belästigung in einem Gemüseladen. Sie wollte verhindern, dass Fonny den Angreifer ("ein kleiner, schmieriger italienischer Junge") niederschlägt, da sie einen Polizisten (Bell) in der Nähe weiß. Prompt will Bell Fonny verhaften aber die Chefin des Gemüseladens verhindert das durch ihre Aussage. Das wiederum empfindet Bell als Demütigung.
"Weiße Männer haben es gar nicht gern, wenn eine weiße Lady ihnen sagt, ihr seid ein Haufen Arschlöcher, und der schwarze Typ hat recht, und leckt mich am Arsch."
In der Nacht nach dem Vorfall wurde Tishs Kind gezeugt.

Tishs Mutter fliegt nach Puerto Rico. Hier gehört sie plötzlich zur privilegierten Schicht. Sie ist die "nordamerikanische Lady."
Ihre Bemühungen, die Hauptzeugin oder deren Freund zu einer Änderung ihrer Aussage zu bewegen sind erst mal nicht erfolgreich. Das finde ich sehr nachvollziehbar und realistisch.

Zuletzt beschreibt Tish eine Begegnung mit dem Polizisten Bell. Sie sieht seine kalten Augen, seine eisige Boshaftigkeit. "Diese Augen blicken nur in die Augen von besiegten Opfern. In andere Augen können sie nicht blicken."

Wir erfahren auch (was man schon ahnt) warum Daniel durch den Gefängnisaufenthalt so traumatisiert ist. Er hat Vergewaltigungen gesehen und wurde auch selbst vergewaltigt.
Genau an der Stelle, als das klar wird, kommt der Satz: "Dann klopften sie an die Tür."
Wir als Leserinnen können uns nun gut vorstellen, was Fonny im Gefängnis erwartet. Das ist von James Baldwin sehr geschickt aufgebaut finde ich.
 

Querleserin

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@Leseglück: Du hast alles Wesentliche dargelegt. Die Stellung, die Sharon in Puerto Rico hat, ist wirklich erstaunlich. Während sie in New York zur Unterschicht gehört, wird sie dort als Lady angesehen. Man hofft, dass sie das Opfer umstimmen kann, fast sieht es so als, als gelänge ihr dies. Diese Passage fand ich sehr spannend, letztlich wäre es aber unrealistisch, wenn sie ihre Aussage widerrufen würde. Man ahnt, dass die Geschichte kein Happyend haben wird.
Sehr interessant fand ich auch die Vorgeschichte zu Fonnys Verhaftung, letztlich will sich Bell dafür rächen, dass er bloßgestellt wurde. Schrecklich!
 

Literaturhexle

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Fonny erfährt von Tish, dass die Hauptbelastungszeugin nach Puerto Rico zurück gegangen ist. Entsprechend verzweifelt ist er. Tish macht sich zunehmend Sorgen um ihren Freund und denkt sogar darüber nach sich zu prostituieren, um an Geld zu kommen. Das hat mich ziemlich schockiert. "Es geht ja nicht bevor das Baby da ist, aber wenn Fonny bis dahin noch nicht raus ist, muss ich es vielleicht versuchen."

Die Fahrt mit der Subway wird von Tish so treffend beschrieben. Ich war vor kurzem in London in der underground Bahn während der rushhour mit vielen fremden Menschen eingequetscht und konnte mich in den Empfindungen von Tish so gut wieder finden.
Überhaupt ist James Baldwin ganz toll darin, die Atmosphäre zwischen Menschen, zwischen einem Liebespaar,, zwischen den Rassen, zwischen den Familienmitgliedern usw. darzustellen. Er kann die subtilen und komplexen Schwingungen zwischen den Menschen gut einfangen. Das ist für mich das Besondere an James Baldwin.

Ernestine erklärt Tish welche Stategien sie sich überlegt hat, um Fonny frei zu bekommen. Sie wollen ihre Mutter überreden, nach Puerto Rico zu fahren. Sie will Officer Bells Ansehen in Frage stellen. Sie weiß, dass dieser Polizist nach Manhattan strafversetzt wurde weil er einen zwölfjährigen farbigen Jungen getötet hat.

Jeder tut das was er am besten kann, um Fonny zu helfen. Jeder passt auf den anderen auf. In Tishs Familie gibt es einen wunderbaren Zusammenhalt. Man spürt beim Lesen die Liebe zwischen den Familienmitgliedern. Das ist ein schöner Gegensatz zu der Härte und Lieblosigkeit der rassistischen Gesellschaft in der sie leben müssen (schade nur, dass die beiden Väter zu illegalen Mitteln greifen um Geld zu verdienen).

Auf S. 134 beschreibt Tish wie sie die ersten Kindsbewegung empfindet. Ich habe das noch nie so schön beschrieben gelesen...und das geschrieben von einem Mann. " etwas, das so schwer zu erhaschen war wie ein Flüstern in einem rappelvollen Raum, so leicht und so klar wie eine Spinnwebe..."

In dem Abschnitt erfahren wir mehr zu der Vorgeschichte von Bells Hass auf Fonny. Tish erzählt von einer sexuellen Belästigung in einem Gemüseladen. Sie wollte verhindern, dass Fonny den Angreifer ("ein kleiner, schmieriger italienischer Junge") niederschlägt, da sie einen Polizisten (Bell) in der Nähe weiß. Prompt will Bell Fonny verhaften aber die Chefin des Gemüseladens verhindert das durch ihre Aussage. Das wiederum empfindet Bell als Demütigung.
"Weiße Männer haben es gar nicht gern, wenn eine weiße Lady ihnen sagt, ihr seid ein Haufen Arschlöcher, und der schwarze Typ hat recht, und leckt mich am Arsch."
In der Nacht nach dem Vorfall wurde Tishs Kind gezeugt.

Tishs Mutter fliegt nach Puerto Rico. Hier gehört sie plötzlich zur privilegierten Schicht. Sie ist die "nordamerikanische Lady."
Ihre Bemühungen, die Hauptzeugin oder deren Freund zu einer Änderung ihrer Aussage zu bewegen sind erst mal nicht erfolgreich. Das finde ich sehr nachvollziehbar und realistisch.

Zuletzt beschreibt Tish eine Begegnung mit dem Polizisten Bell. Sie sieht seine kalten Augen, seine eisige Boshaftigkeit. "Diese Augen blicken nur in die Augen von besiegten Opfern. In andere Augen können sie nicht blicken."

Wir erfahren auch (was man schon ahnt) warum Daniel durch den Gefängnisaufenthalt so traumatisiert ist. Er hat Vergewaltigungen gesehen und wurde auch selbst vergewaltigt.
Genau an der Stelle, als das klar wird, kommt der Satz: "Dann klopften sie an die Tür."
Wir als Leserinnen können uns nun gut vorstellen, was Fonny im Gefängnis erwartet. Das ist von James Baldwin sehr geschickt aufgebaut finde ich.
Du hast wirklich all die Punkte zusammengetragen, die mir auch aufgefallen sind. Offensichtlich gibt es innerhalb der Migranten auch eine "Rassenhierarchie", demzufolge die Menschen aus Puerto Rico weiter unten stehen als die Amerikaner.

Und die Juden? Tish hatte ja nicht wirklich um schlechtes Gewissen, als sie mit dem Diebesgut (beim Juden erbeutet) auf Officer Bell stößt... Schon seltsam.
 
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Ihr habt schon alles Wesentliche sehr schön zusammengetragen. Danke dafür!

Ich hatte Sharon so die Daumen gedrückt, dass ihre Mission gelingt und sie hat wirklich alles unternommen und alle Argumente vorgetragen. Dennoch ist es sehr menschlich, nachvollziehbar und realistisch, dass sie die Puerto Ricanerin nicht überzeugen kann, ihre Aussage zu widerrufen. Sie glaubt wahrscheinlich wirklich, dass der richtige Mann im Gefängnis sitzt. Schließlich war Fonny der einzige schwarze Mann bei der Gegenüberstellung (ein klarer Rechtsbruch, der heutzutage zumindest in Deutschland nicht durchgehen würde) oder es ist ihr angesichts ihres eigenen Schicksals einfach egal (was ich nach einem solchen Trauma auch verstehen könnte).

Trotzdem ist es hart, dieser Realität ins Gesicht zu sehen. Baldwin transportiert das meisterhaft.
 

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@Leseglück: Du hast alles Wesentliche dargelegt. Die Stellung, die Sharon in Puerto Rico hat, ist wirklich erstaunlich. Während sie in New York zur Unterschicht gehört, wird sie dort als Lady angesehen. Man hofft, dass sie das Opfer umstimmen kann, fast sieht es so als, als gelänge ihr dies. Diese Passage fand ich sehr spannend, letztlich wäre es aber unrealistisch, wenn sie ihre Aussage widerrufen würde. Man ahnt, dass die Geschichte kein Happyend haben wird.
Sehr interessant fand ich auch die Vorgeschichte zu Fonnys Verhaftung, letztlich will sich Bell dafür rächen, dass er bloßgestellt wurde. Schrecklich!
Die Szene am Ende dieses Abschnitts, als Bell Tish sagt, sie müsse keine Angst vor ihm haben, wirkte auf mich eher wie eine Drohung. Er hat den beiden den Vorfall mit dem Italiener nicht verziehen, wobei die beiden im Recht waren. Besonders gut gefallen hat mir, dass die Ladenbesitzerin Stellung bezogen hat. Auch wenn sie dadurch unbewusst Bells Hass geschürt hat.
 
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Es ist toll zu erleben, wie die Familie hinter Tish und Fonny steht. Lediglich Ms Hunt und ihre Töchter sperren sich, könnten Fonny sogar schaden, wenn sie vor Gericht ähnlich reden wie privat. Schrecklich, das kann ich überhaupt nicht verstehen.
Der Anwalt scheint ein echter Glücksgriff zu sein, allerdings kann er gegen das System nicht viel ausrichten. Niemand wird glauben das Bell gelogen hat.
Hat Sharon vielleicht doch etwas bewegen können? Geht Mrs Rogers noch in sich und überdenkt alles noch einmal?
Der Roman ist direkt und bringt die Problematik sehr gut rüber. Ich sitze zu Hause auf dem Sofa und bin entsetzt über die Ungerechtigkeit die Fonny widerfährt nur weil er die falsche Hautfarbe hat.
 
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Ich sitze zu Hause auf dem Sofa und bin entsetzt über die Ungerechtigkeit die Fonny widerfährt nur weil er die falsche Hautfarbe hat.
Das ist eine Leistung des Romans: Er ist sehr authentisch. Man wird nicht mit dem erhobenen Zeigefinger auf die Ungerechtigkeiten gestoßen, sondern sie werden einfach mit Tishs Stimme erzählt. Und es gibt nicht nur böse Weiße und gute Schwarze. Das Leben ist eben bunt. Das macht das Buch so echt.
 
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Du hast wirklich all die Punkte zusammengetragen, die mir auch aufgefallen sind. Offensichtlich gibt es innerhalb der Migranten auch eine "Rassenhierarchie", demzufolge die Menschen aus Puerto Rico weiter unten stehen als die Amerikaner.

Und die Juden? Tish hatte ja nicht wirklich um schlechtes Gewissen, als sie mit dem Diebesgut (beim Juden erbeutet) auf Officer Bell stößt... Schon seltsam.

Rassenhierarchie.....das könnte natürlich der Fall sein. Die gesamte Situation hat mich sehr bewegt. Sharon, die verzweifelt versucht der Frau zu verdeutlichen, dass Fonny kein Vergewaltiger ist. Kurz hatte ich sogar das Gefühl, es sei ihr gelungen den richtigen Ton bei Mrs Rogers zu treffen. Auch bei ihrem Freund ging es mir ähnlich, fast hätte sie in ihm ein Umdenken ausgelöst...
 
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