3. Leseabschnitt: Teil Vier (Seite 127 bis 151)

Literaturhexle

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Dieser Abschnitt, der auch das Ende des doch recht kurzen Buches beinhaltet, erinnert mich an einen Filmabspann. Es wird beschrieben, was aus den Personen, die im Buch vorkamen, geworden ist.
Das liest sich kurz und prägnant. Mengele wurde nie gefunden, ist in Südamerika untergetaucht und letztlich beim Schwimmen im Meer gestorben. Unglaublich, aber das wusste ich schon. Interessant, dass dieses Monster in Menschengestalt auch eine schöngeistige Ader hatte:confused:
Auch erfahren wir etwas über den Verbleib der wieder nach Frankreich geschickten Flüchtlingsschiffe. Bei diesem Hin und her assoziiert man doch automatisch die heutigen Flüchtlingsströme, die über das Meer fahren, oder? Wahrscheinlich sind diese Assoziationen gewünscht.

Natürlich geht es auch mit der Biografie Noahs weiter. Er ist schon ein Glücksritter. Wie gering war die Chance, dass ein anderes Boot ihn finden würde?! Der Mann hat Energie, arbeitet als Journalist, bereitet den neuen jüdischen Staat namhaft mit vor. Im Alter hält er Vorträge in Schulen als Überlebender...

Berührt hat mich das Wiedersehen mit dem KZ-Arzt Waitz: "Sie sind der Junge aus Straßburg, den ich als Geschenk von Mengele erhalten habe, oder?"

Dass Noah Wieso-Fragen stellt, kann ich nur zu gut verstehen. Diese Fragen stellen wir Nachgeborenen uns doch auch. Man kann nicht verstehen, wie ein Volk einem kleinen, offensichtlich größenwahnsinnigen und gestörten Mann hinterher läuft, der - mit Goebbels im Gepäck - was von arischer Abstammung und Herrenvolk faselt...
Man kann diese Fragen nicht mit Vernunft beantworten.
 

sursulapitschi

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18. September 2019
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Hui, ein eigentlich berührendes Schlusswort, das mich dummerweise nicht mehr sehr interessiert hat. Irgendwas ging furchtbar schief bei der Komposition dieses Buches.
Natürlich ist es ein Stilmittel, das Dramatik illustrieren kann, wenn man das Schicksal der ganzen auftretenden Personen im Telegramstil aufführt. Ich fand es auch ganz interessant, nochmal von allen zu hören, aber direkt nach Noahs Sprung ins Wasser war es eine kalte Dusche, für die ich nicht bereit war.
Und dann, nach 140 Seiten nüchternstem Erzählstil schreibt er sich in Rage und doziert über den Wahnsinn der Weltkriege und die Schuld der Deutschen. Auch dazu hatte ich keine Lust mehr.
Mal gucken, was das Nachwort noch an Erkenntnissen bringt, aber das Buch kommt mir etwas hastig runtergeschrieben vor, das war sicher nicht die Absicht.
 

sursulapitschi

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Man kann nicht verstehen, wie ein Volk einem kleinen, offensichtlich größenwahnsinnigen und gestörten Mann hinterher läuft, der - mit Goebbels im Gepäck - was von arischer Abstammung und Herrenvolk faselt...
Das ist natürlich richtig, aber ich fand es störend und belehrend, dass er am Ende des Buches meint, so deutlich werden zu müssen, wo er doch die ganze Zeit mit knappsten Andeutungen gearbeitet hat. Das ist nochmal eine Portion Botschaft mit dem Holzhammer, die der erschütternden Geschichte einiges an Wirkung nimmt.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Das ist natürlich richtig, aber ich fand es störend und belehrend, dass er am Ende des Buches meint, so deutlich werden zu müssen,
Das hat mich auch gestört. Das wollte ich damit ausdrücken: im Nachhinein kann sich das NIEMAND vorstellen, der seine sieben Sinne beieinander hat.
Ich kann auch nachvollziehen, dass jemand, der den Holocaust überlebt hat, die Deutschen nicht als Freunde sieht. Mir war es allerdings zu massiv.

In gewisser Weise passt hier das eine nicht zum andern: erst im Telegrammstil die Schicksale, dann die Fortsetzung des Sprungs ins Meer mit seiner Rettung und die weitere Geschichte Noahs und dann diese Tiraden.
Mich überzeugt das nicht.
 

RuLeka

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Bei diesem Hin und her assoziiert man doch automatisch die heutigen Flüchtlingsströme, die über das Meer fahren, oder? Wahrscheinlich sind diese Assoziationen gewünscht.
Bestimmt!
Hui, ein eigentlich berührendes Schlusswort, das mich dummerweise nicht mehr sehr interessiert hat
Mich schon. Es bietet schon einen gewissen Trost, dass manchen Überlebenden ein langes, erfülltes Leben noch gewährt wurde. Nicht nur Noah. Es gab so schon genug Tote im Buch. Auch solche, die knapp vor ihrem Ziel noch umkamen.
dann, nach 140 Seiten nüchternstem Erzählstil schreibt er sich in Rage und doziert über den Wahnsinn der Weltkriege und die Schuld der Deutschen.
Der Autor hat sich doch hier nicht in Rage geschrieben, sondern er schreibt, welche Fragen sich Noah immer wieder gestellt hat, Fragen, die sich jeder stellt, der sich mit dem Thema beschäftigt.
 

ThomasWien

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19. März 2021
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Wien
Ich bin nun auch mit dem letzten Leseabschnitt fertig. Ich bin froh, dass ich das Buch vom Autor nun durch habe und freue mich auf das Nachwort Alice Klieger. Ich hoffe, dass ich da etwas mehr Erkenntnisse zu der Entstehung dieses Buches erlange.

Der dritte Leseabschnitt war noch Ok für mich, der letzte hat mir wieder gar nicht gefallen. Das hat zum einen wieder mit den Aufzählungen zu tun, des weiteren mit einer Art Anklage, die ich zum einen verstehen kann, zum anderen habe ich hier in der österreichischen als auch wahrscheinlich deutschen Gesellschaft eine andere Wahrnehmung.

"Und dann erzählt man mir, es sind heute andere Deutsche als damals. Warum sind es andere?

Diesen Satz finde ich schon etwas heftig.


Ich muss leider nochmals sagen, dieses Buch hat mir überhaupt nicht gefallen, möglicherweise bin ich von etwas anderen ausgegangen. Aus meiner Sicht hat es sich der Autor zu leicht gemacht.

Mein größter Respekt gilt Noah und allen anderen Überlebenden. Sie haben unvorstellbares ertragen und erleiden müssen, dennoch dieses Buch hätte ich nicht gebraucht, bin aber trotzdem froh Noah ein klein wenig kennengelernt zu haben.

Ich weiß ich bin mit meiner Meinung mehr oder weniger alleine, aber ich hätte dieses Buch nicht gebraucht.
 

Literaturhexle

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"Und dann erzählt man mir, es sind heute andere Deutsche als damals. Warum sind es andere?

Diesen Satz finde ich schon etwas heftig.
Er ist heftig. Ich kann ihn nur vor dem Hintergrund deuten, dass Noah durch die intensive Beschäftigung mit seiner Geschichte wieder sehr nah an das Geschehen von einst herangerückt ist. Außerdem hat er nie in Deutschland gelebt, er wird kaum Deutsche kennen. Da beruht sehr viel auf der schmerzhaften Vergangenheit, die einer inneren Aussöhnung im Wege stand. Auch Vorurteile haben eine lange Lebensdauer.
Denn auch die Generation der Täter ist ausgestorben und objektiv betrachtet sind es heute schon andere Deutsche als damals. Idioten gibt es allerorten, aber wir sind doch sehr wachsam heute.

Ich verstehe den alten Mann (er ist auch sehr alt, da ändert man seine Ansichten nicht mehr) und seine Aussage. Richtig empfinde ich persönlich sie in der Sache nicht.

Ich weiß ich bin mit meiner Meinung mehr oder weniger alleine, aber ich hätte dieses Buch nicht gebraucht.
Nein. Du bist nicht alleine. Gar nicht.
Mit dem ersten Abschnitt war ich noch einverstanden, danach nahm es spürbar ab. Das letzte Nachwort müsste ich vielleicht sogar nochmal lesen - Ich wollte nur noch durch!

Mir hat Takis Würger leid getan, als sein Roman Stella in der Kritik so verrissen wurde. Das hier ist genau das Gegenteil: es ist nicht ohne, dieses Buch zu kritisieren, weil es ein so heikles Thema behandelt...
Wir tun das respektvoll. Es geht dabei auch nicht um die Person Noah Kliegers, sondern um die Art, wie das Buch geschrieben wurde. Das muss man trennen dürfen. Letztlich gilt immer: Über Geschmack lässt sich nicht streiten, aber trefflich diskutieren;)
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Berührt hat mich das Wiedersehen mit dem KZ-Arzt Waitz: "Sie sind der Junge aus Straßburg, den ich als Geschenk von Mengele erhalten habe, oder?"

Oh, ja, mich auch. Das war für mich die bewegendste Passage im vierten Teil.

Das mit dem Model ist auch eine interessante Begegnung. Sein Gedächtnis ist wirklich krass. Ein bisschen hat mir die Frau leid getan. Sie war damals ein unschuldiges Kind, das davon nichts wusste und sich nicht mehr erinnert. Trotzdem wird sie sich schuldig fühlen.

Natürlich ist es ein Stilmittel, das Dramatik illustrieren kann, wenn man das Schicksal der ganzen auftretenden Personen im Telegramstil aufführt. Ich fand es auch ganz interessant, nochmal von allen zu hören, aber direkt nach Noahs Sprung ins Wasser war es eine kalte Dusche, für die ich nicht bereit war.

Ja, ich war beim Einstieg in den vierten Teil auch enttäuscht. Der Vergleich mit der kalten Dusche trifft es gut.

"Und dann erzählt man mir, es sind heute andere Deutsche als damals. Warum sind es andere?

Diesen Satz finde ich schon etwas heftig.

Denn auch die Generation der Täter ist ausgestorben und objektiv betrachtet sind es heute schon andere Deutsche als damals. Idioten gibt es allerorten, aber wir sind doch sehr wachsam heute.

Dieser Satz ist mir auch sauer aufgestoßen. Zum einen wird Noah hier ungerecht und irrt sich, denn es sind eben weitestgehend nicht dieselben Personen. Zum anderen offenbart es eine Doppelmoral: Er als Jude möchte nicht für Jesu Tod verantwortlich gemacht werden, weil es so lange her ist; nachfolgende Generationen in Deutschland stehen aber nach etlichen Jahrzehnten für ihn immer noch im Verdacht, genauso zu sein wie die damaligen Täter. Das passt für mich nicht zusammen.

Darüber hinaus tappt auch Noah in die Falle der Vorurteile und Pauschalisierungen, wenn er glaubt, nur die Deutschen seien dazu in der Lage und es sei ein Problem einer gewissen Nationalität. Dabei zeigen psychologische Studien, dass die Umstände fast jeden zum Mörder machen können.
 

milkysilvermoon

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Für mich fällt das Buch im vierten Teil weiter ab, was die Stilistik und die Komposition angeht. Es wird plötzlich sehr episodenhaft. Es gibt Zeitsprünge und die Chronologie wird nicht mehr eingehalten.

Zwar steckt inhaltlich noch eine Menge Interessantes darin, denn Noah hatte offenbar auch im weiteren Verlauf ein spannendes und ereignisreiches Leben. Und man erahnt, warum dieses Leben auch über die NS-Zeit hinaus es wert ist, niedergeschrieben zu werden. So richtig folgen lässt sich dem Ganzen aber nur mit Mühe. Es scheint fast so, als ob der Autor das, was ihm Noah erzählt hat, nur noch lustlos so runtergeschrieben hat, wie er es ihm erzählt hat - ungeordnet, in ganz unterschiedlicher Detailtiefe und ohne erkennbare Struktur. Vielleicht steckt im Nachwort noch etwas, dass das erklärt. Zum Beispiel dass ihm Noah vor seinem Tod nicht mehr über sein späteres Leben berichten konnte. Das würde es erklären und rechtfertigen. Ansonsten fände ich es aber schade, dass alles andere so knapp und chaotisch abgehandelt wurde.

Also ich stimme den bisherigen Äußerungen hier absolut zu.
 

sursulapitschi

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Mir hat Takis Würger leid getan, als sein Roman Stella in der Kritik so verrissen wurde. Das hier ist genau das Gegenteil: es ist nicht ohne, dieses Buch zu kritisieren, weil es ein so heikles Thema behandelt...
Ganz genau, und ich verstehe nicht, warum er so etwas tut. Er kann es besser. Stella war viel besser, fast kunstvoll. Dieses Buch wirkt, als hätte er keine recht Lust dazu gehabt, das kann aber eigentlich nicht sein.
 

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Wie erschütternd und unfassbar ist das eigentlich: da reist Noah 1963 als Journalist zu den Ausschwitzprozessen nach Deutschland und sitzt in der Kantine. Da sitzen auch Angeklagte. Deutsche. Nazis. Bier trinken und lachend…
 

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Wie erschütternd und unfassbar ist das eigentlich: da reist Noah 1963 als Journalist zu den Ausschwitzprozessen nach Deutschland und sitzt in der Kantine. Da sitzen auch Angeklagte. Deutsche. Nazis. Bier trinken und lachend…
Aufgrund solcher Erlebnisse kann ich auch verstehen, dass er immer noch ein Misstrauen gegenüber Deutschen hegt. Sicher, die meisten Bundesbürger heute sind keine Antisemiten, doch es gibt nach wie vor welche.
 

RuLeka

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Ganz genau, und ich verstehe nicht, warum er so etwas tut. Er kann es besser. Stella war viel besser, fast kunstvoll. Dieses Buch wirkt, als hätte er keine recht Lust dazu gehabt, das kann aber eigentlich nicht sein.
Ich habe „ Stella“ nicht gelesen, kann hier also nur aus zweiter Hand urteilen. Aber bei „ Stella“ wurde ihm doch vorgeworfen, „Nazi-Kitsch“ fabriziert zu haben, eine wahre Geschichte mit einer fiktiven Geschichte aufgeputscht zu haben.
Hier geht er genau den umgekehrten Weg und schreibt auf, was ihm ein Zeitzeuge erzählt hat. Mit „ keine Lust haben“ hat das sicher nichts zu tun. Ich denke, er hat sich, bis auf ein paar Einlassungen auf das beschränkt, was Noah wichtig war.
Mich hat auch nicht sein weiterer Lebenslauf als Sportjournalist interessiert.
 

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Ich habe „dazu“ ein sehr eindrückliches und beeindruckendes Buch gelesen. „Das Verschwinden des Josef Mengele“ von Olivier Guez. Den Autor habe ich in einem Interview auf der Frankfurter Buchmesse erlebt. Das war in Kombination zu seinem Buch ein sehr einprägsames und eindrückliches Erlebnis...
 
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Ich habe „dazu“ ein sehr eindrückliches und beeindruckendes Buch gelesen. „Das Verschwinden des Josef Mengele“ von Olivier Guez. Den Autor habe ich in einem Interview auf der Frankfurter Buchmesse erlebt. Das war in Kombination zu seinem Buch ein sehr einprägsames und eindrückliches Erlebnis...
Ebenfalls ein sehr schmales , reduziertes Buch, das trotzdem alles Wesentliche rüberbringt.Toll, dass Du den Autor noch persönlich getroffen hast.
 

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Hui, ein eigentlich berührendes Schlusswort, das mich dummerweise nicht mehr sehr interessiert hat. Irgendwas ging furchtbar schief bei der Komposition dieses Buches.
Natürlich ist es ein Stilmittel, das Dramatik illustrieren kann, wenn man das Schicksal der ganzen auftretenden Personen im Telegramstil aufführt. Ich fand es auch ganz interessant, nochmal von allen zu hören, aber direkt nach Noahs Sprung ins Wasser war es eine kalte Dusche, für die ich nicht bereit war.
Und dann, nach 140 Seiten nüchternstem Erzählstil schreibt er sich in Rage und doziert über den Wahnsinn der Weltkriege und die Schuld der Deutschen. Auch dazu hatte ich keine Lust mehr.
Mal gucken, was das Nachwort noch an Erkenntnissen bringt, aber das Buch kommt mir etwas hastig runtergeschrieben vor, das war sicher nicht die Absicht.
Ich habe das ganz anders empfunden. Für mich passte dieses fulminante Ende zum Vorhergehenden. Was bleibt, sind Fragen über Fragen, Ratlosigkeit, Fassungslosigkeit, Wut und unermessliche Trauer...
 

RuLeka

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Ich habe das ganz anders empfunden. Für mich passte dieses fulminante Ende zum Vorhergehenden. Was bleibt, sind Fragen über Fragen, Ratlosigkeit, Fassungslosigkeit, Wut und unermessliche Trauer...
Ich bin froh, dass Du das genauso siehst wie ich. Dachte schon, ich sei die Einzige, für die das Ganze stimmig war. Mir haben keine Erklärungen gefehlt und der reduzierte Stil hat für mich das ganze Grauen transportiert.