3. Leseabschnitt: Teil II. (Seite 151 bis 185)

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Laurence ist nun eine erwachsene Frau, 35 Jahre alt, verheiratet, erwartet ihr erstes Kind, ein Sohn, die Vorfreude ist groß. Wohl auch auf Grund ihrer Erfahrungen in ihrer Kindheit hat sie seit drei Jahren eine Frauenärztin, mit der sie gut klarkommt. Mit einer einzigen Bemerkung, einem Gerücht, bringt ihr Vater sie dazu, realtiv knapp vor der Geburt zu wechseln, der Sohn eines früheren Berufskollegen ihres Vaters ist nun ihr Arzt und wird die Geburt betreuen. Ich frage mich, ob Laurence wirklich erwachsen geworden ist? Sie hat sich ganz offensichtlich noch immer nicht aus der mentalen Umklammerung durch ihren Vater befreit, ausgerechnet, hat sie aus ihren ganzen Kindheits- und Jugenderinnerungen wirklich nichts gelernt? Gerüchte wie diese kann man doch hinterfragen, am besten die Ärztin offen darauf ansprechen, oder, wenn das die "gute Erziehung" verbietet, mit der Sprechstundenhilfe reden, selbst nachdenken, ob man je etwas davon bemerkt hat. Obwohl sie einen Teil des ungeheuerlichen Verhaltens ihres Vaters ihr gegenüber erkennt, geht sie brav vierzehn Tage später zu ihren Eltern zum Essen. Ich schüttle nur mehr den Kopf.
 

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Heute Morgen im Radio, NDR, ein Interview zum Thema mangelnde Anzubis und Nachfolger:innen in Handwerksberufen. Ein Tischler, Inhaber eines eigenen Betriebes, antwortet auf die Frage der Reporterin, ob er Kinder habe und ob eines davon den Betrieb übernehmen wird: "Ich habe zwei Töchter. Nein, ich die Nachfolge ist nicht geregelt." Er sagte definitiv nicht : Nein, ich habe zwei Töchter, sondern einfach Ich habe zwe Töchter. Auf Grund dieser aktuellen LR habe ich natürlich begonnen, über diese Aussage nachzudenken, heute, im Jahr 2022. Wäre ich die Autorin würde ich das natürlich sofort so auslegen, dass Töchter keine Option sind, einen Tischlereibetrieb zu übernehmen, weil es ja nur Mädchen sind. Doch im Jahr 2022 interpretiere ich das einfach so, dass die beiden Mädchen oder Frauen einfach andere, eigene Berufswünsche und Vorstellungen haben, so wie auch Söhne völlig andere Berufswünsche hätten haben können, und ich hoffe sehr, dass meine Interpretation auch zutrifft.
 

Literaturhexle

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Doch im Jahr 2022 interpretiere ich das einfach so, dass die beiden Mädchen oder Frauen einfach andere, eigene Berufswünsche und Vorstellungen haben,
Genau so würde ich es auch interpretieren. Eine Feministin aber vielleicht anders. Da wird das falsche Wort gesucht, das auf die "Misogynie" (das Wort kannte ich bis vor kurzem gar nicht) hinweist. Neue Zeiten, neue Sitten.
 

GAIA

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Ein bisschen zögerlich eröffne ich meinen Beitrag, nachdem ich eure Eindrücke gelesen habe.
Tatsächlich hat mich dieser Leseabschnitt bisher am meisten aufgewühlt. Und das nicht aus den Gründen, die oben beschrieben wurden, sondern weil tatsächlich die beschriebenen Geschehnisse und Entscheidungen von Laurence psychologisch sinnvoll hergeleitet werden können und selbst heute noch genauso passieren können. Die Tatsache, dass Laurance wieder in eine kindliche Unselbstständigkeit gerutscht ist, wird durch den erneuten Perspektivwechsel hin zur Perspektive des Anfangs bis sie drei Jahre alt war. Das finde ich weiterhin gut gemacht dieses gekonnte Wechseln der eingesetzten Perspektive.

Emotional aufgebracht hat mich die ganze Arztfehler-Vertuschungssache. Eben aus denselben Gründen wie schon genannt: Es ist heutzutage immer noch genauso möglich. Und ich weiß sowohl aus eigener Familiengeschichte sowie meiner aktuellen Arbeit, dass gerade Fehler männlicher Mediziner mitunter aktiv vertuscht werden, wohingegen weibliche Kolleginnen selbst schauen müssen, wie sie jetzt den Patient:innen erklären, was sie falschgemacht haben.

Ich habe mir auch in diesem Abschnitt wieder einige Stellen markieren können, die ich sehr prägnant fand. Vielleicht bin ich zu feministisch in meinen Einstellungen, um das Buch nicht zu mögen. Leider habe ich erst am Wochenende eine Lesebekannte von LB angesprochen, ob sie sich nicht bei whatchareadin mal umschauen will. Denn sie hat nicht nur u.a. Politik studiert sondern ist auch politische Feministin. Sie hätte gut in diese LR zu "Es ist ein Mädchen" gepasst, um zu diskutieren. Ich kann das in dem Falle nicht so faktenbasiert. Mir gefällt einfach das Buch, ganz subjektiv eben. ;)
 

ulrikerabe

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Ich findes es so ungeheuerlich, dass nur in einem Zweizeiler erwähnt wird, dass Laurence von ihrem Mann einmal so geohrfeigt wurde, dass sie eine Netzthautablösung hatte. Eh klar, gibt sie sich auch noch selbts die Schuld daran.

Und dass der Frauenarzt während der Untersuchung sexistisch gehässige obszöne Witze erzählt, unfassbar.
 

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Vielleicht bin ich zu feministisch in meinen Einstellungen
Ich denke, Feminismus im Sinne von Forderung nach Gleichstellung in allen Bereichen betrifft zwar eindeutig das Vertuschen der Ärztefehler männlicher Ärzte (Juristen usw.), aber gerade wenn man ein selbstbewusstes Frauenbild anstrebt, ist doch das Verhalten von Laurence hier, als erwachsene Frau, das Gegenteil davon. Sie hätte doch längst Zeit gehabt, sich von diesen Eltern, die ihr nicht guttun, nie wirklich gutgetan haben, zu lösen. Genau dieses "die Eltern ehren usw." stelle ich in Abrede, besonders nach so einer Kindheit. Als Kind hat sie sich in ihre Phantasien geflüchtet, konnte sich aber nicht wirklich wehren bzw. verweigern, doch als erwachsene, erfolgreiche Frau sehr wohl. Gerade deshalb hätte sie dieses Gerücht über ihre Ärztin, von Frau zu Frau, hinterfragen müssen.
 

ulrikerabe

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Emotional aufgebracht hat mich die ganze Arztfehler-Vertuschungssache.
Da bin ich ganz sicher, dass das auch heute noch genauso passieren könnte. Wenn die Behandlung de lege artis (nach den Regeln der Kunst) ausgeführt wurde, ist fast unmöglich den Arzt zur Verantwortung zu ziehen.
 

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Obwohl sie einen Teil des ungeheuerlichen Verhaltens ihres Vaters ihr gegenüber erkennt, geht sie brav vierzehn Tage später zu ihren Eltern zum Essen. Ich schüttle nur mehr den Kopf.
Abhängigkeitsstrukturen und starke Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit. Traurig, aber wahr...
 

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Sie hätte doch längst Zeit gehabt, sich von diesen Eltern, die ihr nicht guttun, nie wirklich gutgetan haben, zu lösen. Genau dieses "die Eltern ehren usw." stelle ich in Abrede, besonders nach so einer Kindheit. Als Kind hat sie sich in ihre Phantasien geflüchtet, konnte sich aber nicht wirklich wehren bzw. verweigern, doch als erwachsene, erfolgreiche Frau sehr wohl.
Man denkt oft, es wäre für einen Erwachsenen so einfach nicht nur zu begreifen, sondern auch die Konsequenzen zu ziehen. Ich glaube nicht, dass es sol leicht ist. Wir hatten das ja gerade in der anderen LR zu "Liebe ist gewaltig", dass es gerade in dysfunktionalen Familien oft schwer ist, sich zu lösen, während andere in funktionierenden Familien sich locker lösen können - allerdings im Bewusstsein, jederzeit wieder kommen zu können. Persönlich würde ich nie werten, was in solchen Situationen tun oder auch nicht. Im Zweifelsfall sind manche Dinge leichter gesagt, als getan. Meine Meinung.
 

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Ein erschütternder Abschnitt zu der inzwischen erwachsenen und in freudiger Erwartung eines Sohnes befindlichen Laurence. Ich weiß nicht, ob es den Ärztewechsel tatsächlich gebraucht hätte. Welche Funktion hat er für die Geschichte? Zu zeigen, der Mann ist böse und unfähig? Ärztefehler kommen ja immer wieder vor. Ich kenne keine Statistiken würde aber vermuten, dass Frauen da auch auftauchen und es nicht zwingend einen Gender Unterscheid gibt. Ich mag keine überzogenen feministischen Perspektiven...
Die Vertuschung des Ärztefehlers fand ich auch unglaublich!
Laurence nimmt leider so alles mit, was man abbekommen kann. Diese Überfrachtung ist es, die man am ehesten stört.
Tatsächlich lese ich das Buch, ähnlich wie Gaia, aber durchaus auch gerne - auch wenn es nicht vergleichbar ist mit "Liebe ist gewaltig" und von der Klasse jenes Werkes meilenwert entfernt ist.
 

GAIA

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ist doch das Verhalten von Laurence hier, als erwachsene Frau, das Gegenteil davon.
Ja, ganz genau! Ich meinte nicht, dass mir das Buch gefällt, weil Laurence plötzlich feministisch handelt, sondern weil es sehr sinnvoll hergeleitet und tatsächlich glaubhaft ist, dass sie weiterhin in den Strukturen, die sie verinnerlicht hat, größtenteils hängenbleibt!
 

GAIA

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Ich weiß nicht, ob es den Ärztewechsel tatsächlich gebraucht hätte. Welche Funktion hat er für die Geschichte? Zu zeigen, der Mann ist böse und unfähig? Ärztefehler kommen ja immer wieder vor. Ich kenne keine Statistiken würde aber vermuten, dass Frauen da auch auftauchen und es nicht zwingend einen Gender Unterscheid gibt. Ich mag keine überzogenen feministischen Perspektiven...
Für mich hatte er tatsächlich eine Funktion. Zum einen, dass auch mal dargestellt werden konnte, dass durchaus auch Jungs von ihren Vätern in bestimmte Lebenswege geschoben werden, sie schlecht abgrenzen können usw. Nur dass der Unterschied ist, wenn die Frau an den Herd gedrängt wird (um es mal sehr plakativ zusagen) kann nicht so viel schlimmes passieren. Wenn ein Mann in den Arztberuf gedrängt wird, den er nicht leiden kann und nicht gut darin ist, bekommt er a) automatisch eine gute Reputation und b) sind Fehler hier viel schwerwiegender und sie werden eher vertuscht. Natürlich machen Frauen auch Fehler, aber diese werden seltener vertuscht. Der Arztwechsel als solcher hat für mich die Funktion aufzuzeigen, dass es den Menschen im Roman einfacher fällt zu glauben, dass eine Ärztin nicht so zuverlässig ist, wie sie sein sollte. Laurence ist in einer Zeit aufgewachsen, in der es an der Tagesordnung war, dass schon „nur“ Hausfrauen Valium genommen haben und häufig auf Alkohol, um ihre „Pflichten“ erledigen zu können. Es gibt übrigens auf youtube noch alte Werbespots aus den 70ern (oder die Gegend) zu finden, in welchen sog. „Frauengold“ beworben wurde, grundsätzlich beruhigende Alkoholmischung. Das sollte laut Werbung die Frauen sogar im Bett gefügig machen! Und das kam im Fernsehen!

Tatsächlich lese ich das Buch, ähnlich wie Gaia, aber durchaus auch gerne - auch wenn es nicht vergleichbar ist mit "Liebe ist gewaltig" und von der Klasse jenes Werkes meilenwert entfernt ist.
Jetzt machst du das „Liebe ist gewaltig“ Buch für mich interessant, auch wenn ich vorher noch sagte, dass ich froh bin, die beiden nicht hintereinander lesen zu müssen. Es kommt auf meine gedankliche Wunschliste nach deinem Lob gerade. ;)
 

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Ich glaube nicht, dass es sol leicht ist.
Ich denke, das hängt davon ab, was man bereit ist zu ertragen und im Sinne der Familie schweigend oder auch streitend hinzunehmen. Wenn es aber einen so starken Eingriff in das eigene Leben bedeutet, wie hier, dann wäre es wohl an der Zeit gewesen, auf Distanz zu gehen.
 

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Genau so würde ich es auch interpretieren. Eine Feministin aber vielleicht anders.
Ich gehe einen Schritt weiter. Ich habe das Buch zu Ende gelesen und denke noch sehr darüber nach. Es ist für mich ein Versuch, eine persönliche Überlegung, ob es vielleicht einen traditionellen Feminismus gibt, der sich, wie ich, für gleichen Lohn für gleiche Arbeit, gleiche Chancen usw. einsetzt, aber nicht unbedingt in jedem Wort gendern will, weil ich nicht sehe, dass nur dieses * oder : oder der Luftschnapper im TV viel ändern wird, wenn nicht in den wichtigen, sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Punkten endlich entsprechend gehandelt wird. Und heute gibt es den modernen Feminismus, der überall genau auf die Diskriminierung achtet, sie in jeder Wortwahl findet. Ich hielt es nicht für so grußartig, in Wien plötzlich ein Frauenorchester zu haben, aber gejubelt, als es endlich auch Frauen im Orchester der Wiener Symphoniker gab, was nur durch sogenannten Blind Auditions möglich wurde. Das ist allerdings schon Jahre her, inzwischen zum Glück ein Normalzustand, auch wenn das bekannte Orchester inzwischen nicht Wiener Symphoniker:innen heißt, aber, wie gesagt, Taten halte ich für wichtiger, als Worte. Das sehen moderne Feministinnen sicher anders.
 

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Ich denke, das hängt davon ab, was man bereit ist zu ertragen und im Sinne der Familie schweigend oder auch streitend hinzunehmen. Wenn es aber einen so starken Eingriff in das eigene Leben bedeutet, wie hier, dann wäre es wohl an der Zeit gewesen, auf Distanz zu gehen.
Ich bin ganz anderer Ansicht. Aber lass uns darüber nicht weiter diskutieren. Sehr heikles Thema...
 
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Reaktionen: Literaturhexle

Wandablue

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Laurence nimmt leider so alles mit, was man abbekommen kann. Diese Überfrachtung ist es, die man am ehesten stört.
Musst du drüber hinwegsehen. Das ist Absicht. Es geht nicht um eine echte Schilderung eines Lebens, meines Erachtens, sondern um das Konglomerat weiblichen Lebens. Und in diesem Kapitel geht es um Verrat. (Des Vaters. ich hab gestern nacht heimlich geblättert, jetzt muss ich aber noch hinlesen wegs der Details). Aber ich glaube, er ist sich keiner Schuld bewusst. Und darum gehts!
 

Wandablue

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Man fragt sich ja oft, besondes in islamischen Familien, wie es kommt, dass gerade die Frauen (weil Mütter) mit daran beteiligt sind, den Söhnen eine Vorrechtsstellung einzuräumen. Aber auch hier im Buch wird deutlich, dass auch Laurence in die Falle ihrer Prägung geht: sie ist überglücklich, dass sie einen Jungen erwartet.

Vater und Ehemann: zum Kotzen.