3. Leseabschnitt: Teil DREI (Seite 181 bis 295)

luisa_loves-literature

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9. Januar 2022
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Ich bin sehr begeistert. Hier wird einfach eine Geschichte gut erzählt - dabei ist si weder spektakulär noch wahnsinnig aufregend. Dennoch versteht Gurnah zu fesseln, zu interessieren. Seinen Stil finde ich sehr zurückhaltend und elegant, ohne sich in künstlichen syntaktischen Kapriolen oder gewollt lyrischen Passagen zu überschlagen, gelingt es ihm doch eine für ihn typische Sprachmelodie zu erschaffen, die eingängig und irgendwie berauschend ist. Seine Sprache wirkt einfach, weil sie so klar verständlich ist - keinen Satz muss man zweimal lesen und man ist auch nach einer Pause immer sofort wieder im Bann der Geschichte gefangen.

In dieser Hinsicht erinnert er mich sehr an die großen Autoren vom Beginn des 20. Jahrhunderts, allen voran William Somerset Maugham, der daran glaubte, dass Leser beim ersten Lesen verstehen sollten, worum es geht (eigentlich für anspruchsvolle Literatur die allergrößte Herausforderung) und der sich für literarische Sprache einen "Wohlklang" wünschte. Bei Gurnah sehe ich genau diese Prinzipien umgesetzt und dennoch verbirgt sich in seinem Schreiben so viel mehr, wenn man tiefer gehen möchte (ähnlich wie bei E.M. Forster) - ich empfehle an dieser Stelle übrigens unbedingt beide Autoren für eine Klassiker-Leserunde :)

Inhaltlich finde ich den Roman ebenfalls äußerst elegant, weil Gurnah sich im Aufbau seiner Story verändert. Zu Beginn des Romans lieferte er neben sehr viel Kontext die gesamten Backstories und Hintergrundinformationen seiner Figuren, sodass man eigentlich alles über die Figuren wusste, bevor die eigentliche Handlung einsetzte. Bei Hamza dreht er dieses Vorgehen komplett um, wir lernen Hamza erst in seinem "Jetzt" kennen und wissen nichts über ihn, es geht uns ein wenig wie Khalifa und Afiya, die auch erst nach und nach etwas über seine Vergangenheit erfahren.

Nach wie vor lese ich den Roman auch unter der postkolonialen Prämisse und sehe in Hamza dann wieder die Figur, die die ehemaligen Kolonien spiegelt: erst versklavt, dann ausgeblutet und schließlich zu einem nach wie vor bevormundeten und abhängigen Dasein verdammt, in dem nur zögerlich der Wunsch nach vollkommener Freiheit erwächst.

Der Roman hat mich jetzt schon restlos und vollkommen überzeugt. Ich JUBEL einfach schon mal!
 

luisa_loves-literature

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9. Januar 2022
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IchDer Rest erscheint mir eher wenig "besonders".
Ich wage zu widersprechen!;)
Toll, wie vielschichtig Gurnah seine Figuren aufbaut. Ich finde seinen Stil wohltuend unsentimental.
Ja, das ist sensationell gut gemacht. Ganz sanft und recht subtil unterschiedliche Blickwinkel auf die Figuren, was dann auch beim Leser immer wieder dazuführt, dass man seinen Standpunkt überdenkt.
Allerdings wunderte ich mich über die frühe Intimität der beiden, wo doch so strikte Moralvorschriften herrschen.
Aber wie anmutig er die Intimität schildert, das war wirklich mal eine Wohltat. Es gibt also noch Romane, die das können....
Ich denke, man sollte nicht von einer "Fortsetzung" sprechen, wenn der Autor andere Namen benutzt hat.
Da dieser Roman so wunderbar für sich funktioniert, wäre das auch zu kurz gegriffen.
Ich bin nach wie vor sehr angetan von diesem Buch!
JA!!!!
In diesem Abschnitt bekommen die Hauptfiguren mehr Tiefe, keine wird einseitig betrachtet, bewertet oder gar veruteilt.
Auch sehr bemerkenswert, dass Gurnah das für mehrere Figuren gelingt und er trotzdem nicht aus der Balance gerät.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Seinen Stil finde ich sehr zurückhaltend und elegant, ohne sich in künstlichen syntaktischen Kapriolen oder gewollt lyrischen Passagen zu überschlagen, gelingt es ihm doch eine für ihn typische Sprachmelodie zu erschaffen, die eingängig und irgendwie berauschend ist. Seine Sprache wirkt einfach, weil sie so klar verständlich ist -
Manche vermissen hier eine anspruchsvollere Sprache, ich garnicht. Auch ich schätze Gurnahs Stil, klar, präzise , passend zum Thema. ( Mit Entsetzen erinnere ich mich an die schwülstige Sprache beim „ Schattenkönig“, in dem das Kriegsgeschehen im Stil antiker Dichtung beschrieben wurde.)
Es ist große Kunst, etwas leicht aussehen zu lassen.
William Somerset Maugham,
Du scheinst diesen Autor ebenfalls zu mögen. Ich habe beinahe alle seine Romane, sämtliche Erzählungen von ihm gelesen. Das liegt allerdings schon einige Jahrzehnte zurück.
Inhaltlich finde ich den Roman ebenfalls äußerst elegant, weil Gurnah sich im Aufbau seiner Story verändert. Zu Beginn des Romans lieferte er neben sehr viel Kontext die gesamten Backstories und Hintergrundinformationen seiner Figuren, sodass man eigentlich alles über die Figuren wusste, bevor die eigentliche Handlung einsetzte. Bei Hamza dreht er dieses Vorgehen komplett um, wir lernen Hamza erst in seinem "Jetzt" kennen und wissen nichts über ihn, es geht uns ein wenig wie Khalifa und Afiya, die auch erst nach und nach etwas über seine Vergangenheit erfahren.
Gut beobachtet. Dir fallen solche Details auf, über die ich eher hinweglese.
Aber wie anmutig er die Intimität schildert, das war wirklich mal eine Wohltat. Es gibt also noch Romane, die das können....
Ja, wunderbar. Auch das ist große Kunst.
Sexualität gehört selbstverständlich zu den Figuren, aber ich brauche nicht sämtliche Details.
 

luisa_loves-literature

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9. Januar 2022
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Es ist große Kunst, etwas leicht aussehen zu lassen.
So sehe ich das auch - das ist wahres Können.
Du scheinst diesen Autor ebenfalls zu mögen.
Er ist - neben E.M. Forster - mein absoluter Lieblingsautor. Ich liebe seine Leichtigkeit und Tiefe - und das ist kein Widerspruch :) Das wäre wirklich mal etwas für eine Klassikerrunde.
Ja, wunderbar. Auch das ist große Kunst.
Sexualität gehört selbstverständlich zu den Figuren, aber ich brauche nicht sämtliche Details.
Genau. Und ich finde es hier fast befreiend, dass es noch Texte ohne vulgäre Ausdrücke gibt, die trotzdem deutlich machen, was gemeint ist.
 

parden

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www.litterae-artesque.blogspot.de
Nach wie vor lese ich den Roman auch unter der postkolonialen Prämisse und sehe in Hamza dann wieder die Figur, die die ehemaligen Kolonien spiegelt: erst versklavt, dann ausgeblutet und schließlich zu einem nach wie vor bevormundeten und abhängigen Dasein verdammt, in dem nur zögerlich der Wunsch nach vollkommener Freiheit erwächst.
Diese Bedeutungsebene hätte ich ohne deine Hinweise nicht erkannt, aber so dargestellt klingt es absolut nachvollziehbar.
 

parden

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Bei diesem Roman zeigt sich einmal mehr, wie bereichernd es sein kann, ihn im Rahmen einer Leserunde zu lesen. Immer wieder gibt es Aspekte, die ich nicht beachtet hätte, Interpretationsanszätze, auf die ich nicht gekommen wäre, Bedeutungsebenen, die an mir vorbeigegangen wären. Ich finde das mindestens so interessant wie die Lektüre selbst. Spannend finde ich auch, wie unterschiedlich der Roman bei den Leser:innen ankommt. Mir gefällt er weiterhin, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dass (oder wie) er auf ein spezifisches Ende hin zusteuert. Aber die Figuren gewinnen zunehmend an Kontur, und Hamza entwickelt sich offenbar weiter und scheint seinen Platz gefunden zu haben. Die hier bereits benannte Vielschichtigkeit in der Darstellung der Charaktere gefällt mir ebenfalls ausnehmend gut.
 
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milkysilvermoon

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Ich komme mit dem Roman immer noch nur langsam voran, wobei mich dieser Abschnitt am meisten überzeugt hat bisher. Allmählich habe ich das Gefühl, den Personen nahe zu kommen.

Allerdings ist mir die Geschichte ein wenig zu unruhig. Etwas weniger Personal, etwas weniger Dramatik fände ich gut.
 
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milkysilvermoon

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Ich denke, man sollte nicht von einer "Fortsetzung" sprechen, wenn der Autor andere Namen benutzt hat. Es sind zwei Romane, die inhaltlich vielleicht aneinander anknüpfen, aber andere Figuren haben. Dadurch steht doch jeder Roman für sich selbst und kann das auch gut.

Ich bin jetzt ein wenig verwirrt, was den Zusammenhang oder Nicht-Zusammenhang beider Bücher angeht. :rofl

Lohnt sich das „Paradies“ denn?