3. Leseabschnitt: Teil 3 (S. 179 bis S. 266) - Calcutta

Renie

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Und schon sind wir in Calcutta. Der Aufenthalt in Calcutta und die damit verbundenen Annehmlichkeiten hat herzlich wenig mit Indien zu tun. Hier steht der Kolonialisten-Alltag im Vordergrund. Die Briten lassen es sich gutgehen und die Schlagintweits ebenso und wollen mit der gehobenen Gesellschaft mithalten. Sie lassen es sich sogar nicht nehmen, Bartholomäus wie ein besonders schönes Haustier zu präsentieren und mit ihm anzugeben.Die Szene auf dem Empfang war schon sehr übel. Und in seiner Naivität braucht Bartholomäus erst mal eine gewisse Zeit, um das Schauspiel zu begreifen.

In diesem Abschnitt taucht Eleazar auf. Die Handlung schlägt auf einmal eine neue Richtung ein. Plötzlich sind wir in einem Spionageroman. Auch nicht schlecht. Eleazar scheint sein Handwerk zu verstehen. Er beherrscht die manipulativen Kniffe der Spionage par excellence. Und rennt damit bei Bartholomäus offene Tore ein. Ein Erwachsener wäre kaum in der Lage, einem Eleazar die Stirn zu bieten. Und ein Kind erst recht nicht.
Ich verstehe allerdings noch nicht ganz, warum Eleazar Bartholomäus den Ausflug in die Opiumhöhle verschafft.Will er ihm den Einfluss von Vater Fuchs entziehen, in dem er diesen als nicht ganz so guten Menschen darstellt?
 

Wandablue

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Eleasar - war der Name eines jüdischen Widerstandskämpfers und Anführers. Man muss sich also nicht wundern, dass Eleasar nicht die freundliche, lächelnde Maske ist - die er den Ferengi präsentiert.

Es ist erstaunlich, wie tief die Menschenkenntnis von B. geht. Schon gleich zu Anfang erkennt er, dass er nicht dem "wirklichen Eleasar" gegenübersteht, wenngleich er noch eine Weile braucht, um ihn richtig zu erkennen.

Das Erkennen der einzelnen Menschen ist sowie so eines seiner Themen. Das ist ein generelles Thema. Wie oft glaubt man, was man eben gerne glauben will und sieht nicht bis auf den Grund. Bartholomäus aber lernt auf den Grund zu sehen.

Eleasar will dem Jungen eine echte Chance geben, sich zu entscheiden. Darum entlarvt er so viele Illusionen (und Lügen) wie möglich. Und darum zeigt er Bartholomäus auch, wer (und wie) die Menschen eigentlich sind. Allerdings ist niemand objektiv. Auch Eleasar nicht.

Der verbale Schlagabtausch mit dem Schneider ist einer der humorvollen Glanzpunkte des Romans. Hier zeigt sich auch die Zerrissenheit der Inder selber, einerseits Hass auf die Besetzer, andererseits selber in Hautfarbe-Denken verhaftet. So weiß wie möglich. Jede Schattierung dunkler bedeutet Prestigeverlust. Nach oben buckeln (aber heimlich verachten), nach unten treten. So sieht es oft in besetzten Gebieten aus.

Ganz nebenbei serviert uns der Autor Grundwissen über den Imperialismus in Indien: Die unverschämte Doctrine of Lapse. Duke Wellington. Wer Generalgouverneur ist, etc. und nicht zu guter Letzt Informationen über die Schlagintweits.

Wie Kloeble den Kampf mit der Wut in B. darstellt, ist erste Sahne. Sie kann dir nichts tun, wenn du sie nicht lässt. Durchaus ein Satz, den wir mitnehmen dürfen.

Mein Lieblingssatz (unter anderem, es gibt so viele). Enttäuschung lässt sich schwer aus dem Herzen kratzen.

Inhaltlich wird es jetzt auch noch spannend. Ein Gewissenskonflikt, ein Mord. Sozusagen einer, der nicht zu vermeiden war. Ich verstehe Eleasar diesbezüglich ganz gut. Wenn man für etwas kämpft, gerät man oft in einen Zwiespalt und muss evtl auch harte Entscheidungen treffen. Der Autor stellt diese Thematik völlig nebenbei in den Raum! Chapeau!

Die Figur des Jungen hat der Autor sehr klug gewählt: er kann alles machen durch ihn, lachen, weinen lassen, kritisieren, nachdenken, Infos weitergeben, ohne dass es aufgesetzt wirkt. Weise Worte einfließen lassen. Ich muss schauen, was K. sonst noch so geschrieben hat, ist mein erstes Buch von ihm.
 

Anjuta

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Spionage ist ein wichtiges Motiv in diesem Roman. Wo genau sind die Spione? Eleazar mag einer sein, aber nicht auch die Schlagintweits? Zu welchem Zweck bereisen sie Indien? Sind es wissenschaftliche Zwecke? Zwecke des persönlichen Aufstiegs/Ansehens? Politische? Kolonisatorische? Es ist eine Mixtur von Motiven, die für mich durchaus verwischen mit Spionage oder so etwas Ähnlichem.
 
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Renie

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ie Kloeble den Kampf mit der Wut in B. darstellt, ist erste Sahne. Sie kann dir nichts tun, wenn du sie nicht lässt. Durchaus ein Satz, den wir mitnehmen dürfen.

Mein Lieblingssatz (unter anderem, es gibt so viele). Enttäuschung lässt sich schwer aus dem Herzen kratzen.
Der Roman ist gespickt mit "Lieblingssätzen". Ich ertappe mich dabei, sehr sorgfältig zu lesen, damit mir ja kein Satz durch die Lappen geht, bzw. ich den tieferen Sinn eines Satzes nicht verpasse. Die Klebemarker in meinem Buch sind mittlerweile nicht mehr zu zählen. Mein Buch hat dadurch bestimmt an Gewicht zugelegt.:D
 

Renie

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ist mein erstes Buch von ihm.
geht mir genauso.
In diesem Buch habe ich Hochachtung vor seiner Fähigkeit, sich in die Denkweise eines 13-Jährigen hineinzuversetzen. Erschwerend kommt noch der fremde Kulturkreis hinzu, aus dem dieser 13-Jährige kommt. Das bringt Christoph Kloeble hervorragend rüber. Man nimmt es ihm ab.
 

Anjuta

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Aber Spione? Das haben sie doch gar nicht nötig. Die Dingsdacompany hat doch eh die Macht und alle Fäden in der Hand.
Letztlich spionieren sie aus, was es noch alles für die Briten bzw die East India Company zu holen gibt in diesem unerforschten Land. Zwischenzeitlich vermessen sie dann noch Schädel, um zu dokumentieren, wie minderwertig die Einheimischen sind. Das mag man Forschung nennen, oder auch einen böswilligeren Ausdruck dafür finden.
 
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Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihm diese Sichtweise abkaufe, mussich sagen. Oder haben wir es hier mit einer Erwachsenensicht zu tun, die nur in ein Kind hineinprojiziert wird???

Natürlich. Es erzählt hier der Autor. Zu großen Teilen hören wir seine Ansicht. Aber das macht doch gar nichts. Ausserdem darf man ruhig das hässliche Wort "Rassisten" verwenden.
 
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Ich kann mich eurer begeisterten Meinung über das Buch bisher nur anschließen. Die Story hat Witz, Charme, Kritik - Leserherz, was willst du mehr? :cool:
 
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Ganz nebenbei serviert uns der Autor Grundwissen über den Imperialismus in Indien: Die unverschämte Doctrine of Lapse. Duke Wellington. Wer Generalgouverneur ist, etc. und nicht zu guter Letzt Informationen über die Schlagintweits.
Überhaupt finde ich, dass es ein sehr gutes Buch zum Thema Imperialismus ist. Ein bisher für mich eher "untergeordnetes" Thema, welches aber durchaus ausbaufähig ist!
 

Renie

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Aber Spione? Das haben sie doch gar nicht nötig. Die Dingsdacompany hat doch eh die Macht und alle Fäden in der Hand.
Ich denke an Deutschland. Auch Deutschland war als Kolonialmacht unterwegs. Bis über Afrika sind sie jedoch nicht hinausgekommen. Da haben andere Kontinente mit Sicherheit einen großen Reiz ausgeübt.
 
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Ich finde den neuen Handlungsstrang um Eleazar und seinen Versuch, Bartholomäus zum Ausspionieren der Brüder zu bewegen, auch sehr spannend. Ein reiner Reiseroman wäre auf die Dauer vllt. doch etwas langatmig geworden. Der Autor versteht es auch gut, Bartholomäus Zerrissenheit zu zeigen. Einerseits versteht B ja nach und nach, aus welchen Gründen E handelt, er will aber die Brüder (die für ihn zum Teil die Rolle von Vater Fuchs übernommen haben) nicht verraten.

Dass H sterben musste, weil er E verraten wollte, fand ich traurig. Wenigstens ist ihm sein Wunsch, nicht beerdigt oder verbrannt zu werden, erfüllt worden.

Smitabens Geschichte fand ich erschütternd. Sie hatte also eine „guten Mann“, weil alle das so gesagt haben und er sie mit der heißen Pfanne nicht ins Gesicht geschlagen hat. Am Ende wird sie dafür verstoßen und durch Vater Fuchs gerettet. An Kritik an der indischen Lebensweise und der Einstellung ggü. Frauen läßt es der Autor also auch nicht fehlen. Schön ausgewogen. Mir gefällts.
 

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Ich fand die Geschichte von Smitaben und die Szene im Gefängnis ziemlich grausig; da musste ich schon schlucken. Auch wie "kaltblütig" mit Hormazd´s Leichnam umgegangen wurde - schrecklich :eek:...
Ich fand das gar nicht so kaltblütig. H als Parsi wollte auf keinen Fall beerdigt oder verbrannt werden. Seine Leiche dem Fluss zu übergeben, ist da doch gar nicht so schlecht.

Gruseliger finde ich die Vorstellung, dass die Leichen der Parsi in Bombay an einen besonderen Platz gebracht werden, damit sie von den Vögeln abgenagt werden können. Aber so unterschiedlich sind die Sitten halt.
 

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Eleasar - war der Name eines jüdischen Widerstandskämpfers und Anführers. Man muss sich also nicht wundern, dass Eleasar nicht die freundliche, lächelnde Maske ist - die er den Ferengi präsentiert.
Danke, das wußte ich nicht und es passt hier gut. Ich frage mich, warum E einen jüdischen Namen hat. Juden waren an der Kolonisierung Indiens doch nicht beteiligt, oder? Warum sollten Christen einem Indier einen jüdischen Namen geben oder warum sollten Indier ihrem indischen Kind einen jüdischen Namen geben?
 
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Wandablue

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Danke, das wußte ich nicht und es passt hier gut. Ich frage mich, warum E einen jüdischen Namen hat. Juden waren an der Kolonisierung Indiens doch nicht beteiligt, oder? Warum sollten Christen einem Indier einen jüdischen Namen geben oder warum sollten Indier ihrem indischen Kind einen jüdischen Namen geben?

Den Namen hat er angenommen. Wie wir unsere MR=1975 z.B. ;-).