3. Leseabschnitt: Teil 2 (ab Seite 183 bis S. 292)

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.406
23.956
49
66
Wenn die Frauen das Symbol für das Land sind, dann werden sie von den Indern, Briten usw. ausgenutzt und dann im Stich gelassen und müssen sehen, wie sie in der Zukunft zurechtkommen.
Dann ist auch klar, warum Gurnah seinen Frauen eine große innere Stärke mitgibt. Und sie zerbrechen auch keineswegs daran, dass die Männer sie zurücklassen.
 

Federfee

Bekanntes Mitglied
13. Januar 2023
1.995
8.240
49
Das Haus kann man z.B. als Symbol für das zerfallende Empire, den Rest der britischen Herrschaft sehen, die ja kurz vor ihrem Ende steht.
Ich habe mich auch gefragt, ob das Haus eine Bedeutung mehr als solches hat (der LitProf sagt 'Ja') und glaube das inzwischen auch. Warum sollte er es sonst so ausführlich beschreiben?
 

luisa_loves-literature

Aktives Mitglied
9. Januar 2022
836
3.350
44
Chapeau für die Tiefe deines Verständnisses! Immer wieder ein Gewinn.
Vielen Dank, das freut mich sehr!
Warum sollte er es sonst so ausführlich beschreiben?
Genau. Immer, wenn es in Romanen eines gewissen Anspruchs ausufernde Beschreibungen gibt, sollte man aufmerken oder auch wenn ein Element immer wieder auftaucht. Oder auch, wenn etwas gerade nicht erwähnt wird oder etwas ausgespart wird...

Konkret in diesem Abschnitt ist dies auch der Fall, wenn Amin an den Häusern der Engländer vorbeigeht, die er aber nie gesehen hat. Er sieht immer nur den Gärtner. Das ist eine nicht ganz so verdeckte Anspielung darauf, dass die Briten die Geschicke des Landes immer noch leiten, die Fäden quasi unsichtbar in der Hand halten. Gärten und Gärtner sind in postkolonialer Literatur ganz häufig ein Symbol für die Kolonie.

Als Beispiel noch dazu: in Andrea Levys "Eine englische Art von Glück", in der es um die Freundschaft der Jamaikanerin Hortense und der Britin Queenie geht, sind die Namen daher auch ganz bewusst gewählt. Queenie ist die Königin, Hortense (hortus) ist der Garten... :smileeye Jetzt lasse ich mich gerade wieder von meiner Begeisterung für postkoloniale Literatur hinweg treiben und mitreißen!

Buchinformationen und Rezensionen zu Eine englische Art von Glück von Andrea Levy
Kaufen >

im der zweiten Hälfte empfand ich Längen.
Die Längen habe ich auch so empfunden. Ich konnte in den zweiten Teil nicht ganz so eintauchen, wie es beim ersten Teil der Fall war. Die Ausbildungsgeschichten der Kinder waren zwar nicht uninteressant, aber mir doch etwas zu detailliert und ausufernd. In den Ausbildungswegen der Kinder bearbeitet Gurnah zwar auch die unterschiedlichen, typischen Entwicklungen von Kolonien und Kolonisierten (ich denke Rashid wird den typischen Weg der Mimikry oder Hybridität gehen), aber in ihrer Kleinteiligkeit war mir das mitunter auch zu viel.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.250
49.167
49
Gärten und Gärtner sind in postkolonialer Literatur ganz häufig ein Symbol für die Kolonie.
Sehr wissenswert :joy
Jetzt lasse ich mich gerade wieder von meiner Begeisterung für postkoloniale Literatur hinweg treiben und mitreißen!
Ja, ja! Mach nur weiter so! Hier gibt es genug Leserinnen, die sich an deiner Expertise erfreuen. Hab keine Scheu!
aber in ihrer Kleinteiligkeit war mir das mitunter auch zu viel.
Das tröstet mich, dass zumindest nicht überall etwas versteckt war;)
 

Federfee

Bekanntes Mitglied
13. Januar 2023
1.995
8.240
49
Ja, ja! Mach nur weiter so! Hier gibt es genug Leserinnen, die sich an deiner Expertise erfreuen. Hab keine Scheu!
Oh ja, bitte weiter so, ich habe gleich wieder was gelernt, was versteckte Bedeutungen angeht. Das ist auf weitere Bücher übertragbar und hilft sehr, mehr zu verstehen und dementsprechend auch zu genießen.
 

alasca

Bekanntes Mitglied
13. Juni 2022
2.972
9.423
49

luisa_loves-literature

Aktives Mitglied
9. Januar 2022
836
3.350
44
Oh ja, bitte weiter so, ich habe gleich wieder was gelernt, was versteckte Bedeutungen angeht. Das ist auf weitere Bücher übertragbar und hilft sehr, mehr zu verstehen und dementsprechend auch zu genießen.
Hier gibt es genug Leserinnen, die sich an deiner Expertise erfreuen. Hab keine Scheu!
:joy:smileeye
Krass! Das hab ich auf meinem SUB liegen, seit Jaaaaahren. Wurde mir geschenkt mit dem Urteil, es sei nicht so dolle.

Es kommt darauf an...der Roman wird an den Unis sehr gerne im Rahmen postkolonialer Literatur besprochen. Er ist sehr aufschlussreich, wenn es um die Windrush-Generation geht, also die ersten Jamaikaner, die sich nach dem Krieg in GB niederließen, und schenkt einen Blick auf das Nachkriegs-Großbritannien, wie man ihn nur selten bekommt. Es geht vor allem um die hohen Erwartungen, die die Jamaikaner, denen in Kolonialzeiten vorgegaukelt wurde, England sei das treusorgende Mutterland und sie seien ihm so wichtig, an ihre neue Heimat haben und die dann durch Rassismus, Ablehnung und Vorurteile einen schmerzhaften Aufprall in der Realität erfahren. In England ist der Roman so ein Hit gewesen, dass man ihn als Mehrteiler mit Benedict Cumberbatch in einer der Hauptrollen verfilmt hat. Es ist in gewisser Weise wieder das "Problem", dass der Roman auch sehr unterhaltend und hoch lesbar ist und man genauer hinschauen muss, um den Anspruch unter der Oberfläche zu entdecken. Hinzu kommt, dass er einen gewissen Kontext erfordert (also das Windrush-Wissen), der den Briten sehr präsent ist, in Deutschland aber völlig unbekannt. Lohnenswert und auch literaturwissenschaftlich untersucht ist er auf jeden Fall, ich mag ihn (und auch die Verfilmung) sehr gern und hoffe er wandert auf den SuB-Stapeln nach oben!
 

dracoma

Bekanntes Mitglied
16. September 2022
1.514
5.775
49
Hier haben mich die nächtlichen Runden zunehmend gelangweilt. Mir hätte der Satz "Er lief 2 Stunden die unterschiedlichsten Strecken, um seinen Weg zu verschleiern" gereicht
:smileeye
Mir nicht, ich lese diese Wegbeschreibungen richtig gerne!
Aus zwei Gründen:
Einmal gehe ich in Gedanken mit und sehe das, was Amin sieht, und daher weiß ich auch, wie es in seinem Kopf bzw. Herz ausschaut. Er ist unruhig, er ist ein Liebes-Getriebener!
Und mein zweiter Grund hängt eng damit zusammen. Amin erinnert mich an einen Hund, den wir früher hatten. Der drehte einige Male seine Runden um sein Körbchen, bis er sich endlich hineinlegte. Und genau so kommt mir Amin vor.
Er wandert um das Haus seiner Angebeteten herum und traut sich noch nicht ins Körbchen.
 

dracoma

Bekanntes Mitglied
16. September 2022
1.514
5.775
49
Das Haus kann man z.B. als Symbol für das zerfallende Empire, den Rest der britischen Herrschaft sehen, die ja kurz vor ihrem Ende steht.
Das sehe ich auch so. Seine ausführliche Beschreibung geht über das hinaus, was man Lokalkolorit nennt.

Mir ist ein anderes Bild aus den vorigen Kapiteln lange im Kopf herumgegangen. Pearce und Frederick machen einen Ausflug zu dem Grabmal und erkennen die kulturelle Vergangenheit des Volkes, dem sie nun die vermeintlichen Segnungen der Zivilsation bringen. Pearce setzt sich auf das Grabmal, eine Art Gotteslästerung, und prompt wird er gebissen - und von den schmerzhaften Folgen des Bisses befreit ihn die Heilkunst des Kochs, einer dieser "Unzivilisierten".
Dieses Bild kann man mehrfach auflösen. Es ist nicht nur das Aufeinandertreffen zweier Kulturen, von Vergangenheit und Gegenwart, sondern das Bild steht auch in einem weiten Sinn für das Miteinander der Menschen in diesem Land.
 

Sassenach123

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2015
4.294
10.424
49
49
Ich mag die Art des Autors unheimlich gerne. Er lässt nebenbei unheimlich viel wissenswertes einfließen. Natürlich kenne ich die Eckdaten der historischen Ereignisse, aber solche Informationen wie, dass es schon als ausreichend galt, wenn die Frauen ihren Namen und ihr Geburtsdatum schreiben und lesen können, war mir neu.
Die Handlung um Amin und seine Geschwister stand für mich lange alleine da, bis dann relativ unspektakulär die Verwandschaftsverhältnisse von Hamila näher erläu werden, und schwups hat meine Verbindung zur ersten Geschichte.
Wenn Gurnah die Gefühle der jungen Menschen beschreibt, wie heimlich sie alles machen müssen, die Blicke, die nur ganz dezent sein dürfen usw wird mir immer wieder klar wie anders das Leben zu der Zeit und diesem Land war im Vergleich mit Deutschland. Auch das Fasten stellt ja eine enorme Herausforderung dar und ist nicht im entferntesten mit der Fastenzeit wie wir sie kennen zu vergleichen. Ich glaube nicht, dass ich diese Disziplin aufbringen könnte
 

Lesehorizont

Bekanntes Mitglied
29. März 2022
2.536
9.574
49
53
Mainz
Nachdem ich den Roman etwas pasiert habe, las ich heute weiter und habe den dritten Abschnitt nun beendet. Hier geht es um die 3 Geschwister, Amin, Rashid und Farida. Es geht um ihre Eriziehung, Stellung in der Familie und insbesondere auch um Bildung. Ich habe mich etwas gewundert, dass im Kontext von Bildung deren Stellenwert in der kolonialisierten Welt nicht vertieft wurde.
Interessant fand ich auch die Anäherungsgeschichte zwischen Amin und Jamila. Die Beiden halten ihre Beziehung geheim, aber wir erfahren am Ende, dass dies nicht gelint. Wird es Konsequenzen haben, und wenn ja, welche?
Ich werde nun am Ball bleiben und den vierten und letzten Abschnitt gleich hinterher lesen.
 

Lesehorizont

Bekanntes Mitglied
29. März 2022
2.536
9.574
49
53
Mainz
Der Roman Nachleben hat mich inhaltlich stärker interessiert. Nach wie vor ist Gurnah ein bemerkenswerter Erzähler, aber diese Story packt mich nicht gleichermaßen. Ich habe es auch nicht so mit Liebesgeschichten.
Mir geht es genauso. Nach "Nachleben" habe ich hier einen weiteren recht kritischen (post)kolonialen Roman erwartet. Das spielt zwar mit rein, aber eher am Rande dieses Mal. Schade!