Nun bin ich doch einigermaßen überrascht, wo mich der letzte LA hingetragen hat. Es hat mich gefreut, dass man diesen skurrilen Filemon hinter sich lassen konnte. Das Mädchen hat ihn offenbar aber völlig anders wahrgenommen als ich: Während ich den Kinderhasser gesehen habe, der Verwirrliches über Gott und die Welt von sich gibt, hat er Leena fasziniert und nachhaltig positiv beeindruckt, wie sie auch ihrem Onkel in berührenden Worten schreibt.
Und keinen Filemon, der etwas seltsam und etwas betrunken war, aber ansonsten ziemlich nett und lustig. S. 98
Das einsame Mädchen hat in der Kirche mit Elisabet einen Ort des Verständnisses und den Zauber der Musik gefunden. Die Großmutter will davon nichts hören. Die Kirche ist römisch-katholisch, der Ort wird ihr verboten. Konfessionelle Unterschiede kamen zu jener Zeit nicht nur in Finnland tiefen Gräben gleich.
Die Großmutter ist mit diesem fantasievollen, verträumten Kind heillos überfordert. Zumal ihr selbst die Lebensfreude längst abhanden gekommen ist. Ihr Mann erhängte sich. Vielleicht ist es auch sein Erbe, das Leena zu schaffen macht?
Die Gedanken des Mädchens schwanken in diesem LA hin und her. Sie haben nur manchmal etwas mit der Realität zu tun. Zum Beispiel, als Leena sich vornimmt, besser auf die Oma zu achten, damit sie noch lange lebt. Oder der Besuch der nächtlichen Schule, als die Lehrerin sie versetzt. Immer wieder wird Leena von ihrer Traumwelt übermannt, in der sich Fragmente aus Worten und Bildern wiederfinden, die sie erlebt/gehört hat.
Es gibt zahlreiche Bilder, die mich wieder an den poetisch-traurigen Anfang erinnern. Insofern schließt sich für mich der Kreis. Bilder der Hoffnung wechseln mit Bildern der Verlorenheit. Nach wie vor möchte Leena die Flucht ergreifen. Die Schule ist ein Ort des Schreckens und der Demütigung für sie. Leider bleibt auch der Onkel blass, wir sehen ihn nur durch sein Geschenk, den lilafarbenen Regenschirm, das ihr Flügel verleihen soll.
Die folgenden Tage erlebte Leena wie im Traum. S.111
Das kann ich nur bestätigen. Der Boden zur Realität wird immer dünner. Die aufsteigenden Bilder sind jedoch mitunter wunderschön formuliert, wenn auch die Stimmung zunehmend ins Melancholische gleitet. Bsp.:
Die Welt ist wieder groß und schön, diese violette Welt. Wie eine gigantische, aus einem Traum hervorgesprossene Blume schimmert sie über ihr, schwankt in dem Asphaltspiegel unter ihr, sie klingt und singt und schimmert. 115
Leenas Stimmungen wechseln hin und her. Das Ganze wird flankiert von ihrem Irrlauf durch die Stadt.
Nur Träume sind wahr, Menschen nicht. Nur der Traum ist wahr, und alles andere grau. 120
Die Einsamkeit dieses Mädchens wird körperlich spürbar. Den Traum vom Verirren kann ich gut nachvollziehen. Diese Panikträume kenne ich - lang ist´s her. Das Ende, der tragische Tod im Wasser, war im Grunde vorherzusehen. Die poetisch erhobenen Motive Wasser, Musik, Flügel waren in diesem Teil omnipräsent. Ein "schwieriges" Mädchen wie Leena hat es in dieser kalten Realität schwer, in der man funktionieren muss, Verbündete fehlen ihr. Bitter, dass die Kirche gerade an dem Tag geschlossen ist, als sie ein offenes Ohr gebraucht hätte.
Die finnische Literatur unterscheidet sich von der mitteleuropäischen. Ihr wohnt wesentlich mehr Melancholie und Schwere inne (habe ich in einem VHS Literaturkreis gelernt), auch gibt es dort viel mehr schreibende Menschen. Der Ausgang des Romans erinnert mich erneut an "Die Vögel" oder "Das Eisschloss" von Tarjei Vesaas.
Mich hat dieser 3. LA in Summe wieder erreicht. Jetzt lese ich mal eure Kommentare.