3. Leseabschnitt: Seite 91 bis 138

Wandablue

Bekanntes Mitglied
18. September 2019
9.381
21.192
49
Brandenburg
Ich lese das Ganze inzwischen wie die Yellow Press aus der Belle Epoque. Mir gefällt es recht gut, das einzige, was mich bisschen nervt, sin die Bildbeschreibungen. Ich finde die sehr langweilig. Was allerdings daran liegt, dass ich sie noch nie mochte.

Jetzt weiß ich auch, was es mit "den Bildchen" auf sich hat. Sehr witzig. Ihnen haben wir es u.a. zu verdanken, dass wir wissen, wie die Herrschaften aussahen. Woher haben Sie diese, Herr Barnes?

In die Porträtmalerei wurde richtig investiert und Whistler war so eine Art "Hofmaler", nur halt nicht für Könige, sondern für die Dandygesellschaft.
Trotzdem kann ich die Begeisterung für die Porträts gar nicht teilen, ich finde die meisten Porträts so langweilig wie ihre Beschreibungen. Geschmackssache.

Jedenfalls war der Graf M. sehr angesagt!

Besser gefällt mir wie der Prinz P. ein Mäzen war von Musikern und Literaten. Well done.

Dass Parfüms und Gerüche so wichtig waren, wusste ich nicht.

Am besten gefallen hat mir die Passage über den Elfenbeinturm.

Der Mann im roten Mantel entpuppt sich als Yellow Press des Fin Siècle. Faszinierend, weil wir zeitlich weit weg sind. Aber eigentlich sind es ja nur ein paar pikante Details über abgedrehte Leute. Die "echten Menschen" tauchen in dem Roman kaum auf.

Misogyne Mistgesellschaft. Moralisch halte ich von keinem was.
 

Wandablue

Bekanntes Mitglied
18. September 2019
9.381
21.192
49
Brandenburg
Also schafft er ganz konsequent gleich keine, denn nichts ist dieses Buch doch weniger als eine Biografie Pozzis!
Haha. Stimmt. Doch die obige Abstraktion gefällt mir sehr. Man bildet sich nach dem Lesen einer guten (und ausführlichen) Biographie, z.B. Zweigs "Die Gefahren der Ehe" (Elisabeth von England) oder "Bildnis eines mittleren Chrakters" (Marie Antoinette) - gerne ein, man kenne nun diese Person und vergißt, dass das Buch wie ein Bildnis eine Momentaufnahme ist.
Zu den Gemälden sagt Barnes so in etwas dasselbe.

Was man damals schon als erotisch angesehen hat! Ich empfinde das Gemälde (S. 124) als ansprechend- aber erotisch?
Darüber habe ich auch gestaunt! Die People würden in Ohnmacht fallen, wenn sie an unseren Kiosken vorbeigingen.

Das Buch ist kein Roman, kein Sachbuch

Yellowpress des Fin Siècle. und in diesem LA-Abschnitt, liebe Hexe, zeigt sich Barnes als Intellektueller, weil er beurteilt und nicht nur zusammenschreibt, was er alles weiß.

Ja, das tut er. Barnes zieht wunderhübsche Kreise.

Ob sie Schwulsein auch auslebten?
Der Autor weiß es nicht. Sagt er. Ich denke aber schon.
 
Zuletzt bearbeitet:

Wandablue

Bekanntes Mitglied
18. September 2019
9.381
21.192
49
Brandenburg
Joseph Lister hat seine Schwester auf dem eigenen Esstisch operiert,
Hat sie überlebt?
Der arme Junge, der tat mir ja dann doch leid. Der mit dem Bauchschuss. Obwohl ich am Anfang dachte, selber schuld, was musst du mit 16 Jahren mit Pistolen herumspielen.

Dass er mit vielen Patientinnen auch noch ins Bett ging, ist ein absolutes No-Go.
Ein Don Juan. Und gleichzeitig wie Casanova.

Aber eingebettet in ein Bouquet des Fin de Siècle (um mal ganz dreist von meinem neu Erlernten Gebrauch zu machen).
Hahaha. Genau. Exaktemente.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.250
49.168
49
Yellowpress des Fin Siècle. und in diesem LA-Abschnitt, liebe Hexe, zeigt sich Barnes als Intellektueller, weil er beurteilt und nicht nur zusammenschreibt, was er alles weiß.
Okay. Als ich die Stelle kommentierte, war ich schon weiter und mein Gesamteindruck ist schon, dass er mit seinen "Ich-Botschaften" schon eine Wertung und Führung des Lesers vornimmt. Selbst der Zusatz "Wir wissen es nicht" (der nebenbei das Zeug zum running gag hat) drückt eine Abschwächung des zuvor Gesagten aus. Für mich ist er ein Intellektueller im guten Sinn.
 

Xirxe

Bekanntes Mitglied
19. Februar 2017
1.629
3.496
49
Wenn man sich die Löchrigkeit von Beginn an klar macht, ist das vielleicht nicht mehr so wichtig.
Naja, Löchrigkeit ist das schon nicht mehr. Eher ein riesiges Loch mit kleinen Flicken dazwischen ;) Pozzi finde ich mittlerweile so interessant, dass ich mir wohl seine 'richtige' Biographie mal anschauen werde, da ich befürchte, allzu viel werde ich in diesem Buch auch weiterhin nicht erfahren.
Lesben sind willkommener als (skandalfreie) Schwule. Homosexualität ist zwar nicht verboten, bringt aber Gefahren mit sich, in Scmutz und Elend zu landen.
In einer männerdominierten Gesellschaft ist das logisch, in der die meisten Männer hetero sind. Erstens sind Frauen schön anzuschauen und zweitens sind viele Männer (noch immer) davon überzeugt, dass Lesben nur noch nicht den richtigen getroffen hätten. Hinzu kommt, dass die meisten Männer immer Angst haben (auch wenn sie es nicht zugeben), von Homosexuellen angebaggert zu werden. Was sollen dann bloß die Anderen denken ;)?
Mir gefallen besonders Barnes rhetorische Fragen, in denen er nebenbei die Personen bewertet: „Oder wollte da womöglich jemand ein überflüssiges Teil loswerden?“ (102) über die Reisetasche, die der Graf Pozzi geschenkt hat und die die Initialen des Grafen hat.
Ja, das hat mir auch sehr gut gefallen - da hat sich ja auch heute noch nicht so viel geändert ;)
Dass bei den Betrachtungen über Bilder diese mit abgebildet sind, ist sehr hilfreich und auch schön, so erspart man sich das Googeln ;).
Auch hier: volle Zustimmung! Es macht auch den besonderen Reiz dieses Buches aus (und lässt damit über manche Mängel hinwegsehen - meine Meinung ;)). Obwohl ich mich wiederhole: Mehr von solchen Büchern!

Mit diesem dritten Teil habe ich etwas weniger gehadert, da nach meinem Gefühl die thematischen Abschnitte etwas länger wurden und das Namedropping etwas weniger. Dafür fiel mir umso deutlicher auf, was mich stört. Auf Seite 99 unten wechselt Barnes von der Beschreibung Polignacs und seiner Liebe zur Musik unvermittelt und ohne jeden Bezug zu Montesquiou und dessen Meinung zu Pozzi. Auf Seite 131 wieder Ähnliches: Es geht um Sargent, den Montesquiou nicht mochte und Oscar Wilde, der erst für und dann gegen ihn war. Darauf folgt ein Einschub über die Entwicklung von Wildes Persönlichkeit, festgehalten von Conan Doyle, um dann wieder zu Sargent zurückzukehren. Wie schon geschrieben: Stückwerk, Collage, Zettelkasten, Wimmelbild.

Da die Abschnitt aber länger werden, empfinde ich es nicht mehr ganz so störend. Und da Barnes Stil einfach schön ist, ist es mir tatsächlich passiert, dass ich über diesen Leseabschnitt hinausgelesen habe. Ein gutes Zeichen :D
 
Zuletzt bearbeitet:

Bibliomarie

Bekanntes Mitglied
10. September 2015
2.092
3.205
49
Und ich habe einige Wörter gefunden, die mir nicht mal das WWW so richtig erklären konnte (interkrural=zwischen den Schenkeln des äußeren Leistenrings liegend! Hä??o_O)

Das hat mir jetzt auch keine Ruhe gelassen, ich muss es wohl überlesen haben.
Aber ich habe tatsächlich einen Hinweis gefunden, der sogenannte Schenkelverkehr - passt also zum Thema - wurde auch Interkruralverkehr genannt.
Ach, was wären wir ohne Wikipedia - hier wusste nicht mal mein 25bd. Brockhaus weiter.;)
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.250
49.168
49
Ich denke, er hat sie aus irgendeinem Archiv digitalisiert bekommen und dann ausgedruckt.
Hinten sagt er, die Bildchen stammten aus seinem Besitz. Meint ihr nicht, es gibt Sammler, die sowas auf Flohmärkten verkaufen?
Nix gegen die Bedeutung von Archiven, aber mir war Klar, dass er sie erworben hat:D
 

Sassenach123

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2015
4.294
10.424
49
49
Ich habe da noch eine Frage zum Begriff des "Somdomiten" (S.128)

Ist das jetzt ein Schreibfehler, oder eine Mischung aus somnambul und Sodomist quasi eine reine Kopfsache?
Bei der ersten Erwähnung dachte ich auch an einen Schreibfehler, aber es taucht erneut auf, daher denke ich, dass es eine andere Bedeutung hat. Ob du richtig liegst, weiß ich nicht, hört sich aber plausibel an
 

Sassenach123

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2015
4.294
10.424
49
49
Das ist ein Zitat samt historischem Schreibfehler. Dem Vater von Wildes Liebhaber Bosie wurde in einem Club der Zutritt verweigert und er hinterließ seine Visitenkarte mit sinngemäß dieser Anrede: Für Oscar Wilde, dem posierenden Somdomiten. (Lt einer Buch von Merlin Holland "Oscar Wilde im Kreuzverhör"
Das erklärt dann alles, und mein Kommentar ist überflüssig :p
 

Sassenach123

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2015
4.294
10.424
49
49
Ich ahne, dass mir immer noch einiges entgeht, da ich viele Personen nicht kenne. Als die Sprache auf Ford Madox Ford kam, musste ich schmunzeln. Das Lügenmärchen, dass er den Leuten auftischte,,erinnerte mich doch stark an seinen Roman, wo er ein sehr unzuverlässiger Erzähler war, dem man auch nichts glauben konnte.
Ansonsten gefällt mir, dass Barnes klar hervorhebt, das zwar viel spekuliert wird, man von vielen Dingen annimmt sie seien so oder so gewesen, aber man weiß es halt oft nicht genau.
Schade, die Briefe die Therese verbrannte, hätte sicher vieles deutlich gemacht. Auch ob er mit seinen Patientinnen intim wurde. Die Gerüchteküche brodelt, da wird aus einer Mücke schnell mal ein Elefant
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.250
49.168
49
erinnerte mich doch stark an seinen Roman, wo er ein sehr unzuverlässiger Erzähler war, dem man auch nichts glauben konnte.
Jaaa. Natürlich! Dank unserer Leserunde hier kenne ich wenigstens diesen Autor und eines seiner Werke. Es wurde prämiert zum Gewinn meiner goldenen Zitrone:confused:.
Buchinformationen und Rezensionen zu Die allertraurigste Geschichte von Ford Madox Ford
Kaufen >
Für die Neuen: dazu gab es eine Leserunde. Mir hat es gar nicht gefallen. Ich glaube, das war eine meiner seltenen 2 Sterne Rezis...