3. Leseabschnitt: Seite 79 bis Seite 122

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
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Was für ein bedrückendes Buch! Selbstmord haben die Zwillinge also begangen? Eine Überdosis freiverkäuflicher Medikamente... Im Zirkus sind sie nun tatsächlich gelandet, niemand fragt nach ihren Namen, und wie bereits im Krankenhaus: niemand redet wirklich mit ihnen. Was soll das? Sie hätten weglaufen können. Aber wohin? Es gibt keinen Ort, an den sie gehören. Heimatlos, wurzellos, nur eine 'Missgestalt' als Zirkusattraktion...

"...wo würde ich hinlaufen, wohin würde ich vor meiner Schwester fliehen? Oder vor mir selbst? Was würde ich mit meiner Freiheit anfangen? Wie sieht denn das Leben aus, wenn man keine Gefangene ist?" (S. 113)

Rostom leugnet immer noch, etwas mit den Zwillingen zu tun zu haben, was für ein Held... "Mein Stammbaum weist keinerlei Defekte auf! (...) Hätte ich solche Kinder gezeugt, hätte ich mich gleich umgebracht!" (S. 84 f.)

Man kann das Buch nicht einfach so hintereinander weg lesen - es ist zu bedrückend. Und der letzte Abschnitt wird bestimmt nicht leicht...
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Wadern
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Die beiden haben ein Hochwasser überlebt, so sind sie in die Öffentlichkeit "gespült" worden. Dank Linas starker Lungen (sie ist diejenige, die immer mit dem Kopf im Wasser allein sein wollte) haben sie überlebt und sind im Krankenhaus. Erstaunlicherweise hat man aber das Gefühl, dass ihnen dort nicht geholfen wird. Sie werden zwar untersucht, letztlich aber an den Zirkus "verkauft", das ist zumindest meine Vermutung.
Sehr berührend fand ich Linas erstes sexuelles Erlebnis, das eher unabsichtlich von der Pflegerin erzeugt wurde. Ein Ereignis, das sie allein für sich hat, da Diana immer noch im Koma ist. Und etwas, das sie nicht mit ihrer Schwester teilen kann.
Lina bringt ihre Gefühle in den Gedichten wunderbar zum Ausdruck, ihr Wunsch, sich zu verstecken hinter einem Schleier oder als Nonnen. In ihrem Gedicht (93) verweist sie schon auf die Artisten, eine Vorrausdeutung dessen, was sie erwartet.
Im Zirkus hat man das Gefühl die anderen betrachteten sie nicht als Menschen, sondern als Attraktion, mit der man Geld verdienen kann. Wie schon zuvor erweist sich Diana als die realistischere, die durchschaut, wo sie sich befinden und zu welchem Zweck. Sie sollen im Zirkus auftreten, aus zwei mach eins - eine "Zaubershow".
Währenddessen erinnert sich Rostom an Elene zurück und daran, wie er ein Geschenk, das für seine Mutter bestimmt war, ihr gegeben hat - ein Yin und Yang - Kette - passend zum Auftritt der Zwillinge, die schwarz und weiß geschminkt sind.
Wie erbärmlich, dass er ihr die Kette wieder wegnimmt, als seine Mutter sie vermisst - für mich wird er nicht sympathischer...
 

Literaturhexle

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Sehr berührend fand ich Linas erstes sexuelles Erlebnis, das eher unabsichtlich von der Pflegerin erzeugt wurde. Ein Ereignis, das sie allein für sich hat, da Diana immer noch im Koma ist.
Da erging es mir mit der Szene völlig anders. Ich kann verstehen, dass jemand, der noch niemals zärtlich berührt würde, auf einen Waschlappen im Intimbereich intensiver reagiert als jemand, der Berührungen gewöhnt ist. Dass Lina dabei aber gleich "rote Mohnblumen im Kopf" erlebt, hielt ich für völlig übertrieben, zumal im dieser ungewohnten Umgebung.
Die Autorin wollte damit bestimmt sensibilisieren und darauf aufmerksam machen, dass das Leben im Doppelpack solche persönlichen Gefühle nahezu ausschließt. Dennoch war es mir zu dick aufgetragen und unglaubwürdig.
 

Querleserin

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Wadern
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Die Autorin wollte damit bestimmt sensibilisieren und darauf aufmerksam machen, dass das Leben im Doppelpack solche persönlichen Gefühle nahezu ausschließt. Dennoch war es mir zu dick aufgetragen und unglaubwürdig.

Ich stimme dir zu, dass es nicht realistisch ist. Ich habe es eher symbolisch verstanden, es ist etwas, was die beiden Mädchen unterscheidet. Das zeigt sich auch im nächsten Abschnitt, denn Lina reagiert anders auf den Zauberer als Diana, eben weil sie die "Mohnblumen" erlebt hat. Es ist eher der Wunsch nach sexueller Selbstbestimmung, die in einem solchen "Doppelleben" unmöglich scheint, der in dieser Szene zum Ausdruck kommt. Und der Wunsch etwas Eigenes zu haben. Zudem fand ich es sprachlich sehr sensibel umgesetzt und das ist bei dieser Thematik wirklich schwierig.
 

Sassenach123

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Rostom hält es nicht für möglich, dass er der Vater ist. Er sieht sich als Mensch ohne Makel, kann also für so einen Zustand nicht verantwortlich sein. In welcher Zeit ist dieser Mann nur stehen geblieben? Moralisch gesehen mal ganz zu schweigen. Ich verstehe ja, dass es erst mal ein Schock ist, wenn man erfährt, dass man der Vater von Siamesischen Zwillingen ist. Das er aber überhaupt kein bedauern verspürt, dass er die Mädchen nie kennengelernt hat, ist schon ziemlich traurig.

Im Zirkus prasseln viele Eindrücke auf die beiden ein. Sie sind sehr reizlos aufgewachsen, es muss schrecklich sein.
Die Art und Weise wie die beiden behandelt werden erinnert eher an eine Ware als einen Menschen. Schwer vorstellbar was die beiden durchgemacht haben.
Interessant finde ich unterschiedliche Wahrnehmung der beiden. Sie sind ihr ganzes Leben verbunden, haben aber trotzdem eine sehr unterschiedliche Gefühlswelt.
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Währenddessen erinnert sich Rostom an Elene zurück und daran, wie er ein Geschenk, das für seine Mutter bestimmt war, ihr gegeben hat - ein Yin und Yang - Kette - passend zum Auftritt der Zwillinge, die schwarz und weiß geschminkt sind.

Stimmt, diese Parallele zwischen dem Medaillon und den Farben der Zwillinge im Zirkus ist mir gar nicht aufgefallen. Interessanter Hinweis, danke.
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Den armen Zwillingen bleibt auch nichts erspart. Erst erfasst sie ein Hochwasser, bei dem die beiden fast auch noch ertrunken wären, dann werden sie in einen Zirkus verschleppt. Dieser Transport zu den Zirkusleuten ging bestimmt nicht mit rechten Dingen zu. Sonst hätte man sie nicht nachts in aller Eile aus dem Krankenhaus geholt. Zwar kommen die beiden in diesem Abschnitt aus ihrem einsamen Versteck im Haus der toten Großmutter raus, wo sie ohne Hilfe sowieso nicht hätten bleiben können. Aber das Auftreten der Zirkusleute macht schon klar, dass das alles nicht gut enden kann.
 

Literaturhexle

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Interessant fand ich die Wendung mit dem Hochwasser. Man war völlig darauf fixiert, dass dieser Zaza kommen und den Mädchen helfen muss oder dass sie alternativ verhungern würden.

Das Wasser spült sie quasi in die Freiheit, die aber sofort wieder in Gefangenschaft übergeht. Was ist das für ein hinterwäldlerisches Krankenhaus? Wie kann es sein, dass die Kinder nicht einmal ihre Adresse wissen?!? Schrecklich.

Dieser Zirkus stellt sich ja auch sehr negativ dar. Leider finden sie auch dort keinen Zuspruch, obwohl es ja weitere Menschen mit Handicap dort gibt. Eine sehr kalte Atmosphäre. Man weiß nun auch, dass Lina und Diana sich umgebracht haben...

Rostom ist ein Widerling. Mehr fällt mir da nicht ein. Bis jetzt wurde auch nichts vorgebacht , was man zu seiner Verteidigung nutzen könnte...
 

Sassenach123

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Interessant fand ich die Wendung mit dem Hochwasser. Man war völlig darauf fixiert, dass dieser Zaza kommen und den Mädchen helfen muss oder dass sie alternativ verhungern würden.

Das Wasser spült sie quasi in die Freiheit, die aber sofort wieder in Gefangenschaft übergeht. Was ist das für ein hinterwäldlerisches Krankenhaus? Wie kann es sein, dass die Kinder nicht einmal ihre Adresse wissen?!? Schrecklich.

Dieser Zirkus stellt sich ja auch sehr negativ dar. Leider finden sie auch dort keinen Zuspruch, obwohl es ja weitere Menschen mit Handicap dort gibt. Eine sehr kalte Atmosphäre. Man weiß nun auch, dass Lina und Diana sich umgebracht haben...

Rostom ist ein Widerling. Mehr fällt mir da nicht ein. Bis jetzt wurde auch nichts vorgebacht , was man zu seiner Verteidigung nutzen könnte...

Habe mich gefragt, ob Zaza überhaupt gekommen wäre, wenn das Hochwasser nicht Schicksal gespielt hätte. Er hat sich die letzten Tage ja auch schon sehr rar gemacht, dabei waren die drei, später nur noch die Mädchen total abhängig von ihm! Was treibt Zaza überhaupt an? Würde ihm etwas an den Zwillingen liegen, sähe sein Einsatz doch bestimmt anders, oder?
 

Leseglück

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Die Autorin hat - im Nachhinein gesehen - die Wendung mit dem Hochwasser im Text vorbereitet. Erst mit dem Hinweis auf die Erdmutter Gaia. Deren Tränen, die sie wegen der Ablehnung ihres Gatten ihrer mehrköpfigen Kinder vergießt, bilden einen Fluss. Diana bemerkt, dass der Fluss vor ihrem Haus in letzter Zeit lauter wird. Dann durch die Ställe des Augias, die in der Prüfung mit der Studentin Ekatarina genannt werden. S. 74.
"Ekatarinas Stimme wurde lauter. "" Aber Herkules schaffte es!...er änderte das Flussbett von Alpheios und leitete das Wasser direkt in den Stall ein. Das war die einzig mögliche Lösung.""
Hier spricht vielleicht die Autorin?
Lina übt vorher die Luft anzuhalten in der Tauchschüssel. Auch das wird später im Hinblick auf das Hochwasser wichtig.

Wenn es Selbstmord war, warum spricht dann der Staatsanwalt von den Verunglückten?

Ich bewundere Dianas Scharfsinn. Sie kann die Dinge, die um sie herum geschehen realistisch einschätzen. Lina ist dagegen naiv aber glücklicher und optimistischer. Wie traurig: sie verliebt sich in den Zauberer. Da ist Enttäuschung vorprogrammiert.

Gespannt bin ich wann in dem Roman endlich dieser Zaza auftaucht und wer das eigentlich ist.
 
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Literaturhexle

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Die Autorin hat - im Nachhinein gesehen - die Wendung mit dem Hochwasser im Text vorbereitet. Erst mit dem Hinweis auf die Erdmutter Gaia. Deren Tränen, die sie wegen der Ablehnung ihres Gatten ihrer mehrköpfigen Kinder vergießt, bilden einen Fluss. Diana bemerkt, dass der Fluss vor ihrem Haus in letzter Zeit lauter wird. Dann durch die Ställe des Augias, die in der Prüfung mit der Studentin Ekatarina genannt werden. S. 74.
"Ekatarinas Stimme wurde lauter. "" Aber Herkules schaffte es!...er änderte das Flussbett von Alpheios und leitete das Wasser direkt in den Stall ein. Das war die einzig mögliche Lösung.""
Hier spricht vielleicht die Autorin?
Lina übt vorher die Luft anzuhalten in der Tauchschüssel. Auch das wird später im Hinblick auf das Hochwasser wichtig.

Wenn es Selbstmord war, warum spricht dann der Staatsanwalt von den Verunglückten?
Leseglück, ich bin begeistert!
Ich hatte mich schon gefragt, was diese Einschübe mit der Gottesmutter und Augias sollten. Im Kontext waren es Randerscheinungen....

Du hast es verstanden! Danke!
Das macht den vorliegenden Roman noch einmal hochwertiger, finde ich.

Auf Zaza warte ich noch, befürchte aber, dass er nicht mehr auftaucht. Zuverlässig war er ja nicht.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Zaza scheint ein ziemlich abgerissener Typ zu sein, der auch gerne ein Gläschen zuviel trinkt. Hat er nicht einem der Mädchen mal eine Leckerei weggegessen?
Er kommt einfach vorbei, um ein bisschen Geselligkeit zu haben, vielleicht auch um eine Mahlzeit. Verantwortung? So etwas ist ihm fremd.
 
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Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Ich hatte mir in Teil 2 ja immer wieder die Frage gestellt: Werden sie in die Öffentlichkeit gehen. Und habe mir das als ziemlich schwierige Entscheidung und einen harten inneren Kampf der beiden um da Ob vorgestellt. Und dann ist es zu Beginn des dritten Leseabschnittes einfach passiert. Sprachlich, schriftlich sehr unspektakulär. In der Realität wahrscheinlich alles andere als das. Durch eine Überschwemmung. Also kein innerer Kampf hat dieses Heraustreten aus der kleinen bisherigen Lebenswelt begleitet, sondern wohl ein äußerer, lebensgefährlicher Kampf ums Überleben. Aber diesen Teil spart die Autorin komplett aus. Wir finden Diana und Lina wieder im Krankenhaus. Diana im Koma, Lina wohl dank ihres Tauchtrainings einigermaßen ok und später, als auch Diana aufwacht und gesünder wird, relativ ruhig und entspannt angesichts der völlig neuen Umgebung und den völlig neuen Menschen. In diesem Teil des Buches existieren sprachlich für mich die beiden mehr als im ersten als einzelne Personen. Ihre Verbundenheit in einem Körper kommt sprachlich immer weniger vor. Auch im späteren Teil als sie im Zirkus gelandet sind (wie eigentlich genau?). Zum ersten Mal und dem Leser Gewissheit über ihre Körperlichkeit gebend kommt auf Seite 121 dann das Wort "siamesische Zwillinge" vor. Sollte ein Leser also nicht vorinformiert an das Buch herangegangen sein und sich immer noch gefragt haben, was das Besondere an diesen beiden Frauenfiguren ist - jetzt ist Klarheit vorhanden!
Wir wissen letztlich seit Seite 1 des Romans, dass Diana und Lina sterben werden. Nun kommt immer mehr die Frage auf: wie wird das geschehen? Tablettenüberdosis, diesen Hinweis gibt uns jetzt das Buch. Aber Selbstmord oder Fremdeinwirkung? Da bin ich mir noch nicht sicher, möchte es auch noch nicht sein, denn das hebe ich mir noch auf als Spannungselement für den Schlussteil.