3. Leseabschnitt: Seite 162 bis Seite 245

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Mein Missbehagen bleibt. Wir begleiten Carola auf ihrer wachsenden Karriere als Schauspielerin. Erfahren viel über ihre ungewöhnliche Ehe mit Klabund und sehen sie in verschiedensten Kreisen des vor allem Berlinerischen Deutschland der 30er - von ex-kaiserlichen bis hin zu kommunistisch-revolutionären Kreisen. Kein Wunder, dass ihr Verhörer Kusnezow verwirrt ist hinsichtlich ihrer Gründe, in die Sowjetunion zu emigrieren:
Ein wahrhaft unpolitischer Mensch hätte doch nicht ein Land zum Zufluchtsort gewählt, das die alte Welt in Trümmern schlug, um eine neue, bessere aufzubauen.
Aber nicht nur Kusnezow ist verwirrt. Ich als Leserin werde immer verwirrter und skeptischer in den Teilen des Romans, die in der Sowjetunion der späten 30er Jahre spielen. Und auch der Autor selbst scheint mir mit dieser Situation und Lokation wenig anfangen zu können. Um die Atmosphäre des Gefängnisses und der Verhöre zu übermitteln scheint ihm nicht viel mehr einzufallen als der immer wiederholte Klang des "Vierkantschlüssels" und/oder dem Ruf nach der "Deshurnaja". Die Verhörsituation und das, was wir aus den Deutschland-Kapiteln über das Leben der Carola Neher erfahren passen weiterhin so gar nicht zusammen, mangeln jeglicher Glaubwürdigkeit und bleiben so nicht nur nebeneinander sondern eher als Hemmschuhe nebeneinander stehen. Der Autor hätte sein Können und Wissen besser einschätzen sollen und es bei einer traditionell geschriebenen Biografie belassen sollen, als diesen Kunstgriff mit der Verknüpfung mit der Lagerhaft zu wählen, dem er aus meiner Sicht nicht gewachsen scheint. Ich lese trotzdem gerne weiter und lasse die Butyrka einfach möglichst links liegen.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Endlich kann ich doch etwas Postives in diesem Abschnitt entdecken (das Schlechte, das es überprozentual gibt, verneife ich mir einmal) ... . Das Gespräch über das Neue Theater zwischen Karoline und Brecht ist brauchbar und das anschließende über die Politik in der Kunst zwischen C und K im Verhörraum sogar auch. /Wie Klabund stirbt, ist auch ganz anschaulich dargestellt.
 
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Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Frage mich, warum der Name des Leutnants nicht immer gleich ist? Im Klappentext steht Grigori, meist wird er aber Gennadi genannt, merkwürdig.

Ich erkenne immer mehr, dass der Klappentext mich damals an eine andere Handlung denken ließ. Natürlich blitzt bei den Verhören etwas auf, dass mich überlegen lässt, ob der Leutnant mit ihr seine Spielchen spielt und worauf es am Ende abzielt. Doch das hatte ich mir viel intensiver, und psychologisch ausgefeilter, vorgestellt. Hier geht es tatsächlich nur um den Werdegang, ihr Aufstieg, die Bekanntschaften die sie dafür nutzt. Für Fans des Films und Theaters aus dieser Zeit ist es allerdings sicher schön und interessant zu lesen.
Als Person wird mir Carola Neher auch nicht sympathischer, sie setzt sehr auf ihr Äußeres und stellt ihre Karriere über alles. Ob Fredi ihr wirklich am Herzen liegt/lag? Manchmal wirkt es so, dann gibt es aber auch wieder Passagen die mich zweifeln lassen
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Auch wenn Carola direkt zu ihm fährt, hat es doch einen schalen Beigeschmack.Brecht und sie setzen darauf, dass es schnell geht um die Aufführung nicht zu gefährden. Makaber dat Janze :cool:
Wieviel ist davon erfunden, frage ich mich.
Es macht mir nichts aus, dass es sich um eine Biografie handelt, allerdings langweilt es sehr, dass der Autor sich bemüßigt fühlt, den Inhalt jedweden Stücks mindestens im Ansatz zu präsentieren.
 

Barbara62

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19. März 2020
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Baden-Württemberg
mit-büchern-um-die-welt.de
Ich bin inzwischen sehr lustlos bei der Lektüre. Die verschiedenen Stationen und Rollen sind so blutleer beschrieben, kein Wort zu den Inszenierungen, reine Aufzählungen. Auch die Kollegen tauchen - außer bei Alexander Moissi, den ich vorher nicht kannte - lediglich als Randnotiz zum Abhaken auf. Nur beim Burgtheater hat man ein klein wenig hinter die Kulissen geblickt, so hätte ich es gern überall gehabt. Die Inhaltsangaben nerven mich auch.
Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass eine Schauspielerin, die doch auch anspruchsvollere Texte ausweniglernt, so simpel spricht. Färbt denn die Dichtersprache nicht wenigstens ein bisschen ab? Ich vermisse einfach den ein oder anderen Satz, den ich ein zweites Mal lese oder anstreiche. Die Kritik aus dem Burgtheater ("Ob sie viel Herz hat, weiß ich nicht, in den Vordergrund drängt sich dieses Organ keinesfalls") ist so ein Satz, nach denen ich mich sehne, geist- und humorvoll.
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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Die so gar nicht zueinander passen wollenden Erzählstränge in der Butyrka und der Biografie Carola Nehers und die nüchterne, wenig abwechslungsreiche Erzählweise, bewirken ein Auseinanderdriften der Gedankengänge bei mir.
Zum einen lese ich das eine, oder das andere, niemals beides im Zusammenhang. Rückfragen Kusnezows erstaunen mich, da er scheinbar gerade das Gleiche gehört hat, was ich gelesen habe, aber die erzählerische Brücke fehlt.
Zum anderen stürze ich mich auf Kleinigkeiten und messse ihnen überproportional Bedeutung zu, die sie vielleicht gar nicht verdient haben.
Zum Beispiel auf Seite 170 oben, "Zeit, zu erfahren, wie ihr Mann das alles gesehen hat". Watt? Der lebt noch und sitzt in der Nähe zum Verhör? Nee, es ist "nur" das Klabund-Lesebuch (S. 171). Ihr seht schon, noch nicht einmal eine Buchseite brauchte der Autor, um meine spannungsreichen Gedanken zu zerschlagen.

War Klabund ein sterbenskranker, aber völlig verpeilter, verliebter Ehemann, der sich klein macht, nur damit seine Frau nicht Kaltherzig rüberkommt? (S.175 Bergwanderung) Macht sie sogar jünger? (S.186 neuer Reisepass)

Dann, auf Seite 215 ließ mich Kusnezow wieder aufhorchen: "Sie [Carola] wird ihm gehören." Also doch nur sexuelles Interesse?
...oder er hätte chronologisch schreiben sollen.

Carolas Bio ist chronologisch. Aber die Butyrka hätte vielllleicht als Rahmenhandlung funktioniert, also kurze Einleitung und dann erst wieder zum Schluss, ohne ständiges Vierkantklappern.
Auch wenn Carola direkt zu ihm fährt, hat es doch einen schalen Beigeschmack.

Auch das sie allein mit Klabund war, als er ihr angeblich gesagt hat, dass sie nicht trauern soll und diese Info auch noch am Sterbebett dem Freund weitergibt. Das klang für mich, wie eine eigene Wahrheit in die Welt setzen. Als sie gerade dabei ist, stöhnt Klabund und sie ist erschrocken und fragt, ob er das Gespräch vielleicht mit verfolgen konnte... Carola sinkt in meinem Ansehen gewaltig.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Die so gar nicht zueinander passen wollenden Erzählstränge in der Butyrka und der Biografie Carola Nehers und die nüchterne, wenig abwechslungsreiche Erzählweise, bewirken ein Auseinanderdriften der Gedankengänge bei mir.
Zum einen lese ich das eine, oder das andere, niemals beides im Zusammenhang. Rückfragen Kusnezows erstaunen mich, da er scheinbar gerade das Gleiche gehört hat, was ich gelesen habe, aber die erzählerische Brücke fehlt.
Zum anderen stürze ich mich auf Kleinigkeiten und messse ihnen überproportional Bedeutung zu, die sie vielleicht gar nicht verdient haben.
Zum Beispiel auf Seite 170 oben, "Zeit, zu erfahren, wie ihr Mann das alles gesehen hat". Watt? Der lebt noch und sitzt in der Nähe zum Verhör? Nee, es ist "nur" das Klabund-Lesebuch (S. 171). Ihr seht schon, noch nicht einmal eine Buchseite brauchte der Autor, um meine spannungsreichen Gedanken zu zerschlagen.

War Klabund ein sterbenskranker, aber völlig verpeilter, verliebter Ehemann, der sich klein macht, nur damit seine Frau nicht Kaltherzig rüberkommt? (S.175 Bergwanderung) Macht sie sogar jünger? (S.186 neuer Reisepass)

Dann, auf Seite 215 ließ mich Kusnezow wieder aufhorchen: "Sie [Carola] wird ihm gehören." Also doch nur sexuelles Interesse?


Carolas Bio ist chronologisch. Aber die Butyrka hätte vielllleicht als Rahmenhandlung funktioniert, also kurze Einleitung und dann erst wieder zum Schluss, ohne ständiges Vierkantklappern.


Auch das sie allein mit Klabund war, als er ihr angeblich gesagt hat, dass sie nicht trauern soll und diese Info auch noch am Sterbebett dem Freund weitergibt. Das klang für mich, wie eine eigene Wahrheit in die Welt setzen. Als sie gerade dabei ist, stöhnt Klabund und sie ist erschrocken und fragt, ob er das Gespräch vielleicht mit verfolgen konnte... Carola sinkt in meinem Ansehen gewaltig.
Wenn der Autor wollte, dass wir Karoline nicht mögen, ist ihm das gelungen.
Ja, stimmt, die Bio ist chronologisch, aber das geht verloren und wirkt als Rückblende durch die ständigen Verhöre. Ich spoilere mal ein bisschen: im Nachwort wird deutlich, dass für die Zeit in D genug Material vorhanden gewesen ist, aber für die sowjetische Zeit ist die Aktenlage lückenhaft. Das erklärt einiges - und hätte besser als Vorwort getaugt.
 

Emswashed

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Nu isser also tot, der Klabund, also so gut wie und die Carola immer noch nicht in Moskau. Das wird also im letzten und vierten LA stehen, der zwar länger ist, als die vorangegangenen, aber unterbrechungfrei und damit vielleicht verdauungsfreundlicher.
 
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Renie

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Ob Fredi ihr wirklich am Herzen liegt/lag? Manchmal wirkt es so, dann gibt es aber auch wieder Passagen die mich zweifeln lassen
In diesem Leseabschnitt hatte ich verstärkt den Eindruck, dass Carolas "Liebe" zu Fredi daher rührt, dass er sie bedingungslos und aufopfernd liebt. Und das ist schräg. Sie liebt also seine Liebe zu ihr und nicht den Menschen Fredi. Das ist Egoismus in Reinkultur.
 

Renie

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allerdings langweilt es sehr, dass der Autor sich bemüßigt fühlt, den Inhalt jedweden Stücks mindestens im Ansatz zu präsentieren.
Ach, das finde ich hingegen ganz interessant, weil ich dadurch einen Überblick erhalte, was damals "in" war. Einerseits haben wir die seichten Boulevardstücke und andererseits gibt es auch Theaterstücke, die (vorsichtig formuliert) "experimentell" waren, s. dieses Stück "Brennende Erde" von Klabund (Findelkind in tiefster Wildnis im Männerkloster; Vergewaltigung durch böse Banditen; der Traum, als Jungfrau einen zweiten Heiland zu gebären) Auf Ideen kam dieser Klabund :rolleyes:
 

Renie

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War Klabund ein sterbenskranker, aber völlig verpeilter, verliebter Ehemann, der sich klein macht, nur damit seine Frau nicht Kaltherzig rüberkommt? (S.175 Bergwanderung) Macht sie sogar jünger? (S.186 neuer Reisepass)
Ob er verpeilt war, weiß ich nicht. Er hat seine Carola halt geliebt. Vielleicht war er masochistisch veranlagt, weil er sich von ihr trietzen und sich vieles Gefallen ließ, wofür sich andere längst von Carola getrennt hätten.
Das mit dem Geburtstagsgeschenk fand ich spaßig. Das nenne ich mal ein originelles Geschenk:)
 

Renie

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So, ich bin von der Buchmesse zurück und kann wieder in die Leserunde einsteigen. Jetzt ist es tatsächlich soweit. Habe ich zuvor noch mit viel gutem Willen gelesen, komme ich jetzt in die Situation, in der einiges anfängt mich zu nerven, was andere hier schon lange nervt.
Das mit dem Vierkantgeklimper hat sich ausgereizt, und die ausführliche Beschreibung der Kleidung der Charaktere erinnert mich an die Berichterstattung von "Bunte", "Gala" o. ä., wenn von irgendwelchen Promi-Auftritten in der Öffentlichkeit berichtet wird.
Ich finde das so schade. Denn es gibt viele gute Ansätze in diesem biografischen Roman, die aber durch derartige banale Übertreibungen ihrer Ernsthaftigkeit beraubt werden. Der literarische Charakter dieses Buches bleibt dadurch auf der Strecke.

Konzentriere ich mich auf das Positive:
Carola soll als Trendsetterin fungieren und ein neues Frauenbild verkörpern. Dieser Aspekt interessiert mich, denn ich habe außer Acht gelassen, dass die jungen Frauen durch den Krieg lernen mussten, allein klar zu kommen, also ohne bisherige Ernährer und Beschützer (Väter, Brüder, Ehemänner), die nicht aus dem Krieg zurückgekehrt sind, bzw. danach genug mit sich selbst zu tun hatten (Kriegstrauma). Carola scheint zu ihrer "Heldin" zu werden, da sie jemand ist, die ihr Leben selbst in die Hand genommen hat und damit erfolgreich ist.

Dieser Russe stellt immer diejenigen Fragen, die ich mir auch stelle. Carola ist bspw. ein Luxusgeschöpf, das in Saus und Braus lebt. Wie kommt es, dass ein Brecht, der sich als Sprachrohr des Proletariats sieht, eine Carola für seine Zwecke einspannt?
Diese Ungereimtheiten halten mich bei der Stange. Denn ich bin nach wie vor an Carolas Motiven interessiert und warum ihr Leben verlaufen ist, wie es verlief.

Kennt sich jemand mit Geschichte aus? Stimmt es, dass Hitler zurück zur Monarchie wollte, indem er den Kronprinzen auf den Thron bringt? Ich weiß nicht, ob diese Information glaubhaft ist.
 

Emswashed

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Kennt sich jemand mit Geschichte aus? Stimmt es, dass Hitler zurück zur Monarchie wollte, indem er den Kronprinzen auf den Thron bringt? Ich weiß nicht, ob diese Information glaubhaft ist.

Nein, ich bin kein Experte, aber ich meine mich zu erinnern, dass Hitler sich anfänglich mit den Monarchisten gemein machte, um deren Unterstützung zu bekommen. Ich weiß aber nicht, wie lang er dieses "Maskenspiel" spielte.
 
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Barbara62

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ulrikerabe

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Die Kritik aus dem Burgtheater ("Ob sie viel Herz hat, weiß ich nicht, in den Vordergrund drängt sich dieses Organ keinesfalls") ist so ein Satz, nach denen ich mich sehne, geist- und humorvoll.
Den hat ja auch nicht der Autor geschrieben sondern vorgeblich Alfred Polgar.

Carola wird als berechnend gezeichnet, die Männer zu ihren Gunsten ansammelt. Und als dumm "was machen Sie eigentlich beruflich" Kann jemand der im öffentlichen Leben steht, tatsächlich so blind gegenüber den aktuellen Ereignissen sein?

Das einzige Mal, wo sie tatsächlich etwas Herz zeigt, dass sie nach Davos reist um bei ihrem sterbenden Mann zu sein. Selbst da hofft sie noch, es rechtzeitig zur Premiere der Dreigroschenoper zu schaffen.