3. Leseabschnitt: Seite 135 bis 213

Literaturhexle

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Erbe auszuschlagen wird wohl so interpretiert, dass man mit der Person nichts zu tun haben wollte oder will.
Naja: Manche Leute haben ihre Reichtümer unter der Matratze oder in einem alten Bilderrahmen versteckt. Da muss man schon vorsichtig sein, wen man in die Wohnung lässt.
Die Regel: alles oder nichts hat schon ihre Rechtfertigung - sonst würde sich die Mischpoke die Rosinen rauspicken und die Gläubiger schauten in die Röhre.

Wenn es um rein ideelle Dinge geht, wird sich der Nachlassvollstrecker sicher nicht sträuben, sie weiterzureichen, wenn die Wohnung von Wertsachen befreit wurde. So denke ich mir das wenigstens.
 

Renie

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19. Mai 2014
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Essen
renies-lesetagebuch.blogspot.de
Suzu zeigt Fähigkeit zur Veränderung.
Und mit der veränderten Suzu ändert sich auch das Buch. Anfangs lag der Fokus auf Suzu und mittlerweile ist sie eine von vielen Protagonisten. Dieser Aufbau gefällt mir gut, weil er so schlüssig ist und Suzus Entwicklung widerspiegelt.
Hat übrigens auch jemand gedacht, Suzu würde Takada möglicherweise tot auffinden? Das ging mir kurz durch den Kopf...
Nein! Erst macht uns die Autorin neugierig auf Takeda, streut ein paar geheimnisvolle Hinweise und dann stirbt er, ohne, dass wir seine Geschichte kennen? Das wäre eine Frechheit gewesen.:apenosee
Geht es euch eigentlich auch so, dass ihr immer wieder an "Zweckfreue Kuchenanwendungen" denken müsst?
Ja, was aber an dem asiatischen Hintergrund liegt und dem Wohlfühlfaktor. Ich bin sowieso immer neugierig, wenn es um asiatische Literatur geht, wobei der Roman, den wir gerade lesen, von einer deutschsprachigen Autorin geschrieben wurde, die in Österreich geboren wurde, eine japanische Mutter sowie einen österreichischen Vater hat und auch in Österreich lebt. Übersetzt werden musste daher nichts, doch die enge Bindung zu Japan liegt der Autorin in den Genen .... Mutter sei Dank;)
Autorin hat eine sehr leichte, bestechend anspruchslose Art zu schreiben, es wandert auch immer wieder mal auf der Kippe zur Sitcom dahin, wie bei dem Kampf mit der Wassermelone.
Nicht zu vergessen, die lebensklugen Sätze, die einem immer wieder in diesem Roman begegnen. Und was mich immer wieder umhaut, sind die Vergleiche, die die Autorin gerne streut und bei deren Wertung ich häufig zwischen kurios und poetisch schwanke.
Wie findet ihr eigentlich die Herleitung des Titels? :think Ich hatte ehrlich gesagt mit etwas poetischerem gerechnet ha ha ha. Wohingegen ich das Gedicht, welches von Takada rezitiert wird (S. 210) wieder sehr berührend fand.
Mit dem Titel triffst Du einen wunden Punkt bei mir. Ich war von Beginn an auf der Suche nach der tieferen Bedeutung dieses Titels. Die Erklärung ist mir fast schon zu banal, gemessen an der Tiefe des Romans. Ich habe aber einfach keine Idee, was und ob mehr hinter diesem Titel stecken könnte. Vielleicht habe ich später noch eine Eingebung, viel Roman bleibt mir allerdings nicht mehr :think
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Ein bisschen hatte ich die Befürchtung, dass das Ganze nun zu einer kitschigen Liebesgeschichte zwischen den beiden wird.
Nein, diese Befürchtung hatte ich gar nicht, weil der Roman dafür zu ernsthaft und vielschichtig angelegt ist. Suzu und Takada sind beide keine einfachen Charaktere, die sich eben mal in eine Lovestory verlieren. Zum Glück ist das auch nicht passiert.
Sie enthalten natürlich einen wahren Kern, aber natürlich sind Verallgemeinerungen auf ganze Gesellschaften immer problematisch.
Man darf auch Japan nicht mit China/ Korea/... gleichsetzen. Asien ist vielfältig, auch wenn wir wenig darüber wissen und uns vieles "ähnlich" vorkommt.
Geht es euch eigentlich auch so, dass ihr immer wieder an "Zweckfreue Kuchenanwendungen" denken müsst?
Ja, den Gedanken hatte ich schon ziemlich am Anfang, weil die Protagonisten ähnliche Probleme mit ihrem Umfeld haben.
Der dritte Abschnitt enthält Absätze, deren Wirkung ich gar nicht beschreiben kann.
Ja,Häsin, ich verstehe, was du meinst :joy
Aber gleichzeitig bekommt hier jede Szene, jeder Dialog, jeder Schauplatz eine zweite, metaphorische Ebene.
Unbedingt! Das merke ich auch immer wieder. Tauchte nicht eine Wassermelone schon einmal auf? Mir ist so...
In dem Text steckt viel mehr, als man auf den ersten Blick sieht.
Die unfassbar wehmütige Erinnerung an ihre Großmutter, die sich über den Wechsel des Briefträgers und das Fehlen der Kartoffelstärke
Wie sensibel Suzu reagiert! Als hätte sie einen siebten Sinn. Nicht etwa beschwichtigen, abwiegeln. Ganz schlicht: "Ja, das ist traurig."
Da geht mir das Herz auf.
Buch, so unglaublich leichtfüßig daher, dass man die Tiefe zunächst gar nicht bemerkt, bis die Sätze einsinken.
Exakt so.
Ja, was aber an dem asiatischen Hintergrund liegt und dem Wohlfühlfaktor.
Genau. Und in der Problematik rund um Figuren, die nicht mit der Menge mitschwimmen können oder wollen.
 

otegami

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17. Dezember 2021
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Ich bin sowieso immer neugierig, wenn es um asiatische Literatur geht, wobei der Roman, den wir gerade lesen, von einer deutschsprachigen Autorin geschrieben wurde, die in Österreich geboren wurde, eine japanische Mutter sowie einen österreichischen Vater hat und auch in Österreich lebt. Übersetzt werden musste daher nichts, doch die enge Bindung zu Japan liegt der Autorin in den Genen .... Mutter sei Dank;)
Der Autorin fallen dadurch natürlich auch Sachen auf, die reine Japaner gar nicht merken würden!
(Geht uns ja auch genauso! ;) Ich lese sowas auch immer gerne über uns Deutsche und bin dann total baff, weil mir diese Eigenheit gar nicht aufgefallen wäre! :rofl )
 
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Literaturhexle

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Der Roman liest sich sehr kurzweilig. Jede Episode für sich hat aber Tiefe und Tragweite. Der untergetauchte Vater, dessen behinderter Sohn tagelang die Totenwache hält. Das distanzlose Fernsehteam: So hatte sich Herr Sakai den Dreh nicht vorgestellt. Die Journalisten stehen für die Gesellschaft, die nicht am Problem des Kodokushi als solchem Interesse hat, sondern nur an der Sensation, an der Schau, der schnellen Emotion. Schützend stellt sich Herr Sakai vor seinen Mitarbeiter, als es Takada zuviel wird.

Der behinderte Junge wurde von seiner Mutter (!) verlassen, die ihn nicht lieben konnte. Spiegelt sich darin nicht Takadas Geschichte? Auch seine Mutter konnte ihn nicht so nehmen, wie er ist. Sein Vater ist zwar nicht körperlich verstorben, für Takada fühlte es sich aber genau so an. (Dass die Mutter ihrem Sohn auch noch die Schuld am Weggang des Vaters gegeben hat, ist brutal!)

Der Titel "Oben Erde, unten Himmel" taucht zweimal in diesem Abschnitt auf: Einmal verliert Suzu die Orientierung, kann die Richtung des fallenden Regens nicht mehr erkennen. Ein anderes Mal wird Herrn Sakais Leben auf den Kopf gestellt, weil seine Auszeit zu lange dauerte. Ich finde diese vier Worte sehr ausdrucksstark.

Die Fujis bekommen ein Gesicht - über ihre Geräusche und Streitereien hinaus. Herr Sakai schult Suzu auf unaufdringliche Art, genauer hinzusehen, Empathie zu zeigen, gütig und hilfsbereit zu sein. Sie beweist ihm, dass sie ein Mensch ist, als sie Takada zu sich holt.

Herrliche Szenen. Alleine die Beobachtungen und Gespräche auf dem Dach: Da steckt so viel Tiefe drin. Süß auch, dass der Hamster sein Verhalten ändert und sich häufiger zeigt:)
Takada ist noch auf der Suche nach seinem Vater. Hoffentlich findet er ihn lebend.

Ein wundervolles Buch!!! (Aber das sagte ich schon;))
 

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Nein! Erst macht uns die Autorin neugierig auf Takeda, streut ein paar geheimnisvolle Hinweise und dann stirbt er, ohne, dass wir seine Geschichte kennen? Das wäre eine Frechheit gewesen.
War bei mir nur ganz kurz so ein Gedanke. So wie es aufgebaut ist, gefällt es mir aber weit besser.;)
Man darf auch Japan nicht mit China/ Korea/... gleichsetzen. Asien ist vielfältig, auch wenn wir wenig darüber wissen und uns vieles "ähnlich" vorkommt.
Ganz genau meine Meinung.;)
In dem Text steckt viel mehr, als man auf den ersten Blick sieht.
Das glaube ich auch. Ein reread mit ein wenig Abstand würde bestimmt erhellend sein.
 

Sassenach123

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Der Roman ist eine wahre Fundgrube. Ich hätte am Anfang nicht gedacht, dass sich hier noch soviel auftun würde. Von der Kellnerin zur Tatortreinigerin und das ist ja noch nicht alles. Suzu schafft es mittlerweile sehr gut mit dem ganzen Zwischenmenschlichen umzugehen. Der Roman hat außerdem sehr viel humorvolles, es gibt viele Passagen wo ich schmunzeln muss. Dann wieder die emotionalen Momente, wie zum Beispiel die Geschichte von Takadas Kindheit.
Und auch in diesem Abschnitt mutet es so an, als ob Herr Sakai die Dinge vorhersieht. Er ahnt das Takada ernster krank ist, und schickt Suzu. Das er für sie telefonisch so lange nicht erreichbar war, war in meinen Augen auch beabsichtigt von ihm.
 

Die Häsin

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Der Roman ist eine wahre Fundgrube. Ich hätte am Anfang nicht gedacht, dass sich hier noch soviel auftun würde. Von der Kellnerin zur Tatortreinigerin und das ist ja noch nicht alles. Suzu schafft es mittlerweile sehr gut mit dem ganzen Zwischenmenschlichen umzugehen. Der Roman hat außerdem sehr viel humorvolles, es gibt viele Passagen wo ich schmunzeln muss. Dann wieder die emotionalen Momente, wie zum Beispiel die Geschichte von Takadas Kindheit.
Und auch in diesem Abschnitt mutet es so an, als ob Herr Sakai die Dinge vorhersieht. Er ahnt das Takada ernster krank ist, und schickt Suzu. Das er für sie telefonisch so lange nicht erreichbar war, war in meinen Augen auch beabsichtigt von ihm.
Ich denke, Sakais heftige Reaktion, weil Suzu nicht zu Takada eilen will (er beschimpft sie ja beinahe) ist auch darauf zurückzuführen, dass er seit so langer Zeit beobachtet, wie Menschen von ihrer Umgebung unbeachtet verrecken.
Was auch immer Takada fehlt, er ist ernsthaft krank, und obwohl die Leute in dieser Behausung aufeinander hocken wie in einem Karnickelstall, ist niemand für ihn zuständig und kümmert sich.
 

dracoma

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Was auch immer Takada fehlt, er ist ernsthaft krank,
Was mich aber gewundert hat: wieso sorgt Suzu nicht dafür, dass er in ein Krankenhaus gebracht wird? Und dort professionell behandelt wird?
Ich weiß schon, dramaturgisch gesehen ist es so besser, sie übernimmt Verantwortung für einen anderen Menschen, hat körperlichen Kontakt, und das ist eine erstaunliche Entwicklung für Suzu.
Der Roman ist eine wahre Fundgrube.
Ja, finde ich auch. Mir gefallen solche Sätze wie "Hier hat man hin-, aber nicht dahinter geschaut." (S. 145).
Oder die Frage "Wie viele Formen von Einsamkeit gibt es?" (S. 211).

Der behinderte Junge wurde von seiner Mutter (!) verlassen, die ihn nicht lieben konnte. Spiegelt sich darin nicht Takadas Geschichte?
Das habe ich auch so verstanden, und darum rastet er auch bei diesem Fernsehteam so rabiat aus, dem es nur um die Optik und den Effekt geht.
Mich hat es berührt, dass er seine Geschichte nicht in der Ich-Form erzählen kann. Er spricht von sich selber als "er", offenbar braucht er die Distanz, um sich vor zu viel Emotionen zu schützen.

erst Tage später gefunden wurde. Dabei habe ich mitbekommen, dass restlos alles aus ihrer Wohnung entsorgt wurde; man hat den Angehörigen nicht gestattet, etwas daraus mitzunehmen.
Puuuh...
Mir war unklar, wieso die Anverwandten nur eine Erinnerungsbox bekommen, schließlich gehört ihnen als Erben doch alles, dachte ich.
Jetzt verstehe ich das.


Herr Sakai gefällt mir aber nicht. Er kommt aus der Puste und verliert Spannkraft.
Hm.
Nicht dass er selber so einen einsamen Tod stirbt???
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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dass er seit so langer Zeit beobachtet, wie Menschen von ihrer Umgebung unbeachtet verrecken.
Ja, so sehe ich das auch. Herr Sakai ist eben einer, der genau hinschaut. Das hat er zu seiner erfolgreichen Mission gemacht.
dass er in ein Krankenhaus gebracht wird? Und dort professionell behandelt wird?
Natürlich habe ich mich das auch gefragt. Neben der Dramaturgie scheint Suzu den Auftrag aber genau so ausführen zu wollen, wie er ihr vom Chef aufgetragen wurde. (Über die Vertrauenswürdigkeit der Krankenhäuser wissen wir nichts.)
und darum rastet er auch bei diesem Fernsehteam so rabiat aus,
Ja. Er hat seine neuralgischen Punkte. Das haben wir schon im Baumarkt beobachten können.
 

parden

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13. April 2014
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www.litterae-artesque.blogspot.de
So viele Sorten von Einsamkeit - und doch kein trostloser Roman. Suzu und Takada begegnen sich zumindest in ihren Einsamkeiten und lassen den anderen ein wenig hinein. Suzu muss offenbar erst zum "Menschsein" gezwungen werden. Schon kurios, was Herr Sakai da von ihr verlangt. Mir gefällt der Roman weitherhin sehr gut, und ich bin gespannt, welches Ende die Autorin wohl gewählt hat und ob mich dieses auch zufriedenstellt...