3. Leseabschnitt: "Schokolade" bis Ende Teil 1 (S. 147 bis S. 222)

Anjuta

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Während zuhause Deutschland in Unmenschlichkeit versinkt (wovon wir Leser nichts mitbekommen), macht Oskar ganz andere Erfahrungen:
Ich wollte unbedingt, dass die verstehen, was mit mir geschah, wie die Menschen in jenen Breitengraden zu mir waren. Wie Menschen auch sein können.
Wie gern hätte er ( der Erzähler) mir dies im Buch vermitteln dürfen. Doch nichts davon. Der Erzähler hält eine deutliche Distanz zu seinem Helden ein. Lässt uns nicht in ihn hineinblicken (selten) und vermittelt uns auch nur Bruchstücke seiner Erlebnisse. Und so sind wir ratzfatz am Ende des 3.LA plötzlich quasi wohl am Ende der Reise kurz vor Australien angelangt, ohne auch nur annähernd etwas davon verstanden haben zu können.
Wer ist übrigens dieser Hradetzky? Kam der schon in Hamburg /Deutschland vorher einmal vor?
 

Amena25

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Manche Passagen gefallen mir richtig gut, z.B. wie sich bei den Gesprächen zwischen Gili und Oskar seine Gefühle ihr gegenüber verändern.
Oder auch die Szene bei Hagenbeck. Hier hat die Gattin das Sagen ;)
 

Wandablue

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Das letzte Kapitel von Teil I, der Angriff der Einheimischen auf Lakor, zeigt, dass der Autor es wohl könnte, uns an den Abenteuern teilhaben zu lassen, die Oskar erlebt.
Allerdings hat er sich dagegen entschieden, aktiv zu erzählen, das meiste erinnert Oskar, erzählt es jemandem. Diese Reise ist natürlich auch ein gewaltiger Stoff.

Ich versöhne mich jetzt damit, dass dieses Buch kein Reisebericht ist. Immerhin hat es Oskar Speck wirklich gegeben. "Der Flussregenpfeifer" soll wohl so eine Art Porträt sein.
Manchmal, ganz kurz, wird der Roman attraktiv.
Was ich vermisse, sind Innenansichten und Begegnungen. Es wird doch mehr zu erzählen geben als dass er nicht an Olympia 1936 teilnehmen durfte auf einer 5 1/2 jährigen Reise. Diese kurzen Zusammenfassungen, die der Autor gibt, sind zu wenig.

Dann hätten wir noch Gili. Sie muss Sklavenarbeiten für ihre Tante erledigen, bei der sie wohnt. ist das in Indien? Die Tante ist eine arge Schablone. Schade. Auch daraus hätte man mehr machen können; wenigstens wissen wir jetzt, warum Gili ein Backenzahn fehlt.
 
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Renie

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Wer ist übrigens dieser Hradetzky? Kam der schon in Hamburg /Deutschland vorher einmal vor?
Der kam schon mehrfach vor. Gregor Hradetzky war ein Sportler, dem Oskar nacheiferte und den er übertrumpfen wollte. 1932 wurde Hradetzky österreichischer Meister im Kajak-Einer, war also jemand, der in dieser Sportart zu Ruhm und Ehre gekommen ist, ganz nach dem Geschmack von Oskar. Allerdings spielte bei Oskar auch der Neid eine Rolle. Daher betrachtete er die Erfolge des guten Gregor eher mit Missgunst als mit Wohlwollen.
 

Renie

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Diese Reise ist natürlich auch ein gewaltiger Stoff.
Kleine Hintergrundinformation am Rande: Als der Verlag das Manuskript des Autors das erste Mal in die Hände bekommen hat, hatte man es mit über 1200 Seiten zu tun. Der Autor musste über mehrere Anläufe zusammen kürzen, bis alle zufrieden waren. Im Prinzip hatte der Autor also soviel zu erzählen, dass es für mindestens 2 Bücher gereicht hätte.
 
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Reaktionen: Die Häsin

Renie

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ist das in Indien?
Nein, die Tante ist in Indonesien (Jakarta). Und das Krankenhaus, in dem Oskar liegt ist in Subaraja auf der Halbinsel Java, die ebenfalls zu Indonesien gehört.
Und in Lakor (ebenfalls Indonesien) findet der Angriff auf Oskar statt, der seinem Krankenhausaufenthalt und den Gesprächen mit Gili vorangegangen ist. Ich hatte ursprünglich angenommen, dass das Krankenhaus das Ende der Geschichte ausmachen würde. Aber dies scheint nur eine Zwischenstation zu sein. Denn die Reise geht weiter. Irgendwie muss er ja nach Australien kommen.
 

Die Häsin

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Rhönrand bei Fulda
Mir gefällt der Roman jetzt erheblich besser als am Anfang. Ich finde doch einiges an Lokalkolorit und auch Innenansichten von Oskar, wie im Kapitel "Tuan", wo er über die missglückte Qualifikation sinniert und seine Besitztümer sichtet (die ihm gleich darauf genommen werden).
Interessant, was "Innenansichten" angeht, fand ich auch das Kapitel "Das sechste Gespräch". "Diese Leute (er berichtet über Menschen, die er auf seiner Reise flüchtig kennen gelernt hat) haben mich vorbehaltlos gemocht, angelächelt und damit etwas zum Ausdruck gebracht, was ich in den Briefen von zu Hause icht ein einziges Mal gelesen habe."

Mal abgesehen davon, dass diese Denke etwas naiv ist, eben die typische Denke eines Abenteurers, wirft diese Erzählung jedenfalls ein interessantes Licht auf Oskars Charakter.

Wenig später erzählt er von einem Brief, den er nach Hause geschrieben habe: "In diesen Brief habe ich jede Unze Freundlichkeit gelegt, die ich aufbringen konnte. Ich wollte unbedingt, dass die verstehen, was mit mir geschah, wie die Menschen in jenen Breitengraden zu mir waren. Wie Menschen auch sein können."
(...)
"Einen Tag nachdem ich den Brief (...) zur Post gebracht hatte, habe ich ein Telegramm von meinem Vater erhalten. Er teilte mir mit, dass ich nicht mehr schreiben müsse."
Wenn er dieses Telegramm einen Tag nach Aufgabe des Briefs erhalten hat, dann kann es doch wohl keine Reaktion auf seinen Brief gewesen sein. Ein Brief aus Ceylon nach Hamburg ist doch nicht am nächsten Tag da! Oder ist das "einen Tag nachdem" eine poetische Wendung für "kurze Zeit später"?

(Ich kenne übrigens etliche Leser, die das sang- und klanglose Verschwinden des Hundes nicht hinnehmen werden ... das nur nebenbei. Wichtigste Regel: "Save the Cat!" :rolleyes: )
 

Renie

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Ich kenne übrigens etliche Leser, die das sang- und klanglose Verschwinden des Hundes nicht hinnehmen werden ... das nur nebenbei. Wichtigste Regel: "Save the Cat!" :rolleyes: )
Oh, ja. Die quasi-militante Tierschutzfraktion unter den Lesenden ist berühmt berüchtigt. Tobias Friedrich bewegt sich auf ganz dünnem Eis, indem er den Hund über Bord gehen lässt :D
 

luisa_loves-literature

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9. Januar 2022
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Und so sind wir ratzfatz am Ende des 3.LA plötzlich quasi wohl am Ende der Reise kurz vor Australien angelangt, ohne auch nur annähernd etwas davon verstanden haben zu können.
Ich bin auch völlig konsterniert und frage mich die ganze Zeit, ob ich was verpasst habe? Und vor allem: was soll denn jetzt noch kommen?
Manchmal, ganz kurz, wird der Roman attraktiv.
Liebe @Wandablue: das ist ein großartiger Satz! Deiner Feststellung kann ich mich voll und ganz anschließen! Ich finde auch, dass es durchaus reizvolle Passagen gibt, aber insgesamt fehlt mir der Flow, der straffe Faden, der alles zusammenhält. Mal hier ein bisschen, da ein wenig und dann springen wir wieder vor bzw. zurück...Und zwischen Ceylon und Indonesien wird ja auch noch irgendetwas passier sein. Das Tempo ist irgendwie wie ein stotternder Motor, der dann anspringt und voran hüpft, um plötzlich wieder auf der Stelle zu tuckern. Zu Oscar bekomme ich auch kaum Nähe und fast alle anderen Figuren wirken auf mich oftmals wie Karikaturen.
Es wird doch mehr zu erzählen geben als dass er nicht an Olympia 1936 teilnehmen durfte
Und mal ganz ehrlich: erst wird das üppig aufgebaut und vorbereitet mit der Mitford-Schwester und Konstanty und die Quali verkommt dann zu einer halben Seite Burma-Erinnerung, die mal eben so abgehandelt wird.

Mir ist übrigens letzte Woche tatsächlich das Leben zwischen das Lesen gekommen - daher bitte ich um Entschuldigung, dass ich so spät dran bin.