3. Leseabschnitt: S. 122 bis 188

KrimiElse

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Anne Enright beschreibt wunderbar die Gedanken und Gefühle eines Kindes, das ohne Vater aufwächst: Die Sehnsucht.
Das Idealisieren.
Die Verbannung schmerzlicher und unangenehmer Gedanken und Vorstellungen.
Die Verbannung des Vaters aus dem Bewusstsein.
Die Eifersucht auf andere Männer und die Angst vor Eindringlingen.
Ja, das tut sie. Ich war von diesen Passagen berührt, sprachlich und inhaltlich.
 

KrimiElse

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Ich glaube, dass es Norah mit ihrem Buch letztlich um die Beantwortung einer ganz anderen und existenziellen Frage geht.
War sie gewollt und wurde sie geliebt oder war sie ungewollt und wurde sie abgelehnt oder einfach nur ertragen.

Von der Mutter.
War Norah Mutters Glück oder nur ein lästiges Anhängsel?(Ich habe im zweiten Leseabschnitt schon meine Gedanken dazu geschrieben und jetzt war ich ziemlich berührt, als ich auf Seite 130 gelesen habe, dass die Mutter das Foto ihrer Tochter immer umgedreht hat, wenn sie Liebhaber bei sich hatte (die Nora allerdings nie zu Gesicht bekam). Die Verleugnung der Tochter. Nora hat es mehrmals entdeckt und es muss sie sehr geschmerzt haben. Aber sie hatte eine gewisse Stärke. Sie ist nicht weinend aus dem Zimmer gestürzt. Sie hat das Foto umgedreht! Sie kämpfte um ihren Platz. Sie gab nicht auf. Sie resignierte nicht.

Vom Vater.
Starb er wirklich bevor sie zur Welt kam oder hat er sich aus dem Staub gemacht, als er von Katherines Schwangerschaft erfuhr?

Manche Menschen, melancholische Menschen, können ein bestimmtes Lebensgefühl mit sich herumtragen. Das Gefühl, keinen Platz auf dieser Welt zu haben. Das Gefühl, nicht am richtigen Ort zu sein. Das Gefühl, unerwünscht zu sein. Ein Gefühl von Haltlosigkeit.
Vielleicht hatte Norah so ein Gefühl und vielleicht musste sie deswegen Antworten finden. Antworten, die ihre Gefühle entkräften. Antworten, die ihren Wunsch bestätigen: ich wurde gewünscht und geliebt.
Meine Vermutung geht in diese Richtung obwohl Norah auf Seite 137 betont, dass das für Sie persönlich keine Rolle gespielt hat. Wahrscheinlich muss sie es verleugnen.

Auf Seite 125 kanen mit all diese Gedanken. Da schreibt die Autorin „der Gedanke war zu verletzend, um weiter gesponnen zu werden, deshalb musste ich meinen Vater wieder und wieder sterben lassen, bis zu sechs mal am Tag.“

Aber vielleicht geht da in Bezug auf Norah auch meine Fantasie mit mir durch.
Ich finde, dass es Norah sehr wichtig ist herauszufinden, welchen Stellenwert sie bei ihrer Mutter hatte. Das scheint so wichtig für sie zu sein, dass sie die Nachforschungen beginnt. Ich denke sogar, dass sie die Vatergeschichte weit weniger interessiert als herauszufinden, wer die Mutter tatsächlich war. Darum kreist letztlich das Buch genauso wie Norahs Leben.
 
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KrimiElse

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So habe ich es auch eher interpretiert. Katherine hat sich nie ihrer Tochter geschämt. Eher hat sie sie ausgestellt im Sinne, schaut Mal, was ich für eine hübsche Tochter habe!

Aus meiner Sicht hat Norah da einen Komplex.
Die Nachforschungen laufen im Moment noch in beide Seiten aus. Ambivalent. Ich bin gespannt, ob wir am Ende ein finales Ergebnis sehen werden.
Da bin ich ganz bei dir. Katherine benutzte ihre Tochter als Prahlerei, geschämt hat sie sich nicht. Dennoch fühlt(e) Norah sich abgelehnt, und das schleppt sie mit sich herum.
 

Mikka Liest

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Hilter am Teutoburger Wald
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Ich kann noch nicht so recht in Worte fassen, warum – aber dieser Abschnitt war für mich bisher deutlich der schwächste. Ich lese jetzt mal eure Kommentare, wahrscheinlich wird es mir dann schon viel klarer, oder vielleicht sehe ich es dann auch anders. (Oft muss sich mein Eindruck erst eine Weile setzen, während ich darüber nachdenke.)

@SuPro

Ich denke, da hast du recht, es kommt immer wieder darauf zurück, dass Norah sich Klarheit in dieser Frage wünscht: wer liebt sie oder hat sie geliebt, und umgekehrt?

Interessant fand ich, dass man das Umdrehen des Fotos ja sehr unterschiedlich sehen kann. Hat Katherine damit wirklich ihre Tochter verleugnet, oder fühlte sie sich nur befangen, sozusagen vor den Augen ihrer Tochter Sex zu haben? Umgekehrt hätte Norah vielleicht auch nicht unbedingt vor einem Bild ihrer Mutter Sex haben wollen...
Ich vermute, dass Norah Depressionen hat, die sich in dieser grundlegenden Verunsicherung äußern. Vielleicht lag es daran, dass es in den formativen Jahren ihrer Kindheit wenig Stabilität gab?

Es ist ja sehr unterschiedlich: manche Menschen sagen, ein Kind braucht nicht unbedingt einen Vater, sofern es anderweitig in einer liebenden Umgebung aufwächst. Andere sagen, das Elternteil des anderen Geschlechts ist für die Persönlichkeitsformung eines Kindes immens wichtig – also die Mutter für den Sohn und der Vater für die Tochter. Und wenn dieser Elternteil halt nicht vorhanden ist, hier der Vater, dann soll die Lücke ein Patenonkel oder ein Freund der Mutter füllen.

Mit Freunden und Kollegen von Katherine hatte Norah ja mehr als genug zu tun, aber ich denke, keiner davon fühlte sich für sie verantwortlich, und viele waren wohl auch ein eher fragwürdiger Einfluss.

@Literaturhexle

Der Unfalltod des Vaters könnte direkt aus einem Film stammen, in dem Katherina dann die tragische Hauptrolle als wunderschöne Witwe gespielt hätte.

Die Geschichte mit Duggan hat etwas von fehlgeleitetem Elektrakomplex. Wahrscheinlich ist ihr selbst nicht ganz klar, warum sie das getan hat...

Norah hat das alles viel zu lange mit sich herumgetragen. Wie alt war sie noch mal? Über 50, oder? Ich denke, Therapie hätte ich schon viel früher sehr gut getan.

Ich kann gut verstehen, das Norah missfiel, wie ihre Mutter sich in Irland politisch positionierte. Das Ganze kommt mir kein bisschen echt vor, so wie mir überhaupt Katherines ganzes Leben vorkommt wie eine Filmkulisse. Wobei ich vermute, dass es Katherine selber gar nicht vollends bewusst war.

@Leseglück

Ich denke, es kann durchaus beides wahr sein: dass Norah von ihrer Mutter geliebt wurde, und dass Norah für ihre Mutter ein Problem darstellte. Menschen sind zu einem unglaublichen emotionalen Kuddelmuddel fähig.

@RuLeka

Vielleicht war Norahs kurze Episode mit Duggan ja auch ihre Art, unterbewusst mit dem abwesenden Vater abzurechnen.

@Leseglück

Ja, Ambivalenz ist wirklich ein ständig anwesender Unterton...
Ich vermute, dass Norah entweder später herausgefunden hat, dass es zwar einen Don gab, er aber aus irgendeinem Grund nicht ihr Vater sein konnte, oder dass sie Anlass hatte, Katherine nicht mehr zu glauben... Vielleicht hat Katherine selber ja irgendwann im Streit zugegeben, dass das gelogen war.

@RuLeka

Ich habe oft den Eindruck, dass Katherine sich ihre ganze gefälschte Welt selber glaubt und nur in seltenene Momenten daran erinnert wird, dass sie sich das alles zurechtfabuliert hat.

@RuLeka + @SuPro

Das mit den Kuscheltieren hat mich auch stutzen lassen. Die Kuscheltiere benehmen sich daneben, und Norah greift als gestrenge Mutter ein... Fehlt ihr Struktur und Disziplin in ihrem Verhältnis zur Mutter? Ein Kind ganz ohne Regeln kann sich meiner Meinung ungeliebter fühlen als ein Kind überstrenger Eltern.

@Literaturhexle

Vielleicht gab es "Don" auch, aber die Trennung war weniger filmreif und wurde von Katherina daher umgeschrieben?

Ui, jetzt muss ich erstmal weg... Ich lese den Rest der Kommentare später!
 

parden

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13. April 2014
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3. Abschnitt 'geschafft', yeah!

Mir gefiel es, dass hier eher Norah im Fokus stand und nicht ihre exaltierte Mutter. Norahs Zerrissenheit und Ambivalenz in vielen Punkten wird deutlich, ihr Gefühl, womöglich nicht wirklich um ihrer selbst willen geliebt worden zu sein. Es liest sich passagenweise, als habe die Autorin einfach runtergeschrieben, was ihr durch den Kopf schoss. Bei alldem, was man hinter den Gedanken vermuten könnte - dazu habt ihr schon viel geschrieben - wirkt es wie mit viel Abstand erzählt, distanziert und reflektiert. Und dadurch eben wenig emotional, was ich auch schade finde.

Dieser Abschnitt fiel mir etwas leichter, aber ich fühle mich nach wie vor von den ständigen Wechseln von Themen, Personen, Orten und Zeiten erschlagen. Wir sind Zuschauer / Leser eines gigantisch überfrachteten Theaterstücks. Ich habe nie das Gefühl, die 'echten' Personen vor Augen zu bekommen - und wenn das Empfinden kurzzeitig aufkommt, wird es gleich mit dem Gegenteil wieder weggewischt. Mich ermüdet diese Art des Erzählens, auch wenn mir einzelne Sätze bedeutungsvoll erscheinen und vom Schreibstil her durchaus gefallen.
 
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