3. Leseabschnitt: Seite 104 bis Seite 154; letzter Satz: "Ich denke, sie hat Recht, ich bin ein Würstchen."
oder auf S. 106"Menschen wie ihnen [Überlebende der Deportation] werden wir nie wieder begegnen. Ohne sie wird es diesen Ort nicht mehr geben. Wozu die Stützstreben, der Rasenmäher, die Erhaltung der Backsteine, Ziegel und Balken, wenn sie nicht mehr am Leben sind? Sie nehmen ein ganzes Jahrhundert und einen Kontinent mit sich."
S. 147"Vergesst nicht. Aber warum? Um es nicht wieder zu tun? Aber du wirst es wieder tun. Ein Wissen, das nicht zutiefst mit einem selbst verbunden ist, bleibt folgenlos. Von der Erinnerung ist nichts zu erwarten. Dieser Fetischismus der Erinnerung ist bloßer Schein. usw. usf."
"Und ich denke, ist all dieses Vergesst nicht!, sind all diese wilden Mahnungen zum Gedenken nicht zugleich auch Ausflüchte, um die Ereignisse zu entschärfen und sie guten Gewissens in die Geschichte zu entsorgen?"
Die hat mir tatsächlich auch gefallen. Und ich dachte mir so: Der Junge scheint der einzige in der Familie zu sein, der anständig und klar kommunizieren kann. :/stelle ich fest, dass der junge Victor für mich von allen Figuren am ehesten nachvollziehbar und "greifbar" ist. Auf Seite 118, seine Nachricht, großartig.
Auf der Buchrückseite steht unter Anderem die Frage "Was heuißt jüdisch sein", ich sehe in dieser modernen Familien-, Generationen-, Beziehungsgeschichte, abgesehen von diesem Auschwitz-Kapitel keinen besonderen Bezug zu Religion und Herkunft. Für mich könnten die Familienmitglieder irgend eine Religion haben und auch seit Generationen Franzosen sein, oder auch nicht. Die Frage "Wie umgehen wir mit Alter, Krankheit, Tod?" ist für mich wesentlich präsenter, auch die Antworten auf diese Frage, Möglichkeiten, wie wir damit umgehen könnten und es tun, dies zeigt sich in diesem immer wieder zwischen die aktuellen Dialoge einfließenden Episoden mit den sehr alten, kranken und sterbenden Familienmitgliedern, teilweise Erinnerungen, teilweise aktuelle Ereignisse. Die Mutter, Maurice, Zita ...Tja, und dann kommen wieder diese nichtssagenden Passagen und Einwürfe zu diversen Familien- und Bekanntenkreismitgliedern.
Die Erzählperspektive ist auch meiner Ansicht nach nicht durchgehend stimmig. Wie hier schon mal jemand angemerkt hat, ( Pause), hab nachgelesen, war nicht jemand sondern Du, erzählt Jean die Erlebnisse von Serges Fastenkur eher so, als sei er dabei gewesen.Meines Erachtens hat die Autorin ein Problem mit der Erzählstimme.
Aber so unterhalten sich Familienmitglieder. Da geht es um Wesentliches und Banales, wild durcheinander. Und nur weil man sich an einem so schrecklichen und geschichtsträchtigen Ort befindet, ändert das nur kurzzeitig was am Umgang miteinander. Man besichtigt das Grauen und stellt fest, dass man friert oder Hunger hat. Und man gibt Weisheiten von sich und die Gedanken schweifen ab zu irgendetwas anderem.Tja, und dann kommen wieder diese nichtssagenden Passagen und Einwürfe zu diversen Familien- und Bekanntenkreismitgliedern.
Für mich spricht da eine große Resignation heraus. Man hofft und will dass diese Mahnmale ein „ Nie wieder“ auslösen, doch ist die Welt seit Auschwitz eine bessere geworden?Die Meinung darf die Autorin natürlich haben.
Nein, es ist gerade für diese Auschwitz- Passage wichtig, dass sie Juden sind. Und zwar assimilierte Juden, Menschen, die sich als Franzosen fühlen und mit der Religion und der Vergangenheit nichts zu tun haben ( wollen). Ihnen wird bewusst, dass sie ihre Eltern kaum nach dem Früher gefragt haben. Es war anscheinend ein Tabu- Thema in der Familie.Für mich könnten die Familienmitglieder irgend eine Religion haben und auch seit Generationen Franzosen sein, oder auch nicht.
Wobei man sich in einer Mail anders ausdrückt als im Gespräch. Aber ich weiß, was Du meinst. Er kann sagen, was ihn an der Familie, bzw. an seinem Onkel stört und was er tatsächlich bräuchte.Die hat mir tatsächlich auch gefallen. Und ich dachte mir so: Der Junge scheint der einzige in der Familie zu sein, der anständig und klar kommunizieren kann. :/
Ja da hast du recht. Ich meinte da konkret diesen Kipppunkt im Buch, wenn die Familie aus Auschwitz abreist und man (ich) hatte gerade Tiefe bei den Überlegungen von Jean bemerkt und auch bei der Autorin eine Konstanz im Erzählen und plötzlich "peng" sind da wieder diese (für mich maximal nervigen) Dialoge. Das war mein subjektives Empfinden/mein Wunsch, dass ich die dort einfach nicht (mehr) haben wollte. Aber ja, wenn sich die Leute vorher so unterhalten haben, dann tun sie es auch danach weiter.Aber so unterhalten sich Familienmitglieder. Da geht es um Wesentliches und Banales, wild durcheinander. Und nur weil man sich an einem so schrecklichen und geschichtsträchtigen Ort befindet, ändert das nur kurzzeitig was am Umgang miteinander.
Volle Unterstützung!Mit ist es jedoch ein Anliegen persönlich dagegen zu argumentieren. Dass Gedenkstättentourismus in diesem Ferienpark-Flair zu kiritisieren ist, keine Frage. Aber dass die Gedankstätten weiter existieren und erhalten werden, auch wenn - und gerade weil - es keine Zeitzeugen mehr gibt, finde ich wichtig. Die Erhaltung dieser Lager auf mitteleuropäischem Grund ist wichtig, um auch einer Selbstüberhöhung entgegen zu wirken. Um nicht so einfach sagen zu können: Soetwas würde es hier niemals geben... wenn an Syrische Folterzellen, an chinesische Gefangenen-/Vernichtungslager für Uiguren verwiesen wird. Doch, das gab es und die Tatsache, mit eigenen Augen sehen zu können, wie effizient diese Tötungsmaschinerie aufgebaut war, ist ein (negatives) Kulturgut.
Auch da hast du meine volle Unterstützung. Ich war nach dem Besuch in Buchenwald nicht in der Lage, ein "banales" Gespräch zu führen. Ich konnte in der Klinik auch kaum was zum Abendbrot essen, weil ich noch so fertig war.Ja da hast du recht. Ich meinte da konkret diesen Kipppunkt im Buch, wenn die Familie aus Auschwitz abreist und man (ich) hatte gerade Tiefe bei den Überlegungen von Jean bemerkt und auch bei der Autorin eine Konstanz im Erzählen und plötzlich "peng" sind da wieder diese (für mich maximal nervigen) Dialoge. Das war mein subjektives Empfinden/mein Wunsch, dass ich die dort einfach nicht (mehr) haben wollte. Aber ja, wenn sich die Leute vorher so unterhalten haben, dann tun sie es auch danach weiter.
Solche Typen gibt es mehr als genug. Jemand mit genug Selbstwertgefühl muss sich nicht ständig selbst bestätigen. Der hat auch keine Probleme, mal seine eigenen Wünsche hintendran zu stellen.Vielleicht ist Serges dominante Art seine Masche, um von seinem Versager-Dasein abzulenken. Mehr Schein als Sein.
Das gefällt mir ebenfalls. Diese eigentlich banalen Gespräche haben Selbstentlarvendes.Dieser Wechsel zwischen komischen Elementen und tiefgründigen Textpassagen.
Ich nehme es Jean ab. Auschwitz macht etwas mit den Menschen, lässt sie innehalten und reflektieren. Daher nehme ich Jean seine tiefsinnigen Gedanken ab.Da klingt es nicht mehr so recht nach Sean, wenn die Erinnerungskultur hinterfragt wird.
Leider wahr. Derartige Typen begegnen einem tagtäglich. Mir fallen spontan einige ein.Solche Typen gibt es mehr als genug.
Wenn sie nicht Jüdin wäre, würde ich das Buch nicht lesen wollen. So darf nur eine Jüdin schreiben.Außerdem spielt es eine Rolle, dass Yasmina Reza selbst Jüdin ist. Nur Juden verzeiht man, wenn sie sich im Grunde für eine Abschaffung dieser Erinnerungskultur aussprechen.
Mir sagt dieser Abschnitt schon etwas: Jean hätte eigentlich gerne eine eigene Familie, traut sich aber aufgrund der Beobachtungen bei seinen Geschwistern und Eltern nicht. Und er ist sich bewusst, dass er feige ist.Tja, und dann kommen wieder diese nichtssagenden Passagen und Einwürfe zu diversen Familien- und Bekanntenkreismitgliedern. Und ich möchte am liebsten das Buch weglegen. Der Leseabschnitt endet mit diesem schrecklichen Dialog zwischen Sean und Marion, der mir ehrlich gesagt erst einmal entgangen ist. Da der Absatz genau zwischen S. 150 und 151 liegt, dann wieder einmal alles mit merkwürdigen Gedankengängen anfängt, rutschte ich förmlich in die Konversation und wusste nicht, was jetzt eigentlich vorsichgeht. Dann ist er wohl doch ein Würstchen. Na denn...
Ich finde schon, dass es eine Rolle spielt, dass sie Juden sind, denn mit ihrem Altern und Tod gehen die letzten betroffenen Zeitzeugen des Holocausts verloren.Auf der Buchrückseite steht unter Anderem die Frage "Was heuißt jüdisch sein", ich sehe in dieser modernen Familien-, Generationen-, Beziehungsgeschichte, abgesehen von diesem Auschwitz-Kapitel keinen besonderen Bezug zu Religion und Herkunft. Für mich könnten die Familienmitglieder irgend eine Religion haben und auch seit Generationen Franzosen sein, oder auch nicht. Die Frage "Wie umgehen wir mit Alter, Krankheit, Tod?" ist für mich wesentlich präsenter, auch die Antworten auf diese Frage, Möglichkeiten, wie wir damit umgehen könnten und es tun, dies zeigt sich in diesem immer wieder zwischen die aktuellen Dialoge einfließenden Episoden mit den sehr alten, kranken und sterbenden Familienmitgliedern, teilweise Erinnerungen, teilweise aktuelle Ereignisse. Die Mutter, Maurice, Zita ...
Sie haben den Kopf nicht frei für Auschwitz. Sie stecken so tief in ihrem Familienzwist, dass das KZ nicht die erste Rolle in ihren Gedanken spielt. So sollte man nicht nach Auschwitz fahren.Auch da hast du meine volle Unterstützung. Ich war nach dem Besuch in Buchenwald nicht in der Lage, ein "banales" Gespräch zu führen. Ich konnte in der Klinik auch kaum was zum Abendbrot essen, weil ich noch so fertig war.
Okay, jeder "reagiert" sich anders ab nach solchen Besuchen, aber ein bißchen "wertschätzender" darf es schon sein...
Ja, das finde ich auch. Das passt nicht wirklich zusammen. So etwas hat seinen Platz u.U. in der Autofiktion (wie z.B. in "Die Fremde" von Claudia Durastanti) aber hier ist es sehr (ver)störend.Meines Erachtens hat die Autorin ein Problem mit der Erzählstimme. Es soll Sean sein, der erzählt, häufig sehr subjektiv und erinnernd. Und dann ist hier der Text durch fast essayistische Passagen, die die Meinung der Autorin widergeben (laut gelesenen und gesehenen Interwievs mit der Autorin), unterbrochen.
Für mich haben die banalen Gespräche auch eine Funktion. Irgendwie zeigen sie doch das Verhältnis zur Vergangenheit auf und sind ein weiteres Mosaiksteinen in der Diskussion um die Erinnerungsstätten. Die Familie erinnert sich, ja, aber hat das eine Auswirkung auf ihr Leben? Man erinnert sich, weil man jetzt mal gerade da ist, aber insgesamt wirkt es wie ein aktives "Muss" in der Situation. Es wird so distanziert und oberflächlich dargestellt und genauso oberflächlich und belanglos ist unser modernes Leben im Vergleich zu dem erlittenen Leid.Diese eigentlich banalen Gespräche haben Selbstentlarvendes.
Das ist ein gutes Beispiel, dort hat es meines Erachtens wirklich besser reingepasst.So etwas hat seinen Platz u.U. in der Autofiktion (wie z.B. in "Die Fremde" von Claudia Durastanti) aber hier ist es sehr (ver)störend.