3. Leseabschnitt: Riet und Hendrik (S. 56 bis S. 83)

Querleserin

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Wadern
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Die beiden Figuren sind Mattias Großeltern, wobei aus der personalen Perspektive der Großmutter erzählt wird, dadurch erscheint das Erzählte etwas distanzierter. Um Mattias geht es nur am Rande, Riets Schlaflosigkeit und ihre Ehe mit Hendrik stehen im Vordergrund. Es ist sozusagen der familiäre Background müttlicherseits, der uns offenbart wird. Opa, der Radrennen gefahren ist, wobei sich die beiden kennengelernt haben. Danach eröffnet er ein Fahrradgeschäft, sie bekommen zwei Kinder, ein Sohn und eine Tochter - Mattias Mutter. Von ihrem 60. Hochzeitstag wird erzählt, bei dem sie von ihren Enkelkindern Netflix geschenkt bekommen. Etwas, das sie über die Stille nachts, wenn beide nicht schlafen können, trägt. Rührend, aber auch schonungslos erzählt Riet von ihrer Ehe, den veränderten Blick aufeinander. Als sie fällt, kann sie sich jedoch auf Hendrik verlassen - eine berührende Szene, wenn er Riet in der Badewanne „versorgt“.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Diese einzelnen Kapitel wirken auf mich wie Erzählungen. Hier wird ein intensiver Blick auf dieses alte Ehepaar geworfen. Mattias wird tatsächlich nur selten erwähnt. Einmal, als sie kurz nach seinem Tod auf dem Rückweg von der Tochter sind, überlegt Riet, das Auto im Fernlicht von der Straße ab zu steuern: Einfach die Augen zu machen und es hinter sich haben.
"Nach Mattias" kam die große Schlaflosigkeit über beide. Ein unverarbeiteter Gedankenstrom hält beide wach. Sie streiten sich mitunter.

Riet erzählt uns einiges über die eigene Familie und auch mit Amber hat sie auf der Feier gesprochen, über ein Ehepaar, das keine gemeinsamen Träume mehr hat und sein Haus verkaufte.
Sieht sie sich und Hendrik so? Offensichtlich war die diamantene Hochzeit noch einmal ein Fixpunkt, ein gemeinsamer Traum: mit der GANZEN Familie zusammenkommen. Und jetzt?

Sie überbrücken die Nächte mit Netflix. Als das ausfällt, geraten die Zwei in einen Konflikt, an dessen Ende Hendrik handgreiflich wird. Anschließend kümmert er sich aber um Riet. Ein wunderbarer Satz: " Das Eis ist dick nach 60 Jahren. Da bricht man nicht so ohne weiteres ein." (81)

Sehr berührend empfand ich die dritte Stelle, in der Mattias mittelbar erwähnt wird: das Ehepaar auf der Straße tanzt wie nach dem Begräbnis eines Enkelkindes...(82). Das tut weh.

Es liegt so ein Schleier über der Szenerie. Wie hieß es im ersten Teil? Die Trauer ist immer da, sie fällt nur anders - je nach dem Stand der Sonne. Das kann man auch bei diesen zwei Alten feststellen. Toll geschrieben!
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Ich beginne jetzt mit diesem Leseabschnitt. Kann aber hier noch keinen Beitrag leisten. Muss mir erst den Zusammenhang dieser einzelnen Quasi-Erzählungen /dieser Miniaturen erschließen.
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Wadern
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Ich beginne jetzt mit diesem Leseabschnitt. Kann aber hier noch keinen Beitrag leisten. Muss mir erst den Zusammenhang dieser einzelnen Quasi-Erzählungen /dieser Miniaturen erschließen.
Muss gestehen, dass ich es auch zu Ende gelesen haben, erst dann ergibt der Roman ein Ganzes - mit einigen loseren Teilen, dazu später aber mehr...
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Dieses Kapitel konnte mich irgendwie nicht so berühren und hat mich sogar etwas gelangweilt. Ich verstehe auch den Wechsel der Erzählperspektive nicht.
 

ulrikerabe

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Bei diesem Abschnitt habe ich an etwas denken müssen, was ich erst kürzlich gelesen habe: Wenn man ein Mensch seinen Ehepartner verliert, wird er zur Witwe, zum Witwer. Wenn ein Kind seine Eltern verliert, wird es zum Waisen. Aber wenn Eltern ein Kind verlieren, gibt es kein Wort dafür, so schlimm ist das. Hier sind es die Großeltern und ihre Sprachlosigkeit drückt sich in der Schlaflosigkeit aus.

Ein Paar, das sich umarmt "wie ein Ehepaar nach dem Begräbnis eines Enkelkindes." Mich berührt so etwas schon.
 

Mikka Liest

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@Querleserin

Ich hatte den Eindruck, dass Matthews Tod im Leben seiner Großeltern wie eine Bombe eingeschlagen ist. Alles ist aus dem Lot, alles wird auf einmal im Stillen hinterfragt... Auch wenn es vordergründig nicht immer um Matthias geht, hat er doch alles verändert.

@Literaturhexle

Da ist was dran, die einzelnen Kapitel lesen sich wie Kurzgeschichten, die mit nur leichten Änderungen komplett allein stehen könnten.

Ich frage mich, ob Hendrik eine halbwegs bewusste Entscheidung getroffen hat, als er Riet so umgerannt hat, oder ob er selber glaubt, es sei nur ein Versehen gewesen. So oder so hat sich da was Bahn gebrochen...

Manche Bilder aus dem ersten Abschnitt tauchen hier wieder auf, wie das Ticken eines sich drehenden Rades in einer totenstillen Wohnung. Ich weiß gar nicht, warum, aber für mich ist das ein sehr starkes Bild – oder eher, eine sehr starke Geräuschkulisse.

@ulrikerabe

Ich musste beim Lesen so oft daran denken, dass wir vor ein paar Jahren meinen Bruder begraben mussten – und ich mich damals auch fragte: was sind meine Eltern denn jetzt? Sollte es nicht ein Wort dafür geben?

Manche Eltern verstorbener Kinder verwenden das Wort "Vilomah", ein Wort aus dem Sanskrit, das "gegen die natürliche Ordnung" bedeutet. Die Akademikerin Karla Holloway hat dieses Wort geprägt, nachdem sie selber nach dem Tod ihres Sohnes vergeblich nach einem passenden Wort gesucht hatte.
 

parden

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Mir gefällt der ständige Perspektivwechsel schon, auch wenn die Szenen dabei sehr für sich stehen. Aber ist es nicht auch genau das: der Tod eines Nahestehenden lässt jeden für sich alleine dastehen, jeder trauert auf seine Weise, erstarrt und muss schauen, ob und wie er aus der Erstarrung herauskommt? Diese unterschiedlichen Perspektiven machen das sehr deutlich, finde ich. Jeder hatte einen ganz anderen Bezug zu Mattias, eine andere Rolle, doch verändert sein Tod jeden einzelnen von ihnen, zwingt sie, sich im Leben neu zu positionieren.
 
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Mikka Liest

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...jeder trauert auf seine Weise, erstarrt und muss schauen, ob und wie er aus der Erstarrung herauskommt? Diese unterschiedlichen Perspektiven machen das sehr deutlich, finde ich. Jeder hatte einen ganz anderen Bezug zu Mattias, eine andere Rolle, doch verändert sein Tod jeden einzelnen von ihnen, zwingt sie, sich im Leben neu zu positionieren.

Das stimmt, das gibt das Buch sehr gut wieder!
 

Sassenach123

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Bei diesem Abschnitt habe ich an etwas denken müssen, was ich erst kürzlich gelesen habe: Wenn man ein Mensch seinen Ehepartner verliert, wird er zur Witwe, zum Witwer. Wenn ein Kind seine Eltern verliert, wird es zum Waisen. Aber wenn Eltern ein Kind verlieren, gibt es kein Wort dafür, so schlimm ist das. Hier sind es die Großeltern und ihre Sprachlosigkeit drückt sich in der Schlaflosigkeit aus.

Ein Paar, das sich umarmt "wie ein Ehepaar nach dem Begräbnis eines Enkelkindes." Mich berührt so etwas schon.
Bei uns im Ort gibt es eine Selbsthilfegruppe die sich "verwaiste Eltern" getauft hat. Nachdem ich deinen Kommentar gelesen habe, ist mir wieder eingefallen, dass mir damals ähnliche Gedanken kamen, als ich das las.
 

Sassenach123

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Während des Lesens habe ich mich ständig gefragt, was den alten Leuten wohl durch den Kopf geht. Welche Gefühle der Tod des Enkels genau hervorbringt. Der Autor lässt uns zwar am Tagesablauf des Ehepaars teilhaben, lässt uns miterleben, dass die beiden durch den Wegbruch des Enkels, leiden, fast schon verbittert sind, doch mir fehlen irgendwie ein paar handfeste Gefühle. Natürlich birgt die Trostlosigkeit als solche schon einiges in sich, aber dennoch hoffe ich, dass die weiteren Abschnitte anders verlaufen