Ich habe mich zu keinem Zeitpunkt verheddert oder gar gelangweilt.
Ich auch nicht, es liest sich unheimlich flüssig, schnell und interessant.
Das Alibi, die Geldscheine, der Parkautomat, die Zeitungen uvm - für mich wurde er immer schuldiger. So viele Zufälle sind fast unmöglich.
Das finde ich auch richtig gut gemacht. Man "beobachtet" das Geschehen und sieht sich selbst gezwungen, seine Haltung zu verändern. Für mich erscheint der "Gefangene" schuldig, denn das Blut am Geldschein, die großen Geldscheine, die Ortsteil-Zeitungen kann man sicherlich irgendwie erklären (das wird ja auch versucht), aber es sind keine überzeugenden Erklärungen. Dazu noch diese tendenziell eindeutigen Hinweise des Gefangenen als es um das Schlusswort geht.
Poschenrieders großes Geschick liegt für mich tatsächlich darin, dass auch die Freunde in ihren Äußerungen mehr und mehr zweifeln. Das finde ich sehr spannend, faszinierend und gut gemacht. Hier wird der Zweifel sehr dosiert und schleichend eingesetzt und baut sich von Kapitel zu Kapitel auf.
Aber bei der "Studienlüge" ist es so, dass der Freund die Gruppe über Jahre belogen hat. Und sie haben es nicht erkannt. Das ist nicht nur ein schwerwiegender Verrat, sondern müsste eigentlich auch Zweifel an der Freundschaft generell säen.
Das habe ich auch so gesehen. Die Lüge an sich ist vielleicht kein Mord, aber ein Vertrauensbruch, der die Freundschaft schwer erschüttert. Ich habe es sogar so gelesen, dass dadurch nicht nur die Freundschaft angezweifelt wird, sondern auch der Charakter des Freundes. Jemand der seine Freunde und seine Partnerin über so einen langen Zeitraum mit solch einem umfassenden Aufwand täuscht, ist auf jeden Fall nicht besonders aufrichtig.
und nicht mehr als 15 Jahre später? Denn was macht es jetzt aus der Freundesgruppe? Eigentlich erzählen sie nur, wie es damals war.
Die Unmittelbarkeit fehlt mir tatsächlich auch etwas. Vor allem frage ich mich immer, ob das Erzählen in letzter Konsequenz so authentisch ist. Denn den Freunden steht ja nun retrospektiv viel mehr Wissen (allein über den Verlauf der Verhandlung) zur Verfügung, als wenn die Situation sich gerade erst entwickeln würde. Trotzdem verzichtet Poschenrieder bis auf einige wenige Ausnahmen (wegen des Spannungsbogens) darauf, die Figuren Andeutungen machen zu lassen und ihre Empfindungen bauen sich allmählich auf.
Ich erwarte im letzten Abschnitt einen Knalleffekt,
Ja, ich auch! Wehe, der kommt nicht
Er scheint das Gerichtsverfahren distanziert zu betrachten: eine Bühne mit ihm als Hauptfigur, die Rolle seines Lebens
Das ist mir auch aufgefallen und der Gedanke erscheint mir gerade im Zusammenhang mit seiner Charakterisierung faszinierend: hier geht es sehr um das Performative, eine große Show, eine aufwändige Selbstinszenierung und immer wieder um die Diskrepanz zwischen Innensicht (von der wir aber so gut wie nichts in Bezug auf den Gefangenen vermittelt bekommen) und Außenwirkung. Bis hierher bleibt hauptsächlich die Frage offen, wer der "Gefangene" eigentlich ist.
Ich habe bei unserem Prota das Gefühl, dass er gar nichts richtig will.
Da kommt der "Job" als Angeklagter mit Medienrummel und dann eine sichere Stelle im Gefängnis doch gerade richtig...
Zumal es mit der Schauspielerei nicht wirklich geklappt hat. Es gibt ja diese Idee, dass Schauspieler oftmals auch eine Tendenz zum Narzissmus haben (ich habe jetzt nicht recherchiert, ob sie tragfähig ist), aber sollte unser Gefangener ein Bedürfnis in dieser Hinsicht haben, so würde es doch durch den Prozess in gewisser Weise bedient.