3. Leseabschnitt: 'LIEGEN' - 2. Teil (Kapitel 5 bis 9/ Seiten 152 bis 221)

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Der Roman ist so ungemein spannend, dass ich im Moment alles liegen und stehen ;) lasse, um weiterzulesen.
Robert wird nach England verlegt und zunächst dort im Krankenhaus behandelt. Das Ziel ist jedoch, ihn möglichst schnell wieder nach Hause zu bringen, eine Situation, die sich Anna, in deren Perspektive wir weiterlesen, überhaupt nicht vorstellen kann.
Mühsam lernt er zu laufen, sich alleine anzuziehen, auf die Toilette zu gehen, auch die Worte kommen langsam zurück.
Tatsächlich lacht Bridget Anna aus, als diese vom letzten Streit erzählt und spricht aus, es Klinge wie ein Fluch, erklärt jedoch gleichzeitig, Anna treffe keine Schuld. Wie sollte es auch?
Übrigens wird in diesem LA mehrmals das rote Flugzeug erwähnt ;) (S.157, S.203)
Erneut wird Robert zu den Ereignissen in der Antarktis befragt. Besonders bewegend ist das Zusammentreffen mit Luke, den Robert spontan umarmt.
Anna überlegte, ob sie jemals gesehen hatte, wie Robert einen anderen Mann umarmte. (164)
Luke entschuldigt sich, warum? Und Robert hat noch nicht realisiert, dass Thomas tot ist.
Sara steht Anna zunächst zur Seite, da ist Robert noch im Krankenhaus. Interessant ist der Dialog zwischen Frank und Anna, da er ihr vorwirft immer einsilbig zu sein. Offensichtlich ist Robert der Erzähler, während Anna ihre Ruhe braucht.
Und dann darf Robert nach Hause. Kapitel 7 hat mir die Luft genommen. Die permanente Wiederholung „Sie musste“ am Satzanfang, die Aufzählung dessen, was Anna alles tun muss und das am besten gleichzeitig, verdeutlicht auf sprachlicher Ebene ihre Überforderung. Hilfe kommt alle paar Tage für 14 (!) Minuten - mir tut Anna wirklich leid, vor allem da Sara aufgrund ihres neuen Jobs keine Hilfe leisten kann.
Es kommt ans Licht, dass Doc die Basis nicht angefunkt hat und nicht um Hilfe gebeten hat. Und dass er Luke wohl die Anweisung gegeben hat, nicht nach Thomas zu suchen.
Währenddessen soll Robert wieder an ein „normales Leben“ herangeführt werden, Kommunikationsstrategien lernen, selbstständig werden. Zumindest lernt er wieder „Nein“ zu sagen.
Der Besuch Lukes ist seltsam, dieser erzählt, dass er zur Station zurückkehren will. Gleichzeitig erzählt er, dass er eigenmächtig nach Thomas gesucht und Doc im Stich gelassen habe, daher die Entschuldigung. Luke wollte, dass das Flugzeug (!) Thomas sucht, der eine Signalrakete abgesetzt hat und Robert hat sie nicht gesehen ?
Etwas ging vor sich, das Anna nicht verstand. Rot Slufu-feug. Klein, klein.“
Was ist da passiert?
Die Untersuchung verläuft jedoch für Robert günstig, obwohl er die Basis nicht verständigt hat und die Satellitentelefone nicht gewartet waren.
Ich kann mir immer noch kein richtiges Bild davon machen, was in der Antarktis passiert ist und ob und wer Schuld daran hat.
Echt spannend.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Sara steht Anna zunächst zur Seite, da ist Robert noch im Krankenhaus.
Also von der Tochter war ich zunächst sehr enttäuscht. Sie hatte ja ihren Job und ihre Wohnung verloren und wollte wieder zu Hause einziehen.
Nun ist der Vater ein Pflegefall. Da ist dann keine Rede mehr davon. Da kommt man nur stundenweise, wie es gerade passt. Erst später stellt sich raus, dass sie wieder einen Job hat. Die Familie redet wenig. Normalerweise würde man einen "Schlachtplan" aufstellen: wer wann wie die Mutter entlasten kann. Wer einkauft, wer wäscht,...
Das liegt natürlich auch an Anna. Sie ist gewohnt, alles alleine zu machen. Sie rackert wie ein Pferd. Erneut schafft es der Text, diese bedrückende Atmosphäre zu transportieren (Sie musste...). Nebenbei kriegen wir gezeigt, wie gering die Hilfe in einem solchen Fall aussieht (Sozialkritik!). Bei uns wären wenigstens ein paar Wochen Reha drin gewesen.


Gleichzeitig erzählt er, dass er eigenmächtig nach Thomas gesucht und Doc im Stich gelassen habe, daher die Entschuldigung.
Das hat mich sehr überrascht. Da sieht man mal, wie anders eine andere Perspektive aussehen kann. Luke scheint nicht nur Doc, sondern auch sich selbst zu decken, als er behauptet, sie wären alle beieinander gewesen , als der Sturm losbrach. Das stimmt nicht. Doc war ja auf dem Berg.
Was ist da passiert?
Ich bin gar nicht sicher, ob das im letzten Teil noch eine Rolle spielt. Der Fokus hat sich völlig verschoben. Im Zentrum steht jetzt Docs Versehrtheit. Sein Weg zurück ins Leben.

Obwohl der gesamte Abschnitt aus Annas Perspektive geschildert wird, bekommt man sehr genau Roberts Krankheit, seine Grenzen und Fortschritte geschildert. Der Autor lässt auch die würdelosen Szenen im Bad nicht aus. Ich staune, wie es Anna gelingt, so ruhig zu bleiben. Sie muss Nerven wie Drahtseile haben.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Offenbar hat sich auch Bridget zurückgezogen. Liegt das an ihr oder an Anna? Eine gute Freundin würde doch entlasten.

Anna schultert die Situation, sie funktioniert, auch weil es alle von ihr zu erwarten scheinen. Natürlich sieht sie auch, dass ihr beruflich die Fälle wegschwimmen.
Das hätte der Höhepunkt ihrer Laufbahn sein können. S 169
Der Vater kommt nach Hause und die Kinder schreiben Whattsapps: Sie wünschten viel Glück und würden bald mal vorbeikommen. Hoppla!

Und als Anna endlich konkret um Hilfe bei Sara bittet, kriegt sie eine Abfuhr. S. 181

Die ganze Untersuchung tritt in den Hintergrund. Sie spielt für Anna auch nicht so eine große Rolle. Sie hat mit dem Alltag genug zu tun. Auch das arbeitet McGregor prima heraus.

Wenn Robert alleine wäre, würde er mehr staatliche Hilfe bekommen. Das erklärt die Pflegerin ganz keck. Robert zu verlassen, scheint aber keine Alternative mehr für Anna zu sein, das erklärt sie Bridget am Telefon (213). Anna muss sich fühlen wie in einer Mausefalle. Ihre Gefühle sind schließlich schon über die Jahre erkaltet. Sie konnte die Ehe nur aufgrund der monatelangen Distanz aufrecht erhalten. Jetzt kann sie nicht einmal mehr in Ruhe auf Toilette gehen. Krass, diese Diskrepanz!

Die Untersuchung scheint glücklich ausgegangen zu sein. Anna konnte Robert mit Mühen in die Selbsthilfegruppe bugsieren. Wie geht es jetzt weiter? Der deutsche Titel gibt Grund zu Hoffnung, der englische eher das Gegenteil.
Ich bin gespannt, welchen Fokus der Autor im letzten Abschnitt wählt.
 

GAIA

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27. Dezember 2021
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Übrigens wird in diesem LA mehrmals das rote Flugzeug erwähnt ;) (S.157, S.203)
Jaaa, da hab ich an dich gedacht. Da scheint dann doch noch etwas dahinter zu stecken, was wir vielleicht (hoffentlich) im letzten LA erfahren!
Luke entschuldigt sich, warum?
An der Stelle des Buches kam bei mir die Hypothese auf, dass vielleicht Luke doch einen größeren Fehler gemacht hat, als wir bisher erfahren haben. Oder er entschuldigt sich dafür, dass er Robert im Zelt allein zurückgelassen hat, obwohl es Robert augenscheinlich schlecht ging. Sehr spannend all diese Andeutungen...
Und dann darf Robert nach Hause. Kapitel 7 hat mir die Luft genommen. Die permanente Wiederholung „Sie musste“ am Satzanfang, die Aufzählung dessen, was Anna alles tun muss und das am besten gleichzeitig, verdeutlicht auf sprachlicher Ebene ihre Überforderung.
Das war der Moment als ich dachte, "Das kann doch nicht sein, jetzt schafft es McGregor auch noch diese Thematik vollkommen realistisch darzustellen. Der kann wohl alles, oder wie?" Mir ist dieser Abschnitt bisher emotional am meisten nahe gegangen. Die Pflegesituation zuhause sieht genauso aus! Und wenn dann noch Besuch kommt, der nur das beste will, wird das aber nur wieder zu einem zusätzlichen Stressfaktor. Sara scheint ja eine sehr enge Bindung zu ihrem Vater zu haben, sie kommt aber auch nur für einen Moment und irgendwie stürzt der Vater (im Krankenhaus) oder es passiert etwas anderes (beim Spaziergang am Kanal) mit ihm, und es wird doch wieder Anna mit dazugerufen, die sonst mal einen kleinen Moment der Ruhe gehabt hätte.
Die Untersuchung verläuft jedoch für Robert günstig
Auch hier wieder dieser Kniff des Autors uns nur einen Informationsschnipsel zuzuwerfen, ohne die Chance mehr zu erfahren. Diese Strategie geht bei mir voll auf und die Spannung bleibt durchweg auf hohem Niveau.
Da kommt man nur stundenweise, wie es gerade passt. Erst später stellt sich raus, dass sie wieder einen Job hat. Die Familie redet wenig.
Enttäuscht war ich auch von ihr. Aber wie du schon sagtest, dann kommt später etwas raus, was das Bild wieder etwas ändert. Auch das gefällt mir sehr am Roman. Häufig mache ich mir aufgrund eines Informationsschnipsel ein Bild von einer Person und werde dann eines Besseren belehrt, wenn noch weitere Infos später dazukommen. Nicht alles ist auf den ersten Blick so, wie man denkt.
Nebenbei kriegen wir gezeigt, wie gering die Hilfe in einem solchen Fall aussieht (Sozialkritik!). Bei uns wären wenigstens ein paar Wochen Reha drin gewesen.
Das ist der Unterschied im Sozial-/Gesundheitssystem zwischen UK und Deutschland. Bei mir verkrampft sich immer alles, wenn vorschnell auf das deutsche Gesundheitssystem geschimpft wird. Ja, es hat in den letzten 20 Jahren nachgelassen und war schon mal besser, aber in anderen Ländern sieht das viel schlechter aus.
Ich bin gar nicht sicher, ob das im letzten Teil noch eine Rolle spielt. Der Fokus hat sich völlig verschoben. Im Zentrum steht jetzt Docs Versehrtheit. Sein Weg zurück ins Leben.
Ich könnte mir vorstellen, dass es für Roberts psychische Genesung noch eine Rolle spielen könnte, auszusprechen bzw. aussprechen zu können, was tatsächlich geschehen ist.
Und als Anna endlich konkret um Hilfe bei Sara bittet, kriegt sie eine Abfuhr. S. 181
Und man muss sich mal vorstellen, welche Überwindung das Anna abverlangt haben muss. Von Frank kann sie außer juristische Tipps auch nicht viel Handfestes erwarten...
Robert zu verlassen, scheint aber keine Alternative mehr für Anna zu sein, das erklärt sie Bridget am Telefon (213).
An der Stelle habe ich mich gefragt, wie viel Robert von dem Telefonat mitbekommen hat. Ob er nun weiß, wie lange schon Anna damit gerungen hat, ihn zu verlassen und jetzt aus Pflichtgefühl nicht mehr kann.
 

GAIA

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27. Dezember 2021
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Das interessiert mich auch. Wenn der Originaltitel,anders lautet, wundern mich aber die Zeichen /, _, und l für Stehen. Sind die im Englischen anders?
Hab grad mal in die englische Leseprobe reingeschaut und "lean fall stand" beginnt bei den Kapitelumbrüchen mit /. Das würde zu "lean" wie "lehnen", "neigen", "gegen etw. stützen" passen.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Oder er entschuldigt sich dafür, dass er Robert im Zelt allein zurückgelassen hat,
So habe ich es verstanden. Er musste zwischen Pest und Cholera wählen. Sein Ziel war sicher, erst dem einen, dann dem anderen zu helfen. Wahrscheinlich stand ihm sein gleichaltriger Kollege einfach etwas näher, so dass er dem anderen gegenüber ein schlechtes Gewissen hat. So ein Drama streift man nicht ab.

Im Gegensatz dazu steht die Aufforderung Franks, dass sein Vater sich auf keinen Fall bei der Opferfamilie entschuldigen darf.

Diese Strategie geht bei mir voll auf und die Spannung bleibt durchweg auf hohem Niveau.
So geht es mir auch.

Bei mir verkrampft sich immer alles, wenn vorschnell auf das deutsche Gesundheitssystem geschimpft wird.
Ja. Mit Kritik sind wir alle immer schnell. Aber nicht alles lässt sich mit Geld lösen. Das (nicht vorhandene) Personal ist ein Schlüssel, und die private Organisation ziehe ich der Staatswirtschaft vor. D ist zum Glück immer noch führend. Das heißt nicht, dass es kein Verbesserungspotential gibt.
 

ulrikerabe

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14. August 2017
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Die permanente Wiederholung „Sie musste“ am Satzanfang, die Aufzählung dessen, was Anna alles tun muss und das am besten gleichzeitig, verdeutlicht auf sprachlicher Ebene ihre Überforderung.
Das hat sich mir ganz intensiv eingeprägt. wie oft geht es uns im "normalen" Alltag so. du musst, du musst, du musst.... Und für Anna ist die Belastung ungleich höher.

Anna kümmert sich so gut es geht, weil sie muss. Da ist eine moralische Verpflichtung, keine aufrichtige. Sie pflegt Robert, weil es sonst keiner macht. Diese Ehe war ja von vornherein keine gewöhnliche, innigem zuverlässige, Beziehung. Den Absprung zu gehen, hat sie verpasst. es gab auch keine Notwendigkeit, weil sich beide in ihrer Welt gut eingerichtet haben.
Roberts Leben ist nun begrenzt durch sein körperliches Unvermögen. Aber auch Annas Leben ist nicht mehr ihres. Ich kann sowohl Roberts Missmut verstehen, wenn nichts mehr geht wie vorher, dass er zornig wird, wenn die Worte nicht rauskommen wie sie sollen, die täglichen Verrichtungen ohne Hilfe nicht mehr funktionieren. Und ich kann auch Anna so gut verstehen. Ganz toll, wie der Autor es hier schafft auf mich einzudringen.
 

Anjuta

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Und wieder spielt der Autor auf sehr geniale Weise mit der Sprache. Da wird jede Tätigkeit Annas mit Sie muss..... eingeleitet und macht dadurch auf quälende Art und Weise ihren Verlust der Selbstgestimmtheit deutlich.
Die Untersuchung der Situation, die zum Tod von Thomas geführt hat, sind ein weiterer quälender Moment in diesem Roman. Wie können die Untersucher logische, sinnvolle Antworten und ein klares Erinnern von Doc erwarten? Das ist schon eine ziemliche Zumutung. Wird er wirklich in irgendeiner Form zur Rechenschaft gezogen werden?
 

buchregal

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Robert kommt in eine Klinik nach Cambridge und dann bald auch schon nach Hause. Anna hat sich immer noch nicht mit dem Gedanken arrangiert und es wird ihr auch nicht leicht gemacht. Scheinbar sind alle der Meinung, dass sie nun mit etwas Unterstützung der Therapeuten sich um ihren Mann kümmert.

Das Haus wird behindertengerecht ausgestattet, doch niemand hat anscheinend die Treppe berücksichtigt. Nicht nur die Therapeuten kommen jetzt ins Haus, sondern auch ständiger Besuch. Anna ist wirklich überfordert. Als erstes hätte ich an ihrer Stelle die Bewirtung eingestellt. Sara hat zwar anfangs geholfen, ist aber nicht allzu lange geblieben. Eigentlich sollte Frank und Sara zumindest Freiräume für Anna schaffen. Doch Sara hat einen neuen Job und viel Arbeit und Frank war ja sowieso schon eingespannt. Dass ihre Mutter auch einen Job hat, scheint niemanden zu interessieren.

Anna hat keine Kraft mehr und macht dennoch weiter. Sie hat keinen Moment, um zu verschnaufen. Robert macht es ihr manchmal auch noch schwer durch seinen Eigensinn, obwohl ich nachvollziehen kann, dass er wütend wird und nicht kämpfen will.

Die Therapie ist ein Witz. 14 Minuten und das nicht einmal täglich. Es dauert auch nicht lange, bis dann keiner mehr kommt.

Auch Luke kommt und fühlt sich schuldig, weil er Robert in dem Zelt zurückgelassen hat, um nach Thomas zu suchen.

Die Untersuchung des Instituts geht gut für Robert aus. Luke hat wohl nicht berichtet, wie alles genau war. Die nicht gewarteten Satellitentelefone sind nun offiziell der Grund für das Disaster.
 

Renie

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Luke entschuldigt sich, warum?
Diese Entschuldigung würde ich nicht überbewerten. Er entschuldigt sich, weil er ihn in diesem Zustand allein gelassen hat. Robert ging es nicht gut. Luke musste zwischen zwei Möglichkeiten wählen - Robert oder Thomas. Jede Entscheidung wäre zu Lasten des Anderen gegangen. Und da Luke ein mitfühlender Mensch ist, entschuldigt er sich bei Robert. Sicherlich nagt die Frage an Luke, ob er an Roberts Zustand hätte etwas ausrichten können, wäre er bei ihm geblieben.
 

Renie

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Roberts Leben ist nun begrenzt durch sein körperliches Unvermögen. Aber auch Annas Leben ist nicht mehr ihres. Ich kann sowohl Roberts Missmut verstehen, wenn nichts mehr geht wie vorher, dass er zornig wird, wenn die Worte nicht rauskommen wie sie sollen, die täglichen Verrichtungen ohne Hilfe nicht mehr funktionieren. Und ich kann auch Anna so gut verstehen.
Ich leide so sehr mit Anna. Die Kinder sind aus dem Haus und endlich kann sie ein Leben voller Selbstbestimmung leben. Der Fokus liegt auf ihrer eigenen Person, sie konzentriert sich auf ihren Beruf, Robert spielt eine Nebenrolle.
Und mit einem Schlag ist ihr Leben völlig fremdbestimmt. Sie versucht zwar noch krampfhaft an dem festzuhalten, was ihr wichtig ist - also ihren Job. Doch für mich ist es nur eine Frage der Zeit bis sie aufgibt und resigniert.
Ich beobachte gerade, dass Robert sämtliche Energien aus ihr heraussaugt, um wieder gesund zu werden. Diese Selbstverständlichkeit, mit der von Anna Selbstlosigkeit erwartet wird, macht mich unglaublich wütend.
 

Renie

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Wie können die Untersucher logische, sinnvolle Antworten und ein klares Erinnern von Doc erwarten? Das ist schon eine ziemliche Zumutung.
Die interessante Frage ist auch, ob Robert die Entscheidung, keine Unterstützung anzufordern bewusst getroffen hat, oder ob diese seinem Schlaganfall geschuldet war. Bloß weil seine Sprachfähigkeit gestört war, heißt das nicht, dass er nicht geistig auf der Höhe war.
Andererseits könnte der Schlaganfall andere Teile des Gehirns beeinträchtigt haben, so dass er völlig unlogisch und fernab des Notfall-Regelwerks gehandelt hat.
Ich bin gespannt, ob wir die Wahrheit erfahren werden.
 

Literaturhexle

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Diese Selbstverständlichkeit, mit der von Anna Selbstlosigkeit erwartet wird, macht mich unglaublich wütend.
So empfinde ich es auch. Sie trägt alles, macht alles. Sie ist unendlich duldsam, rastet nicht aus.
Jeder erwartet von ihr. Keiner hilft nachhaltig. Keine Sara, kein Frank, keine Bridget.
Da man weiß, welche eine Anomalie von Ehe die beiden geführt haben, ist Annas Leistung beachtlich. Ob sie sich aus dem Hamsterrad wieder wird befreien können? Dauerhaft würde sie als Nur- Pflegekraft eingehen wie eine Primel.
 
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ulrikerabe

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Bloß weil seine Sprachfähigkeit gestört war, heißt das nicht, dass er nicht geistig auf der Höhe war.
Andererseits könnte der Schlaganfall andere Teile des Gehirns beeinträchtigt haben, so dass er völlig unlogisch und fernab des Notfall-Regelwerks gehandelt hat.
Ich glaube, dass er sehr wohl intellektuell in der Lage gewesen wäre, zu wissen was richtig ist, er es aber physisch nicht auf die Reihe gebracht hätte.
Ich weiß, mit einem Schlaganfall ist es nicht zu vergleichen, aber ich war einmal nach einem langen Lauf unterzuckert. Ich hatte Wortfindungsstörungen und war desorietiert in meinen Handlungen. Ich habe gewusst, dass ich Traubenzucker oder Saft gebraucht hätte, aber ich war nicht im Stande das zu artikulieren oder in der Lage eine Banane zu schälen. Meine Tochter hat mich versorgt, dann ging es sofort wieder. Der Zustand hat wahrscheinlich keine 10 Minuten gedauert, aber ich möchte das nicht wieder erleben.
 
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buchregal

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8. April 2021
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Sara steht Anna zunächst zur Seite, da ist Robert noch im Krankenhaus. Interessant ist der Dialog zwischen Frank und Anna, da er ihr vorwirft immer einsilbig zu sein. Offensichtlich ist Robert der Erzähler, während Anna ihre Ruhe braucht.
Ich habe sowieso den Eindruck, dass niemand in der Familie ein wirklich innige Beziehung zu den anderen hat.
Hilfe kommt alle paar Tage für 14 (!) Minuten
Hilfe würde ich das nicht nennen, denn Anna muss da sein, um die Tür zu öffnen und das Geschnatter anhören.
Normalerweise würde man einen "Schlachtplan" aufstellen: wer wann wie die Mutter entlasten kann. Wer einkauft, wer wäscht,...
Das liegt natürlich auch an Anna. Sie ist gewohnt, alles alleine zu machen.
Natürlich hat Anna immer alles alleine bewältigt, doch da konnte sie bestimmen, wann sie was macht und was sie evtl. liegenlässt. Nun aber bestimmt der Rhythmus von Robert. Sie kann einfach nicht mehr verschnaufen. Da wäre es gut, wenn jemand mal für eine Stunde ihr eine Pause verschafft. Doch ihre Kinder halten sich raus.
Der Autor lässt auch die würdelosen Szenen im Bad nicht aus. Ich staune, wie es Anna gelingt, so ruhig zu bleiben. Sie muss Nerven wie Drahtseile haben.
Ich weiß nicht, ob das Nerven wie Drahtseile sind. Sie funktioniert nur noch, hat wahrscheinlich nicht einmal Kraft zum Aufbegehren.
Wenn Robert alleine wäre, würde er mehr staatliche Hilfe bekommen. Das erklärt die Pflegerin ganz keck.
Unser Pflegesystem funktioniert doch ähnlich. Die Sätze für professionelle Pflege sind höher, als wenn jemand aus der Familie das übernimmt. Wenn man sich also abrackert, den Job für die Pflege aufgibt und damit Rentenansprüche, ist man eigentlich der Dumme.
Sein Ziel war sicher, erst dem einen, dann dem anderen zu helfen. Wahrscheinlich stand ihm sein gleichaltriger Kollege einfach etwas näher, so dass er dem anderen gegenüber ein schlechtes Gewissen hat. So ein Drama streift man nicht ab.
Doch Luke hätte merken müssen, dass Robert ärztliche Hilfe braucht. Ihm hätte er sicher damit helfen können, da in einem solchen Fall jede Minute zählt, während es nicht sicher war, dass er Thomas findet und ihm helfen kann.
Ich weiß, mit einem Schlaganfall ist es nicht zu vergleichen, aber ich war einmal nach einem langen Lauf unterzuckert. Ich hatte Wortfindungsstörungen und war desorietiert in meinen Handlungen. Ich habe gewusst, dass ich Traubenzucker oder Saft gebraucht hätte, aber ich war nicht im Stande das zu artikulieren oder in der Lage eine Banane zu schälen. Meine Tochter hat mich versorgt, dann ging es sofort wieder. Der Zustand hat wahrscheinlich keine 10 Minuten gedauert, aber ich möchte das nicht wieder erleben.
Ich kann das nachvollziehen. Vor Jahren hatte ich eine schwere Leberentzündung, habe nur geschlafen, konnte nichts mehr tun (eine Treppenstufe war schon zu viel) und mir fehlten die Worte. Ein Gespräch war nicht mehr möglich. Als nach gut drei Monaten alle Werte - genauso plötzlich wie sie verrückt gespielt haben - wieder in Ordnung waren, habe ich noch mehr als ein Jahr gebraucht, bis ich mich wieder unter Menschen getraut habe, da vorher keine Gespräch möglich war. Nur mein Mann hat verstanden, was ich wollte, wenn die Worte fehlten. Dafür habe ich aber auch hart gearbeitet, da ich meine Konzentration trainiert habe, die mir total abhanden gekommen war. Wenn man so etwas erlebt hat, kann man nachempfinden, wie sich ein mensch mit Demenz (zumindest im Anfangsstadium) fühlen muss.
 

luisa_loves-literature

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9. Januar 2022
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Sprachlich ist der Roman für mich wirklich ausgezeichnet umgesetzt. Erst die "jagenden" Gedanken in Chile, nun Annas fast vollständige Selbstaufgabe, die von dem Mantra "sie müsste, sie müsste, sie müsste" begeleitet wird.
Die permanente Wiederholung „Sie musste“ am Satzanfang, die Aufzählung dessen, was Anna alles tun muss und das am besten gleichzeitig, verdeutlicht auf sprachlicher Ebene ihre Überforderung.
Das sehe ich auch so. Man fühlt sich selbst so eingeengt, so in seiner Freiheit eingeschränkt, wenn man das liest.

Ich finde es so spannend, dass man eigentlich sehr wenig über Anna erfährt, obwohl sie der Mittelpunkt des Erzählten ist. Dadurch wird ihre Hilflosigkeit und Ohnmacht ungemein spürbar. Ihr Leben, wo wie sie es sich vorgestellt hat, scheint ihr völlig zu entgleiten - es ist, als ob sie selbst vom Schlag getroffen wäre.
Dazu empfinde ich eine sehr starke Distanz zwischen Anna und allen um sie herum. Alle sind mit ihren Aufgaben und ihren Leben beschäftigt und sie ist wie eine Bühnenrequisite, die zwar eine unverzichtbare Funktion hat, aber das Leben tobt um sie herum, das Interesse aller ist auf Robert, den Unfall gerichtet. Dass das was Robert zugestoßen ist, auch für sie nicht wieder auflösbare Folgen hat, erfährt von ihrer Umwelt keine Berücksichtigung.
Und das Schlimme daran ist, dass ich noch dazu den Eindruck habe, dass es zwischen Robert und Anna kaum bis keine Zuneigung mehr gibt. Das Telefongespräch mit Bridget deutet daraufhin, dass Anna vielleicht schon mal an eine Trennung gedacht hatte. Es scheint eine Beziehung zu sein, die durch die langen Abwesenheiten erträglich wurde.

Anna muss sich fühlen wie in einer Mausefalle. Ihre Gefühle sind schließlich schon über die Jahre erkaltet. Sie konnte die Ehe nur aufgrund der monatelangen Distanz aufrecht erhalten. Jetzt kann sie nicht einmal mehr in Ruhe auf Toilette gehen. Krass, diese Diskrepanz!
Genau! Das ist jetzt wie ein Gefängnis für Anna.
Ich bin gar nicht sicher, ob das im letzten Teil noch eine Rolle spielt. Der Fokus hat sich völlig verschoben.
Das ist ziemlich faszinierend. Man könnte meinen, man hätte es mit zwei Romanen zu tun - aber hier funktioniert es (im Gegensatz zur "Flut"...)

Die ganze Untersuchung tritt in den Hintergrund. Sie spielt für Anna auch nicht so eine große Rolle. Sie hat mit dem Alltag genug zu tun.
Die Kinder sind dagegen sehr damit befasst. Frank vermutet ja von Anfang Probleme und Sara wird beim Besuch von Luke doch auf einmal so merkwürdig und springt auf. Die Passage habe ich mehrfach gelesen, aber nicht rausfinden können, was Sara so nervös gemacht hat.
Das war der Moment als ich dachte, "Das kann doch nicht sein, jetzt schafft es McGregor auch noch diese Thematik vollkommen realistisch darzustellen. Der kann wohl alles, oder wie?"
Ja, der kann offensichtlich richtig viel! Ich würde sehr gern nochmal etwas vom ihm lesen.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Das ist ziemlich faszinierend. Man könnte meinen, man hätte es mit zwei Romanen zu tun - aber hier funktioniert es (im Gegensatz zur "Flut"...)
Es ist wirklich ein Zufall, dass wir zwei ähnlich konzipierte Romane so dicht hintereinander lesen. Hier gelingt genau das brillant, wobei Donovan grandios scheiterte. Es geht also, unterschiedliche Themen sinnvoll miteinander zu verknüpfen.

, der kann offensichtlich richtig viel! Ich würde sehr gern nochmal etwas vom ihm lesen.
Speicher 13;)
 
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