3. Leseabschnitt: Kapitel Acht bis Dreizehn (S. 117 bis 187)

Literaturhexle

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Der neue Wohnort ist an Tristesse kaum zu überbieten. Die Häuser, die Leute sehen alle gleich aus, drumherum ein Haufen Asche und Kohlendreck. Die Zeche wurde geschlossen, nur wenige Männer haben Arbeit, die Frauen sichern sich Kindergeld und Invalidenrente. Letzteres zu ergattern, scheint kein Problem, wenn man in Pithead lebt - viel tiefer kann man wohl kaum sinken.

Shug zieht in dieses Haus nicht ein. Ich habe mich laufend gefragt, warum er Agnes dann bei ihren Eltern weggelotst hat. Er wollte wissen, ob sie ihm zuliebe tatsächlich geht. Er wollte sie zur freien Verfügung haben, sie benutzen und verhindern, dass sich ein anderer Mann in sie verlieben könnte. Er wollte sie zerstören. Drecksack! Das ist so gemein, dass es weh tut und weil Agnes so ist, wie sie ist, scheint Shugs Rechnung auch aufzugehen. Sie ist ihm völlig hörig.
Agnes Bain war ein zu kostbares Exemplar, um sie der Liebe eines anderen zu überlassen. Er durfte nicht mal die Scherben übriglassen, die ein anderer später einsammeln und kleben könnte. S. 131
Agnes säuft immer mehr. Die Nachbarinnen weisen es ihr nach. Die Kinder wissen es und konfrontieren Shuggie damit, der immer öfter unpünktlich oder gar nicht zur Schule geschickt wird. Agnes hat kein Geld mehr, das wenige, das sie hat, gibt sie für Alkohol aus. Sie sucht sogar bei ihren älteren Kindern nach Sachen, die sie versetzen kann. Schließlich macht sie sich auf in die Stadt, um ihren Nerzmantel ins Pfandhaus zu bringen. Die Szene mit dem Mechaniker hat mir gefallen. Offenbar hatte jener selbst Alkoholprobleme und kann ihre ganze Fassade entschlüsseln. Er erzählt ihr von den AA, wovon sie nichts wissen will. Er gibt ihr den einzig wahren Rat, wie sie Shug eins auswischen kann:
Kriegen Sie ihr Leben wieder hin. Werdense glücklich. Nichts wird dem schweinsköpfigen Glatzenarsch mehr uffen Sack gehen. S. 160
Während Agnes mit sich selbst und der Beschaffung ihrer Drogen befasst ist, müssen ihre Kinder sehen, wo sie bleiben. Shuggie wird ausgegrenzt und gemobbt, sogar sexuell missbraucht. Leek geht seiner Lehre unregelmäßig nach. Er träumt sich nach wie vor weg. Beim Klauen wird er auf der Zeche erwischt und schwer verprügelt. In seinem Zeichenheft steckt eine Zusage für die Kunsthochschule, die zwei Jahre alt ist - bitter, dass er dort wegen des Umzuges nicht hat anfangen können... Leek will weg. Er spart Geld, um sich an anderer Stelle ein Zimmer mieten zu können, ein anderes Leben zu haben. Berührend der Besuch bei seinem leiblichen Vater: wie sehr muss er dessen zweite Familie beneiden!
Seine Schwester Catherine hat den Absprung schneller geschafft als Leek: Sie hat tatsächlich Donald geheiratet, der einen Job in Südafrika angenommen hat, wo sie jetzt mit ihm wohnt. Ob sie dort glücklich ist, kann man nicht sagen. Brieflich schwärmt sie nur von ihren schönen Möbeln. Man würde ihr häusliches Glück wünschen. Vielleicht ist Donald ja doch ein Netter?!

In diesem Abschnitt ist Shuggie rund 2 Jahre älter geworden. Es werden verschiedene Episoden aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Der Autor erspart uns die schlimmsten Szenen, will mir scheinen (das darf er gerne beibehalten). Sowohl die Karusselfahrt in der Wäschetrommel wird kurz behandelt, als auch Leeks Dilemma, als er vom Wächter erwischt wird. Mir reicht es schon so.
Stewart verzichtet (bis jetzt) auf blutige Details oder die Auswüchse der Gewalt. Er fokussiert sich stärker auf das Milieu, auf Agnes´ Niedergang, ihren Suff, die Perspektivlosigkeit, die damit für ihre Familie einhergeht.

Shuggie treibt zwischen den Familienmitgliedern. Für die Mutter scheint er sogar noch zu sorgen. Für die älteren Geschwister ist er ein Klotz am Bein. Rührend wie Leek ihm beibringen will, männlich zu gehen...
Wenn du überleben willst, musst du dich mehr anstrengen, Shuggie! S. 178
Man spürt, dass Shuggie anders ist als andere Jungs. Die Puppe hat ihm Spott eingebracht. Vermutlich wird er dieses Anderssein mit zunehmendem Alter noch stärker zu spüren bekommen. Beim Zusammentreffen redet auch Shug in Gegenwart des Jungen abfällig über ihn: Der kann nicht von mir sein.

Agnes möchte man schütteln. Sie handelt egoistisch und verantwortungslos. Anstatt sich bei ihren Eltern Hilfe zu holen, beschimpft sie sie am Telefon. Die Abwärtsspirale ist im Gang. Was kommt auf Shuggie und seine Geschwister noch alles zu an Demütigungen und Leid?
 
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Adel105

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Warum reiche ich dir nicht?.... Warum hat du mich nicht genug geliebt, um das Trinken zu lassen? Ich habe dir immer von allem das Beste gekauft, hab rund um die Uhr malocht?

Shug mach Agnes für die Situation verantwortlich und begründet damit seine Entscheidung, sie zu verlassen. Er macht es sich damit einfach. Warum versucht er nicht, sich vom Alkohol wegzubringen? Er gibt den großen Macker, geht aber den Schwierigkeiten aus dem Weg. Er zieht bei seiner Arbeitskollegin Joanie ein. Er kann Agnes nicht einmal selbst sagen, dass er jetzt bei Joanie wohnt, sondern Joanie teilt dies Agnes am Telefon mit. Wie armeselig ist das denn?
Es ist für mich schwer zu verstehen, dass sich Agnes so sehr von Shug abhängig macht.
Sie musste bleiben, wo er sie abgestellt hatte. Sie würde jeden Krümel nehmen, den sie von ihm bekam.
Aber als verwöhnte Tochter ihres Vaters ist es durchaus nachvollziehbar, dass sie ihr Glück von den Männern abhängig macht. Sie können sie versorgen und ihr das Leben bieten, das ihr vermeintlich zusteht. Agnes versucht in der neuen Wohnsiedlung immer noch den Schein zu wahren.

Der arme 7-jährige Shuggie verliert seinen ersten Milchzahn und hat Angst, dass er sterben muss. Er kann seine Mutter nicht finden. Ich finde diese Szene sehr bezeichnend und auch sehr traurig. Jedes Kind freut sich, wenn der erste Zahn ausfällt und bald in die Schule kommt. Shuggie muss solche Entwicklungsschritte alleine durchmachen. Er hat niemanden, den er fragen kann. Stattdessen macht er an diesem Tag einige schlimme Erfahrungen und seine Mutter bemerkt es nicht einmal, als er nach Hause kommt.
Sie bemerkte weder den fehlenden Zahn noch das mit Blut, Spucke und Ampfer verschmierte Bein.
Agnes ist nur mit sich selbst beschäftigt. Eigentlich müsste das Geld, das sie bekommt, ausreichen, um alle satt zu bekommen. Aber sie gibt das Geld lieber für Alkohol aus. Der einzige, der sie auf ihr Problem anspricht, ist der Mann in der Taxiwerkstatt.
Warnse schomma bein AA?... Sind Sie wenigstens bereit zuzugeben, datsen Problem ham?
Das wäre doch jetzt einmal ein Schritt in die richtige Richtung. Aber Agnes scheint noch nicht so weit zu sein. Sie streitet alles ab und hat für ihr Verhalten immer eine Ausrede.

Shuggies Schwester Catherine wird Donald heiraten und mit ihm nach Südafrika gehen. Dies erfährt Shuggie als er mit ihr Donalds Familie besucht und dort auch seinen Vater nach langer Zeit einmal wiedersieht. Es entsteht aber keine Verbindung zwischen den beiden. Man hat eher den Eindruck, dass Shug dieses Treffen herbeigeführt hat, um Agnes zu ärgern.
Er fragte sich, warum seine große Schwester weggehen und ihn alleine lassen musste.
Jetzt wird er nicht nur von seinem Vater, sondern auch noch von seiner Schwester verlassen.
In Kapital 13 erfährt man jetzt auch noch, dass sein Bruder Leek sowohl einen Brief seiner Schwester als auch die Zusage für einen Studienplatz in Kunst bei sich trägt (die er vor zwei Jahren bekommen hat). Man versteht einerseits schon, warum er dieses Angebot nicht angenommen hat. Andererseits tut es mir sehr leid, dass er dieses Angebot nicht annehmen konnte, da er eine große Begabung hat. Ich verstehe seine Traurigkeit und mag mir gar nicht vorstellen, welches Leben er hätte führen können (anstatt illegal Kupfer zu besorgen). Leek ist auch derjenige, der sieht, dass Shuggie "anders" ist und versucht ihm zu helfen, damit er im Leben klar kommt.
Bei Leeks Diebstahl ist anscheinend etwas schief gegangen (er hat einen Wachmann übel zugerichtet) und gibt dafür Shuggie die Schuld. Ich hoffe sehr, dass Leek "gut" aus dieser Sache rauskommt. Er scheint der einzige zu sein, der sich um Shuggie kümmert.
Man fragt sich immer wieder bei der Lektüre, wo das alles noch enden soll oder ob es doch noch eine Wendung zum Guten geben kann.
 

Die Häsin

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Die Geschichte mit Leeks Studienplatz hat mich bedrückt. Man mag sich gar nicht ausmalen, welches Potential, welche großartigen Begabungen nie zur Entfaltung kommen, weil den Menschen in ihrer Jugend die Möglichkeiten verstellt werden. Da Shuggie das alter ego des Autors zu sein scheint, der es immerhin geschafft hat, hoffe ich zumindest für ihn eine Wendung zum Besseren. Aber andererseits ist das Schlusskapitel 1992 übertitelt, das heißt, wir kehren zu der Situation am Anfang zurück - und da sah es, wie schon der erste Satz besagt, eher mau aus.
 

Literaturhexle

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Er kann Agnes nicht einmal selbst sagen, dass er jetzt bei Joanie wohnt, sondern Joanie teilt dies Agnes am Telefon mit. Wie armeselig ist das denn?
Ein Schlappschwanz, der sich alle Türen möglichst lange offen lassen will, würde ich sagen o_O .
Sie können sie versorgen und ihr das Leben bieten, das ihr vermeintlich zusteht.
Stimmt. Das scheint aber damals so üblich gewesen zu sein. Die Frauen sind alle zu Hause, kümmern sich um die Kinder und warten auf die von der Arbeit heimkehrenden Männer. Sie muss nur hübsch anzusehen sein (Stichwort Zähne), für den Rest hat der Mann zu sorgen. Dadurch, dass Agnes selbst auch keine Ausbildung zu haben scheint, sind ihre Möglichkeiten selbst zu gestalten sehr eingeschränkt.
Stattdessen macht er an diesem Tag einige schlimme Erfahrungen und seine Mutter bemerkt es nicht einmal, als er nach Hause kommt.
Schön, dass du auf diese Szenen nochmal hinweist! An ihnen sieht man sehr gut, wie armselig Agnes ihre Mutterrolle ausfüllt. Sie ist völlig egozentriert. Zunehmend kreisen ihre Gedanken ausschließlich um den Alkohol, daneben nimmt sie nichts mehr wahr, geht völlig in der Sucht auf.
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Wadern
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Sie ist völlig egozentriert. Zunehmend kreisen ihre Gedanken ausschließlich um den Alkohol, daneben nimmt sie nichts mehr wahr, geht völlig in der Sucht auf.
Das geht so weit, dass Shuggie sich regelrecht selbst versorgt und sich gleichzeitig um seine Mutter sorgt.
Er wollte nicht aufbrechen, ohne ihr zu sagen, dass er gleich nach der Schule wieder da wäre. Er nahm ihren kleinen Finger und schwor es ihr. (S.151)
Das ist wirklich rührend von Shuggie einerseits, andererseits armselig von Agnes, die nicht mehr in der Lage ist, sich um Shuggie oder Leek zu kümmern, der sein Leben mehr oder weniger selbst in die Hand nimmt.
Die Szene mit der Waschtrommel fand ich auch alptraumhaft, nicht minder jedoch, dass der ältere Junge, nachdem er ihn als "Schwuchtel" beschimpft, sich von ihm befriedigen lässt. Ein klarer Fall von Missbrauch.
Das ist so schlimm für Shuggie, dass er sogar Daphne in der Wäschetrommel zurücklässt.
Als Agnes in die Stadt fährt, hat sie im Mantel die Porzellanfiguren (S.155), die auch zu Beginn erwähnt werden (S.15) Sie tauchen dann aber nicht mehr auf. Bin gespannt, welche Bedeutung sie noch haben werden.
Er träumt sich nach wie vor weg.
Er scheint sich immer mehr in sich zurückzuziehen, dafür findet Stuart ausdrucksstarke Bilder und Beschreibungen.
Es fiel ihm immer schwerer, morgens aufzustehen, den Tag heranzulassen, in seinen Körper zurückzukehren, statt weiter hinter geschlossenen Lidern herumzuschieben, wo er frei war. (172)
Offenkundig träumt er von einem anderen, besseren Leben, kein Wunder. Es scheint keinerlei Perspektive für ihn zu geben. Sein Arbeitgeber behält ihn nur, weil der Staat die Stelle subventioniert.
Man kann nur hoffen, dass irgendwann eine positive Wendung kommt.
 

Sassenach123

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Der Kerl in der Werkstatt ist irgendwie klasse ....
Die Szene mit der Wäschetrommel dagegen der reinste Alptraum.
Stimmt, allerdings erschreckend, dass man Agnes die Abhängigkeit schon so deutlich ansieht. Er hatte ja kaum ein paar Worte mir ihr gewechselt, da wusste er schon was los ist. Ähnlich wie die Nachbarinnen
 
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Sassenach123

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Schön, dass du auf diese Szenen nochmal hinweist! An ihnen sieht man sehr gut, wie armselig Agnes ihre Mutterrolle ausfüllt. Sie ist völlig egozentriert. Zunehmend kreisen ihre Gedanken ausschließlich um den Alkohol, daneben nimmt sie nichts mehr wahr, geht völlig in der Sucht auf.
Das hat mich auch erschüttert, er war ja sogar verletzt, so etwas fällt doch auf. Den Verlust der Puppe hat sie auch nicht bemerkt. Mir wäre es damals aufgefallen, wenn eins der Kinder ohne sein Lieblingsspielzeug dagestanden hätte
 
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Sassenach123

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Shug ist noch schlimmer als ich dachte. Agnes in diese Siedlung zu schleppen, und bei der neuen einziehen, sie, wenn er Lust hat, aber weiterhin benutzen.
Shuggie muss früh erwachsen werden, er nimmt soviel Rücksicht auf Agnes, dass sollte eigentlich nicht passieren. Sie kommt ihren Pfluchten kaum noch nach. Was mir auch sehr leid tut ist, das er keine Freunde hat. Agnes und die Geschwister, eigentlich auch nur noch Leek, sind die einzigen Kontakte. Da er kaum zur Schule geht, und dort gemobbt wird, ist es aussichtslos, dass die Situation sich ändert. Dabei wären Freunde für ihn sehr wichtig.
Die Geldsorgen gehen auch nicht an ihm vorüber, wie schrecklich dies doch für ein Kind sein muss. Und dennoch scheint er Agnes abgöttisch zu lieben.
 

Sassenach123

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Shuggies Schwester Catherine wird Donald heiraten und mit ihm nach Südafrika gehen. Dies erfährt Shuggie als er mit ihr Donalds Familie besucht und dort auch seinen Vater nach langer Zeit einmal wiedersieht. Es entsteht aber keine Verbindung zwischen den beiden. Man hat eher den Eindruck, dass Shug dieses Treffen herbeigeführt hat, um Agnes zu ärgern.
Diese Situation war erschreckend, er wollte ja, dass Shuggie seine neue Freundin besser gelernt, da seine Mutter sich kaputt säuft. Er war ihm nie ein guter Vater, und das setzt ja wohl allem die Krone auf. Er weiß, dass es seinem Sohn schlecht geht, warum hilft er ihm nicht jetzt?
 

Die Häsin

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Er weiß, dass es seinem Sohn schlecht geht, warum hilft er ihm nicht jetzt?
Es wurde ja schon mehrmals erwähnt, wie die Mütter den Vätern die Lohntüte buchstäblich abluchsen, ihre Männer freitags am Arbeitsplatz abfangen, um etwas Haushaltsgeld abzuzweigen, damit die Kinder das Nötigste bekommen. Dass Väter sich schlicht nicht zuständig fühlen, scheint eine weitere Facette in all dem Elend zu sein.
 

Wandablue

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Die Übersetzung geht zum zweiten Mal in die Knie.
Was haltet ihr von dem Satz S. 122/123
"... doch wie vom Muskelgedächtnis einer toten Routine getrieben, kamen die Männer zum Feierabend nach Hause. Die Übersetzung frönt der wörtlichen Theorie. Ich finde, das versagt an gewissen Stellen. Hier müsste man freier übersetzen. Das geht im Deutschen gar nicht.
 

Literaturhexle

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Die Übersetzung geht zum zweiten Mal in die Knie.
Was haltet ihr von dem Satz S. 122/123
"... doch wie vom Muskelgedächtnis einer toten Routine getrieben, kamen die Männer zum Feierabend nach Hause. Die Übersetzung frönt der wörtlichen Theorie. Ich finde, das versagt an gewissen Stellen. Hier müsste man freier übersetzen. Das geht im Deutschen gar nicht.
Der Autor befleißigt sich einer recht metaphorischen Sprache. Ich denke, er will es so. Wie soll man es anders als wörtlich übersetzen? Es ist doch sonnenklar, was gemeint ist: Sie trotten gleichförmig wie jeden Tag nach Hause, mit Ale im Bauch und gekrümmtem Rücken.
Ich habe da nichts auszusetzen, bin allerdings auch nicht halb so fantasievoll wie du, was Alternativen angeht;)
 

Wandablue

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@Literaturhexle Aber natürlich kann man das ganz anders übersetzen. Z.B. Die Männer kamen dennoch gewohnheitsmässig nach Hause, getrieben von der Routine, die in ihre Muskeln geschrieben war. //Oder die ihre Muskeln noch im Gedächnis hatten. // Das klingt deutsch. Aber nicht so. Das sagt man nicht so. // Der Autor will es so, ist Quatsch. Man kann einfach nicht alles wörtlich übesetzen, ohne dass es schräg klingen muss.
 
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Barbara62

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Der Kerl in der Werkstatt ist irgendwie klasse ....
Er kann ihr das alles sagen, weil er Ähnliches erlebt hat. Ich fand, das war eine der stärksten Stellen. Er hat recht: Wenn sie ihr Leben ohne Shug in Griff bekäme, wäre er der Verlierer.

Diese Situation war erschreckend, er wollte ja, dass Shuggie seine neue Freundin besser gelernt, da seine Mutter sich kaputt säuft. Er war ihm nie ein guter Vater, und das setzt ja wohl allem die Krone auf. Er weiß, dass es seinem Sohn schlecht geht, warum hilft er ihm nicht jetzt?
Er verachtet Shuggie und zweifelt sogar an, dass er von ihm ist. Wäre Shuggie ein Draufgänger, würde er ihn vielleicht zu sich nehmen, so aber nicht.
 

Barbara62

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Ich kann den Roman tatsächlich nur häppchenweise lesen, so bedrückend ist er. Habt ihr schon irgendwo einen Funken Hoffnung entdeckt, einen kleinen Silberstreif am Horizont? Es ist zweifellos gut geschrieben, aber für mich doch schwer zu ertragen. Ich habe keine Ahnung, wo "amtliche" Hilfe ansetzen müsste. Ein paar Bemühungen gibt es ja schon, immerhin wird Leeks Ausbildung gefördert. Shuggies Lehrer droht mit dem Jugendamt, setzt die Drohung aber bis jetzt nicht um, obwohl der Junge ständig fehlt. Agnes ist meiner Meinung nach durch, ihr würde auch eine Suchttherapie kaum helfen. Shuggie hat einen Schaden fürs Leben und Catherine wird mit Donald irgendwann eine große Enttäuschung erleben. Nur Leek könnte mit seiner Escape-Methode den Alptraum hinter sich lassen, müsste aber dafür Shuggie aufgeben.

Raffiniert ist Agnes schon, sie hat sich eine Invalidenrente erschlichen, die ihr nicht zusteht. Den Kindern kommt davon nichts zugute.

Vor einigen Jahren habe ich "Schloss aus Glas" gelesen, bedingt vergleichbar. Was mir damals so unglaublich imponiert hat, war, wie die Geschwister zusammenhalten. Alle schaffen Geld zur Seite, damit das Älteste ausziehen kann, und das holt dann das nächste Kind nach, so habe ich es im Gedächtnis. Im Fall von Douglas Stuart geht es eher nach dem Motto "Rette sich, wer kann".
 

Xirxe

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19. Februar 2017
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Das wäre doch jetzt einmal ein Schritt in die richtige Richtung.
Ja, ich hatte da doch glatt die kleine Hoffnung, dass es für Agnes ein Stoß in die richtige Richtung ist und sie die Kurve kriegt - Satz mit x, war wohl nix.

Begleitend zu diesem Kapitel habe ich mir auch ein Texte über das Großbritannien der 80er zu Gemüte geführt und muss leider feststellen: Der Autor hat wohl mit absolut nichts übertrieben. Großbritannien war schon zuvor 'der kranke Mann Europas' und Thatchers Radikalkur hat dann als Erstes die Armen und Arbeiter bluten lassen. Zustände wie Frühkapitalismus.