Erneut betrachten wir abwechselnd zwei Tage in Badenweiler, 1914 und 1900
Crane scheint in Elisabeth eine Art Befreiung ausgelöst zu haben. Seine Liebe hat ihre Komplexe reduziert, sie rebelliert gegen die Konventionen, hat sich scheiden lassen und erkennt die Sinnlosigkeit des Krieges. In diesem Zusammenhang will sie Fischer retten, vielleicht auch als Wiedergutmachung, weil sie Crane nicht retten konnte. Man hat Unregelmäßigkeiten in Fischers Papieren aufgedeckt, die den Verdacht nähren, dass er das geistige Trauma nur vortäuscht. Bevor er verlegt werden kann, "verschlimmert" Elisabeth mit dem Finger seine Lungenverletzung, damit die Wunde schlecht heilt. An dieser Stelle beginne ich zum ersten Mal an ihrer Integrität zu zweifeln...
Sie sucht Fischers Mutter auf, um die Flucht des Patienten zu organisieren. Anderweitig würde er die Klinik verlassen müssen und möglicherweise schnell wieder an die Front. Mutiges Eingreifen!
Befremdlich finde ich die Anreden: E. spricht von ihrem Gatten als "dem Mann, mit dem ich verheiratet war". Geht es noch unpersönlicher? Trotzdem räumt sie ein, dass Ferdinand ein ehrbarer Mensch ist, der seinerzeit sogar die Schuld für die Scheidung auf sich genommen hat, so dass keine Schande an E. hängenblieb.
Obwohl Elisabeth in Crane verliebt ist und sexuelle Beziehungen mit ihm unterhält, siezt sie ihn. Ist das realistisch? Reden sich Menschen im englischsprachigen Raum nicht viel schneller (und trotzdem respektvoll) mit dem Vornamen an? Doch vielleicht soll das der Deckmantel sein, das könnte ich nachvollziehen.
Mit der Ebene 1900 hatte ich dieses Mal meine Schwierigkeiten. Neben der Liebesgeschichte soll uns auch der Autor Stephen Crane nahegebracht werden. Das geschieht, indem dieser viele Erlebnisse aus seinem Leben erzählt. Das geschieht nicht chronologisch, mitunter wirr, er berichtet in seinem eigenen Wellengang. Selbst E. bemerkt das:
[zitat]Er will sein Leben loswerden, denkt sie, er macht mich zu seiner Autobiografin. (S. 157)[/zitat]
Crane war Kriegsberichterstatter, auf dem Weg nach Kuba verunglückte sein Schiff, so dass er tagelang mit einem Rettungsboot dahintrieb. Sein Weg kreuzt immer wieder den von Davis, der als Fotograf in den Kriegsgebieten arbeitet.
Davis ist im Kampf um das beste Foto ziemlich skrupellos. Ich fange an, Cranes Verfolgungswahn zu verstehen, weil ihm Davis seinerzeit "versprach", auch Cranes letzte Stunde zu dokumentieren... Die ja nun bald da ist....
Eine Kenntnis der Biografie Cranes wäre hier von Vorteil, weil die Fragmente doch sehr unübersichtlich für mein Verständnis sind.
Elisabeth beichtet Crane ihr großes Geheimnis rund um den Brand. Eigentlich war es gemein, die Bücher und Alben der Mutter, mit denen sie sich wegträumte, zu verbrennen. Aber Kinder machen so etwas und sie wurde von der Tante auch immer bedingungslos geschützt (diese unterstützt E. offensichtlich seit Jahren finanziell, das Gehalt scheint eher mickrig zu sein).
Eingeflochten wird die intime Beziehung der beiden, die über Romantik weit hinaus geht. Crane ist schwach, stinkt und spuckt Blut. Das hält E. aber in keiner Weise ab, sich und ihm Befriedigung zu verschaffen. Auch die Ehefrau wird ignoriert, obgleich sich Crane sehr positiv über sie äußert. Den zweiten nächtlichen Spaziergang empfinde ich als rücksichtslos. Er übersteigt Cranes Kräfte. Elisabeth gibt ihm Zigaretten und Whisky, nimmt wenig Rücksicht, wirkt liebestoll. Andererseits: Was hat er zu verlieren? Eine Heilung scheint sowieso ausgeschlossen. Da kann man eine Liebesnacht (wenn es auch für ihn eine ist - mich wundert, dass er nicht aufhört, seine Geschichten zu erzählen
).
Insgesamt bin ich gerade etwas abgekühlt. Mal sehen, ob mich das Buch im letzten Leseabschnitt wieder fangen kann