3. Leseabschnitt: Kapitel 5 und 6 (Seite 233 bis 339)

milkysilvermoon

Bekanntes Mitglied
13. Oktober 2017
1.803
5.061
49
Wieder spielt Deutschland eine große Rolle.

Das überrascht mich bei diesem Roman am meisten. Ich habe vorhin noch mal den Klappentext gelesen und, ja, es wird angedeutet, aber so viele Bezüge hatte ich nicht erwartet.

Es ist aber die Art und Weise wie McEwan das auswalzt, was mich fremdeln lässt.

Ich kann das nachvollziehen. Ich habe an manchen Stellen ebenfalls das Gefühl, dass weniger mehr wäre…

Mmh, Mc Ewan gelingt es irgendwie nicht, mich mitzunehmen. Ich kann diese Begeisterung nicht teilen. Im Vergleich zum zweiten Abschnitt, wo ich besser in die Geschichte hineingefunden hatte, ging ich hier wieder etwas verloren.

Genau das geht mir auch so. Nach dem zweiten Abschnitt dachte ich, ich wäre jetzt mit dem Roman warm geworden. Dieser Teil hat nun meine zwischenzeitliche Euphorie wieder etwas gedämpft. Ich fühle mich gerade wieder darin bestärkt, dass knappere Romane oft besser sind. Aber wir haben noch etliche Seiten vor uns. Da kann mich McEwan vielleicht doch noch mitreißen.
 

Mikka Liest

Bekanntes Mitglied
14. Februar 2015
1.513
2.403
49
Hilter am Teutoburger Wald
wordpress.mikkaliest.de
Dieses Zusammentreffen ist konstruiert, aber glaubhaft konstruiert. Roland kannte seine Frau, er wusste oder ahnte, dass es sie, ebenso wie ihn, nach Berlin drängt, um diesen geschichtsträchtigen Moment mitzuerleben. Gerade für einen Autor, eine Autorin ist so ein Erlebnis etwas, woraus man schriftstellerisch schöpfen kann.
Da stimme ich Dir wieder sowas von zu!!!!! Wenn ich allein an Begebenheiten in unserer Familie denke, würde jeder, der sie in einem Roman läse, sagen: "na, da ist aber die Fantasie durchgegangen! Das gibt's ja nicht!" Oh doch, das gibt's!!!!!
Ja, genau das! Ganz ehrlich, ich habe selber schon ähnlich unwahrscheinliche Dinge erlebt, und hier ist ja immerhin sehr wahrscheinlich, dass Alissa sich in Berlin aufhält.

Zustimmen konnte ich Naomi auf S. 238, einer der vielen Freundinnen von Roland, als er die Affäre beendete: "Er habe etwas Verwundetes an sich, etwas Defektes. Du konntest mir nie erzählen, woher das kommt, aber so viel weiß ich: Du wirst nie zufrieden sein."
Ich denke, wir kennen alle so Menschen, die nie zufrieden sind, die an allem etwas auszusetzen haben! Sie tun mir leid, weil ich ja nicht weiß, wovon das kommt. Allerdings meide ich sie - ich muss mir ihr Genörgel, ihre Unzufriedenheit nicht antun!
Sehr gut gefallen haben mir Rolands Überlegungen am Ende dieses Abschnitts. Die zeigen, dass er keiner ist, der jammert oder sich selbst zum Nabel der Welt erklärt. Sehr bescheiden relativiert er das, was ihm passiert ist. Außerordentlich sympathisch!
Ich empfinde Roland auch nicht als Nörgler. Ja, er ist sicher verwundet, ja, er ist in gewissem Sinne 'defekt', aber er scheint niemand zu sein, der an anderen herummeckert, um eigene Unzulänglichkeiten zu kaschieren. Wenn überhaupt, scheint er die Dinge mit sich selbst auszumachen.

Verwundert war ich über Details aus München und Umgebung. Die "Pupplinger Au" etwa kennt man als Nicht-Münchner nicht so leicht. Hatte McEwan bei der Recherche einen Kontakt nach München? Das würde mich mal interessieren.
Da gehe ich eigentlich fest von aus!

Wie wertschätzend und geduldig er mit Laurence umgeht, beeindruckt mich. Und gleichzeitig bindet er ihn nicht zu sehr an sich, klammert nicht, sondern lässt auch mal los. Außerdem hat er es (endlich!) in die finanzielle Unabhängigkeit geschafft.
Man kann sicher viel an Roland kritisieren, aber ein guter Vater scheint er wirklich zu sein!

In diesem Abschnitt war ich überrascht, dass Roland selber bewusst ist, wie seine Klavierlehrerin sein ganzes Leben geprägt hat – und dass er das definitiv nicht mehr nur in einem positiven Licht sieht, wie er das als Teenager tat. Zwar hat er seine Sexsucht immer so weit unter Kontrolle gehalten, dass er monogame Beziehungen führen konnte, aber hier wird doch sehr deutlich, wie dieser Zwang seine psychische Gesundheit beeinträchtigt hat.

Eigentlich war es ja eine positive Entwicklung, dass er mit Alissa endlich mit jemandem darüber sprechen konnte, aber hier haben sich wohl einfach zwei Menschen getroffen, die beide zuviel Ballast in die Ehe mitgebracht haben. Letztlich brachte wahrscheinlich Alissas Angst, auf ewig ihr Leben danach ausrichten zu müssen, bloß nicht die Fehler ihrer Mutter zu wiederholen, das Fass zum Überlaufen. Vor allem scheint sie ja verinnerlicht zu haben, dass ein Baby automatisch das Ende all ihrer Lebensträume bedeutet.

Übrigens fand ich sehr interessant, dass sich auch hier wieder etwas zeigt, was ich im echten Leben schon zigmal erlebt habe: Aus Menschen, die für ihre Kinder keine guten Eltern waren, können wunderbare Großeltern werden. Wahrscheinlich, weil es bei den Enkel:innen leichter fällt, festgefahrene Muster loszulassen – man ist ja nicht mehr verantwortlich für die Erziehung.

...

Stimme @alasca zu, der Detektiv ist eine Figur, die mir auch direkt ans Herz gewachsen ist. Ich habe ihn mir auch direkt wie Columbo vorgestellt! "Eine Frage hätte ich da noch…"

Ich bin auch sehr gespannt, wie die Sache zwischen Roland und Miriam ausgegangen ist. Ein paarmal dachte ich: Vielleicht ist Roland ihr irgenwann einfach zu alt geworden – immerhin war sie ja schon an ihm interessiert, als er 11 Jahre alt war … Und wie @Querleserin würde ich auch gerne mehr darüber erfahren, wie diese Frau so geworden ist. Nicht, um es zu entschuldigen, aber um es in den Kontext zu setzen.

Und ich denke, Roland würde es gut tun, diese Frau mit dem zu konfrontieren, was sie getan hat. Obwohl … Hmm … Nein, vielleicht doch nicht. Ich schätze sie so ein, dass sie niemals zugeben würde, irgendetwas Falsches getan zu haben. Vielleicht ist sie ja auch irgendwann mal aufgeflogen? Roland ist ja nicht der einzige minderjährige Schüler, den sie im Laufe ihrer beruflichen Laufbahn zu nahe gekommen ist. Naja, wir werden es hoffentlich noch erfahren.

Wie @RuLeka überzeugt auch mich die Art, wie McEwan die Wechselwirkung zwischen politischen Ereignissen und individuallem Leben darstellt.

Ich habe den Mauerfall nur im Fernsehen verfolgt, aber ich kann mich gut erinnern, wie wir gebannt auf den Bildschirm starrten. Da war ich 13 Jahre alt. Meine Stiefmutter, bei der ich zu der Zeit lebte, hatte eine Verwandte 'da drüben', an die sie immer Pakete mit Sachen schickte, die jedoch nicht immer ankamen. Da musste geschickt versteckt oder irgendwie "getarnt" werden, wie auch hier im Roman. Ich glaube, alles, was ich über die DDR wusste, hatte ich von ihr gelernt und nicht aus der Schule – und es war dennoch herzlich wenig, das muss ich Rückblick leider sagen. Das lag aber an mir, ich wusste einfach nicht genug, um die richtigen Fragen zu stellen. Erst nach der Wende, als die Informationen nur so von allen Seiten hereinfluteten, wurde mir klar, was für ein System die DDR war.
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.513
24.474
49
66
empfinde Roland auch nicht als Nörgler. Ja, er ist sicher verwundet, ja, er ist in gewissem Sinne 'defekt', aber er scheint niemand zu sein, der an anderen herummeckert, um eigene Unzulänglichkeiten zu kaschieren. Wenn überhaupt, scheint er die Dinge mit sich selbst auszumachen.
Ja, genau. Er gibt eher sich die Schuld an den Dingen, die schief laufen. Ich empfinde ihn keineswegs als Jammerlappen, der seine Eltern und weiß der Kuckuck was verantwortlich macht.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.435
49.835
49
Mir gefällt "Lektionen" bis jetzt ausnehmend gut. Die Schilderungen eines heranwachsenden jungen Engländers der Nachkriegszeit finde ich spannend, vor allem vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse, die asolut überzeugend geschildert werden.
Da bin ich ganz bei dir:)
Interessiert nicht. Der Roman ist insoweit eindimensional.
Nee, also das finde ich gar nicht! Mit diesem 3. LA hat mich McEwan voll am Haken. Ich mag die Kombination aus Handlung, die in historischen Kontext eingebunden wird, und Reflexionen des Protagonisten. Ich empfinde alles verhältnismäßig intensiv. Der Autor beschreibt die Schauplätze sehr einprägsam.
Ich habe mich noch keine Minute gelangweilt, obwohl ich natürlich auch die meisten der geschilderten politischen Ereignisse recht
Ich auch überhaupt nicht. Diese Bilder werde ich nie wieder vergessen! Ich finde es schön, nach 30 Jahren mal wieder darüber zu lesen. Sehr emotional.
Wie @RuLeka überzeugt auch mich die Art, wie McEwan die Wechselwirkung zwischen politischen Ereignissen und individuallem Leben darstellt
Ich kann euch da auch nur zustimmen.
Dass er Alissa in Berlin trifft, mag ein riesiger Zufall sein, aber die Welt ist manchmal ein Dorf;)

Also wenn mich McEwan weiterhin so zu fesseln vermag, könnte es ein Highlight werden. Die persönlichen Verstrickungen werden sehr nachvollziehbar geschildert. Bin jetzt gespannt, ob es zu einer Aussprache mit der Ehefrau kommt.
 

luisa_loves-literature

Aktives Mitglied
9. Januar 2022
845
3.392
44
Gleichzeitig hat er einen Protagonisten, der von sollen Geschehnissen nur aufgerüttelt oder gestreift wird.
Meiner Ansicht nach ist das der wesentliche Punkt des Romans. Im Angesicht des Weltgeschehens bleibt Roland im wahrsten Sinne des Wortes nur ein Zaungast (z.B. wenn er auf der Mauer sitzt). Er ist ein Beobachter und bleibt letztlich auch sehr passiv, auch wenn er sich kurzzeitig am Schmuggel von westlicher Kultur versucht und glaubt, dadurch sowohl etwas bewirkt wie auch für etwas verantwortlich zu sein. Ist er nicht - er ist ein unbedeutender Fleck auf der Landkarte der Historie, so wie die allermeisten von uns.

Für mich wird seine Passivität auch an sehr vielen Stellen immer wieder herausgestellt, die Tatsache, dass er nur ein Spielball der Geschichte ist, die sich aber nicht für ihn interessiert und der er nur zufällig in den Weg geworfen wird. Besonders die Privatjet-Szene kann fast als symbolhaft in diesem Zusammenhang wirken. Stundenlanges Warten auf etwas, das dann etwas anderes ist als erwartet. Danach stundenlanges Treiben lassen durch Berlin, dabei gewesen, aber mehr auch nicht - und vor allem wie durch die enttäuschte Reaktion des Reporters sich zeigt: es gibt wirklich niemanden, der an dieser Stelle uninteressanter wäre als Roland Baines (da schließt sich der Kreis mit seiner imaginierten Bedeutung hinsichtlich der Gefängnisstrafe seiner Ost-Freunde).

Passiv auch in der Beziehung zu Alissa: Sie sucht ihn auf, sie findet ihn. Er macht mit.

Insgesamt habe ich diesen Teil lieber gelesen, als die beiden bisherigen. Für mich war die Zeit recht stimmig eingefangen und bis auf die eingefügten Zeitraffer-Teile, in denen z.B. stichpunktartig die Thatcher-Politik zusammengefasst wurde auch kontextmäßig gut gelungen.

Der übermäßig starke Deutschland-Akzent verwundert mich aber ein ums andere Mal. Es ist ja mehr Deutschland-Roman als alles andere: Weiße Rose, DDR, Wiedervereinigung. Ich grüble noch über eine tragfähige Hypothese bezüglich dieser Wahl - denn sie ist weder willkürlich noch aus übergroßer Liebe zu Deutschland entstanden. Davon kann man wohl sicher ausgehen.
 

luisa_loves-literature

Aktives Mitglied
9. Januar 2022
845
3.392
44
Ich bin auch sehr gespannt, wie die Sache zwischen Roland und Miriam ausgegangen ist. Ein paarmal dachte ich: Vielleicht ist Roland ihr irgenwann einfach zu alt geworden – immerhin war sie ja schon an ihm interessiert, als er 11 Jahre alt war …
Gut möglich.

Irgendwie musste ich, seitdem die deutsche Geschichte immer mehr Raum einnimmt, auch an "Der Vorleser" denken, da ist der Altersunterschied doch noch viel größer und der Protagonist doch auch sehr jung.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.435
49.835
49
Besonders die Privatjet-Szene kann fast als symbolhaft in diesem Zusammenhang wirken. Stundenlanges Warten auf etwas, das dann etwas anderes ist als erwartet. Danach stundenlanges Treiben lassen durch Berlin
Was dir so alles ins Auge sticht! Stimmt alles. McEwan ist schon ein begnadeter Autor, wie er hier so Szene für Szene setzt. Immer mit Roland im Zentrum und noch ist er im Vergleich zum Großen-Ganzen nur ein Fliegendreck. Gut eingefangen wird das!
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.513
24.474
49
66
Der übermäßig starke Deutschland-Akzent verwundert mich aber ein ums andere Mal.
Ian McEwan hat einen starken Bezug zu Deutschland.
Aus einem Interview mit dem „ Spiegel„:

McEwan hat nicht nur ein riesiges Lesepublikum in Deutschland, Österreich und der Schweiz, sondern er ist selbst schon in jungen Jahren oft in Deutschland unterwegs gewesen. Sein Offiziersvater war auch eine Weile in Niedersachsen stationiert. Am 10. November 1989, einem Tag nach dem Fall der Mauer, bestieg der damals 41-jährige McEwan in London ein Flugzeug nach Berlin und lief tagelang durch die Stadt. »Ich habe mir eine Menge Tagebuchnotizen aus dieser Zeit aufbewahrt, aber eigentlich habe ich jetzt alles aus dem Gedächtnis aufgeschrieben«, sagt er.
 

luisa_loves-literature

Aktives Mitglied
9. Januar 2022
845
3.392
44
Ian McEwan hat einen starken Bezug zu Deutschland.
Ja, das weiß ich. Aber ich finde es bisher unfassbar stark ausgeprägt. Deutschland wird quasi (zumindest bis zu diesem Zeitpunkt) in dem Roman fast zum Dreh- und Angelpunkt von Rolands Leben.

Ich spinne mal eine Hypothese dazu :):

Roland ist, wie gesagt, im großen Weltgeschehen "dabei", aber die Welt interessiert sich nicht für ihn. Er ist komplett und völlig unbedeutend, auch wenn er glaubt/meint/wünscht, es wäre anders. Es ist genau wie @Literaturhexle so treffend zusammengefasst hat:
Immer mit Roland im Zentrum und noch ist er im Vergleich zum Großen-Ganzen nur ein Fliegendreck.
Daher würde ich die Betonung (zumindest bis jetzt) in der Deutung des Romans auch weniger darauf legen, wie das Große das Private beeinflusst (das scheint ja "offiziell" McEwans Anliegen zu sein - aber man soll niemals einem Autor trauen, der deutet sein Werk so, wie er es sich vorgestellt hat, nicht wie das, was am Ende rausgekommen ist), sondern eher wie unwichtig und bedeutungslos ein normales, einzelnes Leben ist. Die Weltgeschichte macht weiter, der Krieg macht weiter, auch die Natur macht weiter - egal, wie wichtig der Einzelne sich nimmt. Es ist quasi eine Einbahnstraße und irgendwie für uns alle eine "Lektion in Demut". Die Weltgeschichte hat (imaginierte oder reale) Auswirkungen auf den Durchschnittsbürger, aber der Durchschnittsbürger (so wie in Rolands Fall) keine auf die Weltgeschichte.

Analog würde ich nun Rolands Verhältnis zu Deutschland deuten. Roland würde gern Deutsch sprechen (klappt nur mäßig), er mag Deutschland, fühlt sich zu dem Land hingezogen und wäre gern ein Teil davon - ist es aber nicht. Deutschland wird in diesem Roman durch eine detaillierte Beschreibung hervorstechender historischer Ereignisse charakterisiert mit deutlicher Tendenz zum Positiven (Weiße Rose, die westlich orientierten DDR-Büger, denen Unrecht geschieht, der Mauerfall). Es ist für Roland etwas "Großes".

Nun läuft er durch Ostberlin zum Ministerium für Staatssicherheit und wird abgewiesen. Er schmuggelt Westware und glaubt einen Unterschied zu machen. Er ist beim Mauerfall dabei, aber keinen interessiert das - im Gegenteil, für den Journalisten ist er eher ein Störfaktor, eine Enttäuschung. Deutschland ist für ihn "unerreichbar", genau wie auf persönlicher Ebene seine deutsche Ehefrau (auch zumindest bis hier). Sie entzieht sich ihm, er ist für sie weitestgehend bedeutungslos für sie, sie braucht ihn nicht.

Im Großen, im Mittleren und im Kleinen ist es die Geschichte eines Mannes, der etwas sein und bedeuten will, die Frage ist, wann er seine Lektion begreift.

Das alles sind natürlich nur meine Gedanken bis zu diesem Punkt, aber zumindest bis hier sind das die Muster, die ich in McEwans Romanaufbau und in seinem Erzählen erkenne. Sie würden auch die ausufernden Beschreibungen zur (deutschen) Geschichte erklären, da eben hervorgehoben werden soll, wie bedeutsam, weltverändernd und groß diese Ereignisse sind.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.435
49.835
49
Das alles sind natürlich nur meine Gedanken bis zu diesem Punkt, aber zumindest bis hier sind das die Muster, die ich in McEwans Romanaufbau und in seinem Erzählen erkenne.
Sehr schlüssig ausformuliert, diese deine Gedanken, denen ich wunderbar folgen und die ich unterstützen kann!

sondern eher wie unwichtig und bedeutungslos ein normales, einzelnes Leben ist.
Stimmt! Natürlich hat das Große Einfluss, aber meist nur in eine Richtung. Roland ist ein Paradebeispiel für jemanden, der gerne etwas bedeutender, wichtiger wäre.

mit deutlicher Tendenz zum Positiven
Das ist etwas, das in angloamerikanischen Medien selten genug vorkommt. Da ist der Deutsche meist der Böse, der Intrigant. Es tut gut, daß McEwan den Fokus mal auf die andere Seiten legt, dass er aufzeigt, welch ein Unrechtsstaat die DDR war zum Beispiel, wie groß die Freude über die Wiedervereinigung. Es ist auch wohltuend, dass Alissas Vater nicht als Vollblutnazi gezeichnet wird. McEwan verlässt die gängigen Stereotype.

Im Großen, im Mittleren und im Kleinen ist es die Geschichte eines Mannes, der etwas sein und bedeuten will, die Frage ist, wann er seine Lektion begreift.
Bestens zusammengefasst.

Sie würden auch die ausufernden Beschreibungen zur (deutschen) Geschichte erklären,
Man muss ja bedenken, dass der Autor zunächst einmal Engländer ist. Für seine Landsleute ist da mit Sicherheit viel Neues dabei, das man braucht, um die Geschichte (und die Emotionen des Protagonisten)zu verstehen. Ich tauche auch nicht so tief in englische Befindlichkeit ein, wenn z.B. die Königin stirbt. Man nimmt geschichtliche Ereignisse anderer Länder in der Regel anders und mit mehr Distanz wahr. Für mich passt alles:)
 

Wandablue

Bekanntes Mitglied
18. September 2019
9.592
21.818
49
Brandenburg
Im Großen, im Mittleren und im Kleinen ist es die Geschichte eines Mannes, der etwas sein und bedeuten will, die Frage ist, wann er seine Lektion begreift.
Klingt wirklich famos, Luisa. Allerdings ... glaube ich ja, dass Ian einfach ein wenig sentimental seinen Alter Ego auf Reisen schickte durch die Vergangenheit und mit ein wenig Bedeutung aufladen möchte durch so geschickte Leserinnen wie z.b. Luisa. Wandas finden diesen Roman bisher bedeutungslos. Aber lesen wir jetzt den Rest. (Hab jetzt wieder Zeit dazu, wurde durch einen anderen jungen Mann und Christine Westermann aufgehalten).
Erinnert mich an abstrakte Kunstwerke mit Fleck in der Mitte, wo alle Welt geheimnissvollt und interpretiert und der "Künstler" sich denkt, "ich hab einfach einen Fleck in die Mitte gemacht, aber wenn ihr meint, ich wollte damit die Weltverschmutzung anprangern, dann ist das eben so."
 
Zuletzt bearbeitet:

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.513
24.474
49
66
sondern eher wie unwichtig und bedeutungslos ein normales, einzelnes Leben ist. Die Weltgeschichte macht weiter, der Krieg macht weiter, auch die Natur macht weiter - egal, wie wichtig der Einzelne sich nimmt. Es ist quasi eine Einbahnstraße und irgendwie für uns alle eine "Lektion in Demut". Die Weltgeschichte hat (imaginierte oder reale) Auswirkungen auf den Durchschnittsbürger, aber der Durchschnittsbürger (so wie in Rolands Fall) keine auf die Weltgeschichte.
Auch das ist keine neue Erkenntnis. Trotz alledem hat jeder nur sein eigenes, mehr oder wenig bedeutungsloses Leben. Manche Einzelschicksale versuchen ihren Einfluss geltend zu machen ( siehe Weiße Rose oder auch Alissa, die als Schriftstellerin einen größeren Radius hat ), andere haben nur Einfluss auf das Leben wenig anderer. Aber jedes einzelne Leben ist bedeutungsvoll, nicht auf das Weltgeschehen im großen Ganzen, aber für sich und seine Nächsten. Auch das zeigt der Roman.
Im Großen, im Mittleren und im Kleinen ist es die Geschichte eines Mannes, der etwas sein und bedeuten will, die Frage ist, wann er seine Lektion begreift.
Das klingt so negativ. Ich denke nicht, dass es McEwans Anliegen war, uns unsere Bedeutungslosigkeit zu zeigen.
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.513
24.474
49
66
Das ist etwas, das in angloamerikanischen Medien selten genug vorkommt. Da ist der Deutsche meist der Böse, der Intrigant. Es tut gut, daß McEwan den Fokus mal auf die andere Seiten legt, dass er aufzeigt, welch ein Unrechtsstaat die DDR war zum Beispiel, wie groß die Freude über die Wiedervereinigung. Es ist auch wohltuend, dass Alissas Vater nicht als Vollblutnazi gezeichnet wird. McEwan verlässt die gängigen Stereotype.
Auch ein wichtiges Argument. Für englische Leser ist das ein wichtiger Aspekt.
McEwan ist auch überzeugter Europäer und ein Gegner des Brexit. Da ist es auch folgerichtig zu zeigen, dass nicht alle Deutsche Nazis waren und sind.
Wandas finden diesen Roman bisher bedeutungslos
Ich glaube, Du willst den Roman einfach nicht mögen. Wenn alle behaupten, das ist ein Meisterwerk, erregt das Deinen Widerspruchsgeist.
 

Barbara62

Bekanntes Mitglied
19. März 2020
3.874
14.816
49
Baden-Württemberg
mit-büchern-um-die-welt.de
Der übermäßig starke Deutschland-Akzent verwundert mich aber ein ums andere Mal. Es ist ja mehr Deutschland-Roman als alles andere: Weiße Rose, DDR, Wiedervereinigung. Ich grüble noch über eine tragfähige Hypothese bezüglich dieser Wahl - denn sie ist weder willkürlich noch aus übergroßer Liebe zu Deutschland entstanden. Davon kann man wohl sicher ausgehen.
Kann es sein, dass auch Kalkül dahintersteckt? Deutschland ist ein großer (Buch-)Markt und er hat viele treue Leserinnen und Leser hier. Verwerflich wäre das keineswegs. Außerdem ist eben in Deutschland in diesen Jahren einfach auch mehr passiert als beispielsweise in Frankreich.
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.513
24.474
49
66
Kann es sein, dass auch Kalkül dahintersteckt? Deutschland ist ein großer (Buch-)Markt und er hat viele treue Leserinnen und Leser hier. Verwerflich wäre das keineswegs. Außerdem ist eben in Deutschland in diesen Jahren einfach auch mehr passiert als beispielsweise in Frankreich.
Kalkül muss es nicht mal sein. McEwan hat in Deutschland viele Leser, er ist deshalb auch immer wieder in Deutschland und hat auch dadurch einen stärkeren Bezug zu uns.
 

luisa_loves-literature

Aktives Mitglied
9. Januar 2022
845
3.392
44
Auch das ist keine neue Erkenntnis.
Absolut nicht. Aber sehr viel mehr kann man aus dem Roman zur Zeit nicht rausholen.
Allerdings ... glaube ich ja, dass Ian einfach ein wenig sentimental seinen Alter Ego auf Reisen schickte durch die Vergangenheit und mit ein wenig Bedeutung aufladen möchte durch so geschickte Leserinnen wie z.b. Luisa.
Tatsächlich sehe ich das mit der sentimentalen Reise auch so. Wenn man den Ian McEwan auf dem Cover durch Sam Smith ersetzen würde, was wäre dann? Man geht ja schon mit der McEwan-Brille an den Roman heran. McEwan ist eigentlich ein cleverer Autor (Nussschale, Abbitte - sehr gut), aber hier verzettelt er sich und die Aussagen, die man aus dem Text herausarbeiten kann, sind weder überraschend noch neu noch weltbewegend noch wahnsinnig subtil. Sie sind drin, aber bei McEwan darf man dennoch sicher mehr erwarten.
Das klingt so negativ.
Soll es nicht - eigentlich finde ich, es ist realistisch. McEwan ist für mich jetzt auch nicht der große Optimist unter den Autoren und die „Lektionen“ sind ja jetzt auch nicht unbedingt ein fröhliches Buch.
Ich denke nicht, dass es McEwans Anliegen war, uns unsere Bedeutungslosigkeit zu zeigen.
Aber es liest sich so. Manchmal hat ein Werk ja eine andere Wirkung als der Autor glaubt. Und wenn nicht das, was will er uns zeigen?