3. Leseabschnitt: Kapitel 5 und 6 (Seite 233 bis 339)

Wandablue

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Brandenburg
Roland erlebt hautnah an Freunden mit, wie schnell man in den Fokus der Stasi geraten kann
Das ist alles eloquent und flüssig dargestellt, zugegeben. Aber findest du nicht auch, dass, wenn man quasi so nebenher einfließen lässt, dass Diktaturen Sch.... sind, dass das eine schlimme Binse ist? Ist das, es so zu erzählen, nach dem Buch 1984 noch notwendig?
Ich frage mich, für wen McEwan diese historischen Ereignisse aufarbeitet. Für die nachfolgenden jungen Generationen? Die heutigen Twens und Teens. Und sollen die sich für diesen Roman interessieren, der kaum Handlung, dafür jede Menge Gedanken hat?
Ich verstehe durchaus, dass die fliessende Schreibweise einen mitreissen kann, wenn man sich für die Hauptfigur interessiert, aber ich hab so meine Probleme diesmal mit McEwans Thema.
 
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otegami

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17. Dezember 2021
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Starke Szenen begeisterten mich wieder in diesem LA:

Rolands Besuche in Ostberlin und anhand der Familie Heise die geschilderten 'Situationen' in der DDR. (Kenne ich von mehreren Seiten, also kein Einzelfall!)
Die daraus resultierenden politischen Diskussionen:
Die Auseinandersetzungen unter den Linken in Westdeutschland (und anscheinend auch in England )kenne ich noch aus eigener Erfahrung. Das Böse war Amerika, da war man blind dafür, was in Ostdeutschland geschah.
Wenn ich heute lese, wie infiltriert die Linke hier war, wie der Osten ganz gezielt die Geschehnisse ( Beispiel Benno Ohnesorg ) und die Meinung beeinflusst und gesteuert hat, bekomme ich im Nachhinein noch das Kotzen über diesen Drecksstaat.
:thumbsup Ohja, daran kann ich mich auch noch sehr gut dran erinnern!

Ääääähm, auf einer Glückwunschkarte zum achtzigsten Geburtstag 'Sein Riemen, sein Geleucht / Schlapp wie ein Wurm" von Yeats! (S. 302) Und davon mussten 25000 Karten eingestampft werden? (Ich kenne keinen 80-Jährigen, der sich über so eine Karte freuen würde, bzw. drüber lachen könnte. :apenosee ) Für mich einfach geschmacklos! :rolleyes:

Unter die Haut ging beim Besuch der Großeltern, also Alissas Eltern, das Gespräch zwischen Roland und Jane - bestätigte sich doch das, was ich schon vermutet hatte! Auch die Charakterisierung von Roland (durch Alissa) trifft den Nagel auf den Kopf: 'Er ist ein Fantast, Mutti, er kriegt nichts auf die Reihe...........' Schön jedoch dann die Schilderung von Jane und Heinrich als Großeltern! :joy

Na und dann die Grenzöffnung!!!!! Immer wieder sehr bewegend für mich! (Mein Mann war am Montag nach der Grenzöffnung geschäftlich in Berlin - dieser Termin war schon lange davor geplant gewesen. Er erzählt immer wieder von den unterschiedlichen Reaktionen der Grenzpolizisten (er hatte seinen Reisepass vergessen, war nur mit Perso angereist): der eine winkte ihn durch, der andere auf der Rückreise in Berlin (ein 180%iger! :p) ließ ihn ein Formular zum Antrag eines Ersatz-Reisepass' ausfüllen, ein Passbild machen........... :rolleyes: (War natürlich mit viel Warten verbunden!)

Was ich bis heute nicht verstehe: dass manche Menschen aus den Alten Bundesländern bis heute noch nicht in den Neuen Bundesländern waren! Interessiert die das nicht?! :monocle Wenn ich dran denke, wie neugierig wir auf diesen Teil Deutschland waren und alles besucht haben. Außerdem was wir alles zu diesem Thema lasen, Seminare besuchten.........
Dieses Zusammentreffen ist konstruiert, aber glaubhaft konstruiert. Roland kannte seine Frau, er wusste oder ahnte, dass es sie, ebenso wie ihn, nach Berlin drängt, um diesen geschichtsträchtigen Moment mitzuerleben. Gerade für einen Autor, eine Autorin ist so ein Erlebnis etwas, woraus man schriftstellerisch schöpfen kann.
Außerdem passieren Dinge in der Realität, die, wenn sie in einem Buch vorkommen, unglaubwürdig sind.
Da stimme ich Dir wieder sowas von zu!!!!! Wenn ich allein an Begebenheiten in unserer Familie denke, würde jeder, der sie in einem Roman läse, sagen: "na, da ist aber die Fantasie durchgegangen! Das gibt's ja nicht!" Oh doch, das gibt's!!!!! :party

Und jetzt freue ich mich auf die restlichen 368 Seiten! ;)
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Na und dann die Grenzöffnung!!!!! Immer wieder sehr bewegend für mich!
Das kann ich mir sehr gut vorstellen, es ist ja auch ein einschneidendes Erlebnis der deutschen Geschichte. Erst Recht, wenn man, wie ihr, quasi mittendrin ward. Ich finde es übrigens sehr faszinierend wie gut McEwan dies alles geschildert hat, es wirkt ja fast so, als wäre er selbst dabei gewesen, echt Klasse!
 

Circlestones Books Blog

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28. Oktober 2018
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Mir gefallen diese "wenn - dann" - Gedanken am Beginn dieses Abschnitts auch sprachlich sehr gut. AberIch mag auch den Roland dieses Abschnitts, den zögerlichen, rund um seinen zwanzigsten Geburtstag. "Sein wahres, das grenzenlose Leben fand anderswo statt." und später, 1988, mit dem erfolgreichen Roland, der an dem Grußkartenunternehmen mitverdient. Auch wenn er darunter leidet, kein Dichter mehr zu sein, läuft sein Leben jetzt finanziell gesichert und als Vater sehr gut geordnet. Dennoch hofft er vage, das Alissa doch noch zurückkehren wird. Daher will er sich auch nicht in einer neuen Beziehung binden. Die Erinnerungen an seine Besuche in Ostberlin und wie das seine politische Grundeinstellung verändert hat, die Diskussionen mit seinem Freundeskreis in London, sind interessant zu lesen, aber für deutsche Lesende nichts Neues. Der Autor wollte einerseits die Entwicklung seiner Huaptfigur Roland über die Jahrzehnte schildern, andererseits wichtige weltpolitische Fakten ebenfalls in die Geschichte einbringen - denke ich. Die Klavierlehrerin ist seit Alissas Verschwinden wieder sehr präsent. Die Idee, Miriam Cornell zu suchen und mit ihr als nun erwachsener Mann über alles zu rede, finde ich sehr gut. In seiner Situation könnte das zu einer Lösung dieses Konfliktes führen, zu einem Abschluss und damit die Blockade, die noch immer teilweise sein Leben bestimmt, beenden. Aber - es war nur ein kurzer Gedanke, die kommenden Seiten werden zeigen, ob er versucht, diese Idee umzusetzen. Doch jetzt endet dieser Abschnitt mit einer Überraschung. Jetzt bin ich aber gespannt ...
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Das finde ich arg langweilig. Wahrscheinlich weil wir ja die Wiedervereinigung von a bis z durchbuchstabiert haben. Drum kommt es mir auch so aufgesetzt vor.
McEwan hat hier ebenfalls eigene Erfahrungen einfließen lassen. Ich denke, dass dies ihn stark beeindruckt hat und er sie auch deshalb in die Romanhandlung eingebaut hat.
 

Barbara62

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Spannend fand ich den Besuch des Detektive, bei dem tatsächlich wieder zweifelt, ob Roland nicht doch Alissa umgebracht hat und was ist mit seiner Klavierlehrerin geschehen?
Tatsächlich hatte ich schon darüber nachgedacht, ob er nicht vielleicht sie umgebracht hat und nun für Alissa verdächtigt wird? Wäre doch originell.

Was kann man über Roland sagen? Er ist kein aktiver Mensch. Doch weil er einer bestimmten Generation angehört, wirkt sich dies nicht negativ auf ihn aus. Er zehrt von den Talenten, die ihn seine Eltern gezwungen haben, zu entwickeln. An allem sind die anderen schuld (Miriam, Alissa, Eltern).
Ich möchte gerne eine Lanze für Roland brechen, dessen Beziehung zu seinem Sohn mir ausnehmend gut gefällt. Die beiden haben sich in ihrem Männerhaushalt sehr gut eingerichtet und Roland hat es geschafft, dem Kind keine Wut auf seine Mutter zu vermitteln. Wie wertschätzend und geduldig er mit Laurence umgeht, beeindruckt mich. Und gleichzeitig bindet er ihn nicht zu sehr an sich, klammert nicht, sondern lässt auch mal los. Außerdem hat er es (endlich!) in die finanzielle Unabhängigkeit geschafft.

Daphne und ihre Familie sind übrigens wunderbar plastisch geschildert. Es kommt mir vor, als würde ich sie gut kennen.
 
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RuLeka

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Ich frage mich, für wen McEwan diese historischen Ereignisse aufarbeitet.
Sie stehen im Zusammenhang mit seiner Hauptfigur. Folgt man Deiner Argumentation, kann man keine Lebenswege im 20. Jahrhundert mehr verfolgen, weil wir alle davon schon mal was gehört haben oder es sogar selbst erlebt haben. Dann kann man nur noch völlig private Geschichten erzählen, die sich außerhalb der Gesellschaft abspielen oder muss in exotische Orte abwandern.
 

Barbara62

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Ich habe mich noch keine Minute gelangweilt, obwohl ich natürlich auch die meisten der geschilderten politischen Ereignisse recht gut kenne. Aber sie aus der Sicht eines Engländers erzählt zu bekommen, wirft doch manch neues Licht darauf.

Langeweile kommt bei mir schon deshalb nicht auf, weil ich den Roman sehr spannend finde. Warum hat die Beziehung zur Klavierlehrerin derart gravierende Auswirkungen auf Rolands weiteren Lebensweg? Was ist aus ihr geworden, lebt sie überhaupt noch? Was ist aus Alissa geworden? Und seit @Wandablue diese Frage aufgeworfen hat: Wie zuverlässig ist die Erzählung aus Rolands Perspektive?
 

Wandablue

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Sie stehen im Zusammenhang mit seiner Hauptfigur. Folgt man Deiner Argumentation, kann man keine Lebenswege im 20. Jahrhundert mehr verfolgen, weil wir alle davon schon mal was gehört haben oder es sogar selbst erlebt haben. Dann kann man nur noch völlig private Geschichten erzählen, die sich außerhalb der Gesellschaft abspielen oder muss in exotische Orte abwandern.
jajaja, ich kann dir folgen. Es ist aber die Art und Weise wie McEwan das auswalzt, was mich fremdeln lässt.
 

Wandablue

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Wie wertschätzend und geduldig er mit Laurence umgeht, beeindruckt mich. Und gleichzeitig bindet er ihn nicht zu sehr an sich, klammert nicht, sondern lässt auch mal los.
Da ich schon mal in den nächsten Abschnitt guckte ... ich fände es aber sehr schade, wenn Roland ein zuverlässiger Erzähler ist, dann ist der Roman noch weniger spannend.
Historischer Hintergrund mag ich schon auch. Aber bei den Lektionen berührt das alles die Figur kaum, nur so nebenbei, es wird erzählt, weil sonst kein Stoff da ist, ellenlang, als ob ich Zeitung lesen würde.
 

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McEwans Anliegen ist es, ein individuelles Leben zu beschreiben und gleichzeitig die politischen Hintergründe in die Biographie einzuarbeiten. Ein Konstrukt, das ihm aber gut gelingt, meiner Ansicht nach. Ich bin wie er der Ansicht, dass die Politik und damit die gesellschaftlichen Bedingungen Auswirkungen auf das einzelne Leben haben. Mal ganz entscheidend, in Kriegszeiten oder beim Leben in einer Diktatur, mal eher beiläufig, wenn alles relativ ruhig und friedlich verläuft.
Das hat er am Anfang des Abschnitts sehr deutlich gemacht. Ich bin mir aber noch nicht sicher, ob mir dies reicht...
Weniger ärgerlich ist aber die weitere Geschichte. Der eiserne Vorhang und wie er in Rolands Leben einzieht, der Mauerfall. All das wird wieder künstlerisch und hervorragend erzählend in den Roman eingebaut. Das komplett zufällige und auch etwas unwahrscheinliche Wiedersehen mit Alissa bringt den Roman weiter in eine interessante Richtung voran.
Mmh, Mc Ewan gelingt es irgendwie nicht, mich mitzunehmen. Ich kann diese Begeisterung nicht teilen. Im Vergleich zum zweiten Abschnitt, wo ich besser in die Geschichte hineingefunden hatte, ging ich hier wieder etwas verloren.
Bevor ich eure wahrsch begeisterten Texte lese: ich habe nichts gelesen, was mich begeistert hat. Sehr eloquent hält mir McEwan Ereignisse vor, deren Zeitzeuge ich war. Oder fast. Manches kenne ich auch nur aus der Geschichte.
Nichts Neues. Alles bekannt - von daher langweilig.
Auch bei mir bleibt die Begeisterung aus. Es liegt aber nicht an langweiligen Geschichtspassagen, deren Inhalt ich bereits kenne, sondern Mc Ewan holt episch aus und es gelingt ihm nicht, mich abzuholen und für das Erzählte Interesse zu wecken. Schade!
Langeweile kommt bei mir schon deshalb nicht auf, weil ich den Roman sehr spannend finde. Warum hat die Beziehung zur Klavierlehrerin derart gravierende Auswirkungen auf Rolands weiteren Lebensweg? Was ist aus ihr geworden, lebt sie überhaupt noch? Was ist aus Alissa geworden? Und seit @Wandablue diese Frage aufgeworfen hat: Wie zuverlässig ist die Erzählung aus Rolands Perspektive?
Spannend? Leider habe ich diesen Eindruck überhaupt nicht. Aber Du nennst sicher einige Hauptfragen des Romans. Nur interessieren sie mich? Bisher noch nicht genug, leider. Mir fehlt der Drang weiterzulesen nahezu komplett.
jajaja, ich kann dir folgen. Es ist aber die Art und Weise wie McEwan das auswalzt, was mich fremdeln lässt
Ich fremdel mit Dir...
 

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29. März 2022
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Ich habe gerade noch gemerkt, dass mir noch 15 Seiten bis zum Ende des Abschnitts fehlten. Die Szene der Wiedervereinigung ist in der Tat berührend geschildert, die Wiederbegegnung erscheint mir zu unrealistisch, als dass sie mir gefallen könnte. Es endet dann mit einem Cliffhanger, wie die Begegnung der Beiden verlaufen wird.
Es bleibt aber dabei: Ich tue mich sehr schwer, der Handlung zu folgen und muss mich phasenweise fast schon durch das Erzählte quälen. Ich hatte sehr gehofft, dass mich Mc Ewan mit seinem neuen Roman wieder mal richtig packen könnte. Bislang ist dies leider nicht der Fall. Leider kann ich nicht mal genau sagen, woran es liegt. Die epischen Schilderungen alleine sind es jedenfalls nicht. Eher mangelndes Interesse an Roland und dem, was ihn umtreibt. Ob sich das noch zum Guten wenden wird? Ich werde zunehmend skeptischer.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Sehr gut gefallen haben mir Rolands Überlegungen am Ende dieses Abschnitts. Die zeigen, dass er keiner ist, der jammert oder sich selbst zum Nabel der Welt erklärt. Sehr bescheiden relativiert er das, was ihm passiert ist. Außerordentlich sympathisch!
„ Die Vergangenheit, die moderne Vergangenheit, war eine Last, eine Bürde aus Schutt und vergessenem Leid. Er aber empfand diese Last gleichsam nur stellvertretend. Für ihn hatte sie kaum Gewicht. Sein zufälliges Glück entzog sich aller Berechnung - 1948 im beschaulichen Hampshire geboren, nicht 1928 in der Ukraine oder in Polen, nicht 1941 von den Stufen der Synagoge herabgezerrt und hierher gebracht. Seine weiße Zelle - eine Klavierstunde, eine zu frühe Affäre, die abgebrochene Schule, die verschwundene Ehefrau- vergleichsweise eine Luxussuite. Falls er im Leben bislang gescheitert war, wie er oft fand, dann im Angesicht der Großzügigkeit der Geschichte.

Das denke ich auch oft ( kann es halt nicht so schön formulieren wie McEwan ). Wie gut geht es mir, uns allen, die das Glück hatten, in den letzten Jahrzehnten in Westeuropa geboren zu sein. Völlig unverdient!
Weshalb maßen wir uns an, anderen, die weniger Glück hatten mit ihrer Herkunft , vorzuschreiben, dass sie sich bescheiden und uns unseren Wohlstand lassen sollen.

McEwan beschreibt einerseits historische Ereignisse, die das Leben beeinflussen, ziemlich extrem im Schicksal der Mitglieder der Weißen Rose oder an der Familie in der DDR. Gleichzeitig hat er einen Protagonisten, der von sollen Geschehnissen nur aufgerüttelt oder gestreift wird.