3. Leseabschnitt: Kapitel 26 bis 39 (Seite 215 - 326)

Emswashed

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Immer wenn es ans Eingemachte geht (Halbbarts Vergangenheit), dann verlangsamt sich die Geschichte wie in Zeitlupe. Ich habe es mir fast gedacht, dass er Jude ist, aber warum hat der Stoffel plötzlich ein Problem damit?
Dieses ganze Ränkespiel um Macht und Besitz, letztendlich wird wahrscheinlich alles auf den Marchenstreit und dessen Ausläufer hinausgehen.
Und dann noch so ein Poltergeist wie der Onkel Alisi... das kann nicht gut enden.
 

Literaturhexle

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Tatsächlich empfinde ich die Leseabschnitte zu groß. Es passiert so unheimlich viel. Die Geschichte ist rasant, Langeweile habe ich noch keine empfunden. Sie hält allerlei Emotionen für den Leser bereit. Ich bin eigentlich nicht so gefühlig beim Lesen. Aber hier war ich betroffen, als der HB von seiner Rebecca sprach, die immer so bleiben für ihn, wie sie war. Dazu dieses Gleichnis von den mutterlosen Katzenbabies, die vom Hund adoptiert werden. Sehr emotional. Rebecca war also ein angenommenes Kind. Man kann mit dem HB mitfühlen, wie er sich quälen muss, um in seine verscharrten Erinnerungen einzutauchen, um sie den Freunden mitzuteilen. Großartig geschrieben!

Dann habe ich lachen müssen über diesen rabiat-lauten Onkel Alisi. Eine wunderbar zusammengesetzte Figur. Einerseits leutselig, laut, lustig und gesellig, andererseits brandgefährlich. Für Letzteres gibt es ausreichend Hinweise. Er überfällt einfach mal den Prior und bringt ihn um. Nicht, dass der es nicht verdient hätte, aber ich kann das schlechte Gewissen vom Sebi schon nachvollziehen. Sebi ist sowieso der Rechtschaffene. Er passt gar nicht so richtig in diese brutale Welt des Mittelalters.
Diesen Teobaldo Brusati hat es wirklich gegeben und er wurde wirklich auf die beschriebene Art zu Tode gequält, weil er ein Verräter war. Unvorstellbar! Alisi muss wirklich schon völlig abgebrüht worden sein, dass er da so lustig seine Mätzchen drüber machen kann. Selbst Sebi stumpft beim Zuhören ab und macht eine Geschichte daraus (cleveres Bürschchen!).
Nun darf er wieder mit dem Onkel nach Hause, hat jedoch zwei Herzen in seiner Brust dabei. Wohl zurecht. Der Onkel lädt laufend andere Söldner ein, da wird es rauh hergehen...
 

sursulapitschi

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Eine Zeit voller Willkür, Aberglaube und Grausamkeiten, das bekommen wir hier plastisch vorgeführt.

Eigentlich ist es ganz folgerichtig, dass man den Halbbart wegen irgendwas anklagt, exotisch wie er ist, nur hatte ich gar nicht damit gerechnet. Und auch, der Grund der Anklage kam komplett unerwartet. Dieses Buch hat Überraschungen parat!

Dann erzählt er endlich seine Geschichte, ein bisschen ausführlich, aber gut, wir warten schon so lange. Ein Jude ist er, ein Gottesmörder, das hätte man sich denken können.

Ob die Iten-Zwillige Männer oder Frauen sind, bleibt ein Geheimnis.

Lieblingsworte in diesem Abschnitt:

„An bestimmten Tagen finden Festmähler für die Mehrbesseren statt.“ S.226

„…hat der Stoffel gewerweißt.“ S. 292

Onkel Alisi hat uns gerade noch gefehlt. Oh je!
 

Literaturhexle

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Sehr spannend war der Gerichtsprozess vom Halbbart. Ich war überrascht, dass der eingeflogene Richter einen solch fairen Prozess gemacht hat. Gerade wenn es um die Inquisition geht, scheint das nicht usus gewesen zu sein...
Die Iten-Zwillinge müssen männlich sein. Darüber wurde hier ja spekuliert. Wie bösartig die sind! Nur weil der HB ein besserer Heiler ist als sie selbst, wollen sie ihn ans Messer liefern! Der Säufer bestätigt das sofort. Ich war begeistert, wie klug der Geni die Verteidigung angefangen hat. Er holt die Leute dort ab, wo sie stehen. Nennt konkrete Beispiele, warum der Bote ein normaler Bub ist und ein Bein nichts anderes als ein Ast;). Außerdem haben ihn die zahlreichen Gebete geheilt...- und eben nicht der Teufel!
Am nächsten Tag verteidigt sich der HB selbst. Fast dachte auch ich, er hätte sich den Strick gedreht mit dem Homonkulus... Aber nein! Auch das ist eine List. Wie leicht diese abergläubischen und gottesfürchtigen Leute zu beeinflussen sind!
Die ganze mittelalterliche Atmosphäre finde ich wunderbar eingefangen. Die Menschenmenge, die sich so leicht für oder gegen etwas wenden kann, das zunächst feindliche Klima im Gerichtssaal, in dem die Meute bereits Blut geleckt und den Schuldigen ausgemacht hatte. Dann der Umschwung.

Zwischendurch immer wieder etwas Leichteres. Die beiden Jugendlichen, die sich verkleidet in den Gerichtssaal schmuggeln und alles besser sehen können als die anderen. Sebi als Mädchen- nett.

Zum Schluss eine große Feier mit Weihnachtsschinken und Wein für alle! Hoffentlich gehen alle dramatischen Teile in diesem Roman so aus, dass es gut endet. Die Figuren wachsen mir doch überwiegend ans Herz.

Weiterhin gibt es viele stimmige Weisheiten. Ich notiere sie nicht alle auf, ihr habt sie selber entdeckt;). Auch die vielen vielen Facetten des omnipräsenten Aberglaubens sind faszinierend.

Eins noch: Nach HBs Geschichte glaubt der Stoffel, dass HB ein Jude sei und findet das offensichtlich nicht gut (Juden hatten schon damals einen schweren Stand). Später scheint er sich jedoch wieder beruhigt zu haben. Mal schauen, was noch kommt.
 

Literaturhexle

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Ein Jude ist er, ein Gottesmörder, das hätte man sich denken können.
Diese blutende Hostie ist für uns heutige Menschen doch ein Witz. Das ist sowas von durchschaubar. Wie leicht man einen unbescholtenen Bürger ans Messer liefern konnte! Gottesmörder! Irre.
Dieser Vikar Friedbert erinnert den Sebi gleich an den Hubertus. Der ist ja auch ein gewissenloser Ehrgeizling. Bestimmt lesen wir auch von ihm noch... Die Kirchenvertreter kommen wirklich nicht gut weg hier.
 

Literaturhexle

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Wo hast du das herausgelesen? Ich habe extra drauf geachtet und finde es noch immer unentschieden.
Es wurde immer noch nicht erwähnt. Aber meinst du, man hätte zwei Frauen, die nur zusammen auftreten und sprechen, überhaupt vorgeladen oder ernst genommen? Meinst du zwei Frauen, hätten die Macht, einen Mann zu bezichtigen, mit dem Teufel im Bunde zu sein? Das kann ich mir nicht vorstellen. Aber vielleicht ist es falsch.
 

sursulapitschi

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Es wurde immer noch nicht erwähnt. Aber meinst du, man hätte zwei Frauen, die nur zusammen auftreten und sprechen, überhaupt vorgeladen oder ernst genommen? Meinst du zwei Frauen, hätten die Macht, einen Mann zu bezichtigen, mit dem Teufel im Bunde zu sein? Das kann ich mir nicht vorstellen. Aber vielleicht ist es falsch.
Das ist schon richtig, aber grundsätzlich waren wohl eher Frauen als Heilerinnen tätig. Und wer da wen bezichtigt ist den Herren wohl ganz egal gewesen, wenn es ins Konzept passte. Da musste nur mal jemand, egal ob Mann oder Frau, den Teufel erwähnen, damit jemand festgenommen wurde.
 

Literaturhexle

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Das ist schon richtig, aber grundsätzlich waren wohl eher Frauen als Heilerinnen tätig. Und wer da wen bezichtigt ist den Herren wohl ganz egal gewesen, wenn es ins Konzept passte. Da musste nur mal jemand, egal ob Mann oder Frau, den Teufel erwähnen, damit jemand festgenommen wurde.
Mal sehen, ob sich das noch auflöst. Ich muss allerdings sagen, dass es für mich persönlich gar keine Rolle spielt;)
 

Emswashed

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Tatsächlich empfinde ich die Leseabschnitte zu groß. Es passiert so unheimlich viel.

Es sind wahnsinnig viele Details auf engstem Raum, deswegen versuche ich erst gar nicht, hier alles wiederzuerzählen. Wenn ich euch nicht hätte, müsste ich das Buch wahrscheinlich ein zweites Mal lesen.

„…hat der Stoffel gewerweißt.“ S. 292

Meinen "Drang" nach Fehlern im Text zu suchen, hat sich hier völlig gewandelt. Jetzt lechze ich nach solchen Köstlichkeiten.


Die Iten-Zwillinge müssen männlich sein. Darüber wurde hier ja spekuliert. Wie bösartig die sind! Nur weil der HB ein besserer Heiler ist als sie selbst, wollen sie ihn ans Messer liefern!

Erst dachte ich auch, dass nur männliche Zeugen vor Gericht etwas sagen dürfen, aber dann dachte ich mir, dass die Gefahr für Frauen, als Hexe angeklagt zu werden, viel höher war und die Zwillinge vielleicht präventiv mit dem Finger auf den HB gezeigt haben.
Also, um mal meinem Steckenpferd, der Suche nach dem Geschlecht, Nahrung zu geben: Ich finde die Frage nach Männlein, oder Weiblein ist noch nicht eindeutig geklärt!:p

Hat er ein Problem damit? Das habe ich nicht mitbekommen.

Nachdem der HB seine Geschichte erzählt hat, ist er zurückhaltender geworden.

Interessant finde ich, wie auch hier Lewinsky (noch?) nichts genaues sagt, sondern die jüdische Identität nur andeutet. So, wie er auch die Zwillinge nicht genauer identifiziert.
Hofft er darauf, dass der Leser, auf der Suche nach der Wahrheit, am Ball bliebt.... dann hat er es bei mir auf jeden Fall geschafft!;)

Mal sehen, ob sich das noch auflöst. Ich muss allerdings sagen, dass es für mich persönlich gar keine Rolle spielt;)

Dooch!:cool:
 
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Wandablue

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Brandenburg

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Jetzt bin ich bei euch. Leider muss ich sagen, dass es sein könnte, dass meine Begeisterung ein winziges bisschen nachlässt, aber es ist noch nicht raus. Vor Hexes Recherche habe ich nicht gewusst, dass der arme Teobaldo Brusati dies wirklich erleben musste. Man kann sich nur wünschen, dass es die Hölle wirklich gibt und die Täter jetzt dort hocken und schmoren. Zusammen mit den anderen schlimmen Gesellen. In Einzelhaft, damit sie nicht mit ihren Taten prahlen können.

Es sind viele kleine Geschichten. Die zusammen eine große Geschichte geben könnten. Es fehlt mir noch die gesamthistorische Einbindung. Wenn die kommt, ist alles in Ordnung - wenn nicht, sind es halt grausige MA-Geschichten. Das wäre für ein Jahreshighlight zu wenig.

Die Gerichtsverhandlung können wir mit der schrecklichen Gerichtsverhandlung beim Tyll vergleichen. Das hat Lewinsky gut gelöst. Keiner kann ihm also vorhalten, er hätte kopiert oder einfach dasselbe gemacht. Dasselbe machen, aber anders, das ist die Kunst.

Diese Grausamkeiten .. finde ich schwer zu ertragen. zum Glück sind die Kapitel kurz.

Geschrieben ist das Ganze hervorragend. Das Latein gehört halt in die Zeit, gut, ich hätte mir Fussnoten gewünscht, aber es ist ja alles im Netz, die schweizerischen Worte geben dem Roman eine eigene Note, es wäre schade gewesen, wenn man sie herausgenommen hätte- es gibt extra Lektoren dafür, die lokale Eigenheiten aus Texten ausmerzen - das hätte enorm geschadet.

Habt ihr außer dem Sebi eine Lieblingsfigur und könnt ihr euch irgendwie vorstellen, wie das Ende beschaffen sein könnte?

Auch wenn wir uns über unsere Gesetzgebung oft beklagen, können wir doch sehr dankbar sein für die Gewaltenteilung und wie heute alles geregelt ist. Es ist nicht hundertprozentig, aber verglichen mit damals ist es ein Honigschlecken.
 
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