Dass die kursiv gedruckten Text-Passagen direkt aus dem Stück in den Roman übernommen wurden, wurde früher schon geprüft und gemerkt. Und Shylock ist ja auch direkt aus dem Stück auf den Friedhof und somit in den Roman auf literarische Art "gebeamt" worden. Nun taucht da noch eine weitere Direktübertragung auf (s.S. 209). Ohne irgendwie wirklich persönliche Gestalt zu erhalten, ist auf einmal Tubal ein Thema, eine Figur aus dem Kaufmann, an deren genaue Rolle ich mich wirklich nicht mehr erinnern kann angesichts der länger zurückliegenden Lektüre. Was soll er nun hier? Eines der Rätsel, die mich hier nicht erschließen.
Für mich bleibt der Roman weiterhin sperrig und schwierige Lesekost, was meines Erachtens auch an folgendem liegt:
Jacobson übernimmt nicht nur viele Elemente aus dem Stück und ordnet sie für mich nicht unmittelbar einleuchtend und verständlich an, er verweigert dem Leser auch sehr weitgehend die Hilfestellung und Sinngebung durch einen Erzähler, der Haltung und eine klare Rolle hat. Dies ist ja eigentlich ein wesentlicher literarischer Unterschied zwischen Drama und Prosa: die Zwischenschaltung eines Erzählers in der Prosa, der Position und Haltung zu den Figuren bezieht und den Leser damit konfrontiert und sich auseinandersetzen lässt, während im Drama der Leser mit reinem Dialog/Monolog und ganz neutralen Bühnenanweisungen auskommen muss. Deshalb ist es so viel schwerer, sich lesend die Welt eines Dramas zu erschließen und macht die Arbeit von Regisseuren und Schauspielern so wesentlich. Hier im "Shylock" schreibt Jacobson anscheinend einen Roman, verzichtet aber sehr weitgehend auf die Sinngebung eines Erzählers. Wir lesen fast ausschließlich Dialoge und die recht seltenen Erzählstücke dazwischen sind äußerst neutral und lassen keinen Erzähler mit einer beschreibbaren Haltung erkennen. Es handelt sich also hier für mich um einen sehr dramenhaften Roman, der so viel auch von der technischen Struktur des Shakespeares behalten hat. Dass das vom Autor bewusst so gemacht ist, verdeutlicht für mich auch vor allem Seite 259, wo auf einmal irgendwie ein "Fünfter Akt" beginnt - mitten in einem Roman!?!
Das Lesen von Dramen hat mich schon in meinem Literaturstudium an meine Grenzen gebracht und hat nur ganz selten das geschafft, wodurch für mich Literatur ihren Reiz erhält, nämlich Bilder im Kopf schaffen. Dafür brauche ich die Bühne oder eben irgendwie die Vermittlung eines Erzählers, der wirklich eine Geschichte erzählen will. Diese Vermittlung fehlt mir nun auch in diesem Roman und so war die Lektüre für mich bis zum Ende eher quälend. Aber dazu dann mehr im Fazit.