3. Leseabschnitt: Kapitel 14 bis 21 (Seite 139 bis 216)

G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Sabina ist gereift, sie bekommt ihr Leben auch ohne Mann an ihrer Seite in den Griff. Freud hielt patriarchalisch zu Jung, was nicht anders zu erwarten war, aber auch dieser Umstand ist letztendlich gut für Sabina, weil sie sich nun endgültig auf die eigenen Beine stellt. Dass sie das nicht ohne finanzielle Unterstützung schafft, scheint mir der Zeit geschuldet zu sein, in der Ärzte bestimmt ein höheres Honorar erhielten, als Ärztinnen.
Überhaupt scheint es mir so, dass sowohl Sabina, als auch Fritz hier stellvertretend eine Geschichte erzählen, deren Hauptfiguren wir alle kennen (Jung, Freud, Lenin, Stalin), die aber mit unseren Protagonisten von "hinten beleuchtet wird". Die Kulisse bewegt sich!

Wie ich schon im 2. LA erwähnte, brauchen Sabina und Fritz meinetwegen nicht zusammenkommen. Es reicht mir, dass sie am selben Bild dieser Zeit mitarbeiten.
Sabina erscheint gereift, hat sich mit Hilfe von C. G. Jung von ihrer Familie emanzipiert, hat sich auch von ihm gelöst, zumindest örtlich, denn gefühlsmäßig schafft sie es nicht so. Spricht hier nur das Gefühl, oder deutet dies auch auf eine gewisse Dankbarkeit und/oder Schuld bezüglich ihrer Genesung hin?
 

otegami

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Die lange Ausführungen über Plattens Vorgeschichte, bevor er ins Lager kam, haben für mich seinen Charakter untermauert. Ich empfinde ihn nach wie vor als fehlgeleitet in seinem Glauben, für "das große Ganze" müsse man Opfer bringen. Er lässt die depressive Olga und das erst drei Monate alte Kind allein, er will das Kind nicht mal auf den Arm nehmen. Im Mitmenschlichen untereinander hat er keinerlei Verantwortungsgefühl und stellt dies auch nicht in Frage. Andererseits sonnt er sich in der Bewunderung junger Parteigenossinnen (anscheinend war er ja auch ein gut aussehender Bursche).
Also bei den Schilderungen über sein Verhalten gegenüber Olga und seinem kleinen Sohn hatte ich direkt einen Brechzeiz! Boah, *schüttel* absolut unverständlich für mich! (Um so einen Typen hätte ich einen gaaaaanz großen Bogen gemacht! ;) )

Ich verstand auch sehr gut den Vater von Berta, der Fritz für einen Filou hielt! :thumbsup
Und dann wundert Fritz sich: 'Nie hätte er gedacht, dass ein offenherziger Mensch wie Berta innerlich geradezu versteinern würde.' Er wundert sich? :monocle
Ich mich nicht! 'Über das durfte nicht gesprochen werden', 'jenes durfte sie ihm nicht sagen', 'die Wahrheit werde ohnehin vertuscht' - wie sollte man in so einem System 'offenherzig' bleiben? :think

Mich wühlen diese Passagen über Fritz wahnsinnig auf und ich empfinde die Passagen über Sabina dagegen als reinste Erholung!!!!!!!

Ich hatte das Buch lange Zeit, bis ich es ungelesen weggegeben habe. Allein der Titel klang schon so depressiv, dass ich mich nicht getraut habe, es zu lesen.
Ich habe 'Die Krebsstation' gelesen! In der Schwangerschaft! :oops::confused: (Ich hätte mich danach dafür in den Hintern beißen können, aber aufhören konnte ich mittendrin auch nicht! :apenosee )
Denn diese Menschen, die ihre Fähnlein im Wind schwenken sind durchaus in meinen Augen nicht vertrauensvoller, kommen aber anscheinend in brenzligen Situationen besser durchs Leben. Jemand, der an seinen Idealen festhält, zahlt unter Umständen einen hohen Preis dafür. Besonders wenn dieser Idealismus so vollkommen weltfremd ist.
Da gebe ich Dir vollkommen Recht! Also *nur mal so feststelle*: solche Fanatiker haben es schon nicht 'leicht' - entweder sie zahlen persönlich einen hohen Preis für ihr Festhalten an ihren Idealen o d e r sie werden nicht für ernst genommen, weil sie ihr 'Fähnlein im Wind schwenken'!
(Ich mache immer einen großen Bogen um solche Fanatiker! Sie sind mir einfach zu anstrengend! :mad: )
 

otegami

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Sabina führt mit Carl Jung eine verborgene Liaison. Die junge Frau leidet darunter und es endet, wie es vorauszusehen war. Was mich irritiert hat, ist Sabinas vehementer Kinderwunsch. Einerseits strebt sie nach Unabhängigkeit und Studium, andererseits will sie sich mit einem Kind an eine Beziehung ohne Zukunft binden.
Das konnte ich auch überhaupt nicht nachvollziehen! :think
Schmunzeln musste ich bei den Schilderungen auf S. 182: "Sie verabscheute seine 'Rückzieher' und dachte mir: 'Ihr armen Schweine'. Das war ja damals so die gebräuchlichste Empfängnisverhütung! (Und wenn der Mann nicht schnell genug war damit, dann war er schuld! :apenosee ) Auch in Ehen!
Wie ich vor x Jahren im Buch 'Marco Polo' von Gary Jennings las, waren die Chinesen zu dieser Zeit (also Ende des 13. Jahrhunderts) schon wesentlich weiter auf dem Gebiet der Empfängnisverhütung. Als Marco Polo bei seiner Heimkunft in Venedig Frauen davon erzählte, waren die schier entsetzt - ein Kind wäre doch ein Geschenk Gottes!
Es kommt wie es kommt und am Ende steht sie als Verlassene da. Mich hat ihr Mut gewundert, Freud zu kontaktieren, ebenso verwunderlich fand ich das Zugehen auf Jung als Kollege.
Im Endeffekt hat Jung nur davon profitiert: o.k., es gab Stress mit seiner Frau, aber er hat dies zum Anlass genommen, ein Haus in Küsnacht zu beziehen und eine eigene Praxis aufzubauen. (Hätte er wahrscheinlich ohne lange nicht gemacht!)
Ein bezeichnendes Licht auf Jung wirft auch die Passage auf S.186 unten. Man hat den Eindruck, dass Jung sich sogar zu ehelichen Vergewaltigungen hinreißen ließ. Da wüsste ich wirklich gerne, wo Hartmann das herhat! Gibt es Hinweise darauf, von Jung selbst etwa? Oder ist es einfach dichterische Erfindung?
Ja, über das 'Stierhafte' :monocle bin ich auch gestolpert! ;) Ich interpretierte es als Ausdruck der damaligen Zeit: 'Mann wollte immer , aber die Frau war 'anständig'!' :rolleyes:

Offensichtlich ist Sabina nicht die einzige, mit der Jung fremdgegangen ist: auf S. 216 ist von einer neuen Flamme, Toni Wolf, die Rede, die er sogar ins Haus geholt hätte. (Tja, die Katze lässt das Mausen nicht! :rofl )

Notiert habe ich mir den Satz: auf 210, da er sehr weise ist: 'Sie lernte viel in diesen Stunden, sie lernte, dass Einschränkungen zu Stärken führen konnten.'
 

alasca

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Ein bezeichnendes Licht auf Jung wirft auch die Passage auf S.186 unten. Man hat den Eindruck, dass Jung sich sogar zu ehelichen Vergewaltigungen hinreißen ließ.
Das ist überhaupt nicht abwegig. Dürfte in der Zeit das Normalste von der Welt gewesen sein, Psychologie-Ikone hin oder her. Eheliche Pflicht nannte man das. Augen zu und an England (Russland, Deutschland, Schweiz) denken.
 

alasca

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Die Passagen um Fritz Platten finde ich ermüdend - sie mäandrieren durch die Zeit, es kommt mir vor wie eine Reihe ineinandergreifender Kreise.

Sabinas Werdegang erscheint mir nun schon glaubwürdiger; der Wikipedia-Eintrag beschreibt eine Titanin der frühen Psychoanalyse. Es gibt übrigens eine Verfilmung der amourösen Verstrickung mit Jung und die deren Auswirkung auf die Theorien von Jung und Freud. Spielrein hat hier einiges angestoßen.


Das ist alles nicht uninteressant, nur erschließt sich für mich kein Zusammenhang zwischen den Protagonisten. Ich glaube nach wir vor auch nicht, dass da noch was kommt.
 

Die Häsin

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Die Passagen um Fritz Platten finde ich ermüdend - sie mäandrieren durch die Zeit, es kommt mir vor wie eine Reihe ineinandergreifender Kreise.

Sabinas Werdegang erscheint mir nun schon glaubwürdiger; der Wikipedia-Eintrag beschreibt eine Titanin der frühen Psychoanalyse. Es gibt übrigens eine Verfilmung der amourösen Verstrickung mit Jung und die deren Auswirkung auf die Theorien von Jung und Freud. Spielrein hat hier einiges angestoßen.


Das ist alles nicht uninteressant, nur erschließt sich für mich kein Zusammenhang zwischen den Protagonisten. Ich glaube nach wir vor auch nicht, dass da noch was kommt.
Ich kenne den Film und habe, glaube ich, schon mal erwähnt, dass Spielrein darin anfangs einen wesentlich "kränkeren" Eindruck macht, als Hartman es darstellt. Sie leidet unter Grimassenzwang und unwillkürlichen Krämpfen.
 

Literaturhexle

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Es gibt übrigens eine Verfilmung der amourösen Verstrickung mit Jung und die deren Auswirkung auf die Theorien von Jung und Freud
Wahnsinn! Dann ist Hartmann nicht der erste, der sich mit dem Stoff beschäftigt.

als Hartman es darstellt.
Bei Hartmann wirkt es auf mich fast wie eine Selbstinszenierung. Das muss auch nicht der Wahrheit entsprechen. "Hysterie" war ja vieles und gewiss schwer zu greifen und zu definieren.
 

luisa_loves-literature

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Ein Abschnitt, der sich in meinen Augen wieder gezogen hat.
Ja, Fritz interessiert mich leider kaum - ich blättere immer vor und schaue, wann Sabina wieder dran ist.
Für mein Interesse sind diese Rückblicke zu lang. Liegt es daran, dass es sich um die Schweiz handelt?
Vielleicht, aber bei mir ist es auch einfach ein gewisses gewachsenes Desinteresse am Kommunismus. Ich habe mittlerweile zu viel in Romanen darüber gelesen (zuletzt AUSFÜHRLICH beim "Aufstieg in den Abgrund), als das mich das noch fesseln könnte. Dazu kommt, dass das Thema politisch gesehen zumindest in meinen Augen ja auch mehr oder weniger nur noch ein Relikt ist und ziemlich passé.
Der ganze Herzschmerz, die Konversation mit Siegmund Freud - hätte kürzer ausfallen dürfen.
Auch das. Ich habe die Zeit gestoppt - für das HerzSchmerzKapitel habe ich über 30 Minuten gebraucht - dabei liebe ich alles, was etwas fürs Herz ist und trotzdem habe ich mich da irgendwie nur so durchgeschlichen.
Am Ende heiratet Sabina einen russischen Juden.
Über den man dann fast gar nichts erfährt. Das war mir persönlich wirklich zu wenig.
Mich hat ihr Mut gewundert, Freud zu kontaktieren, ebenso verwunderlich fand ich das Zugehen auf Jung als Kollege.
Das erste hat was von Rache, das zweite...hmmm...zeigte irgendwie wie prägend so eine verflossene Liebe sein kann. So richtig kann sie sich doch nicht von ihm distanzieren. Heisst es nicht immer, dass die ungelebten Lieben die sind, die lebendig bleiben oder so ähnlich?
die Liebes- und Lebensaffairen beider Protagonisten wurden mir etwas zu "leblos" abgehandelt.
Genau. Gerade auch bei Sabina war das Scheitern der Liaison schon vom ersten Satz an spürbar (mal abgesehen davon, dass man das ja weiß), aber mit ein bisschen mehr Verve hätte man das schon schreiben können.
 

luisa_loves-literature

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Wie gesagt, die Fritz-Teile zermürben mich zunehmend und ich kann mit ihm als Figur auch nicht warm werden. Außer seiner Standhaftigkeit bzgl. des Kommunismus (deren er sich ja nun auch nicht mehr wirklich so sicher zu sein scheint), ist er doch ein eher schwacher Charakter, der letztlich an gnadenloser Selbstüberschätzung und persönlichen Ambitionen litt. Ist seine Berta-Fixierung vielleicht nicht auch darin begründet, dass diese begann, ihn zu überholen, sich zu entziehen und ihn zurückzuweisen?

Wie Fritz wird auch Sabina zurückgewiesen. Allerdings ist es im Kern doch letztlich wieder eine der unzähligen Geschichten eines verheirateten Mannes, dem seine Ehe zu öde erscheint und dem sein Ansehen schließlich doch wichtiger ist. Ihm fehlt der Mumm, sich zu entscheiden und er handelt (natürlich) nicht aus freien Stücken, sondern erst als er (von (s)einer Frau) unter Druck gesetzt wird.

Auch im Sabina-Teil bemerke ich, dass mir zunehmend die Innensicht zu fehlen beginnt. Besonders das Lausanne-Kapitel hebt fast nur noch auf berufliche Aspekte und die damit einhergehende Logistik ab. Pawel wird in einigen dürren Sätzen abgehandelt - weil er keine Bewandtnis für Sabinas Leben hat oder weil sie zunehmend angepasst ist, auf einer professionellen Ebene agiert und Emotionen ausgeblendet werden? Gerade bei Sabina, die zu Beginn des Romans so voller widerstreitender und überschäumender Gefühle war, erscheint mir das wie zunehmende Ernüchterung.
 

Literaturhexle

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zweite...hmmm...zeigte irgendwie wie prägend so eine verflossene Liebe sein kann
Unbedingt! Jung war ihre erste Liebe UND er hat sie beruflich geprägt. Wahrscheinlich hatten die beiden tatsächlich auch einen guten fachlichen Austausch. Die Fixierung von Fritz auf Berta ist ja sehr ähnlich. Man betrauert immer das intensiver, was man nicht haben konnte oder Beziehungen, aus denen der/die andere ausgeschert ist.
aber mit ein bisschen mehr Verve hätte man das schon schreiben können.
Dann wäre aber wahrscheinlich Lukas Hartmann nicht mehr der Autor;)
Ist seine Berta-Fixierung vielleicht nicht auch darin begründet, dass diese begann, ihn zu überholen, sich zu entziehen und ihn zurückzuweisen?
Das sehe ich genauso. Zudem ist Fritz einsam in einem traurigen Lager. Da darf man manches schon mal verklären und sich schöner denken, als es war.