3. Leseabschnitt: Kapitel 14 bis 18 (Seite 157 bis 228)

Xirxe

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19. Februar 2017
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Die interessante Frage ist, warum die beiden überhaupt geheiratet haben.
Vielleicht war da doch mal Liebe, denn so richtige Ablehnung zwischen den Beiden sehe ich nicht. Mir kommt es vor, als ob für die Mutter etwas Wichtiges zerbrochen, verschwunden, gestorben, was auch immer ist. Wobei der Vater und indirekt die Kinder (ohne dass sie davon wissen) eine gewisse Mitschuld daran tragen, weshalb sie ihre Liebe auf den Hund konzentrierte und der Vater aus dieser Schuld heraus mittrinkt.
So, wenn das Alles nicht stimmt, habe ich ja jetzt schon ein Thema für ein eigenes Buch ;)
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
In diesem LA bekommen wir schon etwas mehr Einblick in die Familie. Unordnung und Chaos ist dort, wo in dieser Gesellschaftsschicht eigentlich gepflegte Ruhe und Ordnung an der Tagesordnung sein sollte. Die Brüder wachsen heran und beginnen das zu begreifen:
Er begann sich mit anderen zu vergleichen. Im Unterricht hatte er sich oft mit dem Druckbleistift die Schmutzränder unter den Fingernägeln entfernt. .... Als er jedoch die Nägel anderer Kinder in seiner Klasse betrachtete, war bei ihnen von Schmutzrändern nichts zu sehen, es gab jemanden, der sich um ihre Hände kümmerte. .... Plötzlich sah er die Dinge klar.
Das kümmernde Element in dieser Familie fehlt also ganz - nicht nur im Sommerhaus. Und die Brüder versuchen das untereinander so gut es geht auszugleichen. Deshalb auch ist der Auszug von Nils so ein großes Problem für Benjamin:
Dann war da einer weniger, der Benjamin versichern konnte, dass es diese Familie gab, und dass es ihn gab. Jemand, mit dem er über den Abendbrottisch einen Blick wechseln konnte, der ihm stumm bestätigte: Du existierst. Und das hier ist passiert.
Diese ganz besondere Familiensituation und die Stimmung wird in diesem Buch, so finde ich genial, ruhig und unterschwellig übermittelt. Als Leser muss ich vieles selbst herausfinden und bin dabei auf kleine, intelligent gelegte und formulierte Spuren im Text angewiesen. Weiterhin klasse!
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Andererseits ist es ja Nils, der später die Brüder mit Leichenfotos auf dem Handy nervt.
Ich finde es vollkommen schräge, die eigenen Eltern auf dem Totenbett zu fotografieren. Vielleicht eine späte Rache für das Töpfchenfoto?

Ich finde beides respektlos. Nicht das Anfertigen solcher Fotos, sondern das Rumzeigen wohlgemerkt. Aber das passt zu dieser Familie…
 
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milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Warum will die Mutter im See bestattet werden und nicht neben ihrem Mann? Nur weil er die beliebte Seite schon belegt hat ? Glaube ich nicht.

Sie haben zu Lebzeiten auch nicht mehr beinander gelegen (getrennte Schlafzimmer). Er hat sie angewidert. Da ist diese Entscheidung nur konsequent. Aber ein Verrat, wie es im Buch heißt, ist es gewissermaßen schon. Sie war bestimmt zu feige, um das auch ihrem Mann anzukündigen.
 
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milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Entweder bin ich inzwischen abgestumpft oder ich habe mich an die Abartigkeiten gewöhnt, aber tatsächlich finde ich den dritten Abschnitt bisher am besten.

Dass Nils gleich nach dem Abi abhaut, war zu erwarten. Ich war aber schon etwas schadenfroh, dass seine Noten doch nicht so toll waren.

Die Szene im Krematorium hatte schon fast etwas von Tragikomödie - wenn Pierre nicht wieder mal so brutal geworden wäre. Selbst im Erwachsenenalter behalten die drei ihre Rollen bei: Pierre wird aggressiv, Nils haut ab und Benjamin wird zur Salzsäule…

So, und jetzt geht es an den Endspurt.
 

Helmut Pöll

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Wie kommt es, dass man sich den engsten Begleitern seiner Kindheit, den Geschwistern, mit den Jahren so entfremdet und nichts mehr voneinander weiß.
@Wandablue hat weiter unten etwas sehr Interessantes gesagt, dass man in der Grundstruktur als Wesen "früh" fertig ist. Auch Zuwendung, Verständnis und Geborgenheit sind Lernerfahrungen, aus denen früh Bindung zwischen Familienmitgleidern entsteht. Und die hält dann eben lebenslang. Fehlt diese Erfahrung gibt es später wenig Grund einer Kontaktaufnahme für Geschwister, die so aufgewachsen sind.

Was ist passiert, dass sich die Brüder zum Schluss so in die Haare kriegen. Deshalb liest man die Erlebnisse aus der Kindheit mit mehr Aufmerksamkeit.
Auf die eine oder andere Weise sehnen sich ja alle drei nach einer "Normalität", die sie nie hatten. Erinnert ihr Euch an die Szene in der Schule, als der Kunstlehrer Benjamin zur Seite nimmt und ihn auf seinen Geruch hinweist? Da beginnt er zu vergleichen. Seine Fingernägel sind dreckig, die der anderen Kinder nicht. Offensichtlich ist da jemand dahinter her, dass sie sauber sind, aber nicht bei ihm. nach und nach fällt ihm auf, dass auch ihre Wohnung heruntergekommen und den Eltern mehr oder weniger alles gleichgültig ist.

Nils erweist sich mit seinem Abiturszeugnis doch nicht als der große Überflüger, für den ihn seine Eltern gehalten haben.
Ich glaube Nils war für die Familie eher so ein Vorzeigekind, mit dem man bei Bekannten und Verwandten angeben konnte.

Hier habe ich überlegt, ob Nils das Abitur nicht als Sprungbrett genutzt hat, um von zuhause wegzukommen.
Er sagte doch immer "das ist alles ein Irrenhaus hier". Also hat nicht nur Benjamin, sondern auch Nils die Situation in der Familie durchschaut. Ihm ist klar, wie es hinter der netten Fassade ausschaut. Er sondert sich ja im Grunde bei jeder Gelegenheit ab und signalisiert, dass er mit dem Wahnsinn nichts zu tun haben will. Vielleicht erklärt das auch sein Unbeteiligtsein nach dem Unfall im Umspannwerk, wo sich Nils in die Hängematte legt.
 

Helmut Pöll

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9. Dezember 2013
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Hier bekommt man beinahe Mitleid mit den Eltern, wie sich alle rausgeputzt haben, um ihren Sohn zu feiern und der ist aber lieber mit den Freunden unterwegs.
Das ging mir zuerst auch so. Aber dann dachte ich mir, dass einem die vernachlässigten Kinder doch viel mehr leid tun sollten. Denn wenn sie ihre Alkoholsucht alleine nicht in den Griff bekommen, dann müssten sie sich professionelle Hilfe holen, schon alleine für die Kinder. Tun sie aber nicht, wie viele Süchtige. Denn irgendwie scheinen sie nach außen ja eine halbwegs normale Fassade aufrecht zu erhalten. Mich würde interessieren, was die Eltern arbeiten, und ob es da noch nie Probleme mit dem Alkohol gegeben hat.
Vielleicht ist das überinterpretiert, aber ein abgelegenes Sommerhaus ohne Nachbarn am See ist natürlich das Paradies für ein Trinkerpärchen. Man kann die Kinder in der Natur sich selber überlassen und sich vollaufen lassen, ohne dass es jemand merkt oder irgendetwas sagt.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Das ging mir zuerst auch so. Aber dann dachte ich mir, dass einem die vernachlässigten Kinder doch viel mehr leid tun sollten. Denn wenn sie ihre Alkoholsucht alleine nicht in den Griff bekommen, dann müssten sie sich professionelle Hilfe holen, schon alleine für die Kinder. Tun sie aber nicht, wie viele Süchtige. Denn irgendwie scheinen sie nach außen ja eine halbwegs normale Fassade aufrecht zu erhalten. Mich würde interessieren, was die Eltern arbeiten, und ob es da noch nie Probleme mit dem Alkohol gegeben hat.
Vielleicht ist das überinterpretiert, aber ein abgelegenes Sommerhaus ohne Nachbarn am See ist natürlich das Paradies für ein Trinkerpärchen. Man kann die Kinder in der Natur sich selber überlassen und sich vollaufen lassen, ohne dass es jemand merkt oder irgendetwas sagt.
Mein Mitleid mit den Eltern war nur kurz. Ja, es ist unverantwortlich, was die Eltern machen.
 
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pengulina

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22. November 2022
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Die Szene mit dem Kunstlehrer fand ich stark.

Im übrigen findet Schulman eine wunderschöne Sprache, um Nähe auszudrücken - Nähe zwischen Brüdern, Nähe zwischen Vater und Sohn. Ich bin gespannt auf den letzten Teil.