3. Leseabschnitt: Kapitel 10 bis 16 (Seite 163 bis 243)

Literaturhexle

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Polizist La Reynie soll die Verfasser des Pamphlets dingfest machen, was seinem Innersten widerstrebt: Er sieht den Hunger in der Stadt und möchte generell nicht, dass Broträuber oder kleine Deninquenten schwer bestraft werden. Über Monsieur Robert bekommt er Kenntnis von dem Flussmanöver - der wichtige Zeuge ist allerdings verstorben.

La Reynie treibt auch der Fall des Getreidehändlers Roger um. Er verachtet diesen zwar, weil er aus dem Mangel ein Geschäft macht und weit überhöhte Preise verlangt, allerdings weigert er sich, diesen aufgrund falscher religiöser Vorwürfe festzunehmen. Der Polizist ist ein ehrlicher, aufrichtiger Mensch, der sich im Rahmen der Möglichkeiten der Willkür des Königs entgegenstellt. Später wird Roger jedoch trotzdem festgenommen, indem La Reynie übergangen wurde. Der König hat Ränke geschmiedet - inwiefern diese noch von Bedeutung sind, werden wir sehen (S. 216-220)

Eine großartig angelegte Wallfahrt aller Schichten von Paris wird sehr ausführlich geschildert. Man betet für ein Wunder, für Regen, für eine gute Ernte. Man trägt Reliquien durch die Stadt.
Nach wie vor sind solche Berichte authentisch, man hätte sie für meinen Geschmack kürzen können. Deutlich wird der nagende Hunger: Beispiele sind das ertränkte Kind oder der Junge, der glücklich eine OrangenSCHALE von Boden aufhebt und isst.

Am Ende der Wallfahrt regnet es tatsächlich: Das Wunder ist geschehen und Marianne küsst Paul zum ersten Mal. Schnell sind ihm unverfängliche Treffen nicht genug, er lädt sie zu sich nach Hause ein. Sie kommt auch und erlebt eine nie gekannte Leidenschaft. Das unbeschwerte Glück währt aber nicht lange. Eine zweideutige Szene macht Jean misstrauisch, es gelingt zwar, dass Vertrauen wiederherzustellen, allerdings werden Marianne und Paul während eines sonntäglichen Ausfluges von einem alten Klatschweib entdeckt. Marianne wird dermaßen von der Angst vor Entdeckung belastet, dass sie die Beziehung beendet. Vorausgegangen sind einige unschöne Szenen: Paul genießt die Macht, die er über Marianne hat, empfindet ein Triumphgefühl, eine unbescholtene Frau verführt zu haben, etc. Spätestens diese Gedanken zeigen, dass Paul kein guter Mensch ist. Er manipuliert Mariannes Gefühle auf unschöne Weise.

Indessen wachsen die Sympathien dem ehrbaren Jean zu, der seiner Frau vertraut, fleißig ist und sich solch ernsthafte Sorgen um den Sohn macht, dass er einen Brief nach Rouen schreibt, um sich nach des Sohnes Verbleib zu erkundigen. Die Antwort fällt negativ aus: Nicolas hat die Stadt längst verlassen. Marianne ist währenddessen relativ sorglos und geht von seiner baldigen Rückkehr aus.

Auch nach der Trennung versucht Paul, Marianne bei gemeinsamen Gesprächen zu quälen und ihre Eifersucht anzustacheln. Ehemann Jean sitzt unwissend daneben. Paul will die Niederlage nicht akzeptieren und natürlich übt er eine Anziehung auf M. aus... Man spürt, dass sich da etwas zusammenbraut.

Marianne muss zum Zahnzieher (herrlich wird wieder die Atmosphäre an der Seine beschrieben). Anschließend fühlt sie sich hässlich und alt.
 

Wandablue

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Der Polizist ist ein ehrlicher, aufrichtiger Mensch, der sich im Rahmen der Möglichkeiten der Willkür des Königs entgegenstellt.
Ganz bestimmt ist er das nicht! sonst wäre er nicht Polizeichef.

sehr ausführlich geschildert.
Sehr ausführlich. Durchaus.

Indessen wachsen die Sympathien dem ehrbaren Jean zu
Wessen? Deine? Herr Jean lässt seine Frau emotional verhungern. Insoweit habe ich keine Sympathien für ihn. Er will ihr auch kein Haus kaufen, obwohl er das könnte und sie das alle glücklich machen würde. Elender Knauser.

Ok, es ist leicht, sich anzuhängen und dann zu kritisieren! *ggg*. Das war eine gelungene Zusammenfassung, Hexe.

Das Romangeschehen läuft gemächlich dahin. Hauptsächlich getragen von den Schilderungen des Zeitenlaufs. Hungersnot, Intrigen bei Hofe, Willkür durch den König, Klatsch und Tratsch auf den Straßen, üble Nachrede, Rituale.
Das ist hübsch erzählt, aber auch ein wenig langweilig.
Wie es mit der zahnärztlichen Kunst zu diesen Zeiten aussah, wissen wir längst aus anderen Quellen und dient hier nur dem Ausfüllen. Damit man ein bisschen mehr Stoff hat. Es bringt die Handlung nicht voran.

Die Affäre zwischen Paul und Marianne ist leider auch recht lahm. Die Autorin behilft sich mit Allerweltsschilderungen, die gar nichts sagen:

S. 227: Ihre leuchtende Ausstrahlung ließ sich jedoch nicht verhehlen, der Ausdruck erfüllter Sinnlichkeit einer Frau, die glücklich verliebt war."
Was soll das denn heißen? So was erwarte ich im Groschenroman.

S. 232 "Es war als empfinge sie eine Ausstrahlung ... " ziemlich viel Aura, die Janet bemüht.

Hilflose Formulierungen überall: "Sie hatte Hände mit denen sie das Brot entzweiriss wie mit den Krallen eines Falken." Ja, so ein Quaaatsch.

Ich mag ja die Darstellung der Gewissensbisse von Marianne. Aber das ist letztlich zu wenig, um mich zu begeistern.

Mal sehen, ob der Roman doch noch ausholt, um das Verhängnis sehr verhängnisvoll darzustellen oder ob die Katastrophe genau so gemächlich daherrollt wie die Seine an einem ruhigen Tag *ggg*.
 

Wandablue

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Ich muss noch einmal auf die Zahnziehergeschichte eingehen. Sie hat so eine Art Alibifunktion. Ich hab den Eindruck, dass Janet nichts eingefallen ist, also schreibt man, was man aus der Zeit her halt so weiß. Wenn sie dann später noch ne Hebammen/Kindkriegsszene schreibt, ziehe ich viele Sterne ab: das brauchen wir nicht.
 

Anjuta

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Im 3. LA geht es hauptsächlich um die Liebesgeschichte zwischen Marianne und Paul. das ist, ehrlich gesagt, der Handlungsstrang, der mich weniger interessiert. Von dem Handlungsstrang Pamphlet verspreche ich mir mehr Einblicke in die historische Situation und das kommt mir hier etwas kurz. Also zusammengefasst: der 3. LA hatte für mich ein paar Längen und war weniger begeisternd. o_O Ich hoffe nicht, dass die abnehmende Tendenz sich fortsetzen wird. Bin aber frohen Mutes, dass das Verhängnis, dass laut Titel über uns schwebt, nicht nur ein rein privates sein wird, sondern auch eine politisch-historische Dimension beinhalten wird.
 

sursulapitschi

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Ich muss noch einmal auf die Zahnziehergeschichte eingehen. Sie hat so eine Art Alibifunktion. Ich hab den Eindruck, dass Janet nichts eingefallen ist, also schreibt man, was man aus der Zeit her halt so weiß. Wenn sie dann später noch ne Hebammen/Kindkriegsszene schreibt, ziehe ich viele Sterne ab: das brauchen wir nicht.
Die Kinderkrieggeschichte liegt in der Luft!!
 

sursulapitschi

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Der König veranstaltet eine große Prozession, um um Regen zu beten und das Volk zu beruhigen. Pompös, verrückt und wirkungsvoll. Allerdings auch wirklich ausufernd beschrieben.
Man kann Marianne gut verstehen und sieht dabei zu, wie sie in ihr Unglück rennt. Für Paul ist es nur eine Trophäenjagd, ich wünsche ihm alles Schlechte.

S.216/217 ist ein schönes Beispiel für das gelegentliche Namenswirrwar, das mich nervt. Der Abbé ist umgezogen und krank, das ist die Info, dazu muss man aber jede Menge Interna verdauen die Madame oder Monsieur Sonstwie betreffen und einfach nichts zur Sache tun. Man muss da aber gnadenlos durch, um zu merken, dass das nichts zur Sache tut.

Die Auswirkungen der Hungersnot in Paris sind sehr schön ausgeführt. Nur wenn es darum geht, dass man Rogers verhaften musste, um Harley zu stärken fehlt mir wieder irgendwo der Zusammenhang, wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich den haben wollte, hätte ich ihn. Ja, man kann auch drüberweg lesen und registrieren: Hungersnot. Was mich wirklich interessiert hätte wäre, hat er nun Getreide gehortet oder nicht, dieser pöse Rogers?
 

Literaturhexle

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Allerdings auch wirklich ausufernd beschrieben.
Schön, dass ich da nicht alleine bin. Da ich recht langsam lese, denke ich manchmal, es läge an mir.
dazu muss man aber jede Menge Interna verdauen die Madame oder Monsieur Sonstwie betreffen und einfach nichts zur Sache tun.
Und selbst, wenn sie zur Sache tun, hat man sie doch wieder vergessen, wenn es soweit ist. Die kurz erwähnte Giftmischerin hat es wirklich gegeben. Ab und zu wird ein bisschen wahre Historie eingewebt, um das ganze authentischer zu machen.
Was mich wirklich interessiert hätte wäre, hat er nun Getreide gehortet oder nicht, dieser pöse Rogers?
Genau.
Der König kommt nicht gut weg. Er hat seine Interessen und die zieht er durch: seine Geliebte Mantenon fühlt sich durch das Pamphlet beleidigt. Das muss mit dem Tod bestraft werden. Punkt. Mildernde Umstände gibt es keine.
Was soll das denn heißen? So was erwarte ich im Groschenroman.
Zugegebenermaßen nerven mich immer mehr Sätze, die sich um diese Liebesgeschichte drehen. Das Ganze ist zu plakativ. Es ist zu offensichtlich, dass Paul es nicht ernst meint und nur die Trophäe will. Es wird so oft wiederholt - damit es der Letzte verstehto_O.

Im Moment bin ich auch sehr enttäuscht. Die beiden ersten Romane haben mir besser gefallen. Da habe ich keine Längen empfunden und keine Platitüden.
 

Literaturhexle

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Ok, es ist leicht, sich anzuhängen und dann zu kritisieren! *ggg*. Das war eine gelungene Zusammenfassung, Hexe.
Passt schon;)
Ich denke für die damalige Zeit war Jean ein guter Ehemann. Er war einmal ein Habenichts, insofern geben ihm Ersparnisse Sicherheit. Er verbraucht sie ja auch nicht für sich. Außer dem Knausern kann man ihm nichts vorwerfen. Die Sorge um den Sohn bringt ihn mir etwas näher.
Paul ist ein ganz anderes Kaliber!
 
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30. Dezember 2015
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Wadern
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Im Moment bin ich auch sehr enttäuscht. Die beiden ersten Romane haben mir besser gefallen. Da habe ich keine Längen empfunden und keine Platitüden.
Da muss ich @Literaturhexle recht geben, die ersten beiden Romane waren deutlich kurzweiliger und konzentrierter. Es stand eher die persönliche Geschichte im Mittelpunkt, indem Lewis versucht auch den Zeitkolorit aufzufangen und die persönliche mit der politischen Geschichte verwebt, verirren sich die Lesenden im Wirrwarr der Namen und Figuren. Ich gestehe, dass ich einige Passagen, getreu meinem Avatar-Namen, quer gelesen habe, dazu gehört die Prozession. Zu langatmig.
Die Liebesgeschichte ist bisher recht trivial, allerdings nimmt der Roman im nächsten Leseabschnitt an Fahrt auf, so viel kann ich euch versprechen, wird er dadurch besser ??
Der Balladensänger, den Marianne beim Zähne ziehen wahrnimmt, ist der, den Paul an seinem ersten Abend in Paris gehört hat. Er verkörpert sozusagen die Stimme des Volkes, die das ausschweifende Leben des Königs kritisiert.
 

sursulapitschi

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Im Moment bin ich auch sehr enttäuscht. Die beiden ersten Romane haben mir besser gefallen. Da habe ich keine Längen empfunden und keine Platitüden.
So geht es mir auch und ich überlege, woran es liegt. In "Die Frau, die liebte" war auf jeden Fall die Geschichte "kleiner", nicht so viel Geschichtlich-Politisch-Höfisches sondern mehr ein privates Schicksal... hat sich die Autorin hier zu viel vorgenommen? Ich überlege noch.
 

sursulapitschi

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18. September 2019
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Außer dem Knausern kann man ihm nichts vorwerfen. Die Sorge um den Sohn bringt ihn mir etwas näher.
Na ja, es kam jetzt mehrfach vor, dass er irgendwohin geht und sie einfach stehen lässt. Er geht jeden Abend in die Kneipe. Besonders liebevoll im Umgang ist er nicht.
Aktuell halte ich ihm zugute, dass er offensichtlich Lunte gerochen hat und trotzdem nichts unternimmt. Das dicke Ende kann aber noch kommen.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Besonders liebevoll im Umgang ist er nicht
Nee. Aber auf die damalige Zeit bezogen war er in Ordnung. Sie darf das Geld verwahren, sie ist innerhalb der Familie gleichberechtigt. Schließlich hat sie durchgesetzt, dass Nicolas in die Welt ziehen darf. Er säuft nicht und ist nicht gewalttätig. Er holt das Wasser.
Die Erwartungshaltung an einen Mann war damals nicht so groß wie heute. Marianne sagt selbst, er sei ein "guter Mann".
 

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30. Dezember 2015
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Ich kann das auch nicht.
Nur in Härtefällen überspringe ich mal den Rest, wenn ich die Daten für die Rezension im Sack habe. Aber mittendrin? Schwierig.
Schwierig aber machbar, ich habe mich irgendwann auf die Haupthandlung konzentriert - also das Verhängnis - es geht ;).
Ich stimme @Literaturhexle zu, für die damaligen Verhältnisse ist Jean ein "guter Mann". Allein die Tatsache, dass er seinen Verdacht zurückdrängen möchte. Er liebt seine Frau und auch sein Sohn, ist jedoch nicht in der Lage, es ihnen zu zeigen. Er kann nicht aus seiner Haut, deshalb ist Marianne auch so empfänglich für den scheinbar sensibleren Paul, der mir wesentlich unsympathischer als Jean ist.
 

sursulapitschi

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18. September 2019
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P.S., der König taucht kaum noch auf, hat er seinen Dienst getan? Ich dachte, das Geschehen um den König herum wäre ein weiterer Handlungsstrang. Wenn er das ist, wird er gerade sehr vernachlässigt. Fast glaube ich, er war kein Handlungsstrang sondern Ambiente und sollte uns nur erklären, was es mit den Pamphleten auf sich hat Und wenn das so ist, dann hätte man das einfacher lösen können und sollen.