3. Leseabschnitt: Kapitel 10 bis 14 einschließlich

Literaturhexle

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Dorian will das verhängnisvolle Bildnis aus dem Weg schaffen, er will es nicht mehr sehen. Er sieht Verwesung und Fäulnis in ihm. Offenbar macht er gerne andere für seine Verfehlungen verantwortlich: So hätte Basil ihn vom Lord fernhalten müssen, dessen Einfluss ihm geschadet hat. Basil wird der tragische Sündenbock.

In diesem Kapitel taucht zum ersten Mal dieses seltsame Buch auf, das offenbar Anteil an Dorians Niedergang haben soll und ihn emotional in seinen Bann zieht. Wir haben bei Barnes schon einiges darüber gelesen. "Es war ein Buch, das Gift ausströmte."
"Es schien die Geschichte seines Lebens zu enthalten, noch bevor er gelebt hatte."

Dorian entwickelt immer mehr Lebenshunger. Er gerät auf die schiefe Bahn, zeigt sich in dubiosen Gaststätten, verkleidet sich, sucht nach Sinnesfreuden, die sich auch im Kaufrausch schöner Dinge ausdrücken (diese Seiten habe ich quer gelesen;)). Er hat dramatisch schlechten Einfluss auf junge Menschen. Ursächlich für all das soll das Buch sein.

Im 12. Kapitel wird Dorian von Basil aufgesucht. Jener Maler will für längere Zeit nach Paris gehen. Vorher scheint er seinem einst geliebten Dorian die Leviten lesen zu wollen, um ihn anschließend vielleicht wieder auf den richtigen Weg zu führen. Basil kann nicht glauben, dass all die Schauergeschichten über Dorian wahr sein sollen, die man sich in der guten Gesellschaft erzählt.
Dorian will sich dazu nicht äußern, er beschließt, "dem Maler des Bildes, das der Ursprung seiner Schande gewesen war", das veränderte Bildnis zu zeigen. Naturgemäß ist Basil schockiert. Er sieht "das Gesicht eines Satyrs", sieht die aussätzige Sünde in ihrer ganzen Gestalt, was ihn mit großem Abscheu und Entsetzen erfüllt. Dorian wird zornig, hasserfüllt und sticht Basil mit dem Messer ab. Diese Szene ist sehr plastisch geschildert.

Dorian kann ziemlich schnell zur Tagesordnung übergehen. Während er auf seinen alten Freund Alan Campbell wartet, erinnert er sich an Verse und gute Zeiten in Venedig. Das nenne ich mal abgebrüht. Offensichtlich hatten die beiden keinen Kontakt mehr. Dorian bittet Alan zunächst im Guten, die Leiche zu entsorgen. Schließlich erpresst er ihn. (Ob es um eine homosexuelle Beziehung ging? Was könnte er in der Hand haben?). Alan lässt sich Hilfsmaterialien kommen und tut wie ihm geheißen.
Nun hat Dorian noch eine Seele mehr auf dem Gewissen. Ich bin sicher, dass Alan nicht gut damit zurecht kommen wird, dem Teufel einen Dienst erwiesen zu haben.

Das Buch nimmt eine ganz andere Richtung, als ich dachte. Bis auf die Längen, in denen philosophiert wird oder die Schönheiten irgendwelcher Edelsteine ausgebreitet werden, gefällt es mir sehr.
 

Die Häsin

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Ich habe gerade die Stellen über Dorians Kaufwut besonders genossen (habe diese Absätze gestern abend spät im Bett gelesen). Da vermischt sich Wahres mit Unwahrem, Halbbildung, Magie mit Wissenschaft - ich fühlte mich an Flauberts "Bouvard und Pécuchet" erinnert, wo Halbwissen und "Dummheiten" zusammengetragen werden.
Und ich frage mich natürlich, wer diesen ganzen Kruscht in Ordnung hält. Speziell diese Stoffe und Decken müssen ja pfleglich bewahrt werden. Dann schmeißt er den seltenen und ungeheuer wertvollen Brokatstoff über das Bild, das in einem Zimmer voller Dreck und Spinnweben steht ... hust ... :eek:

Interessant finde ich übrigens auch, dass Dorian fortwährend irgendwelcher sittenlosen Umtriebe und ungeheuerlicher Moralverstöße bezichtigt wird, ohne dass je klar gesagt wird, worin diese bestehen. Hier kann man der Phantasie freien Lauf lassen.

Dorians "Jetzt erst recht"-Entwicklung finde ich sehr genau und glaubhaft geschildert. Vermutlich hätte er sich weit besser benommen, wenn man ihm statt dem Bild angesehen hätte, was er sich und anderen antut. So hat er durch das Bild quasi einen Jagdschein und lässt nichts anbrennen. Nach dem Motto "mal sehen, wie weit ich gehen kann ..."

ps. Zu Dorians Sammlung ein Zitat aus Wiki:
<Die Interessengebiete, die im elften Kapitel über Seiten hinweg aufgezählt werden, bilden somit auch ein Inventar der kulturellen Einbildungskraft im Fin de Siècle: orientalische Düfte, exotische Musik und Instrumente, Edelsteine, Märchen und Mythen, Alchemie usw. Die abwechslungssüchtige Anverwandlung historischer Epochen und fremder Kulturen, die Dorian Gray betreibt, ist in diesem Kontext fast schon parodistisch.>

Da lag ich mit meiner Parallele zu Flaubert, der einen solchen Sammelimpetus schlicht als bürgerliche Dummheit charakterisiert, ja gar nicht so falsch.
 
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Querleserin

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Kaufrausch schöner Dinge ausdrücken (diese Seiten habe ich quer gelesen;)).
Ich auch :D.

Das Buch nimmt eine ganz andere Richtung, als ich dachte. Bis auf die Längen, in denen philosophiert wird oder die Schönheiten irgendwelcher Edelsteine ausgebreitet werden, gefällt es mir sehr.
Bei der Schilderung all der schönen Dinge, die sich Gray kauft, war ich auch raus und kurz davor zu verzweifeln. Doch die folgende Handlung nimmt richtig an Fahrt auf, emotional, regelrecht spannend. Was ist aus dem einst jungen Mann geworden, der alle verzaubert hat? Aus dem „schlichten, schönen Wesen“ (22), das Basil inspiriert hat? Ist es der Einfluss Lord Henrys und des Buches (À Rebours" von Joris-Karl von Huysmans) oder seine eigene Schönheit, die ihn so verderben? Ich stimme @Die Häsin zu, die Entwicklung wirkt absolut authentisch.
Dorian fortwährend irgendwelcher sittenlosen Umtriebe und ungeheuerlicher Moralverstöße bezichtigt wird, ohne dass je klar gesagt wird, worin diese bestehen.
Ich gehe davon aus, dass er sich mit Frauen und Männern vergnügt und Drogen konsumiert, Opium war damals groß in Mode.
 

Literaturhexle

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Das macht für mich auch einen Reiz des Buches aus, dass nicht alles bezeichnet wird. Das Buch hat keinen Namen und doch wusste offenbar jeder in jener Zeit, um welches Buch es sich handelte.
Der Lord wirkt auf uns homosexuell und ausschweifend, das erfahren wir aber nicht konkret, sondern nur durch sein Gerede. Auch können wir es bestätigt sehen, weil seine Ehe zerbricht (die ja sein Schutzschirm war).
Ebenso wird das meiste von Dorians Ausschweifungen nur angedeutet. Allerdings werden die Leichen am Wegrand (wie der arme Alan) namentlich genannt und eine Opiumhöhle lernen wir auch kennen.

Das, was wir quergelesen haben, hat die Leute Ende des 19. Jahrhunderts wahrscheinlich noch brennend interessiert;)
 
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Die Häsin

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Ich hab's nicht quergelesen! Ich liebe solche Sammlungen.
Eine große Schwäche habe ich auch für Beschreibungen von "verwunschenen" Häusern. Ich habe einige Bücher im Schrank, die ich nur wegen der Schauplätze aufhebe, obwohl sie mich ansonsten nicht überzeugen. Den Kindersammler von Sabine Thiesler zum Beispiel, das erste Buch von Mo Hayder und noch andere. Auch wenn ich selbst schreibe, kann ich mich endlos über Häuser und Dekorationen auslassen. Würde die Lektorin wahrscheinlich alles ausixen ... :rolleyes:
 

Skadi Auriel

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12. März 2021
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Ich entschuldige mich für die lange Zeit, die ich für das lesen gebraucht habe. Privat ist einiges bei mir los gewesen.

Dorian reflektiert über sich selbst im 10. Kapitel. Erst hatte ich die Hoffnung, dass er sich wieder wohlwollend und nicht rücksichtslos verhalten würde. Leider kam im inneren Dialog heraus, dass dies nicht der Fall gewesen ist. Es gab eine Rückblende, die zeigt, dass er wahrhaftige Liebe scheinbar nicht bekommen hat in der Kindheit. Sondern dass diese eher von Angst und Vernachlässigung beherrscht gewesen ist. Er hofft dass Liebe das löscht, den er durchgemacht. Es klingt naiv und und als Ausrede mit vielen Frauen zusammen zu sein. Also eher verantwortungslos. Dann liest er ein Buch über das vergebene Nachhängen von alten Tugenden. Fand das Satzmonster Ende Kapitel 10 schwer zu verstehen.

Im 11. Kapitel gibt es einen Zeitsprung, nachher erfährt man, dass dieser 7 Jahren abdeckt. Er freut sich über die ewige Liebe und verliebt sich wie Narziss in sein eigenes attraktives Spiegelbild und spielt in der „High-Society“ mit, macht Events mit Musikern, genießt das Leben in vollen Zügen. Die Verwandlung ist komplett, wobei es stellenweise noch Reue gibt. Beispielsweise wie er im schmuddeligen Kneipenzimmer schläft, um sich selbst zu strafen. So ganz habe ich es nicht verstanden. Er nimmt sich pompöse historische Vorbilder für sein Verhalten, aber auch seine Kleidung.

Dann, im 12. Kapitel. Es gibt wieder einen Zeitsprung, diesmal 11 Jahre weiter. Die Freundschaft zu Lord Henry scheint weiterzubestehen. Basil kommt ihn besuchen, verabschiedet sich, weil er sechs Monate lang nach Frankfreich fahren will. Die Orientierung an Freude und weniger Ernsthaftigkeit wir bei Dorian wieder deutlich, da über nichts Ernsthaftes sprechen will, was Basil irritiert. Der Maler macht ihn auf seinen zweifelhaften Ruf in der High-Society aufmerksam und dass er sich doch mal drum kümmern soll, was andere von ihm denken und dass seine Kontakte moralisch verrottet seien. Aber auch, dass er üble Nachrede betrieben hätte. Basil fordert Anständigkeit von Dorian und appelliert daran, seinen Einfluss zum Guten einzusetzen. Dieser wiederum sagt sinngemäß, wenn ich das richtig verstanden habe, das jeder vor seiner eigenen Tür kehren solle und reagiert spöttisch, aber auch uneinsichtg.

Das 13. Kapitel schließt nahtlos an. Dorian führt Basil in das Zimmer mit seinem magischen Bildnis, welches seine Sünden und sein Altern übernimmt. Der Maler erschrickt sich über die Verhaltensweisen seines alten Freundes und ist entsetzt über das entstellte Bild hinter dem Stoff. Er begreift wie tief Dorian gesunken ist und Dorian sagt ihm, er ist mit für das Bild verantwortlich und was draus geworden ist. Was für mich das unrechtmäßige Zuschieben von Schuld darstellt, vielleicht will Dorian sich damit selbst entlasten. Es hat mich schockiert, wie kaltblütig er den Maler ermordet hat. Diesen lässt er dann einfach sitzen und geht weg, überlegt sich, ob er verdächtig wäre und was dagegen sprechen würde, dass jemand Basil vermisst.

Im 14. Kapitel fängt an, dass sich Reue und Dorians Gewissen melden. Dann auch die Idee sich mit Opiat zu betäuben. Stattdessen lenkt er sich mit einem Gedicht ab und blendet aus, dass er Basil umgebracht hat. Das erschreckt mich, auch wenn es eine Schockreaktion sein kann. Er holt einen ehemaligen Freund, der Chemiker ist. Durch Lügen und dann durch Erpressung beseitigt dieser die Leiche. Ich habe da Abscheu gegenüber Dorian empfunden. Danach wollte der Freund nichts mehr von ihm wissen, was ich gut nachvollziehen kann. Er bot sogar Basil als Versuchsobjekt an, das war widerlich.
 

Xirxe

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19. Februar 2017
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"Es war ein Buch, das Gift ausströmte."
Und zwar ist es das Folgende:
Leider konnten wir zu diesem Buch keine Daten ermitteln.
Ich werde es mir merken, denn irgendwie hat mich die Beschreibung schon neugierig gemacht.
Interessant finde ich übrigens auch, dass Dorian fortwährend irgendwelcher sittenlosen Umtriebe und ungeheuerlicher Moralverstöße bezichtigt wird, ohne dass je klar gesagt wird, worin diese bestehen.
Aber Basil zeigt sie doch auf - klarer muss er das doch überhaupt nicht sagen.
Ich schließe mich euch an mit dem Querlesen bei den Aufzählungen ;)

Den 'Bruch' zwischen Kapitel 11 und 12 fand ich auch beträchtlich - aber durchaus positiv. Wo ich mich vorher richtig konzentrieren musste, um nicht komplett abzuschweifen, las sich Kapitel 12 ff. fast schon wie ein Krimi. Mit was Dorian diesen armen Campbell wohl erpresste? Ich gebe zu, manchmal möchte ich doch auch etwas genauer wissen ;)
Im 11. Kapitel findet sich dann vermutlich auch der Teil, der die damalige High Society vermutlich besonders entsetzt hat: Wie er sich darüber auslässt, dass die zivilisierte Gesellschaft Manieren und Geld für wesentlich wichtiger hält als die Moral.
Eine wirklich herrliche Lektüre mit Aussagen ohne Verfallsdauer:
Die Mode, durch die im Grunde Unbeständiges, Launenhaftes momentweise allgemeingültig wird, ...
 
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