3. Leseabschnitt: Drittes Stück (Seite 114 bis 182)

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Merci. Mich flasht gerade die Stelle auf S. 179, wo es um arme und reiche Intelligente geht; hab jetzt keine Zeit die Stelle zu zitieren, werde sie mir aber in meinem Notizbuch notieren, wo ich lauter herausragende Passagen aus Büchern reinschreibe - man weiß nie, wofür man sie noch einmal braucht :cool:.
 

ulrikerabe

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14. August 2017
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Die Fragen nach Anstand und Moral prägen den gesamten Roman. Kann ein Mensch anständig bleiben, obwohl er Hunger leidet? Und IST der Protagonist eigentlich anständig, bzw. das, was wir darunter verstehen? Denn immer wieder gibt es diese psychotischen Schübe, unter denen die Mitmenschen dann doch auch zu leiden haben.
Brecht sagt es so treffend. Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.
Der Mann ist so gebeutelt zwischen Stolz, Scham und Schuld. das kann ich noch nachvollziehen. Aber keinen hehren Verzicht. Das halte ich für lebensfremd. Vor allem weil der Mann eine gewisse Boshaftigkeit in sich trägt
Und wenn es so ist, warum hat Hamsun die Szene gestrichen? Wollte er diesen männlichen Protagonisten doch nicht mehr schäbig aussehen lassen? Ich weiß es nicht so recht.
wer weiß, wie viel Hamsun in dem Erzähler steckt. Vielleicht passte die dargestellte Begehrlichkeit nicht mehr zur Gesinnung.
Irre. Den Fahrer hat er am Ende auch geprellt. Das übliche Verhaltensmuster: der Prota fantasiert sich was zusammen, um andere zu beeindrucken. Genauso wie er beim Bier behauptete, er sei mit der jungen Dame verlobt. Er schwatzt viel..
Das Fabulieren war schon vor der elenden Entkräftung ein Wesenszug und diese steigert sich im Wahn immer mehr.
 

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29. März 2022
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Die Achterbahnfahert des Protas geht weiter. Er schwankt zwischen euphorischen Phasen und Phasen der Hoffnungslosigkeit. Zudem baut er immer mehr köprerlich ab. Ich wundere mich, wie manch Anderer hier auch, woher er noch die Kraft nimmt, so viel unterwegs zu sein.
Auf die Idee, dass die Szene mit der Frau eine Wahnvorstellung sein könnte, bin ich gar nicht gekommen. Ich glaube, das Mädchen hat auch kein einfaches Leben und vermutlich ist es das, was sie verbindet.
Ich versuche, das Buch einfach zu genießen und es nicht mit Interpretationen zu überfrachten. Für mich geht es in erster Linie um die Höhen und Tiefen eines permanent hungernden Menschen und um das, was das mit seiner Psyche macht. Als eine solche Charakterstudie finde ich das Buch überaus gelungen und kann auch die Wechsel des Protas bzgl. seiner Scham- und Schuldhaftigkeit gut verstehen.
Ich erinnere mich, um ehrlich zu sein, gar nicht mehr an den Ausgang der Geschichte. Die Erstlektüre liegt zu lange zurück...
 
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milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Unserem Prota gehen die Haare aus, das Zahnfleisch ist entzündet, die Klamotten scheuern, er erbricht schon kleinste Nahrungsmengen....
Sollte da dieser "gewisse Grad" nicht erreicht sein? Ich weiß den künstlerischen Aspekt dieses Romans zu schätzen, aber rein faktisch inhaltlich habe ich Probleme...

Ich finde in diesem Zusammenhang auch einiges nicht mehr schlüssig.

Einerseits das hier:

Ich wundere mich, wie manch Anderer hier auch, woher er noch die Kraft nimmt, so viel unterwegs zu sein.

Und andererseits frage ich mich, wie er so ausgemergelt und kraftlos noch bei einer Frau „performen“ will, ja, wie er in seinem Zustand überhaupt noch Lust empfinden kann.
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Aber wie der Protagonist immer wieder handelt und selbst in der größten Not nicht das Geld nutzt, um Nahrung zu kaufen, er seiner Ehrhaftigkeit treu bleiben will, erscheint mir sehr speziell nur für diese Person. Wenn Menschen tatsächlich dem Tode durch Hunger nahekommen, dann fallen die moralischen Zweifel vielleicht nicht gleich sofort, aber doch irgendwann von ihnen ab. Dass er hier so lange, sich so zurückhaltend verhält, um an Essen zu kommen, ist mir ein besonderer Zug des Protagonisten und meines Erachtens nicht verallgemeinerbar.

Ich finde die Geschichte auch alles andere als exemplarisch.

Die Fragen nach Anstand und Moral prägen den gesamten Roman. Kann ein Mensch anständig bleiben, obwohl er Hunger leidet? Und IST der Protagonist eigentlich anständig, bzw. das, was wir darunter verstehen?

Was mich stört, ist, dass ihn manche Situationen aus moralischer Sicht beschäftigen, auch pseudo-unehrliche Szenen wie die beim Kommis, andere Szenen wie die Zechprellerei beim Kutscher, die klar kriminell sind, ihm jedoch gar nicht problematisch vorkommen.
 

Irisblatt

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15. April 2022
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Weiterhin scheint es mir auch in diesem LA wenig Veränderungen an unserem Protagonisten in seinem grundsätzlichen Handeln zu geben. Er erkennt kaum, wann ihm jemand helfen will, versteht Hilfsangebote entweder gar nicht oder falsch und gibt sein Geld an scheinbar "die Armen", wie die Kuchenfrau.

Mir ist noch im Hinterkopf von einer Besprechung, die ich vor einer ganzen Weile zum Buch gesehen habe, dass gesagt wurde: "Jetzt weiß ich, wie es sich anfühlen muss, zu hungern." Dieser globalen Aussage würde ich nur sehr eingeschränkt zustimmen. In manchen Momenten beschreibt Hamsun ganz großartig die geistigen und körperlichen Verfallserscheinungen unter längerer Nahrungsdeprivation. Aber wie der Protagonist immer wieder handelt und selbst in der größten Not nicht das Geld nutzt, um Nahrung zu kaufen, er seiner Ehrhaftigkeit treu bleiben will, erscheint mir sehr speziell nur für diese Person. Wenn Menschen tatsächlich dem Tode durch Hunger nahekommen, dann fallen die moralischen Zweifel vielleicht nicht gleich sofort, aber doch irgendwann von ihnen ab. Dass er hier so lange, sich so zurückhaltend verhält, um an Essen zu kommen, ist mir ein besonderer Zug des Protagonisten und meines Erachtens nicht verallgemeinerbar.
Da stimme ich dir komplett zu.
So, und nun komme ich zu dieser ganzen Episode/die Episoden um "Ylajali". Sehr lange glaubte ich, dass sich alles, was nach der Sache mit dem "Sie verlieren Ihr Buch!" und dem Folgen in das Haus Nr. 2 zu tun hatte, nur im Kopf des Protagonisten stattfindet. Sprich, er hat diese Frau tatsächlich einmal gesehen und verfolgt und später aber in seinem Delir sich die Momente, in denen sie unter der Lampe vor seiner Unterkunft wartete, er mit ihr spazierenging, und auch das ausgemachte Treffen bei ihr zuhause einbildete. Gerade die Vorkommnisse in der Wohnung der Frau lassen mich aber auch wieder daran zweifeln. Vielleicht hat sie ihn doch eingelassen, er hat sie vergewaltigt, in seiner Vorstellung/Delir das aber so gar nicht mitbekommen. Es fehlen ihm Momente. Auf S. 174 liegt sie plötzlich "mit völlig offenen Kleidern da", obwohl zuvor er die Knöpfe nicht aufbekommen hat.
Im Text steht, dass sie selbst die Knöpfe ihres Mieders öffnet, mit denen er Schwierigkeiten hatte.
Sie wehrt sich, sagt nein. (Was für ein immer noch und besonders aktuelles Thema!!)
Leider
Danach will er sich auf den Teppich knien, dort "auf der roten Farbe direkt vor ihren Füßen". Ich nehme an, es handelt sich um Blut von der Vergewaltigung, aber er integriert das überhaupt nicht in seine psychotischen Wahrnehmungen.
Der Teppich hat wohl ein Muster mit roten Rosen. Ich hatte es so verstanden, dass es nicht zur Vergewaltigung kam. Ganz sicher bin ich mir da aber nicht. Es fällt mir besonders bei den Szenen rund um Ylajali sehr schwer einzuordnen, was davon wirklich passiert ist und inwieweit wir uns vielleicht nur durch die wirren Gedanken eines sehr speziellen Protagonisten lesen. Er ist immer sehr darauf bedacht, was andere von ihm denken könnten, liegt dabei aber häufig völlig daneben.
Bei diesem LA musste ich allgemein häufiger an Watzlawicks berühmte Geschichte mit dem Hammer denken. Ich weiß nicht, ob der Protagonist sich da in seine Geschichten nur gedanklich hineinsteigert oder ob sie tatsächlich so passiert sind. Auf jeden Fall schafft er es, mich vor den Kopf zu stoßen.