Irritierend finde ich, dass Inga kaum eine Rolle spielt -
Weder wird um sie getrauert noch spürt man irgendeine Fassungslosigkeit über ihren sinnlosen Tod.
Alles sehr verhalten, das schon, aber ich sehe im Verhalten der Eltern eine tiefe tiefe Trauer. "Karl Li trug an einer Bürde" (S. 133). Der Vater ist eigentlich sprachlos vor Kummer, aber trotzdem: er bemüht sich, seinen Sohn zu retten, auch er - meine ich - fürchtet, dass er sich etwas antut. Er will nicht das zweite Kind verlieren.
Er kann ihn nicht freisprechen und kein Verständnis für die Tat formulieren, aber er bietet ihm den Rückhalt der Familie. Das Gespräch Vater-Sohn hat mir gut gefallen. Karl formuliert, dass die Familie Schutz gewährt, indem sie das Unglück mitträgt.
Mari verhält sich wie ihr Mann, obwohl wir nichts von einer Absprache zwischen beiden lesen: als Rolv nach Hause kommt, betont sie auch die Wichtigkeit des Zuhauses. Karl und Mari sind einander verbunden in ihrem Denken.
Die Trauer der Mutter ist etwas ganz Eigenes und Ungewöhnliches. Sie stellt das Zimmer mit Kerzen und Leuchtern voll, sie erhellt es mit allem, was ihr zur Verfügung steht - und Karl sieht das und fühlt, dass man das Zimmer mit der toten Tochter nun leichter betreten kann, weil es so hell ist. Ihr Mann ist ihr sehr dankbar dafür (S. 165).
Der Tod der Tochter wird für ihn leichter.
Mir gefällt das Bild so gut: "als wäre das Zimmer ein Schiff" (S. 164), dieses Bild des Toten, der auf einem Schiff bzw. über das Wasser aus dem Leben fährt - ob das Charon und die Flüsse Lethe, Styx, Acheron (und wie sie alle heißen) sind - mir fallen natürlich Böcklins Gemäde "Toteninsel" ein - hier setzt der Autor viele Assoziationen frei. Und was wichtig ist: Mari "war mit an Bord" (S. 165). Sie entfernt sich mit der Tochter aus dem Leben. Eine kürzere Beschreibung von Trauer und Verzweiflung habe ich noch nie gelesen.
Ob Kari an die Totengöttin Hel erinnern soll?
Und Karl erkennt ihre große Angst um den Sohn: "dass sie sich selbst wohl jetzt als kinderlos begriff" (S. 165).
Da scheint eine große Liebe zu sein zwischen den Eheleuten, in dieser extremen Situation, und diese Liebe führt auch dazu, dass Karl sich so sehr um den Sohn bemüht.