Rolv durchstreift rastlos die Insel. Die Menschen haben Angst vor ihm und gehen ihm aus dem Weg. Er wird wie ein Aussätziger behandelt. Die schwangere Gudrun zieht sich offenbar aber auch von ihrem Ivar zurück, denn früher hat man sie doch fast nur zusammen gesehen. Die losgetretene Gewalt wirkt befremdlich auf die friedliebenden Insulaner."Es fällt kein Vogel zu Boden, ohne dass Gott es will", sagt Kari
Diese sozialen Entwicklungen halte ich für glaubwürdig. Der Roman ist 1940 erschienen. Da drängt sich doch die Parallele zum Nationalsozialismus auf. Da wurden auch Sündenböcke gesucht und gejagt. Das mag aber mit Deutschland gar nichts zu tun haben. Die Strukturen wären überall ähnlich. Andreas ist zudem auch nicht schuldlos ins Fadenkreuz der Hetzer geraten.
Ich weiß nicht, was du meinst. Kannst du es bitte nochmal erklären.Der Wahn in Andreas Augen wurde mir zu stark betont, als dass ich ihn nicht als Wink mit dem Zaunpfahl, dass schon allein jüdisches Aussehen bei den Deutschen ein Schuldeingeständnis war (arische Rasse usw.), ergo dieser Wahn über jegliches merkwürdige Verhalten der eigenen Inselbeohner steht.... falls das jetzt verständlich war.
Genau auch mein Problem. Weder wird um sie getrauert noch spürt man irgendeine Fassungslosigkeit über ihren sinnlosen Tod. Andreas wird reingewaschen, weil er "irre" ist und Rolv verurteilt, weil er die Hetze angeführt hat. Für ihn gibt es wenig mildernde Umstände. Im Gegenteil: die Insulaner machen ihn zum Hauptschuldigen.Irritierend finde ich, dass Inga kaum eine Rolle spielt - alles wird überschattet vom 2. Mord.
Auch Andreas hat bisher wenig Bedeutung. Von "Reinwaschen" würde ich nicht reden. Der Vater erwähnt zwar, dass es die Tat eines Verrückten war, aber auch eher nebenbei.Genau auch mein Problem. Weder wird um sie getrauert noch spürt man irgendeine Fassungslosigkeit über ihren sinnlosen Tod. Andreas wird reingewaschen, weil er "irre" ist und Rolv verurteilt, weil er die Hetze angeführt hat. Für ihn gibt es wenig mildernde Umstände. Im Gegenteil: die Insulaner machen ihn zum Hauptschuldigen.
Das weiß ich auch noch nicht genau. Für mich geht es bisher auch um Gruppendynamik, Extremsituationen, die den Menschen zum "Tier" machen können, Schuld auf unterschiedlichen Ebenen ...Was will uns Vesaas damit sagen?
Alle sind sie geschockt über die Treibjagd und deren fatales Ende. Alle wollen sich reinwaschen.
Anscheinend ein typisches Verhalten, ein Massenphänomen und das muss man ansprechen, offenlegen, diskutieren, was wir ja hier auf Anregung von Vesaas tun.Der Mob distanziert sich. Auf einmal hat Rolv die anderen angestachelt, so dass sie sich als Opfer seiner Wut stilisieren können. Diese Scheinheiligkeit schreit für mich zum Himmel, auch wenn sie etwas Reales, Glaubwürdiges ausstrahlt.
Ich wundere mich auch, wie gefasst Karl das hinnimmt und auch Mari, seine Frau, hat an ihm keinen Trost. Dass er Selbstjustiz vehement ablehnt, ist richtig, aber er hätte auch Mitleid mit seinem Sohn haben oder zeigen können. Es ist wirklich zu befürchten, dass Rolv das alles nicht verkraftet.Wenn einem Menschen die Tochter brutal ermordet wird, ist man da wirklich so christlich und gerecht, dass man den Mob verurteilt, der die Tat "Auge um Auge" gerächt hat? Im Angesicht der toten Tochter? Mir erscheint Karl entsetzlich gefasst und selbstgerecht. Die Eltern müssten dem Sohn in dieser Situation beistehen. Er hat ja nicht Hand an irgendeinen gelegt, sondern an den Mörder seiner Schwester. Man muss diese Rache nicht gutheißen, aber man muss sie verstehen, dem Sohn Halt geben, damit er sich nicht am Ende auch noch das Leben nimmt.
Da muss man Angst um ihn haben; noch ein sinnloser Tod wäre fatal und würde allen noch mehr Schuld aufbürden.Mir tat Rolv in diesem Abschnitt leid. Auch er weiß, dass es falsch ist, jemanden umzubringen, selbst wenn es der Mörder der Schwester ist.
Er sehnt sich deshalb auch gar nicht nach einem Freispruch, fleht regelrecht um Anteilnahme, etwas Verständnis. Er ist völlig alleine,
Irisblatt:Was will uns Vesaas damit sagen?
Das sehe ich auch so, zeitlose Themen.Das weiß ich auch noch nicht genau. Für mich geht es bisher auch um Gruppendynamik, Extremsituationen, die den Menschen zum "Tier" machen können, Schuld auf unterschiedlichen Ebenen ...
Damit tue ich mich auch etwas schwer. Den zweiten Mord gab es ja nur wegen dem ersten, also müsste dieser als Auslöser auch eine Rolle spielen. Stattdessen ist es ausgerechnet der Vater, der die Vergeltungstat absolut veruteilt. Böses darf nicht mit Bösem vergolten werden.Irritierend finde ich, dass Inga kaum eine Rolle spielt - alles wird überschattet vom 2. Mord.
Dass Mord nie zu entschuldigen ist - egal was dazu geführt hat? Und dass jeder einzelne Verantwortung für die gesamte Gemeinschaft hat?Für ihn gibt es wenig mildernde Umstände. Im Gegenteil: die Insulaner machen ihn zum Hauptschuldigen.
Was will uns Vesaas damit sagen?
Zu diesen Fragen habe ich auch noch keine Ideen und bin sehr gespannt.Was für eine merkwürdige Sache, dass Kari Nes überall herumgeht und die Leute zur Scheune schickt. Ich gespannt, was dabei herauskommt. Und warum 'Der Keim'?
Dadurch das Vesaas es vermied Andreas Schuld direkt auszusprechen, habe ich vermutet, das dies mit voller Absicht geschah, um eine Parallele zu den Propagandareden der Nazis zu zeichnen, die auch mit z. Bsp. Rassenmerkmalen Rückschlüsse auf die allgemeine Schuld der Juden für die Miseren der Arier zogen. Da reichte dann ein kurzer Ruf, um die Menschen zum Lynchen der Juden aufzustacheln, ähnlich dem Ruf Rolvs Andreas zu jagen.Ich weiß nicht, was du meinst. Kannst du es bitte nochmal erklären.
Das ist ein interessanter Gedanke, an dem durchaus etwas dran sein könnte. Wir wissen, weil Vesaas uns in Andreas Kopf blicken lässt, dass er der Täter ist. Anders sieht es mit den Inselbewohnern aus, die sofort auf den Fremden zeigen und ihn zu jagen beginnen, aber ohne dabeigewesen zu sein.Dadurch das Vesaas es vermied Andreas Schuld direkt auszusprechen, habe ich vermutet, das dies mit voller Absicht geschah, um eine Parallele zu den Propagandareden der Nazis zu zeichnen, die auch mit z. Bsp. Rassenmerkmalen Rückschlüsse auf die allgemeine Schuld der Juden für die Miseren der Arier zogen. Da reichte dann ein kurzer Ruf, um die Menschen zum Lynchen der Juden aufzustacheln, ähnlich dem Ruf Rolvs Andreas zu jagen.
Das fand ich auch ganz schrecklich. Die Menschen können Rolv kaum noch ansehen, obwohl ein Großteil von ihnen offenbar selbst an der Jagd und an der Tat beteiligt waren. Einen Sündenbock zu finden, geht immer sehr leicht.Diese Scheinheiligkeit schreit für mich zum Himmel, auch wenn sie etwas Reales, Glaubwürdiges ausstrahlt.
Vielleicht, indem man sich versucht, in die Figur Karl hineinzuversetzen und zum Schluss kommt, dass er innerhalb kürzester Zeit praktisch beide Kinder verloren hat. Inga war bereits tot, was für die Familie schlimm ist, aber in gemeinsamer Trauer vielleicht hätte bewältigt werden können. Doch durch Rolvs Tat bleibt ihm nicht einmal mehr das zweite Kind. Die komplette Familie ist innerhalb weniger Momente zerstört worden.Er verurteilt die Tat seines Sohnes weit stärker als die des Mörders. Wie ist das zu erklären?
Ja, diese gruppendynamischen Prozesse - ein Verdienst von Vesaas, uns das noch mal richtig eindringlich und deutlich vor Augen zu führen. Sehr gut von dir gesehen, dass selbst Haug und Dal, die vorher als Einheit erschienen, jetzt auseinanderdriften.Ich bin wie ihr gefesselt und schockiert zugleich. Die gruppendynamischen Prozesse sind unglaublich eindrucksvoll beschrieben. Einerseits rotten sich nach der Tat alle gegen Rolv zusammen, andererseits sind auch Brüche zu erkennen, weil jeder jedem wegen seines Anteils am Geschehen misstraut. Selbst Haug und Dal sind nicht mehr ein Herz und eine Seele.
Ich glaube, dass es sie gibt und sie ist sicher nicht so verrückt, wie die Insulaner denken. Über ihre symbolische oder sonstige Bedeutung bin ich mir aber noch nicht so richtig im Klaren.Unsicher bin ich mir noch immer über Kari Nes' Rolle. Plötzlich erscheint sie den Leuten riesengroß. Sie treibt alle in die Scheune, warum? Warum gehorchen ihr auf einmal alle? Sie kommt mir gar nicht so richtig verrückt vor. Gibt es sie wirklich oder verkörpert oder ist sie nur ein Bild für das Gewissen der Insulaner?
Das ist anscheinend ein nicht zu unterschätzender Aspekt. Es sind Strohhalme, an die sich die Menschen klammern. Das kann man auch in der Ukraine sehen, wie verzweifelt die Menschen versuchen, eine Art von Leben oder Normalität aufrecht zu halten.Die beiden Frauen mit den Milchkannen auf S. 148 erinnern mich an Janet Lewis' Draußen die Welt: Dort war es das Spülen, das man auch noch ausführen muss, wenn die Welt untergeht, hier ist es Essen, Milch und Kühe, die dafür sorgen, dass es weitergeht.
Ich habe das ja abgelehnt, aber noch ein bisschen darüber nachgedacht. Es könnte schon sein, dass Vesaas mit solchen Gruppendynamiken und dem Mitläufertum auch die Vorgänge in der Nazizeit im Hinterkopf hatte.Was die politischen Bezüge betrifft, so will ich sie nicht überinterpretieren. Andererseits kann ich mir auch schwer vorstellen, dass Tarjei Vesaas in der Zeit der heraufziehenden Nazigefahr so ein Buch ohne Hintergedanken geschrieben hat. Er ist in der Zeit vor dem Krieg durch Europa gereist, hat eine Weile in München gelebt und hatte sicher eine Ahnung, was kommen würde.
Ich freue mich auch sehr, ein so wunderbares Buch gelesen zu haben und der Guggolz-Verlag, das ist für mich der Beste! Ich habe noch 'Das Mädchen auf der Himmelsbrücke' da stehen und das ist sicher nicht das letzte Buch von Guggolz.Ich freue mich unglaublich, dass auch "Der Keim" so ein tolles Buch ist. Am meisten freue ich mich für den Guggolz Verlag, dem ich jeden Verkaufserfolg von Herzen gönne.