3. Leseabschnitt: ... 5 ... 4 ... 3 ...

Barbara62

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19. März 2020
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Baden-Württemberg
mit-büchern-um-die-welt.de
Sehr anschaulich und trotzdem sachlich zieht sich auch die Problematik der Volksgruppen durch den Roman und Hermanns Leben. Politische Entscheidungen teilen Länder neu auf und plötzlich sind Siebenbürger Deutsche Rumänen und weder im neuen Land der Zugehörigkeit willkommen, noch in der alten Heimat. So sind die Menschen plötzlich überall fremd.
Ich finde diesen Aspekt besonders interessant. Der Unterschied zwischen "Volksdeutschen" und "Reichsdeutschen" ist mir zum ersten Mal ganz plastisch klar geworden.
 

Barbara62

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19. März 2020
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Baden-Württemberg
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Der dritte LA gefällt mir bisher am besten.
Aber was ich sehr schätze, ist das Thema: der (teilweise) gescheiterte Wissenschaftler. Gescheitert als Mensch, gescheitert im Fach. Obwohl ja der Teil in den USA noch aussteht. Politisch auch gescheitert. Null Erkennntis. Nazibeeinflusst. So charakteristisch, dass "der Unternehmer" sagen kann, ja, klar, ich war in der Partei, aber ein Nazi, ich? nie." Hermann denkt genau so.
Mich hat dieser Abschnitt auch mehr interessiert als der vorhergehende, weil ich diese "Kaltstellung" gut beschrieben fand. Dass man auf Oberth erst aufmerksam wurde, weil die Russen sich für ihn interessierten, sonst wäre er wahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt völlig in der Versenkung verschwunden. So habe ich das jedenfalls verstanden.
 
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Barbara62

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19. März 2020
3.769
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Baden-Württemberg
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Irritiert hat mich, dass jetzt auf einmal ein "Nicht-Arier-Verdacht" auf Oberth gelastet hat, davon war doch vorher noch nie die Rede.

Bei Aggregat 4 hat sich Oberth getäuscht: Trotz seiner Zweifel flog die Rakete. War er also doch nicht ganz so genial?

Statt einer Waffe will Oberth nun eine Waffe zur Flugabwehr konstruieren, von der Mondrakete über die Angriffs- bzw. Abschreckungsrakete zur Fliegerabwehrrakete. Anpassungsfähig ist Oberth schon, wenn es darum geht, seinen Traum von der Rakete zu verwirklichen.
 
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parden

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13. April 2014
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Niederrhein
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Uff, ich muss gestehen, dass der Roman mich immer zwiespältiger werden lässt. Einerseits durchaus interessant und ja, auch stellenweise emotional trotz des sachlich-distanzierten Schreibstils, andererseits aber habe ich ständig das Gefühl, vom Autor in eine bestimmte Richtung gelenkt zu werden. Hmmm - wie kann ich das verdeutlichen? Irritiert war ich schon im 2. LA, als ich merkte, dass Details aus der Biografie einfach weggelassen wurden, die ich jedoch nicht unwesentlich finde. Und auch in diesem Abschnitt habe ich mich oft gefragt, ob wir hier wirklich den Oberth kennenlernen, der er war - oder ob wir hier der schriftstellerischen Freiheit aufsitzen? Bestimmte Eckdaten werden stimmen, aber wie Oberth beispielsweise mit seinem Sohn Julius umging? Oder wie er und seine Frau miteinander umgingen? Oder überhaupt wie Tilla sich tatsächlich positionierte? Hat sie nicht einfach die kritische Stimme des Autors bekommen? Mich stört das irgendwie. Ich sehe die Schwierigkeit, ein Leben zu skizzieren, wenn es nur wenig tatsächliches Material gibt, das man hinzuziehen kann. Ich sehe aber auch die Gefahr, Menschen dabei nur die Worte in den Mund zu legen, die zu der Richtung passen, die der Autor ihnen geben will. Ärgs, ist das kompliziert. Wenn ich einen fiktiven Roman lese, folge ich dem Autor gerne, denn es sind seine Charaktere, die er da agieren lässt. Wenn ich aber einen biografischen Roman lese - und das ist dieses Buch für mich - dann möchte ich mich doch darauf verlassen können, dass ich über ein Leben lese, das zumindest in großen Teilen dem nahe kommt, was die Person tatsächlich geführt hat. Und hier habe ich doch teilweise den Eindruck, durch die Beschränkung der Szenen und der Informationen irgendwie - hm, böse gesagt: manipuliert zu werden. Ich hoffe, das ist jetzt verständlich? Es gab einfach viele Szenen - wie z.B. das oben bereits erwähnte 'Drachensteigen' - in denen ich dachte: echt jetzt? oder auch: war das wirklich so? Oder wie @Barbara62 schon sagte: wo kam so plötzlich der Nicht-Arier-Verdacht her?

Oberth wird aber im Kern schon ein Getriebener gewesen sein, einer mit Tunnelblick und mit fehlender emotionaler Intelligenz, hochintelligent aber lebensuntüchtig. Kein sympathischer Zeitgnosse, sondern ein am Leben Gescheiterter. Er wusste einfach nie wirklich wie er etwas anpacken sollte. Weder beruflich noch privat.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Und auch in diesem Abschnitt habe ich mich oft gefragt, ob wir hier wirklich den Oberth kennenlernen, der er war - oder ob wir hier der schriftstellerischen Freiheit aufsitzen? Bestimmte Eckdaten werden stimmen, aber

Das hast du super in Worte gefasst. Was wir etwas unglücklich als Diskrepanz zwischen literarischer und historischer Figur genannt haben. Das empfundene Unbehagen des Lesers hast du viel besser auf den Punkt gebracht.

Was das Genre angeht, ist es jedoch BioFiction. (Da wird auch kein Hehl daraus gemacht. Das Buch ist keine! Biographie). Da der Autor aber beinahe biografisch an die Sache/Peson herangeht, vergisst man das leicht.
 
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Literaturhexle

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2. April 2017
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Das empfundene Unbehagen des Lesers hast du viel besser auf den Punkt gebracht.
Wunderbar, @parden!
Ich schließe mich dir voll umfänglich an, hätte es aber nicht so gut auf den Punkt bringen können.
Im Nachwort geht der Autor darauf ein: ihn haben die Widersprüche und Ambivalenzen der Figur gereizt. Es KÖNNTE ja auch so gewesen sein....
Mir war es aber stellenweise (Hochzeitsnacht, Drachen,...) auch ein bisschen zuviel des Guten.
 
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Barbara62

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19. März 2020
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Baden-Württemberg
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Uff, ich muss gestehen, dass der Roman mich immer zwiespältiger werden lässt. Einerseits durchaus interessant und ja, auch stellenweise emotional trotz des sachlich-distanzierten Schreibstils, andererseits aber habe ich ständig das Gefühl, vom Autor in eine bestimmte Richtung gelenkt zu werden. Hmmm - wie kann ich das verdeutlichen? Irritiert war ich schon im 2. LA, als ich merkte, dass Details aus der Biografie einfach weggelassen wurden, die ich jedoch nicht unwesentlich finde. Und auch in diesem Abschnitt habe ich mich oft gefragt, ob wir hier wirklich den Oberth kennenlernen, der er war - oder ob wir hier der schriftstellerischen Freiheit aufsitzen? Bestimmte Eckdaten werden stimmen, aber wie Oberth beispielsweise mit seinem Sohn Julius umging? Oder wie er und seine Frau miteinander umgingen? Oder überhaupt wie Tilla sich tatsächlich positionierte? Hat sie nicht einfach die kritische Stimme des Autors bekommen? Mich stört das irgendwie. Ich sehe die Schwierigkeit, ein Leben zu skizzieren, wenn es nur wenig tatsächliches Material gibt, das man hinzuziehen kann. Ich sehe aber auch die Gefahr, Menschen dabei nur die Worte in den Mund zu legen, die zu der Richtung passen, die der Autor ihnen geben will. Ärgs, ist das kompliziert. Wenn ich einen fiktiven Roman lese, folge ich dem Autor gerne, denn es sind seine Charaktere, die er da agieren lässt. Wenn ich aber einen biografischen Roman lese - und das ist dieses Buch für mich - dann möchte ich mich doch darauf verlassen können, dass ich über ein Leben lese, das zumindest in großen Teilen dem nahe kommt, was die Person tatsächlich geführt hat. Und hier habe ich doch teilweise den Eindruck, durch die Beschränkung der Szenen und der Informationen irgendwie - hm, böse gesagt: manipuliert zu werden. Ich hoffe, das ist jetzt verständlich? Es gab einfach viele Szenen - wie z.B. das oben bereits erwähnte 'Drachensteigen' - in denen ich dachte: echt jetzt? oder auch: war das wirklich so? Oder wie @Barbara62 schon sagte: wo kam so plötzlich der Nicht-Arier-Verdacht her?

Oberth wird aber im Kern schon ein Getriebener gewesen sein, einer mit Tunnelblick und mit fehlender emotionaler Intelligenz, hochintelligent aber lebensuntüchtig. Kein sympathischer Zeitgnosse, sondern ein am Leben Gescheiterter. Er wusste einfach nie wirklich wie er etwas anpacken sollte. Weder beruflich noch privat.
Ich kann alles teilen, was du sagst, und verstehe ausgezeichnet, was du meinst. Allerdings habe ich mich schon auch in der Lage gefühlt, Oberth selbständig zu beurteilen - und ich hatte am Ende nicht einmal die gleiche Sicht auf Oberth wie der Autor. Aber insgesamt ist das immer das Dilemma biografischer Romane - sie arbeiten eben mit Fiktion. Ich habe mir lange überlegt, ob ich drei oder vier Sterne gebe, habe mich dann aber für vier entschieden, weil am Ende bei mir das hängenbleibt, was ich in anderen Quellen verifizieren konnte. Die Hochzeitsnacht hatte ich dagegen fast schon wieder vergessen. Und gelernt habe ich tatsächlich viel.
 
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DanielMellem

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4. August 2020
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6
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andererseits aber habe ich ständig das Gefühl, vom Autor in eine bestimmte Richtung gelenkt zu werden. Hmmm - wie kann ich das verdeutlichen? Irritiert war ich schon im 2. LA, als ich merkte, dass Details aus der Biografie einfach weggelassen wurden, die ich jedoch nicht unwesentlich finde. Und auch in diesem Abschnitt habe ich mich oft gefragt, ob wir hier wirklich den Oberth kennenlernen, der er war - oder ob wir hier der schriftstellerischen Freiheit aufsitzen? Bestimmte Eckdaten werden stimmen, aber wie Oberth beispielsweise mit seinem Sohn Julius umging? Oder wie er und seine Frau miteinander umgingen? Oder überhaupt wie Tilla sich tatsächlich positionierte? Hat sie nicht einfach die kritische Stimme des Autors bekommen? Mich stört das irgendwie. Ich sehe die Schwierigkeit, ein Leben zu skizzieren, wenn es nur wenig tatsächliches Material gibt, das man hinzuziehen kann. Ich sehe aber auch die Gefahr, Menschen dabei nur die Worte in den Mund zu legen, die zu der Richtung passen, die der Autor ihnen geben will. Ärgs, ist das kompliziert. Wenn ich einen fiktiven Roman lese, folge ich dem Autor gerne, denn es sind seine Charaktere, die er da agieren lässt. Wenn ich aber einen biografischen Roman lese - und das ist dieses Buch für mich - dann möchte ich mich doch darauf verlassen können, dass ich über ein Leben lese, das zumindest in großen Teilen dem nahe kommt, was die Person tatsächlich geführt hat.

Ich bin zuletzt leider nicht zum Schreiben gekommen, vielen Dank für die schönen und spannenden Beiträge die vergangenen Tage!

Mit den hier angesprochenen Fragen habe ich beim Schreiben auch sehr gerungen und sie stellen sich vermutlich bei jedem Roman, in dem es vordergründig um historische Figuren geht. Ich versuche mich mal kurz zu halten. In einer Sachbiographie geht es um den schlichten Fakt, ein literarischer Text geht darüber hinaus. Wie und in welcher Form, dafür gibt es kein Rezept. Das muss der/die Schreibende immer wieder mit sich selbst verhandeln. Literatur zeigt das Allgemeine im Besonderen, deshalb ist die Figur im Text nicht einfach nur ein Abbild des historischen Hermann Oberth, sondern steht eben auch exemplarisch. In diesem Fall (verkürzt formuliert) für einen Menschen, der nach etwas greift, das er nicht erreichen kann. Deshalb ist so ein Text natürlich immer komponiert: Szenen werden bewusst ausgewählt, es wird dramaturgisch verdichtet, Dinge werden ausgelassen, erfunden und so weiter.
Gleichzeitig spüre ich aber natürlich nicht nur eine literarische Verantwortung, sondern auch eine historische. Ich brauche nicht über die Person Hermann Oberth schreiben, wenn ich ihr historisches Wirken ignoriere oder es komplett verdrehe. Deshalb war es für mich wichtig, die Figur so darzustellen, wie ich Hermann Oberth nach über vier Jahren Beschäftigung in der Essenz wahrnehme. Das bedeutet aber nicht, dass ich alle Fragen zu ihm und zu seiner Motivation und vor allem auch zu seinen Verfehlungen beantworten kann. Für mich liegt deshalb auch ein Reiz darin, die Dinge zu zeigen: Handlungen nicht spekulativ zu psychologisieren, sondern sie auszustellen und durch die psychologische Leerstelle so implizit Fragen zu stellen. An die Menschen, die den Text lesen. Es geht um ein: Wie könnte es gewesen sein?
 

Zunderköchin

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22. Januar 2020
190
552
44
48
Leipzig
Uff, ich muss gestehen, dass der Roman mich immer zwiespältiger werden lässt. Einerseits durchaus interessant und ja, auch stellenweise emotional trotz des sachlich-distanzierten Schreibstils, andererseits aber habe ich ständig das Gefühl, vom Autor in eine bestimmte Richtung gelenkt zu werden. Hmmm - wie kann ich das verdeutlichen? Irritiert war ich schon im 2. LA, als ich merkte, dass Details aus der Biografie einfach weggelassen wurden, die ich jedoch nicht unwesentlich finde. Und auch in diesem Abschnitt habe ich mich oft gefragt, ob wir hier wirklich den Oberth kennenlernen, der er war - oder ob wir hier der schriftstellerischen Freiheit aufsitzen? Bestimmte Eckdaten werden stimmen, aber wie Oberth beispielsweise mit seinem Sohn Julius umging? Oder wie er und seine Frau miteinander umgingen? Oder überhaupt wie Tilla sich tatsächlich positionierte? Hat sie nicht einfach die kritische Stimme des Autors bekommen? Mich stört das irgendwie. Ich sehe die Schwierigkeit, ein Leben zu skizzieren, wenn es nur wenig tatsächliches Material gibt, das man hinzuziehen kann. Ich sehe aber auch die Gefahr, Menschen dabei nur die Worte in den Mund zu legen, die zu der Richtung passen, die der Autor ihnen geben will. Ärgs, ist das kompliziert. Wenn ich einen fiktiven Roman lese, folge ich dem Autor gerne, denn es sind seine Charaktere, die er da agieren lässt. Wenn ich aber einen biografischen Roman lese - und das ist dieses Buch für mich - dann möchte ich mich doch darauf verlassen können, dass ich über ein Leben lese, das zumindest in großen Teilen dem nahe kommt, was die Person tatsächlich geführt hat. Und hier habe ich doch teilweise den Eindruck, durch die Beschränkung der Szenen und der Informationen irgendwie - hm, böse gesagt: manipuliert zu werden. Ich hoffe, das ist jetzt verständlich? Es gab einfach viele Szenen - wie z.B. das oben bereits erwähnte 'Drachensteigen' - in denen ich dachte: echt jetzt? oder auch: war das wirklich so? Oder wie @Barbara62 schon sagte: wo kam so plötzlich der Nicht-Arier-Verdacht her?

Oberth wird aber im Kern schon ein Getriebener gewesen sein, einer mit Tunnelblick und mit fehlender emotionaler Intelligenz, hochintelligent aber lebensuntüchtig. Kein sympathischer Zeitgnosse, sondern ein am Leben Gescheiterter. Er wusste einfach nie wirklich wie er etwas anpacken sollte. Weder beruflich noch privat.

Ich verstehe das gar nicht.
Wenn man einen Roman liest, dann möchte ich nicht nur Fakten, sondern Handlung und Emotionen. Offensichtlich gibt es keine Biographie von Hermann Oberth. Also was soll der Autor schreiben? Eine Aneinanderreihung von bekannten Fakten oder weil es eben ein biografischer Roman ist auch erdachte Episoden? Wenn ich nur wissen will, wer Herr Oberth war, dann kann ich mich anderweitig erkundigen und lese keinen Roman über ihn.
 
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Zunderköchin

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22. Januar 2020
190
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Leipzig
Ich bin zuletzt leider nicht zum Schreiben gekommen, vielen Dank für die schönen und spannenden Beiträge die vergangenen Tage!

Mit den hier angesprochenen Fragen habe ich beim Schreiben auch sehr gerungen und sie stellen sich vermutlich bei jedem Roman, in dem es vordergründig um historische Figuren geht. Ich versuche mich mal kurz zu halten. In einer Sachbiographie geht es um den schlichten Fakt, ein literarischer Text geht darüber hinaus. Wie und in welcher Form, dafür gibt es kein Rezept. Das muss der/die Schreibende immer wieder mit sich selbst verhandeln. Literatur zeigt das Allgemeine im Besonderen, deshalb ist die Figur im Text nicht einfach nur ein Abbild des historischen Hermann Oberth, sondern steht eben auch exemplarisch. In diesem Fall (verkürzt formuliert) für einen Menschen, der nach etwas greift, das er nicht erreichen kann. Deshalb ist so ein Text natürlich immer komponiert: Szenen werden bewusst ausgewählt, es wird dramaturgisch verdichtet, Dinge werden ausgelassen, erfunden und so weiter.
Gleichzeitig spüre ich aber natürlich nicht nur eine literarische Verantwortung, sondern auch eine historische. Ich brauche nicht über die Person Hermann Oberth schreiben, wenn ich ihr historisches Wirken ignoriere oder es komplett verdrehe. Deshalb war es für mich wichtig, die Figur so darzustellen, wie ich Hermann Oberth nach über vier Jahren Beschäftigung in der Essenz wahrnehme. Das bedeutet aber nicht, dass ich alle Fragen zu ihm und zu seiner Motivation und vor allem auch zu seinen Verfehlungen beantworten kann. Für mich liegt deshalb auch ein Reiz darin, die Dinge zu zeigen: Handlungen nicht spekulativ zu psychologisieren, sondern sie auszustellen und durch die psychologische Leerstelle so implizit Fragen zu stellen. An die Menschen, die den Text lesen. Es geht um ein: Wie könnte es gewesen sein?

Für mich kommt im Roman auch noch ganz deutlich die Kernaussage rüber, dass es eben nicht reicht, wenn man in seinem Fachgebiet ein Genie ist. Jeder Mensch hat in seiner Position und in seinen Aufgaben auch eine Verantwortung anderen gegenüber.
Das hat Hermann Oberth sein ganzes Leben lang nicht getan. Das kommt in dem Roman wunderbar bei mir an.
Ich denke daran, wie Einstein mit seiner Entdeckung der Kernspaltung gehadert hat.
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.403
23.952
49
66
. Wenn ich aber einen biografischen Roman lese - und das ist dieses Buch für mich - dann möchte ich mich doch darauf verlassen können, dass ich über ein Leben lese, das zumindest in großen Teilen dem nahe kommt, was die Person tatsächlich geführt hat. Und hier habe ich doch teilweise den Eindruck, durch die Beschränkung der Szenen und der Informationen irgendwie - hm, böse gesagt: manipuliert zu werden.
In diesem Fall sind biographische Romane nichts für Dich. Hier werden immer fiktive Elemente mit den autobiografischen Fakten gemischt, deshalb Roman. Wenn man z.B. weiß, dass eine Figur sehr schüchtern war, füllt man diese Information mit Leben, indem man sie so agieren lässt, dass diese Eigenschaft beim Leser ankommt. Natürlich kann Herr Mellem nicht wissen, welche Gespräche Hermann mit seinem Sohn geführt hat. Stimmig wird das , wenn Szenen ein Bild wiedergeben, das der historischen Figur entspricht. „ Manipuliert“unterstellt böse Absichten. Ich denke, dass hier der Autor Szenen ausgewählt hat, die seinem Bild vom historischen Hermann entsprechen. Die Wertung überlässt er dem Leser.
Aber auch jeder seriöse Biograph wählt aus, lässt für ihn Unwesentliches ungesagt, hebt bedeutende Ereignisse hervor. Jede Biographie ist das subjektive Bild , das der Autor auf die historische Figur hat.
 

Emswashed

Bekanntes Mitglied
9. Mai 2020
2.674
9.513
49
Einerseits durchaus interessant und ja, auch stellenweise emotional trotz des sachlich-distanzierten Schreibstils, andererseits aber habe ich ständig das Gefühl, vom Autor in eine bestimmte Richtung gelenkt zu werden. Hmmm - wie kann ich das verdeutlichen?

Du hast einen sehr kritschen Blick und suchst nach der Wahrheit. Das ist durchaus legitim, für diesen und ähnliche Romane aber sehr müßig. Schon allein ein Dokumentarfilm ist niemals die ganze Wahrheit, weil auch dort nur die Bilder gezeigt werden, die der Regisseur zulässt und eine Geschichte immer vom Erzähler manipuliert wird, allein schon dadurch, dass er eine andere Person mit einer anderen Sozialisation ist.

Ich kann verstehen, dass Du Dich manipuliert fühlst und Dein Bauchgefühl Dich warnt, eine tolle Eigenschaft für kritisches Denken, aber für den Genuss eines solchen Buches bestimmt abträglich.

Die Wahrheit steht niemals nur in einem Buch, nie!
 

Mikka Liest

Bekanntes Mitglied
14. Februar 2015
1.513
2.403
49
Hilter am Teutoburger Wald
wordpress.mikkaliest.de
@Zunderköchin

Er versteht Kunst nicht, kann sie gar nicht verstehen, weil sie seiner Art zu Denken konträr gegenüber steht. Ich wette, dass Julius von Malern inspiriert war, die im Dritten Reich dann als entartete Kunst galten...⠀

Ja, als Hermann glaubt, Julius zu sehen, spürt man, dass ihm sein Sohn nicht egal ist. Aber um es ganz bitter zu sagen: auf der Prioritätenliste standen Tilla und die Kinder nie auf dem ersten Platz...⠀

Ich fand sehr versöhnlich, wie er sich dann doch bemüht, den Flüchtlingen zu helfen und sich um den Garten zu kümmern.⠀

Anhand dieses Pakets sieht man wirklich, wie "betriebsblind" Hermann ist. Er sieht nur die Fakten: hier sind Lebensmittel, die dringend benötigt werden. Aber für Tilla spielt auch eine Rolle, von wem sie kommen. Hier war wieder so eine Situation, wo ich gehofft habe, dass das Thema Holocaust ausdrücklich auf den Tisch kommt.⠀

@Yolande

Nein, ich denke auch, er konnte tatsächlich in vielen Dingen nicht anders. Ich halte daran fest, dass er sich autistisch verhält.⠀

Er ist so intelligent, aber in allem, was er nicht berechnen oder empirisch nachweisen kann, so blind.⠀

@Wandablue

Mein Eindruck ist, dass er zum einen keine *emotionale* Intelligenz besitzt und zum anderen sehr an seine Spezialinteressen gefesselt ist. Deswegen muss ich dauernd an Autismus denken: es ist absolut typisch, dass ein Autist ob seines Spezialinteresses den Blick für alles andere verliert, das variiert allerdings sehr in der Schwere der Beeinträchtigung. Mit Intelligenz hat das gar nicht so viel zu tun, wie man denken würde – die Intelligenz wird dann nur fast ausschließlich in eine bestimmte Richtung gelenkt. Tunnelblick. Und für mich ist Hermann ein Paradebeispiel dafür.⠀

Ich muss dir da widersprechen: Augen werden sehr wohl wund vor Müdigkeit! Ich hole tief Luft, ich hatte schon wunde Augen (und das auch so gesagt). Hast du noch nie schmerzende knallrote Augen gehabt, weil du ein paar Nächte lang für eine Prüfung gebüffelt hast (oder zu viel gelesen)? Ich hatte schon Bindehautentzündeungen, wenn ich es mit den schlaflosen Nächsten übertrieben hatte, und das IST wund, und zwar AUA. Natürlich ist nicht die Müdigkeit an sich die Ursache für die wunden Augen, sondern das, was die Müdigkeit verursacht hat, aber eine gewisse Übertragung sollte literarisch schon erlaubt sein.⠀

Wanda, du bist manchmal schon so ein bisschen wie Hermann, der Julius' Kunst nur als misslungenes Handwerk sieht! ;-)⠀

Ansonsten könnte man die meisten Metaphern und Bilder einstampfen. Wer entscheidet denn bitte, was literarische Freiheit ist und was falscher Sprachgebrauch? Soll ein Autor vor dem Schreiben eine Liste konsultieren, welche Bilder er gebrauchen darf und welche nicht? Du siehst doch sicher, was sich da für Abgründe auftun! ⠀

Naja, klar, die stehlenden Kinder, das weiß jeder – aber das weiß jeder, weil es halt auch so war! Insofern gehört es für mich zum Bild der Zeit und damit auch ins Buch.⠀

Ich war überrascht über Hermanns Ausbruch gegenüber dem Postboten! Das hätte ich eher gegenüber eines Menschen vermutet, der auch etwas mit Wissenschaft zu tun hat und das daher in Hermanns Augen auch besser versteht.⠀

Wie, ich hätte von dir jetzt eigentlich einen Kommentar dazu erwartet, dass Hermann sich mit einer Nagelschere die Geschwulst aufsticht! ;-)⠀

@Anjuta @sursulapitschi⠀

Hermanns politisches Verständnis bleibt bis jetzt ein Rätsel! ⠀

In diesem Abschnitt ist mir bewusst geworden, dass ich die ganze Zeit darauf gewartet habe, zu erfahren, wie Hermann zum Holocaust steht – das ist wie eine Leerstelle, das kann man nur so an den Rändern erahnen. Ich muss zugeben, es fehlt mir, mehr darüber zu wissen, denn die Gräueltaten können doch auch an Hermann nicht vorübergegangen sein? Ein paar der KZs waren gar nicht weit entfernt von Orten, die in seinem Leben eine Rolle spielten!⠀

Allerdings würde ich es nicht gänzlich unglaubhaft finden, wenn Hermann tatsächlich keines besäße... Hat ja erstmalnichts mit seiner Forschung zu tun.⠀

@RuLeka

Ja, ich musste auch an die Leute denken, die heute wieder von der "Entvolkung Deutschlands" sprechen...⠀

Oh, es kommt noch mehr zu Hermanns politischer Einstellung? Sehr gut, das habe ich vermisst!⠀

@Literaturhexle

Tilla tat mir in diesem Abschnitt richtig leid, sie kämpft auf verlorenem Posten...⠀

Ich muss sagen, ich hätte Hermann eigentlich gar nicht für fähig gehalten, sich fantasievolle Geschichten auszudenken! Ich bin noch nicht ganz schlüssig, ob ich das glauben kann.⠀

@sursulapitschi

Klebeband und Pflaster wurden in der Zeit sicher für anderes gebraucht!⠀

@Renie

Oh ja, ich habe mir auch gedacht, dass das ein ganz böser Seitenhieb von van Braun war, und mich gefragt, warum?⠀

@SuPro

Als Hermann die Staffelei kaufte, dachte ich mir: Ja, genau, mach weiter so! Aber ich dachte mir da schon, dass Hermann es verbocken würde, weil er sowas wie Kunst nicht versteht. ⠀

@Barbara62

Ja, genau! Ich war auch irritiert und überlegte, ob ich das tatsählich überlesen hatte, dass Hermann je mit einem Nicht-Arier-Verdacht zu kämpfen hatte! ⠀

@parden

Ich tue mich in manchen Szenen auch etwas schwer mit dieser Diskrepanz. Zum Beispiel in der Szene, in der Hermann den Brief seines Onkels erhält, der ihn vom Tod seines Vaters unterrichtet: das klang mir zu literarisch, zu blumig, vor allem, da der Onkel sicher nicht dabei war. (So wie es beschrieben wurde, klang es jedenfalls nicht danach.)⠀

Aber im Großen und Ganzen finde ich den Balanceakt gelungen, und ich sehe das nicht als Manipulation.⠀

@DanielMellem

Danke für die Antwort! Ich kann mir vorstellen, dass das Genre BioFiction seine ganz eigenen Schwierigkeiten mit sich bringt. ⠀