3. Leseabschnitt: 1. Buch / Kapitel 2 (S. 119 bis S. 166)

Xirxe

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19. Februar 2017
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Ich bin jetzt im Leserausch ;) - vorm Schlafen musste ich unbedingt noch dieses Kapitel zu Ende lesen.
Als einzige Weiße (zu zweit) bei einer Beerdigung - das glaube ich sofort, dass das ein komisches Gefühl sein muss (ich war mal allein in der Bronx unterwegs - vielleicht so ähnlich?). Baldwin beschreibt es sehr gut wie die Beiden sich fühlen, wahrscheinlich weil er es in der umgekehrten Situation oft genug selbst erfahren musste.
Doch für Cass und Vivaldo wird es vermutlich eher die Ausnahme gewesen sein - und auch ihre Trauer um Rufus (die ich durchaus als echt bezeichnen würde), ist wohl nicht von lang anhaltender Dauer. Cass ist in ihren Gedanken schon wieder voll und ganz bei der Familie, kaum dass sie Harlem verlassen haben (trotz ihrer Fortschrittlichkeit eine typische Vertreterin der damaligen Zeit: volle Hingabe für insbesondere Mann und ihre Kinder). Und Vivaldo hat sich in Ida verliebt und wird von den Gedanken an ihre Person beherrscht. Endlich, endlich eine Frau die er lieben kann - ob das gut geht?
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Puh, alleine die Trauerrede war schon heftig... Ansonsten, wie @Xirxe schon sagt: sehr gut und eindringlich beschrieben die Trauer, die Zweifel von Cass (auch gegenüber sich und ihrem Familienleben) und die Verzweiflung von Vivaldo, nicht besser auf Rufus aufgepasst zu haben in der Nacht seines Selbstmords. Auch die etwas frostigere Haltung von Richard gegenüber Rufus ist gut dargestellt! Sprachlich war das Kapitel nicht ganz so heftig. Bisher ein großartiges Buch!
 

Renie

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19. Mai 2014
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Stimmt, dieser Abschnitt bewegt sich in ruhigerem Fahrwasser.
Cass entwickelt sich zu einem wichtigeren Charakter als im ersten Kapitel, genauso wie Richard. Das Gespräch der beiden Eheleute über ihre Beziehung ist sehr aufschlussreich. Durch ihre Erzählperspektive erfahren wir, dass sie sich Richard angepasst hat, ihre eigenen Bedürfnisse hinten an gestellt hat, was für sie in Ordnung geht. Dadurch ist sie aber nicht mehr die Frau, in die er sich verliebt hat. Er merkt es nicht - wie auch, wenn sie ihm gegenüber nicht aufrichtig ist und diese Dinge verschweigt. Interessant wäre für mich seine Sichtweise.

Richard bringt im Übrigen auf den Punkt, was mir die ganze Zeit schon durch den Kopf geschossen ist: Ob Rufus der Quoten-Schwarze in diesem Kreis von Bekannten, Freunden, Trinkkumpanen war?
"Jedenfalls bin ich das Gefühl nicht losgeworden, dass ihr unter anderem deswegen so ein - Aufhebens um ihn macht, weil er schwarz ist." (S. 141)

Dann begegnet uns in diesem Abschnitt Ida, Rufus' Schwester.
Ich bin über den Satz gestolpert:
"Da wurde ihr (Cass) bewusst, dass Ida die Situation auch genoss - die Aufmerksamkeit, die Macht, die sie augenblicklich hatte." (S. 136)
Dieser Giftpfeil, den Baldwin hier abschießt, rückt Ida in ein schlechtes Licht. Ich bin mir allerdings noch nicht sicher, wie wir die bisher besorgte und liebende Schwester weiterhin erleben werden. Ich bin gespannt.
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Kaum ist der getriebene Rufus nicht mehr direkter Teil der Geschichte wird auch die Sprache gleich eine andere. Die Familie (vertreten durch die Schwester Ida) ist in Sorge um den seit Wochen abgängigen Rufus und sucht ihn bei allen möglichen Freunden, natürlich auch bei Vivaldo. Dann erreicht sie die Nachricht von seinem Tod und wir sind anwesend auf der Beerdigung. Die Themen (Hautfarbe, Freundschaft) bleiben auch hier in diesem 2. Kapitel sehr prominent, aber über sie wird sehr viel ruhiger, gesetzter erzählt.
Die besondere Beziehung von Vivaldo zu Ida wird immer wieder angesprochen. Irgendwie ist da eine Spannung, die irgendwann sicher noch abgebaut werden wird, so meine Vermutung.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Rufus scheint mehr Facetten gehabt zu haben, als wir bisher kennengelernt haben. Und das interssanten, jeder hat ein anderes Bild von ihm. Bei Richard und Cass spiegelte sich das am deutlichsten.
Das man als Frau ohne Kopfbedeckung nicht in eine Kapelle durfte damals, ist mir komplett neu. Man lernt nie aus.
Die Beerdigung war sehr emotional. Der Prediger hatte meinen vollen Respekt, da er den Selbstmord nicht angeprangert hat. Die Worte die er wählte waren der Situation angemessen und nicht anklagend.
Ob Vivaldo und Ida wirklich eine Zukunft hätten? Zur Zeit wirkt das alles eher wie ein Hirngespinst von Vivaldo, und auch ein wenig wie der verzweifelte Versuch etwas gut zu machen.
 

Sassenach123

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Dann begegnet uns in diesem Abschnitt Ida, Rufus' Schwester.
Ich bin über den Satz gestolpert:
Dieser Giftpfeil, den Baldwin hier abschießt, rückt Ida in ein schlechtes Licht. Ich bin mir allerdings noch nicht sicher, wie wir die bisher besorgte und liebende Schwester weiterhin erleben werden. Ich bin gespannt.
Über die Situation habe ich lange nachgedacht. Cass scheint Ida nicht sonderlich zu mögen. Warum das so ist weiß ich nicht, von daher bin ich mir nicht sicher, ob Cass die Situation richtig einschätzt.
 

Circlestones Books Blog

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Die Beerdigung war sehr emotional. Der Prediger hatte meinen vollen Respekt, da er den Selbstmord nicht angeprangert hat. Die Worte die er wählte waren der Situation angemessen und nicht anklagend.
Auch ich fand die Schilderung der Beerdigung sehr emotional und intensiv, aber nicht wertend, hat mir sehr gut gefallen. Besonders die Aussage "funerals are for the living" bringt es für mich auf den Punkt, diese Ansicht teile ich voll.
 
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Auch in der Ehe zwischen Richard und Cass gibt es einige nicht ausgesprochene Wahrheiten, hier sehe ich viel Schein nach außen. Richard scheint mir überheblich und ich bezweifle, ob er wirklich Freundschaft für Vivaldo empfindet. Vivaldo und Ida, eine spannende Entwicklung, ob dies wirklich möglich ist in dieser Zeit und diesem Umfeld. Vermutlich ist es etwas einfacher, weil Vivaldo Ire und nicht Schwarz ist.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Der Satz mit dem Quotenschwarzen ist mir auch ins Auge geschossen;)

Richard und Cass scheinen eine geordnete Existenz zu führen. Leben sie von Richards Schriftstellerei? Denn Cass ist (der Zeit entsprechend) wohl nicht berufstätig.

Was mir auch auffiel (und in vielen Filmen jener Zeit ebenso wiedergegeben wird), ist die Sauferei: Hier ein (harter) Drink, dort einer. Am liebsten ohne etwas Brauchbares im Magen zu haben. Entweder die Leute (gerade die mageren Frauen) sind das gewöhnt oder müssten eigentlich ziemlich blau sein.

Ida hat eine sehr geringe Meinung von Fiona, bezeichnet sie als "durchgeknallte kleine Südstaatenschlampe". Nix von wegen Frauensolidarität, sondern Rassismus pur.

Die Schilderungen Vivaldos über das Viertel, in dem er groß wurde, sind ebenfalls erschreckend. Gewalt an jeder Ecke! Zu siebt wird ein junger schwarzer Schwuler missbraucht, ausgeraubt und im Kalten liegenlassen... Für diese Abgründe wirkt Vivaldo auf den ersten Blick relativ unversehrt und normal, zeigt sogar ein Gewissen. Er verspürt Solidarität mit den Schwarzen, hatte ja auch ernsthaft versucht, Rufus aus der Spirale zu befreien.
Immer wieder hab ich gedacht, sie sind schwarz, ich bin weiß, aber dieselben Sachen sind passiert, wirklich dieselben, und wie kann ich ihnen das vermitteln? 149
 

Xirxe

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Ida hat eine sehr geringe Meinung von Fiona,
Du meinst Leona, oder ;)?
Was mir auch auffiel (und in vielen Filmen jener Zeit ebenso wiedergegeben wird), ist die Sauferei:
Ja, und die Raucherei. Es wird wirklich überall und ständig gequalmt und getrunken. Was war das nur für eine verlotterte Zeit :cool::D;)
Immer wieder hab ich gedacht, sie sind schwarz, ich bin weiß, aber dieselben Sachen sind passiert, wirklich dieselben, und wie kann ich ihnen das vermitteln? Seite 149
Das ist Vivaldos großes Problem, finde ich. Er ist ein genauso 'Versehrter' bzw. 'Verletzter' wie die Schwarzen. Aber von denen wird er nicht anerkannt, weil er weiß ist und damit zu den 'Bösen' gehört. Und die 'Weißen' betrachten ihn ebenso als 'Abschaum' wie sie es mit den Schwarzen tun, solange er keinen Erfolg hat.
 

ulrikerabe

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Der Schnitt zum vorigen Kapitel ist krass. Gerade hat sich noch Rufus von der Brücke gestürzt, lesen wir über Cass und ihre Familie. Ihre Sorgen, dass der Babysitter die Jungs zu lange uafließ, das sine geradezu Peanuts. Weieße Leuet Probleme, die sich einen Babysitter leisten können.

Mir schinet immer mehr: Baldwin schreibt nicht über Schwarze Menschen. Er schreibt über Weiße Menschen, wie diese mit Schwarze Menschen umgehen.

Richard hat das schon ganz richtig beobachtet. Das Aufhebens um Rufus, weil er Schwarz ist. DAS "Rufus-Projekt". Seht her, ich bin aufgeschlossen, ich habe einen Freund der ist schwarz....

Immer mehr wundere ich mich, dass dieses Buch Anfang der 60er ein Erfolg gewesen ist. In den USA war die Rassentrennung noch immer legal, Martin Luther King hatte seinen Traum noch nicht kundgetan.

Baldwin hat da schon ganz genau den Finger aufgelegt und ich glaube, heute ist noch nicht viel mehr passiert. Der/die Quotenschwarze in Film/Serie etc. genauso wie der/die Quoten homosexuelle Person....

S. 163: Ich würde ihr [Ida] gerne beweisen....dass die Welt nicht so schwarz ist, wie sie glaubt....Oder, sagt sie nach einer Weile trocken, so weiß.