3. Abschnitt: Seidenweiß bis Schaumstoffgelb (S. 157 - 224)

Querleserin

Bekanntes Mitglied
30. Dezember 2015
4.048
11.071
49
50
Wadern
querleserin.blogspot.com
Im Interview, das seine Eltern vor langer Zeit gemeinsam gegeben haben, weigern sich Karls Eltern über ihn zu sprechen. Es ist das einzige Mal, das er überhaupt in einem Interview erwähnt wird.
Kinder soll man loslassen, sagt Ada. Aber vorher sollte man ihnen Flügel geben, lautet ein Sprichwort und das haben die beiden offensichtlich versäumt.
Die gemeinsame Arbeit mit seiner Mutter ermöglicht Karl eine Bindung, die er nie erlebt hat. Das scheint tatsächlich der Grund zu sein, dass er die Täuschung nicht aufhebt und Adas Verwechslung mitspielt. Dabei verändert sich die Mutter, sie wirft ihr Konzept über den Haufen und erschafft gemeinsam mit Karl etwas Neues. Gemeinsam mit Tanja verewigen sie sich in dem Harz - eine Einheit, wie sie hätte sein sollen zwischen Karl und seinen Eltern.
Das gemeinsame Kirschen einkochen und die Idee ein Kaffeenachmittag zu veranstalten führen Karl ins Leben zurück. So kommt es mir vor. Tanja scheint intuitiv zu spüren, dass er eine Aufgabe braucht.
Eine harmonische Gesellschaft - bis Mara und Torben, inzwischen Maras "Schoßhund" alles zerstören.
Die Stimmung schlägt von fröhlich zu eisig um. Doch Alexandra, die medizinische Hilfe ;) beginnt zu lachen und Mara fühlt sich bedroht. Wie sie mit Tanja umgeht, ist unverzeihlich, genauso wie die Tatsache, dass Karl sie nicht verteidigt.
Mara stellt ihm ein Ultimatum - warum schläft er noch mit ihr?
Doch Karl hat sich entschieden: "Er wollte hierhergehören. Das hatte er schon immer gewollt." (S.205) Als Versöhnungsangebot baut er Tanja ein Bootshaus, doch sie scheint nicht mehr kommen zu wollen und dann stirbt ganz unvermittelt Ada. Und jetzt kann Karl dem Wunsch seines Vaters entsprechen - die Nähe zu Ada hat ihn dazu gebracht, seine Meinung zu ändern.
Und jetzt?
"Tanja war weg. Die Mutter war tot. Was wollte er noch hier?" (S.220)
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.440
49.868
49
Ein Buch nach meinem Geschmack und ein turbulenter Abschnitt:

Aus einer Bemerkung Adas schließe ich, dass August irgendwann mal ein Kind wollte. Dann haben sie gemerkt, dass es sie stört und es ins Internat gegeben. Im Interview heißt das dann: "Das ist doch eine ganz falsche Vorstellung, dass ein Kind zu seinen Eltern gehört!... Kinder muss man loslassen!... Kinder sind nicht dazu da, dem Leben der Eltern einen Sinn zu geben." (S.165/66)

Karl spielt das Spiel Adas an den Besuchstagen weiterhin mit. Sie beginnen eine neue Plastik mit den Luftblasen, deren Interpretation von @Querleserin mir gut gefällt. Die Mutter lebt komplett in einer anderen Welt, siezt Tanja zwar, erfreut sich aber an ihrer Gegenwart, fühlt sich wohl.

Interessant aus meiner Sicht ist die Kirschenernte und -verarbeitung: Alles hat sehr kindliche Züge. Diese Arbeiten gipfeln dann im Gartenfest, dass mir in seiner Gestaltung sehr nach einem Kindergeburtstag aussieht. Alles wirkt auf mich zwar einerseits irreal, andererseits habe ich allen Teilnehmern diesen Frieden gegönnt. Auch Tanja hat die Geschenke sehr liebevoll ausgesucht, die Freude der Beschenkten wirkt echt.

Alles ist schlagartig zu Ende (nach 45 Minuten), als Mara und Buddy Holly im Garten erscheinen. Diese Szene ist hochklassig und erinnert an jene mit den beiden Polizisten: Eine Pointe jagt die nächste... Wenn man nicht zeitgleich spüren würde, dass da etwas gärt und auf die Spitze getrieben wird. Mara entpuppt sich als absolut unsympathische Person. Als sie bei Alexandra und Karl nicht landen kann, nimmt sie sich wiederholt das Kind vor mit ihren bösartigen Angriffen. Schließlich hat sie Erfolg und Tanja läuft weinend weg...

Warum der schwache Karl Mara nicht sofort rausschmeißt zusammen mit ihrem Galan, sondern statt dessen noch die Nacht mit ihr verbringt, das kann uns, wenn überhaupt, nur ein Mann erklären :confused:

Nach dem Tod der Mutter erfüllt Karl doch noch deren letzten Wunsch nach Einäscherung und Verteilung der Asche auf dem See - trotz einiger Mühen. Hier zeigt sich aus meiner Sicht, dass er sie doch sehr geliebt hat.
Mit Buddy Holly will er allerdings nicht kooperieren. Den lässt er abblitzen! Ich begreife auch nicht, wie dieser Assistent sich nach nur 3 Jahren bei dem Künstlerpaar dermaßen wichtig nehmen und sich über den Sohn stellen kann. Diesbezüglich bin ich gespannt, ob sich noch ein Testament findet, das die Dinge klärt. Denn gerade Buddy Holly scheint auch am Erbe interessiert zu sein.

Tanja bleibt indessen hart oder ist am Kommen verhindert. Karl baut extra für sie das Bootshaus um und leidet unter ihrem Fernbleiben. Das hat er aber mehr als verdient.
 

Renie

Moderator
Teammitglied
19. Mai 2014
5.890
12.574
49
Essen
renies-lesetagebuch.blogspot.de
Das gemeinsame Kirschen einkochen und die Idee ein Kaffeenachmittag zu veranstalten führen Karl ins Leben zurück. So kommt es mir vor.
Für mich war dieser Nachmittag (bis Mara kam) eher eine Flucht vor dem Leben und der Normalität. Denn dieses Szenario hatte etwas Unwirkliches für mich, als ob Kinder "Kaffeklatsch" spielen. Tanja hat sich herausgebretzelt, in einer Art, die bisher so gar nicht zu ihr passte, die gute Ada, die sie wie eine Dame behandelt und Alexandra und Karl spielen das Spiel mit.

Als Mara dann auftaucht, mit Buddy Holly an der Leine, hätte ich mich schlapplachen können. Feige war natürlich, dass Karl Mara hat gewähren lassen, und er am Ende Tanja nicht verteidigt hat.
 

Renie

Moderator
Teammitglied
19. Mai 2014
5.890
12.574
49
Essen
renies-lesetagebuch.blogspot.de
Nach dem Tod der Mutter erfüllt Karl doch noch deren letzten Wunsch nach Einäscherung und Verteilung der Asche auf dem See
Adas Tod hat mich völlig überrascht - Karl wahrscheinlich auch. Zumal er jetzt auch keinen Grund mehr hat, Berlin fernzubleiben. Ich bin gespannt, ob er Maras Ruf folgt oder ob er das Stehvermögen hat, das zu tun, was er möchte und nicht, was andere für ihn wollen.
 

Querleserin

Bekanntes Mitglied
30. Dezember 2015
4.048
11.071
49
50
Wadern
querleserin.blogspot.com
Für mich war dieser Nachmittag (bis Mara kam) eher eine Flucht vor dem Leben und der Normalität. Denn dieses Szenario hatte etwas Unwirkliches für mich, als ob Kinder "Kaffeklatsch" spielen. Tanja hat sich herausgebretzelt, in einer Art, die bisher so gar nicht zu ihr passte, die gute Ada, die sie wie eine Dame behandelt und Alexandra und Karl spielen das Spiel mit.
Beim Kaffeeklatsch geb ich dir Recht. Aber das Einkochen und Kuchen backen hat was Bodenständiges und gibt Karl eine Aufgabe.
 
  • Like
  • Stimme zu
Reaktionen: parden und Renie

Bibliomarie

Bekanntes Mitglied
10. September 2015
2.092
3.205
49
Karl genießt die Zeit mit seiner Mutter, auch wenn er weiß, dass sie ihn nicht als Sohn erkennt. Aber er spürt ihre Zuneigung, die er sich wohl sein ganzes Leben gewünscht hat.
Das Interview, in dem Ada über ihr Kind spricht, ist auch desillusionierend. Der Wunsch nach einem Kind kam von August und als der Sohn geboren wurden, begreifen sie ihn als Störung ihrer menschlichen und künstlerischen Einheit. Adas Rechtfertigung, dass man Kinder loslassen soll, stimmt zwar - aber nur, wenn man den Kindern vorher ein sicheres Fundament mitgegeben hat. Wurzeln und Flügel hat das Goethe genannt.

Verblüfft hat mich der künstlerische Wandel Adas. Sie nennt die Materialen, die sie bisher verwendet hat, nun "tote und ekelhafte Masse". War das in ihrem Unterbewusstsein vielleicht schon vorhanden?

Marmelade kochen, Kuchen backen, ein Fest, bunt wie ein Kindergeburtstag, feiern - wirkt zwar sehr kindlich, aber es scheint Karl auch zu erden. Bis Mara auftaucht - im Schlepptau Torben, der genau zu wissen scheint, wo die Vorteile liegen. Mara ist sehr besitzergreifend und sie scheut nicht vor Intrigen zurück, um ihr Ziel zu erreichen. Wie zum Beispiel das Gespräch mit dem Arzt hinter Karls Rücken und Torbens Beistand, der wie ein Schoßhund hinter ihr her tappt. Ich wundere mich wirklich, dass Karl das über sich ergehen lässt, auch wie sie Tanja und Alexandra behandelt, das ist Eifersucht und die Angst, das Karl ihr entgleitet. Aber der bringt es noch nicht fertig sich völlig zu lösen, obwohl er innerlich doch schon abgeschlossen hat.

Mara hat Karl wohl in der Beziehung bisher dominiert, sie haben sich kennengelernt, als Karl ziemlich unerfahren war und sie war schließlich deutlich älter. Sie möchte unbedingt auch seine künstlerische Richtung bestimmen, drängt ihn zu Ausstellungen usw. Ich finde sie unangenehm.

Nach Adas Tod kann Karl den Wunsch seines Vaters erfüllen. Die Asche wird vereint und er schließt das Kapitel Leinsee. Für Tanja ist alles vorbereitet, aber sie kommt nicht mehr....
 
  • Like
Reaktionen: Literaturhexle

Bibliomarie

Bekanntes Mitglied
10. September 2015
2.092
3.205
49
Kinder soll man loslassen, sagt Ada. Aber vorher sollte man ihnen Flügel geben, lautet ein Sprichwort und das haben die beiden offensichtlich versäumt.

Stimmt, aber das war nur eine wohlfeile Ausrede, warum sie das Kind im Internat abgeladen haben.
Bevor man Kinder loslassen kann, muss vorher eine Bindung bestanden haben.
 

Bibliomarie

Bekanntes Mitglied
10. September 2015
2.092
3.205
49
Warum der schwache Karl Mara nicht sofort rausschmeißt zusammen mit ihrem Galan, sondern statt dessen noch die Nacht mit ihr verbringt, das kann uns, wenn überhaupt, nur ein Mann erklären :confused:

Die ganze Beziehung zu Mara ist seltsam, sie scheint immer versucht zu haben, Karl zu dominieren und auch seinen künstlerischen Weg zu bestimmen.
 

Anjuta

Bekanntes Mitglied
8. Januar 2016
1.639
4.794
49
62
Essen
Für mich war dieser Nachmittag (bis Mara kam) eher eine Flucht vor dem Leben und der Normalität. Denn dieses Szenario hatte etwas Unwirkliches für mich, als ob Kinder "Kaffeklatsch" spielen.
Flucht im Sinne von Rückkehr in die Kindheit und Nachholen von so Vielem Nicht-Gelebten ist für mich tatsächlich ein zentrales Thema dieses Buches. Was Karl nie bemerkt zu haben schien. Das Fehlen der Kindheit, der Eltern-Sohn-Beziehung bricht in Leinsee auf ihn ein, ohne dass er sich dem selbst so wirklich bewusst ist. Deshalb bleibt er auch wenn kein Grund mehr besteht, deshalb baut er sich sein Nest an der Stelle des Kinderbettes, deshalb knüpft er eine Beziehung zu einem Kind. Eigentlich möchte er nun in Leinsee wohl selber das Kind sein, dass nicht abgeschoben wird. Mal sehen, wie lange diese Illusion halten kann. und wie weit er damit noch geht.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.440
49.868
49
Flucht im Sinne von Rückkehr in die Kindheit und Nachholen von so Vielem Nicht-Gelebten ist für mich tatsächlich ein zentrales Thema dieses Buches. Was Karl nie bemerkt zu haben schien. Das Fehlen der Kindheit, der Eltern-Sohn-Beziehung bricht in Leinsee auf ihn ein, ohne dass er sich dem selbst so wirklich bewusst ist. Deshalb bleibt er auch wenn kein Grund mehr besteht, deshalb baut er sich sein Nest an der Stelle des Kinderbettes, deshalb knüpft er eine Beziehung zu einem Kind. Eigentlich möchte er nun in Leinsee wohl selber das Kind sein, dass nicht abgeschoben wird. Mal sehen, wie lange diese Illusion halten kann. und wie weit er damit noch geht.
Großartig, wie du all diese Indizien so auf den Punkt bringst und so klar zusammenfasst. Genau so ist es: Rückkehr in die verlorene Kindheit.
Die Gartenparty habe ich auch ein bisschen wie ein Kinderfest empfunden. Dennoch ging so eine Harmonie davon aus, ein innerer Friede. Es war keine bewusste Flucht. Die ganze Situation mit der kranken Mutter hat ja schon was Irreales...
 

Momo

Aktives Mitglied
10. November 2014
995
1.264
44
Manche Szenen finde ich aber auch komisch, dass ich nicht anders kann, als über diese zu lachen, trotz ernsten Hintergrunds.
 

Momo

Aktives Mitglied
10. November 2014
995
1.264
44
Die Szene mit Karls Freundin Mara, die einfach zur Feier hereinplatzt und dem Kind, Tanja, fand ich sehr traurig, als die Tanja aus der Feier wegtreibt, nur weil sie eifersüchtig ist. Und Karl nicht in der Lage war, das Kind zu verteidigen, es zu schützen.
 
  • Stimme zu
Reaktionen: Literaturhexle

Anjuta

Bekanntes Mitglied
8. Januar 2016
1.639
4.794
49
62
Essen
Das Wiedereintauchen von Karl in die Kindheit oder zumindest der Versuch dazu - ihr hattet dazu schon die Teeparty genannt, eine weitere Szene dazu ist sicher auch das Marmeladekochen.
Etwas unfair finde ich aber Eure Bewertung von Mara. Sie will Karl einfach nur wieder auf die Füße stellen und ihn nicht in diesem Kindheitstraum lassen. Ist das wirklich so schwer nachzuvollziehen? Sie hat eine Beziehung zu verteidigen und ein gemeinsames Leben, das hier so vor sich hinbröckelt. Dass sie nicht begeistert ist von diesem "Karl in der Warteschleife", kann ich bei aller Distanz doch durchaus nachvollziehen.
Zentrale Stelle in diesem Abschnitt des Romans ist sicher auch das Interview mit den Eltern, das hier quasi zitiert wird. Und vor allem die Stelle, in der Ada und August mal von ihrem Sohn reden. "Eltern, die Kinder nicht loslassen, tun das um ihrer selbst willen. Das hat nichts mit Liebe zu tun. Kinder sind nicht dazu da, dem Leben der Eltern einen Sinn zu geben."
So ganz falsch finde ich das nicht. Nur der Roman zeigt uns eine gelebte Ausprägung dieser extrem pragmatischen Eltern-Kind-Sicht, die doch sehr verstörend ist.
 

Momo

Aktives Mitglied
10. November 2014
995
1.264
44
Für mich ist Tanja auch noch nicht greifbar. Das kann sich aber noch ändern.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.440
49.868
49
Sie will Karl einfach nur wieder auf die Füße stellen und ihn nicht in diesem Kindheitstraum lassen.
Das mag sein. Aber das gibt ihr nicht das Recht, sich an dem Kind (das ja zurecht dort ist und eingeladen war) zu vergreifen. Sie hat ihren Frust über Karl an Tanja, der Schwächsten , ausgelassen. Das sollte man als Erwachsener nicht tun!

Außerdem ist für Karl die Situation auch belastend: der Vater tot, die Mutter völlig gestört... Da würde sich vielleicht bei jedem das Pflichtbewusstsein als Sohn rühren.

Mara hat da wenig Feingefühl. Sie sieht sich und ihre Interessen.
Karl trifft allerdings Mitschuld: wäre er stärker und würde klar sagen, was er will, dann könnte Mara nicht in dem Maße Einfluss nehmen.
 
  • Stimme zu
Reaktionen: Momo

Momo

Aktives Mitglied
10. November 2014
995
1.264
44
Literaturhexle, du sprichst mir aus der Seele.

Seite 212, nun ist auch die Mutter gestorben, und auch hier konnte nichts geklärt werden. Wie schade, aber Realität pur. Karl hätte wahrscheinlich das Vertauschterollenspiel noch unendlich weiter fortgesetzt.

Ich weiß noch nicht, was ich von Karl halten soll. Ich habe noch Zeit mich festzulegen, 150 Seiten stehen mir noch bevor.
 
  • Like
Reaktionen: Literaturhexle