Rezension Rezension (3/5*) zu Die Kakerlake von Ian McEwan.

Anjuta

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8. Januar 2016
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Allzu durchsichtiger Schlüsselroman

Mit „Die Kakerlake“ hat Ian McEwan einen Schlüsselroman über das Geschehen rund um den Brexit geschrieben. Alle wichtigen handelnden Personen finden kaum verschlüsselt ihre Entsprechung im Romangeschehen und führen so dem Leser die Absurdität des Projektes Brexit vor Augen. Als wäre der Absurdität in dem Geschehen noch nicht genug, ergänzt McEwan die Handlung noch um eine Wendung, die dem Roman seinen Namen gibt. Auch hier wenig verschlüsselt begibt McEwan sich auf die Spuren von Franz Kafka und startet sein Buch mit einer Verwandlung Insekt/Mensch. Nur diesmal ist die Verwandlung, wie auch die politische Idee, die im Roman die britische Nation umtreibt, quasi um Rückstrommodus, d.h. andersherum. Aus einem Insekt (Kakerlake) wird hier ein Mensch und zwar nicht irgendeiner, sondern der Premierminister Jim Sams.
Als verwandeltes Insekt leitet er danach für einige Zeit die Regierungsgeschäfte und kann dabei feststellen, dass fast alle seine Kabinettskollegen das gleiche Schicksal teilen, d.h. auch in ihnen steckt im Grunde genommen eine Kakerlake. Als einziger Außenseiter bleibt der Außenminister übrig, der ab da den politischen Plänen seiner Kollegen oftmals entgegensteht. Alle anderen verfolgen den Kurs weiter, der zuvor von Regierung und Volk bereits auf den Weg gebracht wurde. In Großbritannien soll der monetäre Reversalismus eingeführt werden. Das bedeutet eine komplette Umkehrung des Geldflusses: wer etwas konsumiert, erhält dafür Geld, das er gleich wieder auszugeben hat für die Bezahlung seiner selbst zu leistenden Arbeit. Weiter muss hier nicht in die Tiefen dieses absurden Konzepts eingetaucht werden. Es muss jedem weiter Denkenden klar werden, dass dieses Konzept – insbesondere bei Einführung in nur einem Land - zum Scheitern verurteilt sein wird. Und doch wird es durchgezogen, mit der hauptsächlichen Begründung, dass irgendwann das Volk eine Entscheidung für dieses Konzept gefällt hat. Dass Reversalismus dabei eine Metapher für den Brexit ist, ist nur allzu deutlich.
Irgendwann hat die Regierung dann die Einführung des Reversalismus durchgedrückt und er steht vor seinem Start. Der Rückzug der Kakerlaken und die Zurückverwandlung der Politiker in Menschen findet statt. Und alles geht so weiter wie bisher.
Mein Fazit.
Die Kakerlake ist für mich ein allzu durchsichtiges Machwerk, um den Brexit literarisch darzustellen. Dabei bringt diese literarische Verarbeitung aber wenig oder gar keinen Mehrwert gegenüber dem, was in journalistischen Texten, in Zeitungen und Zeitschriften zu lesen und zu erfahren ist. (Allerdings: das gilt für die Berichterstattung in unseren deutschen Medien, die britische Presse mag da weniger an aufklärerische Berichterstattung zu bieten haben und der Roman mag für Briten deshalb eine weit größere Bedeutung haben als für den europäischen Leser auf dem Kontinent).
Insgesamt erscheint mir der Roman aber etwas schlampig und überschnell konzipiert und verfasst: McEwan lässt sich und seinen Figuren sehr wenig Zeit, sich zu entwickeln und darzustellen. So muss die verwandelte Kakerlake direkt ihren Weg in die Mühlen des Regierungsgeschäftes einschlagen, ohne sich in ihrem neuen Dasein, Körper und Denken einfinden zu können. Das politische Geschehen ist in meiner Sichtweise zu wenig fiktionalisiert und verschlüsselt und die Verwandlung (hin und zurück) bleibt irgendwie ohne Auswirkung auf den Lauf der Geschichte. Von daher ist es in der Leseweise des Romans letztlich egal, von wem wir regiert werden – von Politikern oder Kakerlaken – es kommt immer der gleiche Mist raus. Diese Darstellung ist mir dann aber doch etwas zu zynisch und pessimistisch. Da möchte ich mich McEwan wirklich nicht anschließen und muss diesem Roman als Note „nicht ausreichend“ ausstellen, zumal der Autor in seinen anderen Romanen seine hohe Kunst der Konzeption groß angelegter Geschichten nachweisen konnte. Deshalb hierfür leider enttäuschte 3 Sterne.