2. Leseabschnitt// Zweiter Teil: "Auf der Flucht" (S. 87 - 196)

Literaturhexle

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2. April 2017
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Erich ist weitsichtig, er ahnt, dass die Nazis sich an denen rächen werden, die die Option nicht gezogen haben
Erich ist aus meiner Sicht sowieso eine interessante Figur. Anfangs war er nur Trinas Schwarm, der Kühe zur Weide trieb und gerne Zeit mit ihrem Vater verbracht hat, der sie gerne mit ihr verheiratete.
Er hat stets eine klare politische Position. Erst gegen die italienischen Faschisten, dann gegen Hitler. Er muss in den Krieg, beschließt aber bereits bei der Rückkehr, nicht wieder an die Front zu gehen - und zieht das eisenhart gegen alle Widerstände durch. Ebenso positioniert er sich gegen den Staudammbau. Sein Zitat wurde oben schon erwähnt. Mit seinem Sohn bricht er, weil sich jener den Nazis anschließt. Erich ist extrem konsequent.

Auch das Mutter-Tochter-Verhältnis zwischen Trina und ihrer Mutter unterliegt einer Entwicklung: Anfangs wird die ständig lesende Tochter von ihrer Mutter (gutmütig?) verspottet, beide sind sehr verschieden. Im Laufe der Jahre verstärkt sich jedoch die Bindung.
[zitat]Nie habe ich mich mehr wie eine Tochter gefühlt als damals, nachdem du weggelaufen warst[/zitat]
Später bittet sie ihre Mutter zu ihr zu ziehen, als Erich im Krieg ist. Auch zeigt die Mutter auf zurückhaltende Weise Verständnis für den Sex mit dem jungen Wollhändler: [zitat]Wie ein Geier warten sie bloß darauf, dass du stolperst, damit sie dich für den Rest deines Lebens wie eine Hure behandeln können S.129[/zitat]
Die Mutter ist ein Fels in der Brandung mit ihrer resoluten und doch verständigen Art. Auch auf der Flucht denkt Trina an sie.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Der Roman (Mein erster von Balzano) fasziniert mich sehr. Er schreibt in klaren Sätzen, berichtet tatsächlich so, wie jemand eine Geschichte erzählen würde. Der Text ist immer wieder mit bemerkenswerten Aussagen/Weisheiten gespickt, die Wahrheit und Tiefgründigkeit beinhalten.

Vordergründig gibt es eine spannende Handlung, besonders die Flucht und das Leben im Verborgenen zusammen mit dem tragischen Ende waren hochdramatisch. Nebenbei werden aber auch viele andere Themen behandelt, viel Zwischenmenschliches, Politisches, Familiäres. Dinge, über die man zweifellos ins Nachdenken kommt. Wie nebenbei erhält man auch Nachhilfe in Geschichte und lernt, wie die Menschen in Südtirol zum Spielball nationaler Interessen wurden.
Ich kann mich eurer Begeisterung nur anschließen!

Ich hoffe jetzt, dass Erich und Trina die kleine Maria als Ersatztochter zu sich nehmen. Aber das wäre fast zu schön, als dass es zur gesamten Geschichte passt.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Erich ist aus meiner Sicht sowieso eine interessante Figur. Anfangs war er nur Trinas Schwarm, der Kühe zur Weide trieb und gerne Zeit mit ihrem Vater verbracht hat, der sie gerne mit ihr verheiratete.
Er hat stets eine klare politische Position. Erst gegen die italienischen Faschisten, dann gegen Hitler. Er muss in den Krieg, beschließt aber bereits bei der Rückkehr, nicht wieder an die Front zu gehen - und zieht das eisenhart gegen alle Widerstände durch. Ebenso positioniert er sich gegen den Staudammbau. Sein Zitat wurde oben schon erwähnt. Mit seinem Sohn bricht er, weil sich jener den Nazis anschließt. Erich ist extrem konsequent.

Auch das Mutter-Tochter-Verhältnis zwischen Trina und ihrer Mutter unterliegt einer Entwicklung: Anfangs wird die ständig lesende Tochter von ihrer Mutter (gutmütig?) verspottet, beide sind sehr verschieden. Im Laufe der Jahre verstärkt sich jedoch die Bindung.
[zitat]Nie habe ich mich mehr wie eine Tochter gefühlt als damals, nachdem du weggelaufen warst[/zitat]
Später bittet sie ihre Mutter zu ihr zu ziehen, als Erich im Krieg ist. Auch zeigt die Mutter auf zurückhaltende Weise Verständnis für den Sex mit dem jungen Wollhändler: [zitat]Wie ein Geier warten sie bloß darauf, dass du stolperst, damit sie dich für den Rest deines Lebens wie eine Hure behandeln können S.129[/zitat]
Die Mutter ist ein Fels in der Brandung mit ihrer resoluten und doch verständigen Art. Auch auf der Flucht denkt Trina an sie.
Es sind alles sehr eigenständige Figuren in der Familie. Jeder hat seine eigene Art, mit der politischen und privaten Situation umzugehen. Die Großmutter ist sehr pragmatisch, der Mensch muss nach vorne schauen. Erich, politisch sehr hellsichtig, verbeißt sich im Verlaufe der Geschichte immer mehr in seinen Kampf gegen den Staudamm (ja, kommt erst im dritten Teil ). Auf Trina liegt die Hauptlast der ganzen Arbeit , als Erich eingezogen wird. Da halten die Frauen zusammen und unterstützen sich. Der Sohn geht eigene Wege. Hier zeigt sich, wie die politische Situation nicht nur die Dorfgemeinschaft auseinander bringt, nein, der Riss zieht sich durch ganze Familien. Ohne diese Gegebenheiten wäre ja auch die Tochter nicht weggegangen, wobei das eine ganz extreme Reaktion ist, die ich nicht nachvollziehen kann.
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Wadern
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Ohne diese Gegebenheiten wäre ja auch die Tochter nicht weggegangen, wobei das eine ganz extreme Reaktion ist, die ich nicht nachvollziehen kann.
Dem kann ich zustimmen, mich wundert es, dass sie nicht noch einmal einen Brief geschrieben hat. Sie muss ungefähr 10 Jahre alt gewesen sein. Dass sie zu diesem Zeitpunkt ihre Vergangenheit einfach so hinter sich lässt, ist bisher das einzige, was ich nicht authentisch finde. Es sei denn, Onkel und Tante beeinflussen sie stark oder geben ihre Briefe nicht weiter.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Was mich wundert: an der einen Stelle schreibt Trina, dass sie sämtliche Briefe an Marica verbrennt und sich in dem Moment so frei wie nie gefühlt hat. Was hat den Auslöser gegeben, dass sie jetzt einen neuen "Anlauf" genommen hat?
 

claudi-1963

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29. November 2015
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Ich kann mir nicht vorstellen, das Trinis Tochter wirklich so einen Brief an ihre Eltern geschrieben hat. Schule hin oder her, aber ist die ihr wirklich wichtiger wie ihre Eltern? Also wenn sie 9-10 Jahre alt gewesen ist, denkt man da schon an die Uni?

Das Erich in den Krieg musste hatte ich mir schon gedacht. Das Leben für Trini wird trotz der Hilfe von Michael schon ganz schön hart. Besonders nach dem Tod des Vaters als der ganze Hof an ihr lag. Wie man sieht hatte man damals auch schon Möglichkeiten sich vor dem Krieg zu drücken, Lakritz hatte ich allerdings nicht vermutet.

Das Michael sich freiwillig bei den Deutschen meldet hatte ich ebenfalls erwartet. Er scheint ja total von Hitler verblendet zu sein. Das ist vielleicht der Nachteil weil seine Eltern so gegen die Italiener waren. Was bleibt dann für eine Alternative, als für Hitler zu sein mit der Hoffnung das danach dann alles besser wird.

Ich verstehe nur nicht warum Marica niemals ihren Eltern geschrieben hat? Von daher denke ich eher das vielleicht doch Onkel und Tante sie angelogen haben.
Das es für Trini am schlimmsten ist, weil sie so viel mit ihrer Tochter zusammen war. Doch bei der Flucht merkt man das Erich ebenso nicht vergessen kann. Nur für ihn scheint es wichtiger zu sein, warum es seine Schwester getan hat. Mich würde das auch interessieren wenn meine Schwester mir das Kind wegnimmt. Ich hätte nicht gedacht, das Trini so kaltblütig töten kann, aber im Grunde war es ihre einzige Rettung gewesen.

Die Gemeinschaft auf dem Berg ist trotz der Not sehr harmonisch. Nur schade das so kurz vor Kriegsende noch die Deutsche kommen mussten und den Hof angezündet haben. Das man dann noch die alte Frau, den Mann und Marias Eltern getötet hat, ist einfach furchtbar. Nur gut das sich Trini mit Maria angefreundet hat und trotzdem wird der Verlust für das Mädchen schlimm werden. Vielleicht nimmt sich Trini und Erich der stummen Maria an? So hätte Trini wieder eine Aufgabe und eine neue Tochter auch wenn es nicht die eigene ist. Ich bin gespannt ob Trinis Mutter den Krieg überlebt hat und ob sie wirklich zu ihrem Sohn gegangen ist.
Schlimm ist nur egal, ob sie Deserteure, Faschisten oder Tiroler sind, sie haben alles in allem ein schlechtes Los gezogen aus ihrer Sicht.

Das Buch liest sich zwar recht gut, jedoch fehlen mir definitiv die Emotionen. Selbst der Tod der vier Personen auf dem Berg haben mich nicht extrem berührt.
 

claudi-1963

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Was mich wundert: an der einen Stelle schreibt Trina, dass sie sämtliche Briefe an Marica verbrennt und sich in dem Moment so frei wie nie gefühlt hat. Was hat den Auslöser gegeben, dass sie jetzt einen neuen "Anlauf" genommen hat?

Ich denke sie wollte da einfach ihr altes Leben hinter sich lassen und mit einem neuen beginnen. Aber selbst wenn sie das tut, ihr Tochter kann sie ja nicht einfach so ausradieren.
 
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Oder sie lebt nicht mehr. Das ist im Moment mein Gedanke :(

Es war halt auch Kriegszeit, da denke ich war Briefe schreiben in ein anderes Land sicher zusätzlich erschwert. Trotzdem hat es mich auch gewundert, man hat das Gefühl ihr Eltern existieren nicht mehr für sie. Von daher vermute ich eher, das ihr Onkel und Tante ihr irgendwelche Lügen erzählt haben.
 
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claudi-1963

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So ganz eindeutig ist es nicht, ob Marica aus eigenem Antrieb wegging oder ob sie sich von Onkel und Tante so stark beeinflussen ließ. Für die Eltern und den Bruder ist es schon ein harter Schlag, sich mit dem Weggehen der Tochter/ Schwester abfinden zu müssen. Es verändert letztendlich die Familie.
Also ich möchte mir sowas nicht vorstellen, das jemand mein Kind einfach mitnimmt. Selbst wenn es die eigenen Verwandten sind, geht sowas gar nicht. Das sich da natürlich das Familienleben verändert ist doch klar. Besonders wenn man dann noch so einen Brief bekommt.
 
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claudi-1963

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Diese Frage stellt sich Trina auch am Anfang des Abschnitts. (und ich mir natürlich auch)

Nachdenklich gemacht hat mach, als Trina schreibt
[zitat]Nein, du verdienst es nicht, diese dunklen Tage kennenzulernen. Du verdienst es nicht zu wissen, wie laut wir deinen Namen gerufen haben. Wie oft wir uns eingebildet haben, auf dem richtigen Weg zu sein. Es gibt keinen Grund, um diese Geschichte in Worten noch einmal auf‌leben zu lassen. [/zitat]

Verdient sie es nicht, weil sie es nicht wert ist. Oder verdient sie es nicht, weil, sie ihr dies nicht antun möchte.
Dieses "verdienen" kann man in beide Richtungen auslegen.
Noch wissen wir ja auch nicht, wie alt Trina ist, wie viel Zeit seit Maricas Fortgang vergangen ist, was Trina eigentlich bewogen hat, sich an Marica zu "wenden", wie es ganz am Anfang steht.

Ich vermute mal beides ein stückweit, sicher wollte sie ihrer Tochter nicht zumuten wie sehr sie alle sie damals vermisst haben. Und sicherlich hat sie auch Tage der Wut auf ihre Tochter, wo sie denkt du brauchst nicht zu wissen was wir erlebt haben.
 

Barbara62

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19. März 2020
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Unterschiedlich sind die Reaktionen auf den Kriegsbeginn. Die einen hoffen, dass sie hier, mitten in den Bergen, wenig davon spüren werden. Die anderen hoffen, dass damit das Thema Staudamm erst einmal in Hintergrund rückt. Einzig Erich ist hier vorausschauend. Er vermutet, dass eher das Gegenteil eintritt. Dass die Ingenieure die Gelegenheit ausnützen, wenn die Männer im Krieg und die Frauen hier allein sind.
Mich hat gewundert, dass sie die Bauarbeiter nicht als Soldaten brauchten. Ich hätte eher erwartet, dass die Arbeiten bei Kriegsbeginn eingestellt werden.
 

Barbara62

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19. März 2020
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Baden-Württemberg
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Bezeichnend ist ja auch, dass die offizielle Bekanntmachung über die Genehmigung zum Bau des Staudamms auf Italienisch verfasst ist, die Sprache, die die wenigsten hier verstehen.
Dazu passt ein Zitat, das ich mir auf Seite 129 markiert habe: "Stattdessen waren Italienisch und Deutsch Mauern, die immer höher wurden. Die Sprachen waren zu Rassenmerkmalen geworen. Die Diktatoren hatten sie in Waffen und Kriegserklärungen verwandelt."

P.S. Tut mir leid, liebe @RuLeka, ich habe erst später gesehen, dass du diese Stelle auch schon zitiert hattest!
 
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