2. Leseabschnitt// Zweiter Teil: "Auf der Flucht" (S. 87 - 196)

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Trina muss durch den Brief erfahren, dass ihre Tochter aus freien Stücken mit dem Onkel und der Tante mitgehen wollte, mehr noch, es war ihre Idee. Michael und Erich hilft dies ein wenig mit der Sache abzuschließen, bei Trina scheint dies anders aussehen. Wie alt war Marica als sie fortging? 9- 10 Jahre etwa? Sie wollte vorankommen, sah in Graun wenig Möglichkeiten, und hat das in diesem Alter schon erkannt. Oder wurde sie da vielleicht doch seitens des Onkels und der Tante beeinflusst. Irgendwie fällt es mir schwer zu glauben, das ein Kind in dem Alter so berechnend und weitsichtig ist.
Die Handlung scheint sich sehr nah an historischen Fakten zu orientieren, auch der Staudamm gehört zur Geschichte des Dörfchens dazu.
Und es kommt wie es kommen muss, Erich wird eingezogen. Das Leben von Trina und ihrer Mutter, die ihren Mann verloren hat, ist hart mit vielen Entbehrungen. Der Autor beschreibt dies sehr glaubhaft.
Interessant finde ich dass Trina durch die Arbeit auf dem Hof sich nun dem Land auch mehr verbunden fühlt. Schön sind auch die Treffen am Mittwoch mit Maja, ein Stückchen Unbeschwertheit in dieser harten Zeit.
Als Erich zurückkehrt ist Trina froh. Doch der Krieg hat etwas mit ihm gemacht, er will das nicht noch einmal erleben, will lieber desertieren. Als sein Sohn Michael ihm mitteilt, dass er sich den Deutschen anschließen will, wird er wütend. Er hat erlebt wie die Nazis sich im Krieg verhalten haben, verabscheut dies.
Dann die Flucht, Erich und Trina fliehen. Diese Kapitel waren sehr heftig, vor allem diese unnötigen Tode am Ende, der Krieg war ja eigentlich schon vorbei. Maria, die Trina oft an Marica erinnert, hat nun außer Erich, Trina und dem Priester niemanden mehr.
Dieser Roman reißt mich richtig mit. Zur Zeit rangiert er eindeutig unter meinen Lesehighlights für dieses Jahr.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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So ganz eindeutig ist es nicht, ob Marica aus eigenem Antrieb wegging oder ob sie sich von Onkel und Tante so stark beeinflussen ließ. Für die Eltern und den Bruder ist es schon ein harter Schlag, sich mit dem Weggehen der Tochter/ Schwester abfinden zu müssen. Es verändert letztendlich die Familie.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Unterschiedlich sind die Reaktionen auf den Kriegsbeginn. Die einen hoffen, dass sie hier, mitten in den Bergen, wenig davon spüren werden. Die anderen hoffen, dass damit das Thema Staudamm erst einmal in Hintergrund rückt. Einzig Erich ist hier vorausschauend. Er vermutet, dass eher das Gegenteil eintritt. Dass die Ingenieure die Gelegenheit ausnützen, wenn die Männer im Krieg und die Frauen hier allein sind.
Bezeichnend ist ja auch, dass die offizielle Bekanntmachung über die Genehmigung zum Bau des Staudamms auf Italienisch verfasst ist, die Sprache, die die wenigsten hier verstehen.
Eine Möglichkeit, sich gegen den Bau zu wehren, gab es nicht. Wer die Entschädigung nicht annimmt, wird zwangsenteignet , ganz einfach.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Für Trina wird es immer schwieriger. Ihr Mann wird eingezogen, der geliebte Vater stirbt, der Sohn wird zum Nazi.
Die ganze Arbeit hängt an den Frauen. Mit ihrer Mutter zusammen versorgt Trina die Tiere, macht die Arbeit am Hof. Eigentlich wollte sie ja keine Bäuerin sein. Doch dies führt dazu, dass sie sich stärker mit ihrer Heimat verbunden fühlt.
 

ulrikerabe

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14. August 2017
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Trina muss durch den Brief erfahren, dass ihre Tochter aus freien Stücken mit dem Onkel und der Tante mitgehen wollte, mehr noch, es war ihre Idee. Michael und Erich hilft dies ein wenig mit der Sache abzuschließen, bei Trina scheint dies anders aussehen. Wie alt war Marica als sie fortging? 9- 10 Jahre etwa? Sie wollte vorankommen, sah in Graun wenig Möglichkeiten, und hat das in diesem Alter schon erkannt. Oder wurde sie da vielleicht doch seitens des Onkels und der Tante beeinflusst. Irgendwie fällt es mir schwer zu glauben, das ein Kind in dem Alter so berechnend und weitsichtig ist.
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Diese Frage stellt sich Trina auch am Anfang des Abschnitts. (und ich mir natürlich auch)

Nachdenklich gemacht hat mach, als Trina schreibt
[zitat]Nein, du verdienst es nicht, diese dunklen Tage kennenzulernen. Du verdienst es nicht zu wissen, wie laut wir deinen Namen gerufen haben. Wie oft wir uns eingebildet haben, auf dem richtigen Weg zu sein. Es gibt keinen Grund, um diese Geschichte in Worten noch einmal auf‌leben zu lassen. [/zitat]

Verdient sie es nicht, weil sie es nicht wert ist. Oder verdient sie es nicht, weil, sie ihr dies nicht antun möchte.
Dieses "verdienen" kann man in beide Richtungen auslegen.
Noch wissen wir ja auch nicht, wie alt Trina ist, wie viel Zeit seit Maricas Fortgang vergangen ist, was Trina eigentlich bewogen hat, sich an Marica zu "wenden", wie es ganz am Anfang steht.
 
Zuletzt bearbeitet:

ulrikerabe

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Erich ist einer der wenigen, der eigentlich keinen Unterschied in der Gesinnung der italienischen Schwarzhemden und der deutschen Nazis sind. Trina denkt bald genauso [zitat]dass dies meine Heimat war, dass niemand mich verjagen konnte und dass ich nicht tatenlos zusehen konnte. Dass die Faschisten Schweine waren, weil sie uns ertränken wollten, uns in den Krieg hineingezogen und Barbara verschleppt hatten. Und dass die Nazis genauso Schweine waren, weil die uns gegeneinander aufgehetzt hatten und unsere Männer bloß als Kanonenfutter wollten.[/zitat]

[zitat]»Nur weil sie uns nicht ertränken, kann ich es noch lange nicht gutheißen, was sie machen!«[/zitat] sagt Erich

Trina sieht aber auch die Schönheit der italienischen Sprache
[zitat]Hätte ich es nicht automatisch mit diesen auf‌trumpfenden Faschistenschweinen in Verbindung gebracht, hätte ich vielleicht weiterhin die Lieder vor mich hin geträllert, die ich von Barbaras Grammophon kannte – un bacio ti darò / se qui ritornerai / ma non ti bacerò / se alla guerra partirai –, und vielleicht hätte Maja es ebenso gemacht und auch die Bauern, und das ganze Tal wäre im Lauf der Zeit ein Ort der Begegnung für Leute geworden, die sich auf mehrere Arten verständigen können, und nicht ein Problemherd Europas, wo sich alle schief ansehen.[/zitat]
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Diese Frage stellt sich Trina auch am Anfang des Abschnitts. (und ich mir natürlich auch)

Nachdenklich gemacht hat mach, als Trina schreibt
[zitat]Nein, du verdienst es nicht, diese dunklen Tage kennenzulernen. Du verdienst es nicht zu wissen, wie laut wir deinen Namen gerufen haben. Wie oft wir uns eingebildet haben, auf dem richtigen Weg zu sein. Es gibt keinen Grund, um diese Geschichte in Worten noch einmal auf‌leben zu lassen. [/zitat]

Verdient sie es nicht, weil sie es nicht wert ist. Oder verdient sie es nicht, weil, sie ihr dies nicht antun möchte.
Dieses "verdienen" kann man in beide Richtungen auslegen.
Noch wissen wir ja auch nicht, wie alt Trina ist, wie viel Zeit seit Maricas Fortgang vergangen ist, was Trina eigentlich bewogen hat, sich an Marica zu "wenden", wie es ganz am Angang steht.
Stimmt, da hast du voll und ganz Recht. Generell scheinen sich Trinas Gefühle bezüglich Marica oft zu verändern. Dies ist wahrscheinlich teilweise den Geschehnissen geschuldet, es gibt gute und schlechte Tage.
 

RuLeka

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und auch die Bauern, und das ganze Tal wäre im Lauf der Zeit ein Ort der Begegnung für Leute geworden, die sich auf mehrere Arten verständigen können, und nicht ein Problemherd Europas, wo sich alle schief ansehen.
Dieses Zitat habe ich mir auch dick markiert. Auch die nächsten Sätze gefielen mir sehr gut, sind sprachlich wunderbar formuliert: „ Stattdessen waren Italienisch und Deutsch Mauern, die immer höher wurden. Die Sprachen waren zu Rassenmerkmalen geworden. Die Diktatoren hatten sie in Waffen und Kriegserklärungen verwandelt.“
 

Circlestones Books Blog

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Inzwischen wurde klar, dass Marica freiwillig mitgegangen ist. Interessant finde ich die Formulierung in ihrem Brief "ein besserer Mensch werden" im Zusammenhang mit einer Ausbildung. Sehr gut geschildert sind die Frauen, die schwere Arbeiten verrichten, oder, wie Trina, sich sofort entscheiden, ihre Männer zu unterstützen. Interessant auch die Figur der Mutter, die unermüdlich arbeitet, um sich selbst am Grübeln zu hindern. Allerdings spüre ich beim Lesen die als teilweise als positiv, ungebrochen geschilderte Haltung der einzelnen Personen wenig, kleine Lichtblicke mit Maria. Eine wichtige Figur nur als "die dicke Frau" und sonst namenlos zu lassen, soll vielleicht auf die tatsächlichen Schicksale derer hinweisen, deren Namen inzwischen vergessen sind, einfache Menschen, die sich persönlich mutig beiden Seiten widersetzt haben.
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Die Menschen in diesem Teil der Welt sind durch die politische Situation etc. mehrfach geschlagen/betroffen. Der italienische, faschistische Staat mit seinem Weltmachtstreben greift nach ihnen genauso wie auch der deutsche, faschistische Staat. Und keiner der beiden ist an Ihnen wirklich als Personen und Menschen interessiert, sondern nur als Werkzeuge in ihrer Hand, mit denen sie ihre Macht in Krieg und Landeroberung/-absicherung vergrößern können. Und dann ist da auch noch das Staudammprojekt, das ihnen geradezu den Boden unter den Füßen wegschwemmen soll. Erich will aktiv dagegen vorgehen, findet aber in der komplizierten Gemengelage der privaten Schicksale in dieser Zeit keinerlei Unterstützer. Die Bedrohung durch den Stausee wird einfach von anderen Bedrohungslagen komplett überdeckt. Der Familie bleibt, wollen sie nicht erneut in den Krieg hineingezogen werden, nur die Flucht in die Wildnis der Alpen. Dort leben Trine und Erich über mehrere Monate in einem Heuschober mit geringster Nahrungsmittelversorgung und sicher wenig hygienischen Verhältnissen.
Der Roman kann diese schier ausweglose Situation, in die Nationaldenken die Menschen dieser Grenzregion bringt, sehr anschaulich schildern und auf den Punkt bringen.
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Wadern
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Der Roman entwickelt einen regelrechten Sog, man möchte nicht mehr aufhören zu lesen. Eindringlich schildert Trina die verschiedenen Lebensphasen, ihre Suche nach Marcia, ihre Enttäuschung, dass sie freiwillig gegangen ist - das wird hoffentlich noch geklärt - Erichs Eintritt in den Krieg, seine Rückkehr,die Hinwendung Michaels zu Hitler und ihre eigene Flucht. Es geschieht so viel und in wenigen Sätzen gelingt es der Autorin uns eine Einblick in ihre jeweilige Gemütsverfassung zu geben.
Erich ist weitsichtig, er ahnt, dass die Nazis sich an denen rächen werden, die die Option nicht gezogen haben. Die Flucht ist furchtbar, im Schnee durch die Berge und immer die Angst im Nacken. Maria scheint eine Art Ersatztochter zu sein.
Traurig fand ich auch noch den Tod des Vaters, der eins wichtige Stütze für Trina war.
 

Yolande

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13. Februar 2020
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Das war ein ziemlich umfangreicher Abschnitt, zum Glück habe ich mir zwischendurch immer ein paar Notizen gemacht, sondern hätte ich bestimmt die Hälfte schon wieder vergessen o_O.
Trinas Tochter war wohl doch älter als gedacht und ist freiwillig mit Onkel und Tante gegangen. Irgendwie ist das noch schlimmer, als dass sie sie entführt hätten. Welch ein schreckliches Gefühl für Trina. Zum Glück sind ihre Eltern da, die sie und Erich aus ihrer Lethargie reißen.
Ich hatte in dem vorigen Abschnitt einmal geschrieben, dass diese Zwangs-Italianisierung nur Widerstand hervorruft und Trina hat es bestätigt. Ihr fällt auf, dass Italienisch eigentlich eine schöne Sprache ist, aber der Zwang hat es zu einem hasserfüllten Objekt gemacht.
[zitat](...) und vielleicht hätte Maja es ebenso gemacht und auch die Bauern, und das ganze Tal wäre im Lauf der Zeit ein Ort der Begegnung für Leute geworden, die sich auf mehrere Arten verständigen können, und nicht ein Problemherd Europas, wo sich alle schief ansehen[/zitat]
Die Flucht ist sehr eindringlich geschildert, die Kälte, der Hunger und die ständige Angst entdeckt zu werden. Was ja auch geschehen ist, ich wundere mich nur, dass Trina so kaltblütig in der Lage war, die Soldaten zu erschießen. Toll fand ich die Gemeinschaft in dem Bauernhaus, wie sie das Wenige, was da war, teilten und sich gegenseitig Mut machten. Furchtbar, dass ein Teil dieser Gemeinschaft so kurz vor dem Kriegsende noch erschossen wurde. Furchtbar und so sinnlos
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
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chaels zu Hitler und ihre eigene Flucht. Es geschieht so viel und in wenigen Sätzen gelingt es der Autorin uns eine Einblick in ihre jeweilige Gemütsverfassung zu geben.
Der Autor Marco Balzano ist ein Mann, aber er versteht es ( anscheinend) sehr gut, aus der Sicht einer Frau zu schreiben.
 

Querleserin

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Der Autor Marco Balzano ist ein Mann, aber er versteht es ( anscheinend) sehr gut, aus der Sicht einer Frau zu schreiben.
:oops:
Wollte eigentlich Ich-Erzählerin statt Autorin schreiben, aber nichtsdestotrotz kann der Autor sich sehr gut in die weibliche Perspektive hineinversetzen.