Ich bin so von dieser Atmosphäre und Sprache gefangen, dass ich eure Kritik kaum nachvollziehen kann, auch wenn sie berechtigt sein mag. Alle Stimmen sind sehr poetisch. Ist das nicht von jeher ein Kennzeichen finnischer Autoren, die Poesie in der Sprache? Warum dürfen dann nicht alle Figuren auch einen solchen Duktus haben? Mich stört es nicht, ich geselle mich zu
@Irisblatt .
Durch die verschiedenen Perspektiven kommen die Innensichten der Figuren hervorragend zur Geltung. Lars hat lange alleine gelebt, sich dann aber offensichtlich in die nur 4 Jahre jüngere (sie war da 32 und gehörte auch schon zum "alten Eisen") Lise verliebt. Man sollte meinen, er hätte sich zu diesem Zeitpunkt die Hörner schon abgestoßen. Doch sein Sohn spürt, dass er den Frauen im Garten gefällt und er für jede ein eigenes Lächeln hat... Lars ist demnach eine Art Womenizer. Ehrlich gesagt kann ich mir kaum vorstellen, dass er Martha vergewaltigt hat. Das wäre mir zu diesem Zeitpunkt fast zu einfach. Warum sollte er auch, wenn er viele Frauen freiwillig haben kann? Er scheint ja durchaus ein romantischer Typ zu sein. Nicht jeder Mann, der seine Frau wegen einer anderen verlässt, ist ein Vergewaltiger. Ich erwarte da noch eine Auflösung. Vielleicht war es der hämische Paul, der das Bett seines Freundes entweiht hat? Oder Martha ordnet falsch zu? Oder es war einvernehmlicher Sex, nur dass er Martha nicht dauerhaft wollte?
Wenn Lars es gewesen ist, könnte es am Hochzeitsabend seinen Ausgang genommen haben. Er beschreibt den Geruch des Mädchens sehr genau als "Geruch aus einer anderen Welt, ein süßer Geruch, unter den sich etwas Festsitzendes mischt, eine Flechte, die durch Trauer wächst..." S. 114 Würde man das Mädchen so beschreiben und ihm dann Gewalt antun??? Ich kann mir das nicht denken.
Warum sollte dann auch die Lehrerin so ein positives Verhältnis zu Jon haben? Nein, die Vergewaltigung passt nicht. Das war ein anderer.
(Leiser Zweifel im letzten Absatz S. 146: "Sie trug die Trauer wie einen Eimer abgestandenes Wasser, und ich wollte sie ihr abnehmen." Redet er da von Martha - Rätsel überall!)
Yvonne ist ein ganz anderer Typ als Lise. Sie kommt aus bestem Hause, hat sich aber vom dortigen Lebensstil entfernt. Sie opponiert gegen die Eltern, ist schlampig und unorganisiert. Die Eltern sehen den deutlich älteren Insulaner an der Seite ihrer Tochter kritisch. Kann man nachvollziehen. Für Lars stumpfen sich Yvonnes Reize offenbar ab. Er macht keine Zusagen, denkt immer häufiger an Tristan, Lise und seinen Sohn. Lars hat Fehler gemacht, aber er scheint mir kein Unmensch zu sein. Ich kann mittlerweile auch deutlich sein schlechtes Gewissen, seinen Betrug herauslesen. Er kann sich im Grunde nicht sehr lange etwas vormachen. Er leidet unter der Trennung. (Ich habe aber natürlich kein Mitleid mit ihm, er ist ja selbst schuld).
Dass er mit den Schmerzen seiner Frau nicht umgehen konnte... Männer wurden darauf nicht vorbereitet, es ist 1961 und eine einsame Insel. Er will ja auch helfen. Sich selbst, aber auch Lise. Am Ende ist zum Glück nichts geschehen.
Auch Marthas Emotionen werden wunderbar transportiert. Sie ist allein auf dem Berg, erlebt schreckliche Szenen und Todesangst. Fühlt sich kurz versucht, im Tod zu verschwinden, sich von den Alltagssorgen verschlingen zu lassen, bevor sie rennt...
Ebenso hatte sich auch Lars schon einmal für das Leben entschieden, als er ins Meer gestürzt war. Diese Szenen haben (wie viele andere) große Intensität.
Bevor sie geht, legt Martha die Decke aufs Bett, und alles dahinter bleibt verborgen. 136
Hoffentlich ist das nicht der Fingerzeig, dass es keine Auflösung gibt