2.Leseabschnitt: Unterhosen des Empire und Tödlicher Nachtschatten (Kapitel 8 - 20)

MRO1975

Bekanntes Mitglied
11. August 2018
1.538
3.981
49
48
Die Formulierung „Ich lasse mich noch immer von Frauen wie Charna herumkommandieren.“ ist eine Andeutung ihrer Tendenz zu Unterwürfigkeit und übermäßiger Anpassung und lässt erahnen, dass ihr etwas Belastendes widerfahren ist.
Ich glaube auch, dass diese Szene ihren Charakter gut beschreibt. Elaine scheint sehr daran gelegen, von anderen/ihren Freundinnen gemocht zu werden. Dabei geht es ihr gar nicht so sehr darum, dass und warum sie eine bestimmte Person mag. Sie will nur irgendwo dazu gehören. Daher macht sie auch bei diesen Ausschneidespielen mit, obwohl sie darin keinen Sinn sieht. Diesen Zug hat sie schon, bevor Cordelia auftaucht und evtl. ist das der Grund, warum Cordelia überhaupt so viel Macht über sie bekommt.
 

MRO1975

Bekanntes Mitglied
11. August 2018
1.538
3.981
49
48
Elaine ist extrem anpassungsfähig. Das Nomadenleben, sesshaft sein. Wild und frei, zivilisiert. Hose oder Rock. Aber umso älter sie wird, desto mehr beginnt sie nachzudenken. Unmut gegen ihre Eltern kommt auf. Als sie ihr neues Zuhause wieder mal für einige Monate verlassen, denkt sie: „Ich werde aus meinem neuen Leben gerissen, dem Leben von Mädchen.“
Und nachdem sie mit ihrer Freundin Grace deren Kirche besucht hat, hadert sie: „Ich bin ein bisschen verärgert über meine Eltern. Es gibt Dinge, die sie mir vorenthalten haben, Dinge, die ich wissen muss.“
Wie Elaine aufgewachsen ist und aufwächst bringt Gewinn/Gutes und Schwierigkeiten mit sich. Ich bin gespannt, wie‘s weitergeht.
Auf den ersten Blick möchte man meinen, dass die ungezwungene Art, in der Elaine aufgezogen wird, für sie von Vorteil sein sollte. Aber sie tut sich schwer damit, dass als Vorteil zu sehen und bemerkt nur, was sie nicht hat (Korsetts, strenge Mädchen-Jungen-Regeln, Kirchenbesuche). Man will halt immer das, was man nicht hat...
 

MRO1975

Bekanntes Mitglied
11. August 2018
1.538
3.981
49
48
Man braucht einen langen Atem. Ich glaube, dass macht Atwood extra so. Gaaaanz langsam nähert sie sich dem Ziel.
Hier war es dieses Begräbnis. Aus dem wenigen, was Elaine darüber noch weiß, geht anhand der Schlüsselworte Verrat, Panik, Scham und Versagen die Tragweite hervor, die das Ereignis hat. Über den 9. Geburtstag werden wir gewiss noch mehr erfahren.
Da hast du recht. Sie lullt uns ein, um uns dann aufzuschrecken. ;)
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Dieser Leseabschnitt ist beendet und mir ergeht es wie einigen von Euch. Die Blicke auf die kleine Elaine und ihr Leben zeigen einerseits eine gewisse Rückschau auf das Leben der Endvierziger. Andererseits erzeugen sie auch bei mir ein Schmunzeln und eigene Rückblicke.

Hier wird ein Mädchen beschrieben, die unkonventionell erzogen wird, ja. Aber sie selbst sieht das natürlich nicht. Ihr fehlen vermutlich Gleichaltrige. Was ja auch ganz natürlich ist. Gerade Gleichaltrige werden gebraucht um zu lernen, sich weiter zu entwickeln, aber auch um sich zu behaupten, zwischenmenschliches zu lernen. Und da hat Elaine in meinen Augen Probleme. Als sie in den Kontakt zu Gleichaltrigen kommt bemerkt sie die Vorzüge ihrer Mitmenschen. Sie passt sich an, sie möchte gefallen, sie möchte Freunde. Und da kommt Cordelia ins Spiel, sie scheint gerissen und manipulativ und bemerkt sicher schnell wie Elaine tickt.

Dass Cordelia nichts mehr von ihren Reaktionen auf das "Lebendig begraben" weiß und sich nicht mehr an ihren 9. Geburtstag erinnert, verheißt nichts Gutes.

Ebenso wie dieses Dahinplätschern der Atwood hier nichts Gutes verheißt.

Lebendig fand ich die Schilderung des Zusammentreffens von Elaine und der Reporterin. Hier bemerkt man wieder dieses Scharfe in der Zunge der Atwood. Ich liebe es und möchte mehr davon!
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Die Ich-Erzählerin scheint aus der Vergangenheit "Narben" davongetragen zu haben.
[zitat]Mit diesem Wort brachte ich mich am Ende in Verbindung, mit einem Nichts, als wäre ich nichts, als gäbe es da überhaupt nichts (Anfang Kapitel 8[/zitat]
Das klingt nach mangelndem Selbstwertgefühl, Minderwertigkeitsgefühlen, die vielleicht sogar in einer Depression gemündet sind.
In der Vergangenheit beschreibt sie, wie sie allmählich zum Mädchen wird, Freundinnen hat: zuerst Carol, für die sie eine Kuriosität zu sein scheint - und Grace. Die Art und Weise zu spielen, ist zu diesem Zeitpunkt (Ende der 40er) noch stark geschlechtsspezifisch ausgeprägt. Das zeigt sich auch an den unterschiedlichen Schulhöfen für Jungen und Mädchen. Elaine bedauert es einerseits und vermisst die Spiele mit ihrem Bruder, andererseits ist sie auch bestrebt sich anzupassen, empfindet es als Erleichterung, da die Regeln für die Spiele klar abgesteckt sind - es geht zunächst nach Grace Willen.
Ein gemeinsames Spiel ist das Murmelwerfen - da kommt auch der Titel her. Elaines Lieblingsmurmel ist ein sogenanntes "Katzenauge".
Nachdem die Familie einen Sommer im Norden verbracht hat, da der Vater eine Raupenplage untersucht, kehren sie nach Toronto zurück.
Elaine sieht Cordelia, die Neue, zum ersten Mal "ohne Vorahnung" an. Allein diese Aussage weckt schon ungute Vorahnungen beim Lesen...
Schnell wird deutlich, dass Cordelia ab jetzt den Ton angibt und die bedrohliche, bedrückende Stimmung manifestiert sich. Cordelia erzählt den anderen Geschichten, auch anzügliche - daher der Titel "Unterhosen des Empire", denn sie spekuliert darüber, welche Unterwäsche die Lehrerinnen tragen.
Im Kapitel "Tödliche Nachtschatten" springt die Handlung zunächst wieder in die Gegenwart. Besonders gut gefallen hat mir das Interview mit der Journalistin, als sich Elaine geweigert hat, sich in eine Schublade stecken zu lassen.
Am Ende des Abschnittes bestätigt sich die Vermutung, dass Cordelia Elaine gegenüber Macht ausübt. Die Szene mit dem lebendigen Begraben ist gruselig. Furchtbarer Gedanke und bezeichnend, dass die Ich-Erzählerin die Erinnerungen ausgelöscht zu haben scheint. Nur die tödlichen Nachtschatten assoziiert sie damit.
Dieses so unterschiedliche Erziehen erschreckt mich sehr. Obwohl auch in meiner Zeit noch starke Unterschiede in der Erziehung von Mädchen und Jungen zu beobachten waren. Aber hier kommt einem nochmal dieser Unterschied vor Augen. Und gerade dadurch auch die Vorzüge von Elaines Erziehung, obwohl ich mich immer noch frage, wieso Elaine nicht die gesamte Schulzeit an der Schule sein muss und es auch so klang, dass sie vorher eigentlich auch viel unterwegs war. Wäre interessant ob dazu noch etwas kommt. ...

Dieses "ohne Vorahnung" sprang mir auch direkt ins Auge. ...
 

kingofmusic

Bekanntes Mitglied
30. Oktober 2018
7.239
18.647
49
48
Die Ich-Erzählerin scheint aus der Vergangenheit "Narben" davongetragen zu haben.
[zitat]Mit diesem Wort brachte ich mich am Ende in Verbindung, mit einem Nichts, als wäre ich nichts, als gäbe es da überhaupt nichts (Anfang Kapitel 8[/zitat]
Das klingt nach mangelndem Selbstwertgefühl, Minderwertigkeitsgefühlen, die vielleicht sogar in einer Depression gemündet sind.
Darüber bin ich auch heute Morgen direkt gestolpert.
 

kingofmusic

Bekanntes Mitglied
30. Oktober 2018
7.239
18.647
49
48
Lebendig fand ich die Schilderung des Zusammentreffens von Elaine und der Reporterin. Hier bemerkt man wieder dieses Scharfe in der Zunge der Atwood. Ich liebe es und möchte mehr davon!
Ja, das Interview fand ich auch wunderbar selbstironisch (in Bezug auf die Darstellung von Elaine und die Vorführung der Reporterin ;)). Da habe ich mich auch köstlich amüsiert.

Ansonsten hinke ich ja der Leserunde absolut hinterher. Irgendwie muss man in das Buch mehr reinkommen wie in "Der blinde Mörder". Aber ich bleibe am Ball :).
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Ja, das Interview fand ich auch wunderbar selbstironisch (in Bezug auf die Darstellung von Elaine und die Vorführung der Reporterin ;)). Da habe ich mich auch köstlich amüsiert.

Ansonsten hinke ich ja der Leserunde absolut hinterher. Irgendwie muss man in das Buch mehr reinkommen wie in "Der blinde Mörder". Aber ich bleibe am Ball :).
Ich sehe es genauso, beim blinden Mörder war ich auch viel schneller in der Handlung drin. Hier fühlte ich mich etwas außen stehend und es fiel mir auch schwerer dieses Buch zu lesen.
 

Querleserin

Bekanntes Mitglied
30. Dezember 2015
4.048
11.068
49
50
Wadern
querleserin.blogspot.com
Ich sehe es genauso, beim blinden Mörder war ich auch viel schneller in der Handlung drin. Hier fühlte ich mich etwas außen stehend und es fiel mir auch schwerer dieses Buch zu lesen.
Es entfaltet nicht so einen Sog, das sehe ich auch so. Aber im nächsten Abschnitt wird es an Fahrt aufnehmen.
 

kingofmusic

Bekanntes Mitglied
30. Oktober 2018
7.239
18.647
49
48
Dass Cordelia nichts mehr von ihren Reaktionen auf das "Lebendig begraben" weiß und sich nicht mehr an ihren 9. Geburtstag erinnert, verheißt nichts Gutes.
Hier meinst du bestimmt Elaine, oder? :cool: Bei diesem kurzen Abschnitt hatte ich echt Gänsehaut. Ich stelle mir das fürchterlich vor, lebendig begraben zu werden. Kein Wunder, dass man da ein Trauma bekommt...
Und ganz ehrlich: ich kann mich auch nicht mehr an jeden meiner Geburtstage erinnern - schon gar nicht aus meiner Kindheit. Aber merkwürdig im Zusammenhang mit dem Roman ist es schon :confused:. Na ja, jetzt geht es mit dem 3. Abschnitt weiter.