1. Paideusis (Väter und Söhne)
Die vom Autor erläuterte Ringkomposition, Gegenwart und Vergangenheit miteinander zu verweben, verwirklicht er auch im 2.Kapitel - der Telemachie. Die etymologischen Exkurse fließen weiterhin in die Geschichte ein, aber sie fügen sich für mich jetzt besser ein - auch die Begeisterung für die Konjugation im Griechischen kann ich nachvollziehen
Zur Handlung:
Einerseits erfahren wir etwas über die ersten vier Gesänge der Odyssee, in denen nicht Odysseus, sondern sein Sohn Telemachos im Mittelpunkt steht, der sich angestiftet von Athene auf die Suche nach Informationen zum verschollenen Vater macht. Gleichzeitig lernt er dabei - wie man so schön sagt - etwas über das Leben, wird also erzogen.
Neben diesen eher "wissenschaftlichen Teilen", die ich sehr interessant finde, erzählt Mendelsohn von seinem Seminar zur Odyssee, an dem sein Vater teilnimmt und in dem er sich auch rege zu Wort meldet - was zu einigen sehr lustigen Szenen führt. Witzig fand ich auch die "Eselsbrücken", die sich Mendelsohn macht, um sich die Namen seiner Studenten einzuprägen.
Gleichzeitig erfahren wir aber auch immer wieder etwas über die Vergangenheit des Vaters, z.B. warum er Latein in der Highschool abgewählt hat, über dessen Lehrtätigkeit nach seiner Arbeit für Grumman, über die Ehe der Mendelsohns und über seine Lebenseinstellung als "Schmerzensmann" (73).
"Wenn man sich nicht anstrengen muss, lohnt es sich nicht." (73)
Das führt ihn zu der Aussage, Odysseus sei kein Held, da die Götter alles für ihn richten würden, er also bereit ist Hilfe anzunehmen, etwas, das Mendelsohn senior nicht vermag.
Der Vater, der nie betrogen und gelogen hat, sieht aus diesem Grund Odysseus nicht als Held - denn dieser braucht die Hilfe der Götter, schafft es nicht allein.
Etwas, das für Jay Mendelsohn sehr wichtig zu sein scheint - Stärke zu zeigen, niemals zu weinen, alles aus eigener Kraft heraus zu gestalten.
Immer wieder reflektiert Daniel Mendelsohn sein Verhältnis zum Vater und dabei erzählt er gleichzeitig Interessantes aus seinem eigenen Leben - von seinen ersten Studienjahren und Dozentinnen, die ihn geprägt haben.
Immer wieder vergleicht er die Odyssee mit seinem eigenen Leben. So erläutert er uns, wie wichtig es ist, dass Telemachos erkennt, dass seine eigene Familie nicht der Mittelpunkt der Welt ist (121), um dann zu seiner eigenen Familie überzuleiten und die Erfahrungen, die er als Kind und Jugendlicher mit den Bekannten und Freunden seiner Eltern gemacht hat, zu erzählen.
Allmählich entsteht ein Bild vom Aufbau der Odyssee einerseits und andererseits von Daniel und Jay Mendelsohn sowie deren Verhältnis in meinem Kopf.
2. Homophrosyne (Szenen einer Ehe)
In diesem kurzen Kapitel erfahren wir, dass im 5.Gesang nun der Held selbst in den Mittelpunkt der Odyssee gerät - als Gefangener der schönen Göttin Kalypso, die ihn nicht gehen lassen will, bis Athene einschreitet.
Mendelsohn verknüpft dies mit den Vorstellungen, die sein Vater über die Ehe hat - absolute Liebe gebe es nicht.
Sehr gut hat mir gefallen, wie die "perfekte Liebe" in der Odyssee definiert wird - als "vollkommener Einklang im Denken" (158).
Inzwischen hat das erzählende Sachbuch tatsächlich einen Sog entwickelt und es macht mir sehr viel Spaß, weiterzulesen